Klippenrache - Ian Bray

Klippenrache (eBook)

Ein Cornwall-Krimi

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
656 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-29695-7 (ISBN)
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Ein Racheplan, der tödlich endet. Ein neuer Fall für den Kommissar, der nie mehr ermitteln wollte.
Tracy, Fiona, Millie und Louise - die vier Freundinnen haben schon zu Schulzeiten ihre Heimat, das beschauliche Fischerdorf Cadgwith in Cornwall, unsicher gemacht. Nun sind sie vierzig, aber noch immer lieben sie es, gemeinsam um die Häuser zu ziehen. Doch dann wird Tracy zum Opfer eines Heiratsschwindlers und die Frauen beschließen, Rache zu nehmen. Das funktioniert überraschend gut - bis eines Abends plötzlich Fiona verschwindet und sie kurz darauf tot aufgefunden wird. Während die Polizei im Dunklen tappt, wird der ehemalige Kommissar Simon Jenkins beauftragt, sich unter den Bewohnern diskret umzuhören. Dabei gerät er schon bald in ein Beziehungsgeflecht, das weitere Tote fordert ...

»Viel Lokalkolorit mit Pub-Besuchen und Folkmusik macht den Krimi zu einem spannenden Urlaubsbegleiter.« Rheinische Post über »Klippentod«

Lesen Sie auch die anderen Bände der atmosphärischen Cornwall-Krimireihe unabhängig voneinander:
Band 1: Klippentod
Band 2: Klippengrab
Band 3: Klippenrache
Band 4: Klippensturm

Ian Bray, geboren 1954, ist das Pseudonym des deutschen Krimiautors Arnold Küsters. Wenn er sich nicht gerade spannende Mordfälle ausdenkt, ist er als freiberuflicher Journalist im Einsatz. Cornwall wurde vor vielen Jahren zu seinem liebsten Reiseziel, und Cadgwith hat es ihm ganz besonders angetan. Daher verbringt er dort nicht nur regelmäßig seinen Urlaub, sondern verlegt neuerdings auch seine Kriminalfälle in das beschauliche Fischerdorf.

I.


Er stand in der Gasse, in Wahrheit nur ein nachlässig befestigter Weg. Leere Hallen, Graffiti, Schutt, Fäkalien, Gestrüpp, dürres Gras – die hässliche Seite der Stadt. Es stank nach Kohl und was sonst noch. Es war dunkel, irgendwo im Londoner Stadtbezirk Croydon, abseits des aufpolierten Viertels mit den Bars, Pubs und Profiteuren des Neuen Marktes.

Er war allein. Sein Team hatte sich weiter vorne in einem verzweigten Hallensystem verteilt. Sie hatten den Tipp bekommen, dass dort um diese Zeit große Mengen Koks, Heroin und Crack den Besitzer wechseln würden. Ein Routineeinsatz. Solche Hinweise bekamen sie im Dutzend.

Der Einsatz war fast beendet. Natürlich hatten sie nichts gefunden und niemanden angetroffen. Sie hatten es geahnt. Der Tipp war ein Ablenkungsmanöver, damit die Geschäfte anderswo ungestört ablaufen konnten.

Nur noch schnell dieses kurze Verbindungsstück absuchen, sicherheitshalber, hatte er gedacht. In Gedanken war er längst bei Moira und ihrem gemeinsamen Wochen­ende. Unmittelbar im Anschluss sollte es losgehen. Es waren ihre ersten freien Tage seit Wochen, und sie wollten die Zeit nutzen, um die Hochzeit zu planen.

Als er sich in dem schmalen Durchgang vorsichtig an der Wand entlang bewegte, stieß er in der Mitte des Wegs auf einen Müllcontainer, daneben schwarze Säcke, einige von Fäulnisgasen aufgebläht, andere schlaff und halbvoll, dazu einige durchweichte Kartons. Der Gestank nahm ihm fast den Atem. Eine Hand vor dem Mund, stieß er mit der anderen den Deckel auf.

Gebleckte Zähne grinsten ihn an. Er konnte nicht einmal schreien. Er blickte in das Gesicht einer Frau, oder das, was davon übrig geblieben war. In den Augenhöhlen und im aufgerissenen Mund wimmelte es von Maden, ihr Weiß kaum zu unterscheiden von der toten Haut. Und als hätten sie nur darauf gewartet, an die Luft und das Licht zu kommen, begannen sie in Richtung Klappe zu kriechen.

Bevor er den Deckel mit einem Krachen zuwarf, nahm er wahr, dass der Kopf vom Rumpf getrennt worden war. Die Frau musste schon länger als zwei Tage in dem Container liegen.

Heftig atmend lehnte er sich an die Ziegelwand und bekam dennoch keine Luft. Für den Bruchteil eines Augenblicks hatte er geglaubt, in Moiras Gesicht zu blicken.

Seine Kollegen fanden ihn erst spät. Von Würgen und Weinkrämpfen geschüttelt, hatte er sich regelrecht in die Wand verkrallt, und seine Hände hatten wieder und wieder über den rissigen Backstein gerieben.

Simons Flashback endete stets an genau dieser Stelle. Nur mühsam fand er in die Realität zurück. Sein Shirt war feucht vom Schweiß. Außerdem hatte er das Wasserglas vom Nachttisch gewischt.

II.


Mein Gott, Peter ist aber auch zu süß. Tracy hätte beinahe das Display geküsst. Stattdessen drückte sie ihr Handy verstohlen an die Brust. Sie war schließlich gerade nicht allein. Sie hatte zum gefühlt hundertsten Mal seine Whatsapp aufgerufen: Liebste Tracy, lass uns endlich gemeinsam träumen. Mein Leben ist ohne dich, ja, wie ein dunkler enger Raum ohne Tür. Seit ich dich kenne, hat mein Leben endlich, endlich einen Sinn. Schon ganz bald bin ich für immer bei dir.

Selig machende, süße Worte, so lange schon nicht mehr gehört. Nein, niemals zuvor gehört.

Lass uns gemeinsam träumen. In diesen vier Worten steckte ihre ganze Sehnsucht. Das allererste Mal in ihrem Leben hatte Tracy das Gefühl, eine Zukunft zu haben. Endlich. Sie ließ den Blick über das Treiben auf dem Schulhof schweifen. Schubsen, Lachen, Flüstern in kleinen Gruppen, ein Ball flog über die niedrige Umgrenzungsmauer. Wie unbeschwert das Leben sein konnte. Ihre Schützlinge lebten ihr das vor, jeden Tag. Und nun war auch sie ein Teil dieser Schwerelosigkeit.

Sie würden eine richtige Familie werden. Er wollte unbedingt Kinder. Peter war das Match, nach dem sie so lange gesucht hatte. Wie liebevoll, zart und zugleich bestimmt er am Telefon klang. Es hatte in den vergangenen Wochen Zeiten gegeben, in denen sie befreit aus dem Alltag abgetaucht war, mit ihrem Telefon als Luft- und Atemspender. Halbe Nächte hatten sie über ihre Wünsche und Sehnsüchte geredet. Wie Backfische hatten sie sich mit Liebesschwüren überboten, als seien sie im trunkenen Wettstreit um Liebe und Wärme auf der Zielgeraden. Ein glühendes Eifern, völlig neu im endlosen Einerlei dessen, was sie bisher für ihr Leben gehalten hatte.

Sie war nicht ganz sicher, ob das mit dem Nachwuchs in ihrem Alter noch klappen würde. Auf der anderen Seite las man ja immer wieder davon, dass heute mehr und mehr Frauen Spätgebärende waren, anders als noch vor zwanzig, dreißig Jahren. Und dank der medizinischen Fortschritte seien die Risiken beherrschbar. Es bestand also noch Hoffnung, dass sie mit ihren 38 Jahren glückliche Mutter sein konnte.

Bevor sie sich noch weiter in ihren Sehnsüchten verlor, holte sie ein paarmal tief Luft. Das musste warten, die Pause war vorbei.

Sie betrachtete das einstöckige Schulgebäude, das direkt neben Kirche und Friedhof lag und wegen seiner nüchternen Anmutung ein wenig deplatziert wirkte. Die letzte Stunde stand an, das Wochenende konnte kommen. Sie war am Abend mit den Mädels im Bootshaus verab­redet. Es gab noch eine Menge zu besprechen. Vor allem galt es, alles rund um das Bootsrennen zur Saisoneröffnung zu planen. Vergangenes Jahr hatten sie mit der Damenmannschaft und ihrer Socoa eine recht erfolgreiche Rudersaison hingelegt. Das wollten sie in diesem Jahr unbedingt wiederholen.

Außerdem wollten sie über ihre Kostüme für den Flora Day sprechen, der schon bald anstand. Tracy würde endlich wieder dabei sein. Das Volksfest in Helston fiel in diesem Jahr nämlich auf einen der Bank-Holiday-Feiertage, der gleichzeitig ein Freitag war. Peter würde Augen machen, denn so ein Fest gab es in Oxford sicher nicht. Ach, könnte er doch schon bei ihr sein.

»So, Kinder. Wir gehen wieder rein. Und du, George, hör endlich auf, Poppy zu ärgern.« Tracy klatschte vergnügt in die Hände und scheuchte die folgsamen Schülerinnen und Schüler der Grundschule wie eine Hühnerschar in das Gebäude zurück.

III.


Durch das offene Fenster schwappte das Gezeter der Silber­möwen über die Tischplatte voller Mehl, suchte sich seinen Weg am klobigen AGA-Herd vorbei und rollte an den Jugendstilornamenten des alten Schranks aus. Draußen über der Bucht schien die Sonne. Der Vormittag war außergewöhnlich warm für die Jahreszeit. Ein paar Lachmöwen hingen träge im auflandigen Wind.

»Benutzt du neuerdings Rouge?« Mary stellte das Blech mit den frisch geformten Scones auf die Arbeitsplatte und suchte nach den Topflappen. Nicht mehr lange und der warme Duft hätte sich überall verbreitet.

Soweit sie sich erinnern konnte, war Tante Margaret nie eine große Freundin von Make-up gewesen. Doch nun schien sie geradewegs einem Schminktopf entstiegen zu sein. Zum Abdeckpuder, dem rosafarbenen Lipgloss und dem alles andere als zarten Rouge gesellte sich der Duft von Lavendel, ihrem Lieblingsparfüm. Tante Margaret und Lavendel – Mary Morgan konnte sich die eine ohne das andere nur schwer vorstellen.

Die künstlich gesunde Gesichtsfarbe wurde eine Spur dunkler. Ihre Tante nestelte am Griff der Handtasche wie ein Mädchen, das sich seiner Gefühle nicht sicher ist.

»Ich halte mich schon viel zu lange auf. Dein Onkel wartet mit dem Essen. Ich sollte gehen.« Sie machte Anstalten aufzustehen.

»Tante Margaret, du wirst doch nicht auf deine alten Tage …?« Mary schob mit einer energischen Hüftbewegung die Schublade zu, in der die Lappen lagen. Sie konnte sich den spöttischen Ton nicht verkneifen. »Du hast doch nicht etwa einen …?«

»Wo denkst du hin, Kindchen?« Ihre Tante hatte die kurzfristig abhandengekommene Balance wiedergefunden und schob das Kinn angriffslustig vor. Dazu hielt sie ihre Handtasche wie einen Schild vor die Brust. »Ich bin glücklich verheiratet. Komm ja nicht auf falsche Gedanken. Dein Onkel und ich, wir lieben uns. Nein, es geht um etwas anderes. Ihr jungen Dinger müsst das doch wissen. Sex sells, sagt ihr doch.« Sie reckte das Kinn noch ein Stückchen weiter vor.

Mary glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Onkel und Tante liebten sich? Na ja, so sicher war sie sich da nicht. »Sex sells? Du sprichst in Rätseln, Tantchen.« Wo hatte Margaret nur wieder diesen Spruch aufgeschnappt? Obwohl, wenn sie es recht bedachte, kam sie ihr bereits seit geraumer Zeit verändert vor. Noch mehr als üblich legte sie Wert auf tadellose Kleidung und Frisur.

Margaret wirkte in der Küche des B&B wie ein Fremdkörper, rostfrei und steif. Die Frisur war mit einer Extraladung Haarspray fest am Kopf fixiert. Selbst bei einem Herbststurm, der die Bucht von Cadgwith in Sekunden in einen brodelnden, zischenden Kessel verwandeln konnte, würde sich nicht eine Locke bewegen. Margaret Bishop wäre als Wachsfigur grandios.

»Nun, mein Kind«, Margaret zupfte graziös eine imaginäre Fluse vom Oberteil ihres Jackenkleides, »das bin ich mir als frisch wiedergewählte Erste Vorsitzende unseres Verschönerungsvereins schuldig. Ich habe auf mein Äußeres zu achten, vor allem wenn ich den Verein nach außen hin vertrete.«

Mary verstand immer noch kein Wort. Stand ihre Tante wegen der ungefährdeten Wiederwahl kurz davor, endgültig den Verstand zu verlieren? Hatte der angebliche Wahlkampfstress, den sie immer wieder zu thematisieren gewusst hatte, am Ende einige Synapsen durchschmoren lassen? Andererseits konnte das nicht der Grund sein. Denn Margaret hatte, wie in jedem Jahr, nicht mal einen Mitbewerber um das Amt...

Erscheint lt. Verlag 1.7.2023
Reihe/Serie Simon Jenkins ermittelt
Simon Jenkins ermittelt
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2023 • Anette Hinrichs • Cadgwith • Cornwall • Cosy Crime • Cosy Krimi • Dating • eBooks • England • Eric Berg • Eva Almstädt • Fischerdorf • Freundinnen • Heiratsschwindler • Jürgensen • Krimi • Kriminalromane • Krimi Neuerscheinungen 2023 • Krimireihe • Krimis • Küste • Küstenkrimi • Mord • Neuerscheinung • Neuheiten 2023 • Peters • Regionalkrimi • Wolf
ISBN-10 3-641-29695-1 / 3641296951
ISBN-13 978-3-641-29695-7 / 9783641296957
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