Das Moorkind (eBook)

Thriller | Atmosphärisch, düster, unheimlich - ein Psychothriller, in dem eine junge Kinderärztin an die Grenzen ihres Verstandes gerät

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
280 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2984-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Moorkind -  Alma Lundt
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Bist Du Dir sicher? Dass es so war. Wie Du denkst. Martha Roth ist Kinderärztin, eine gute, eine aufopferungsvolle, eine, die das Wohl der Kinder über alles stellt. Der Preis dafür ist hoch: Erst verliert sie ihren Freund, dann ihren Job. Und dann ihren Verstand? Wenn es nach ihrem Chef geht, hat sie ihn spätestens in jener Nacht verloren, als sie behauptete, dass ein schwer misshandeltes Mädchen auf der Kinderstation gestorben sei. Ein Mädchen, das es angeblich nie gegeben hat. Kaum wird sie aus der Entzugsklinik entlassen, in die sie nach diesem Vorfall eingewiesen worden ist, passiert es wieder. Sie findet einen halbtoten Jungen am Straßenrand, der aber spurlos verschwindet, als sie ihn ins Krankenhaus bringen will. Die Suche nach dem Jungen wird immer mehr zu einer verzweifelten Jagd nach Gewissheit. Ist sie einem Vebrechen auf der Spur, oder bildet sie sich das alles nur ein? Sieht sie Kinder, die es gar nicht gibt? 

Alma Lundt ist das Pseudonym einer Autorin, die bereits zahlreiche Jugendbücher veröffentlicht hat. Sie machte ihren Abschluss in Bibliothekswissenschaft und arbeitet in einer juristischen Bibliothek. Aufgewachsen auf einem trocken gelegten Sumpf in Brandenburg haben Moorlandschaften sie schon immer fasziniert. 'Das Moorkind' ist ihr erster Thriller. Alma Lundt lebt heute in Berlin.

Alma Lundt, geb. 1964, ist das Pseudonym einer Autorin, die bereits zahlreiche Jugendbücher veröffentlicht hat. Sie machte ihren Abschluss in Bibliothekswissenschaft und arbeitet in einer juristischen Bibliothek. Aufgewachsen auf einem trocken gelegten Sumpf in Brandenburg haben Moorlandschaften sie schon immer fasziniert. "Das Moorkind" ist ihr erster Thriller. Alma Lundt lebt heute in Berlin.

1


Martha lehnte in der offenen Scheunentür und sah den Wolken nach, die über den dunklen Himmel jagten. Zuerst waren es nur ein paar gewesen, die weiter Richtung Ostsee zogen, doch inzwischen türmte sich dichtes Grau am Himmel. Die Sonne war verschwunden, und ein kalter Wind wehte über die leeren Felder. Sie musste endlich los, wenn sie keinen Ärger bekommen wollte.

»Bitte bleib doch noch!«, bettelte Asta, die zu ihr getreten war. Schließlich heiratete sie nicht alle Tage. Ihr Gesicht glühte vom Tanzen und Lachen.

Martha schüttelte den Kopf. In zwei Stunden musste sie in der Klinik sein. Sie hoffte, dass niemand ihren heimlichen Ausflug bemerkt hatte.

Lächelnd strich Martha ihrer Schwester über den geflochtenen Haarkranz. »Mach dir um mich keine Sorgen.«

Machte Asta sich aber. »Hat Lennard sich gemeldet?«

Martha schüttelte den Kopf. »Das ist vorbei und gut so.« Das stimmte zwar nicht, doch an so einem Tag wollte sie keinen Gedanken an ihren Ex-Mann aufkommen lassen.

Asta umarmte sie so heftig, dass Martha den Herzschlag ihrer Schwester spürte. »Aber fahr vorsichtig! Bitte.«

Behutsam schob sie Asta von sich. »Es passiert nichts. Wirklich. Geh wieder rein.«

Martha schaute in den Rückspiegel, als sie mit ihrem Wagen vom Hof fuhr. Asta winkte ihr nach.

Ihre kleine Schwester hatte endlich ein Zuhause gefunden, das halbe Dorf war zu ihrer Hochzeit gekommen wie eine richtige Familie. Den ganzen Nachmittag war Martha mit auf dieser warmen Welle geschwommen, hatte sich tragen lassen von so unendlich viel Wohlwollen und Willkommensein. Sie hatte mit den anderen gelacht und getanzt und sich über das Brautpaar gefreut. Asta war angekommen, und das würde Martha auch, wenn sie endlich aus der Therapie raus war.

Langsam rollte sie den Sandweg zur Straße hoch. Warum Asta allerdings in diese Einöde hatte ziehen müssen, verstand sie nicht.

Während Martha damals für ihr Medizinstudium gebüffelt hatte, hatte Asta sich mit der Hauptschule abgemüht, die sie irgendwann aber hinwarf. In keinem Job hielt sie es lange aus, bis sie Ruben getroffen hatte und Asta anfing, sich für Blumen zu interessieren. Das einzige Gewächs, das Asta bis dahin gekannt hatte, war Gras.

Ruben war Gärtner, keiner von den Haschtypen, mit denen Asta jahrelang in Berlin um die Häuser gezogen war. Er verstand auch eine Menge anderer Dinge, die Asta Boden unter den Füßen verschafften. Die beiden wollten sich noch eine Schafherde anschaffen.

»Zieh doch auch nach Gambin«, hatte Asta gesagt. »Hier wirst du immer gut schlafen!«

Aber im Niemandsland zwischen Maisfeldern und Ostsee gab es keine Kinderklinik, und für die Schafzucht war Martha einfach nicht gemacht. Der Lärm der Hochzeitsgesellschaft verebbte langsam in ihren Ohren. Das Gelächter, die Musik, all die ausgelassenen Stimmen. Jetzt spürte sie, wie das Fest sie erschöpft hatte. Aber sie hatte Asta nicht enttäuschen wollen, die so begeistert von ihrem neuen Dorfleben war.

Als sie die Straße erreichte, hielt sie an und lauschte einen Moment dem Heulen des Herbststurms, der über die Landschaft hereingebrochen war. Dann setzte sie den Blinker und fuhr los.

Im selben Moment musste sie lachen, und diesmal kam es tief und befreiend aus ihr heraus, ein Lachen, das sie schüttelte und nicht mehr losließ, bis sie sich den Bauch hielt. Sie hatte geblinkt! Sie hatte verdammt noch mal geblinkt, obwohl in dieser Einöde weit und breit kein einziges Auto zu sehen war!

Es wurde wirklich Zeit, dass sie aus der Klinik rauskam. Immer nur Regeln den ganzen Tag. Eine hieß: »Es gibt Tag und Nacht. Und nachts schläft der Mensch.«

Schönes Märchen, dachte Martha, wenn man in der Notaufnahme arbeitet und wach bleiben musste.

Das Licht der Scheinwerfer glitt über das dunkle Straßenpflaster. An der nächsten Kreuzung bog sie links ab, so wie Asta gesagt hatte. »Da sparst du zehn Kilometer.«

Sie musste sich beeilen, um zweiundzwanzig Uhr schlossen sie das Haupttor ab.

Doch die Abkürzung durch die Maisfelder erwies sich als Katastrophe. Der alte Renault wurde auf dem Betonplattenweg durchgerüttelt, sodass sie Mühe hatte, ihn in der Mitte zu halten. Die schwarzen Schatten, die seit einer Weile neben ihr durch den trockenen Mais huschten, gefielen ihr gar nicht. Sie versuchte schneller zu fahren, doch das war auf dem kaputten Beton nicht möglich.

Plötzlich brach eine Rotte Wildschweine aus dem Mais hervor und stellte sich vor das Auto. Martha trat erschrocken auf die Bremse und starrte in ihre erhobenen Schnauzen. Sie beschnüffelten das Auto. Schließlich stürmte der Anführer davon und der Rest ihm nach. Erleichtert gab Martha Gas. Das Gerüttel war ihr jetzt egal.

Als sie endlich aus dem Mais heraus war, hämmerte ihr Herz. Es hörte überhaupt nicht mehr auf. Sie versuchte die Atemübung, die man ihr in der Klinik gezeigt hatte.

Fassen Sie etwas Festes an und suchen Sie einen Punkt für ihren Blick! Martha umklammerte das Lenkrad und starrte durch die Windschutzscheibe. Und dann hören Sie auf Ihren Atem!

Martha versuchte es ja, doch das Einzige, was sie hörte, war der Sturm, der heulend über die Felder raste. Egal, dachte sie, bis zur Klinik würde sie es schaffen. Ab jetzt keine Abkürzungen mehr.

Sie schaltete das Radio ein, doch der Sturm zerlegte die Sender in ein nervendes Rauschen. Dann fuhr sie eben ohne Musik. Sie lauschte dem Wind, als könnte sie etwas verstehen. Das hohe Heulen klang wie das Wimmern eines Kindes.

Als sie an die nächste Kreuzung kam, musste sie anhalten. Am Morgen hatte hier ein Wegweiser gestanden, doch jetzt ragte nur noch ein leerer Eisenpfahl in den dunklen Abendhimmel. Das Schild war weg. So ein Mist! Wo musste sie denn nun entlang?

Aus der Ferne blinkten die roten Positionslichter eines Windparks, aber im Norden gab es so viele Windparks. Sie schaute auf ihr Handy. Kein einziger Balken. Absolutes Funkloch.

Als sie nach einer Weile wieder vor dem abgerissenen Schild stand, fluchte sie. Das gab’s doch nicht! War sie im Kreis gefahren? Sie nahm jetzt die andere Richtung. Die Scheinwerfer erfassten beim Wenden ein Stoppelfeld. Da gab es wenigstens keine Wildschweine, aber überall lagen gepresste Strohballen herum, die der Sturm jetzt über die Straße fegte. Sie sah auf die Uhr. Es war schon fast neun. Im Schritttempo wich sie den Strohballen aus, bis sie endlich den schützenden Wald erreicht hatte.

Erschöpft wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Am Morgen war sie hier durch rot leuchtende Buchenalleen gefahren, jetzt war alles dunkel. Die Scheinwerfer brannten eine schmale Schneise in die Nacht.

Noch eine halbe Stunde, dann lag sie in der Klinik in ihrem Bett mit dem Ostseerauschen vor dem Fenster. Sie schaltete das Radio wieder an und vernahm erleichtert die Stimme eines Nachrichtensprechers. Er wünschte allen, die in dieser Sturmnacht noch unterwegs sein mussten, eine gute Heimfahrt. Dann spielte Musik.

Die Straße vor ihr war endlich frei, und sie fuhr wieder schneller. Für die Uhrzeit war sie noch ungewöhnlich wach. Das lag wohl an Astas Hochzeit. Nach Monaten im Entzug war sie das erste Mal wieder unter anderen Menschen gewesen. Und es hatte ihr gefallen, obwohl sie sich zuerst etwas gefürchtet hatte. Als alle wegen des Gewitters in die Scheune umgezogen waren, hatte sie sogar getanzt.

Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so unbeschwert und gedankenfrei gewesen war. Lennard hatte Tanzen nie gemocht. In der Scheune hatte sie ein schwarzhaariger Mann in Zimmermannskluft die ganze Zeit angeschaut, aber nicht gewagt, sie aufzufordern.

Martha spürte noch immer seine Blicke auf ihrem Körper. Es war nichts Forderndes darin gewesen, einfach nur Freude und Wärme. Bei der Erinnerung an ihn musste sie lächeln.

Plötzlich gab es einen Knall.

Sie trat abrupt auf die Bremse, sodass der Renault zur Seite ausbrach. Sie versuchte gegenzulenken, doch der Wagen rutschte und drehte sich. Schließlich blieb er quer auf der Fahrbahn stehen.

Panisch sprang sie aus dem Auto. Der Wagen hatte eine tiefe Delle oben im Dach. Sie folgte ihrer Bremsspur. Am Ende fand sie einen dicken Ast auf der Fahrbahn. Der musste auf ihr Dach geknallt sein.

Erleichtert stieß sie die Luft aus, dann schleifte sie ihn von der Straße, damit nicht noch jemand drauffuhr. Gott sei Dank war nichts weiter passiert!

Als sie zu ihrem Auto zurückging, erfasste ihr Blick etwas kleines Dunkles, das auf der anderen Straßenseite lag. Im ersten Moment hielt sie es für eine verlorene Jacke. Langsam ging sie näher.

Doch das war keine Jacke.

Martha hielt den Atem an.

Am Straßenrand lag ein Kind.

Es war ein Junge, er war höchstens fünf. Trotz der Kälte trug er nur einen dünnen Strickpullover und kurze Hosen. Seine Sachen waren nass und mit Schilfresten und Moder verschmutzt.

Martha strich ihm vorsichtig die blonden Haare aus dem Gesicht. An den Schläfen entdeckte sie ein paar blaue Flecken. Als sie seinen grünen Pullover hochschob, fand sie sie auch auf seinem mageren Bauch.

Oh Gott! Hatte sie ihn angefahren? Aber das konnte nicht sein! Da war dieser Ast gewesen, der auf ihr Dach gefallen war. Deshalb hatte sie gebremst. Ein Kind hätte sie...

Erscheint lt. Verlag 6.2.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Arzt • Ärztin • Dorf • Kinder • Kinderwunsch • Klinik • Medikamente • Medizin • Moor • Ostsee • Pharma • Psychiatrie • Psycho • Psychothriller • Schwestern • Verrückt • Verschwinden
ISBN-10 3-8437-2984-0 / 3843729840
ISBN-13 978-3-8437-2984-0 / 9783843729840
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