Steinerne Schuld (eBook)
240 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
978-3-455-01605-5 (ISBN)
Paolo Riva wurde 1977 in Balerna/Tessin in der italienischsprachigen Schweiz geboren. Seine Mutter ist Italienerin, sein Vater Deutsch-Schweizer. Er studierte Deutsche Philologie in München und Philosophie in Rom. In Zürich arbeitete er lange als Werbetexter. Riva lebt mit seiner Familie, Hunden und Eseln auf einem Hof in der südlichen Toskana.
Paolo Riva wurde 1977 in Balerna/Tessin in der italienischsprachigen Schweiz geboren. Seine Mutter ist Italienerin, sein Vater Deutsch-Schweizer. Er studierte Deutsche Philologie in München und Philosophie in Rom. In Zürich arbeitete er lange als Werbetexter. Riva lebt mit seiner Familie, Hunden und Eseln auf einem Hof in der südlichen Toskana.
Cover
Verlagslogo
Titelseite
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Paolo Rivas Commissario Luca im Hoffmann und Campe Verlag
Biographie
Impressum
1
Mauro schüttelte den Kopf und zog eine Augenbraue hoch. Er musste grinsen. Hatten sie ihm doch wieder die älteste Karre gegeben. Statt eines elektrischen Fensterhebers wie in den neuen Scania-Modellen betätigte er eine Kurbel, um die Scheibe auf der Fahrerseite herunterzulassen. Dann steckte er sich eine Zigarette an und nahm genüsslich den ersten Zug.
Im Rückspiegel sah er, wie die Arbeiter auf der Ladefläche die letzten Sicherungsarbeiten durchführten: Sie zogen die Bänder noch einmal straffer, um sie zu fixieren, dann prüften sie, ob die Bordwand richtig geschlossen war. Die Gesichter der beiden Männer waren weiß vom Staub, und Mauro wusste nur allzu gut, dass es jenes hartnäckige Weiß war, das auch nach mehrmonatigem Duschen nicht abzuwaschen wäre. Das Weiß derjenigen, die schon ihr ganzes Leben in diesen Steinbrüchen verbrachten. Er hätte ungern mit ihnen getauscht. Als er zwanzig gewesen war, hatte er für einen Monat so wie diese Männer geschuftet, doch die Hitze, der Staub und die tonnenschweren Lasten waren zu viel für ihn gewesen. Also hatte er den LKW-Führerschein gemacht und fuhr seitdem Tag für Tag die Blöcke, die man hier den Felsen abtrotzte – in der Hitze der toskanischen Sommer genauso wie in den kalten Wintern. Es war ihm viel lieber so, auch wenn er manchmal für einige Tage nicht daheim war, weil mal wieder eine Bestellung aus Mailand oder Rom eingegangen war – oder sogar aus Österreich oder der Schweiz. Aber alles war besser, als in den Steinbrüchen zu schuften.
Mauro hob den Blick und ließ ihn über die Berge schweifen, in deren Schatten sein Lastwagen stand. Schroffe, hohe Felsen ohne Bewuchs, die so grob aussahen, als befände man sich mitten in den Alpen, dabei waren sie gerade einmal sieben Kilometer vom Meer entfernt.
Hier unten aber war der Fels schon in Form gebracht, fein ausgehauen, in quadratische Kanten von beeindruckender Schärfe, als hätte ein Lego-Profi Stein auf Stein gesetzt. Hier gab es nichts zu verschenken, kein Kilogramm Marmor sollte verschwendet werden – besonders nicht jene blendend weiße Sorte, die diesen Ort auf der ganzen Welt berühmt gemacht hatte: Carrara. Jedem Steinmetz, jedem Wohlhabenden, jedem Einrichtungsfanatiker war dieser Name Wohlklang in den Ohren.
Und er, Mauro, durfte diesen bedeutendsten Stein der Welt durch die Gegend fahren, kurz nachdem er aus dem groben Fels gehauen worden war. Er nahm noch einen tiefen Zug von seiner Zigarette, dann warf er die Kippe aus dem Fenster und kurbelte die Scheibe wieder hoch. Er öffnete die Tür des LKW, sprang mit behändem Schwung hinaus und wandte sich an die Arbeiter, die gerade von der Ladefläche stiegen.
»Alles klar?«
Der Vorarbeiter, ein alter Kerl mit Schnurrbart, nickte ihm zu. »Klar. Alles befestigt. Hier, die Papiere.«
Aus der Brusttasche seines Overalls zog er einen Bestellzettel und überreichte ihn Mauro. Der überflog schnell die Mengen und betrachtete die Adresse, an die er liefern sollte.
»Na, das wird ja ein rascher Feierabend – nur einmal nach Florenz also? Dann bin ich ja um zwei Uhr schon in der Bar …«
»Du hast es gut. Wir müssen hier noch vier Stunden Dienst schieben.«
Mauro nickte mitfühlend. »Schönen Tag euch noch – und danke.«
»Wir danken dir.«
»Hm?« Da lag etwas in der Stimme des Alten, das Mauro aufmerken ließ.
Der Vorarbeiter stand jetzt nah bei ihm, er konnte seinen tabakgetränkten Atem riechen und die gelben Zähne sehen.
»Wir wissen, was du für uns tust«, flüsterte der Mann. »Für uns und für unsere Sicherheit. Wir können es zwar nicht laut sagen, weil wir sonst eins auf den Deckel bekommen – aber wenn es hart auf hart kommt, stehen wir alle hinter dir. In Ordnung?«
Mauro musste kurz schlucken, dann streckte er dem Alten die Hand hin. »Grazie. Das bedeutet mir viel.« Sie schüttelten einander die Hände, dann hieb ihm der Vorarbeiter noch auf die Schulter. »Gute Fahrt. Und schönen Feierabend später.«
Mauro stieg wieder in seinen LKW und stellte den Sitz richtig ein. Das Lenkrad war so abgegriffen, wie der Sitz durchgesessen war. Wieder musste er lachen. Seitdem er sich für die Sicherheit der Arbeiter im Steinbruch einsetzte, bekam er von seinen Disponenten immer die ältesten Karren zugewiesen. Er hatte sich schon daran gewöhnt.
Er klappte die Sonnenblende herunter und entnahm seinem Portemonnaie das kleine Foto, das er immer mit sich trug, und eine Wäscheklammer. Dann klemmte er das Foto an die Sonnenblende und betrachtete es: Emilia, seine Tochter mit den glatten dunklen Haaren, die so lieb und gleichzeitig frech in die Kamera lächelte, daneben die Frau, die er einst geliebt hatte für einige wenige Monate, die aber das Schönste hervorgebracht hatte, was er in seinem Leben je geschaffen hatte. Er lächelte, bekreuzigte sich und drehte den Schlüssel im Schloss. Der alte Dieselmotor sprang heiser an, und der satte Sound der Maschine erklang – so ein Vierzigtonner war eben doch kein VW Käfer.
Mauro überlegte, sich noch eine Zigarette anzuzünden, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Sofort nach der Ausfahrt aus dem Steinbruch begannen die Spitzkehren, und er würde teuflisch aufpassen müssen, auch wenn er ein alter Hase war. Außerdem konnte er nicht Sicherheit anmahnen, aber selbst unvorsichtig sein – Wasser predigen und Wein saufen, das machten viele hier. Aber so war er nicht.
Er sah im Rückspiegel, wie die Arbeiter zur Pause gingen. Allen hingen Zigaretten in den Mundwinkeln. Schon war er an der Ausfahrt des Steinbruchs, hupte dem Sicherheitsmann zu und bog auf die Straße, die steil bergab ins Tal führte.
Wobei: Straße klang auf lustige Weise übertrieben, denn das hier war nur eine Schotterpiste, bestehend aus feinem Sand und groben Kieseln, die sich in die Reifen der LKWs bohrten. Nur der untere Teil der Straße war asphaltiert, hier oben aber waren die Wege zu steil und die Besitzer der Steinbrüche zu geizig, um all die engen Serpentinen mit Asphalt zu übergießen.
Mauro bremste, als die erste scharfe Kurve in Sicht kam, und lenkte den Lastwagen gekonnt herum. Zu seiner Rechten zeigte sich das Panorama des Tales. Er konnte von hier bis zum Mittelmeer sehen. Die Sonne brannte durch die Windschutzscheibe. Natürlich hatte dieses Vehikel keine Klimaanlage, und obwohl die Lüftung auf voller Pulle drehte, war es hier drinnen viel zu heiß.
Der Schweiß lief ihm in die Augen, und er wischte sich über die Stirn. Es war eine Herausforderung, das alles hier, die Hitze und zugleich der schöne Ausblick auf das hellblaue Meer dort unten, denn er musste sich konzentrieren. Wenn ihm ein LKW entgegenkäme, würde es richtig eng, weil die Schotterwege viel zu schmal waren. Manchmal rangierten selbst erfahrene Kutscher eine halbe Stunde, um aneinander vorbeizukommen, ohne den Abhang hinunterzustürzen.
Mauro spürte, wie die tonnenschweren Marmorklötze auf der Ladefläche hinter ihm den LKW abwärts schoben. Selbst wenn er die Bremse voll durchtrat, dauerte es manchmal Sekunden, bis sie ihre Wirkung entfaltete. Wahrscheinlich waren die Bremsscheiben dieser Karre in einem ebenso erbärmlichen Zustand wie der Rest.
In der nächsten Serpentine musste er das Lenkrad viermal drehen, so steil und kurvig war es hier. Er brachte den LKW dabei fast zum Stehen. Die Reifen verströmten einen Geruch, den er schon kannte: nach verbranntem Stahl und heißem Gummi. So deutlich wie heute aber hatte er diesen Geruch lange nicht mehr wahrgenommen.
Noch acht Serpentinen, dann würde er endlich die Asphaltstraße erreichen, die ihn nach Carrara und von dort aus auf die Via Aurelia brachte. Von dort waren es nur noch zwanzig Kilometer bis zur Autobahn und dann noch mal siebzig bis zu dem Steinmetz in einem der Industriegebiete westlich von Florenz.
Der Schotter spritzte, als Mauro auf einer halbwegs geraden Strecke beschleunigte, wobei er das Gaspedal gar nicht betätigen musste, weil die tonnenschwere Last den LKW nach unten schob, immer dem Tal entgegen.
Dort vorne, in hundert Metern Entfernung, war die nächste Bergkehre. Er sah, wie ihm von weit unten ein anderer LKW entgegenkroch. Mist. Er würde doch noch mal rangieren müssen. Na ja, vielleicht konnte er auch zwei Kehren später in die Nothaltebucht fahren, aber dafür musste er sich beeilen. Er ließ seinen Laster ein Stück weiter rollen als üblich, dann trat er langsam die Bremse. Wieder roch es verbrannt, aber … Mauro riss die Augen auf. Er trat das Pedal stärker durch, aber weder wurde der LKW langsamer, noch war das Geräusch der quietschenden Blöcke auf den Bremsscheiben zu hören. Es passierte einfach nichts. Er spürte, wie der Lastwagen immer schneller wurde, dabei war die Spitzkehre nur noch Sekunden entfernt.
Wieder trat er das Pedal durch in der Hoffnung, dass er sich getäuscht hätte. Aber wieder geschah nichts, da war nur das Geräusch der Reifen, die sich immer schneller drehten.
Er hupte, weil ihm nichts Besseres einfiel, dann trat er noch einmal durch. Der Tacho zeigte nun fünfunddreißig Stundenkilometer. Der verdammte Laster ließ sich nicht bremsen! Er musste doch … Er riss die Handbremse hoch, so weit es ging, es gab einen Ruck, dann drehte sich der Führerstand des schweren Lasters ein wenig, aber es reichte nicht. Mauro schrie auf. Er wollte die Tür aufreißen, aber da war schon die Kante, genau vor ihm, er riss das Lenkrad herum, eine letzte verzweifelte Geste. Der Wagen legte sich in die Kurve, aber er...
Erscheint lt. Verlag | 5.3.2024 |
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Reihe/Serie | Die Bella-Italia-Krimis | Die Bella-Italia-Krimis |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Carrara • Carrara-Marmor • Cosy Crime • Dolce Vita • Ermittlerarbeit • Ermittlerduo • Ermittlerkrimi • Florenz • Italien • ItalienKrimi • Kommissar • Krimi • Kriminalroman • Mord • Mordfall • Regiokrimi • Regionalkrimi • Siena • Toskana • Toskanakrimi • Urlaubslektüre |
ISBN-10 | 3-455-01605-7 / 3455016057 |
ISBN-13 | 978-3-455-01605-5 / 9783455016055 |
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