Der Weg nach Hause (eBook)

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2023 | 1. Auflage
208 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12022-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Weg nach Hause -  Peter S. Beagle
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 Die meisterhafte Fortsetzung des Klassikers  »Das letzte Einhorn« Sooz' 17. Geburtstag steht bevor. All die Jahre hat sie nicht vergessen, was Molly Grue ihr einst aufgetragen hat: Sie muss nur eine bestimmte Melodie an ihrem Geburtstag pfeifen und dann wird sie eine bedeutsame Begegnung erleben... Aber wer ist die Frau, die ihr erscheint? Das Rätsel führt sie in ein fremdes Land.  Das Land der Geträumten, das Land der Elfen und der kleinen Leute, ist gefährlich und voller Täuschung, nichts ist hier, wie es scheint. Und genau hier will Sooz ihre verschwundene Schwester Yelena finden und befreien. Wird es ihr aber auch gelingen selbst wieder heimzukehren oder ist sie  für immer verloren? Die Leserinnen und Leser erwartet in diesem Band auch die dramatische Vorgeschichte »Zwei Herzen«: Das Dorf, in dem die kleine Sooz und ihre Familie leben, wird von einem gefährlichen Greifen angegriffen. Da macht sich das furchtlose Mädchen auf, um König Lír um Hilfe zu bitten. Und dann erscheint tatsächlich das letzte Einhorn!  »Peter S. Beagle ist ein wunderbarer Schriftsteller, ein feiner Mensch und ein Räuberprinz, der die Herzen der Leser stehlen will.« Tad Williams

Peter S. Beagle, geboren 1939 in Manhattan, gehört zu den größten Fantasyautoren unserer Zeit. Sein größter Erfolg war der Roman Das letzte Einhorn, die Grundlage für den Welterfolg des gleichnamigen Zeichentrickfilms. Für seine Werke wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Hugo Award, dem Nebula Award und dem World Fantasy Award für sein Lebenswerk. Er lebt in Kalifornien.

Peter S. Beagle, geboren 1939 in Manhattan, gehört zu den größten Fantasyautoren unserer Zeit. Sein größter Erfolg war der Roman Das letzte Einhorn, die Grundlage für den Welterfolg des gleichnamigen Zeichentrickfilms. Für seine Werke wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Hugo Award, dem Nebula Award und dem World Fantasy Award für sein Lebenswerk. Er lebt in Kalifornien.

Mein Bruder Wilfrid findet es einfach ungerecht, dass das alles mir passiert ist. Wo ich doch ein Mädchen bin und noch ein Wickelkind und zu dumm, allein meine Sandalen zu schnüren. Aber ich finde es gerecht. Ich finde, es war alles genau richtig so. Bis auf das Traurige, und vielleicht sogar das.

Ich bin Sooz, und ich bin neun. Zehn im nächsten Monat, wenn sich wieder der Tag jährt, an dem der Greif kam. Wilfrid sagt, das war wegen mir, weil der Greif gehört hatte, dass gerade das hässlichste Kind der Welt geboren worden war, und mich fressen wollte, aber ich war zu hässlich, selbst für einen Greif. Also baute der Greif sich ein Nest im Midwood (so nennen wir den Wald, obwohl er eigentlich Midnight Wood heißt, weil es unter den Bäumen so finster ist) und blieb hier, um unsere Schafe und Ziegen zu fressen. Wie es Greife eben tun, wenn es ihnen irgendwo gefällt.

Aber Kinder fraß er nie, bis dieses Jahr.

Ich habe ihn nur einmal gesehen – ich meine, nur einmal vorher –, als er eines Abends über den Bäumen emporstieg wie ein zweiter Mond. Nur dass da kein Mond war an dem Abend. Da war gar nichts auf der ganzen weiten Welt, nur der Greif: die goldenen Federn am Löwenleib und an den Adlerschwingen lodernd, die mächtigen Vorderkrallen wie Zähne und der Monsterschnabel so riesig im Verhältnis zu seinem Kopf … Wilfrid sagt, ich hätte drei Tage lang geschrien, aber das ist gelogen, und ich habe mich auch nicht im Erdkeller versteckt, wie er behauptet, ich habe die beiden Nächte in der Scheune geschlafen, bei unserem Hund Malka. Weil ich wusste, Malka lässt nicht zu, dass mich irgendwas holt.

Sicher, meine Eltern hätten es auch nicht zugelassen, nicht, wenn sie’s hätten verhindern können. Aber Malka ist einfach der größte und beherzteste Hund im ganzen Dorf und fürchtet sich vor gar nichts. Und nachdem der Greif Jehane geholt hatte, die kleine Tochter vom Schmied, konnte man gar nicht nicht merken, wie erschrocken mein Vater war, weil er die ganze Zeit herumrannte, zu den anderen Männern, um eine Art Wache zu organisieren, damit die Leute immer Bescheid wussten, wenn der Greif kam. Ich weiß, er hatte Angst um mich und meine Mutter und tat alles, um uns zu beschützen, nur dass ich mich davon nicht sicherer fühlte, aber bei Malka wohl.

Aber es wusste ja sowieso keiner, was tun. Mein Vater nicht und auch sonst niemand. Es war ja schon schlimm genug, wenn der Greif Schafe holte, weil hier fast jeder davon lebt, dass er Wolle oder Käse oder Schaffelle verkauft. Aber dass er dann im letzten Vorfrühling Jehane holte, das änderte alles. Wir schickten Boten zum König – drei verschiedene –, und jedes Mal schickte der König jemanden mit ihnen zurück. Das erste Mal war es nur ein Ritter, einer allein. Er hieß Douros und schenkte mir einen Apfel. Er ritt singend los, in den Midwood, um Ausschau nach dem Greif zu halten, und wir haben ihn nie wiedergesehen.

Das zweite Mal – als der Greif Louli geholt hatte, den kleinen Gehilfen vom Müller – schickte der König gleich fünf Ritter. Einer von ihnen kam zwar wieder, aber er starb, bevor er irgendjemandem erzählen konnte, was passiert war.

Das dritte Mal kam eine ganze Schwadron. Das sagte jedenfalls mein Vater. Ich weiß nicht, wie viele Soldaten eine Schwadron hat, aber es waren viele, und sie waren zwei Tage im ganzen Dorf, bauten überall ihre Zelte auf, stellten ihre Pferde in jeden Stall und prahlten in der Schänke, wie sie diesen Greif für uns arme Bauern im Handumdrehen erledigen würden. Sie hatten Pfeifer und Trommler dabei, als sie in den Midwood marschierten – das weiß ich noch, und ich weiß auch noch, wie die Musik abbrach und was für Geräusche wir dann hörten.

Danach schickte das Dorf niemanden mehr zum König. Wir wollten nicht, dass noch mehr von seinen Männern starben, und außerdem waren sie uns sowieso keine Hilfe. Also wurden von da an alle Kinder schnell in die Häuser geholt, wenn die Sonne unterging und der Greif von seinem Tagesschlaf erwachte, um wieder zu jagen. Wir durften nicht mehr zusammen spielen, keine Botengänge für unsere Eltern machen, keine Herden hüten, ja nicht mal in der Nähe von offenen Fenstern schlafen, aus lauter Angst vor dem Greif. Mir blieb nichts anderes zu tun, als Bücher zu lesen, die ich schon auswendig konnte, und mich bei meinen Eltern zu beklagen, die von dem ganzen Aufpassen auf Wilfrid und mich zu müde waren, um sich mit uns zu beschäftigen. Sie passten ja auch noch auf die anderen Kinder auf, immer abwechselnd mit anderen Familien, und auf unsere Schafe und auf unsere Ziegen, deshalb waren sie immer müde, noch zu der Angst, und die meiste Zeit grollte jeder jedem. So ging es allen.

Und dann holte der Greif Felicitas.

Felicitas konnte nicht reden, aber sie war meine beste Freundin, schon seit wir klein waren. Ich verstand immer, was sie sagen wollte, und sie verstand mich besser als irgendjemand sonst, und wir spielten auf eine besondere Art, wie ich nie wieder mit jemandem spielen werde. Ihre Familie hielt sie für einen unnützen Esser, weil kein Bursche ein stummes Mädchen heiraten würde, also ließen sie sie meistens bei uns essen. Wilfrid machte sich immer über das leise Krächzen lustig, das der einzige Laut war, den sie hervorbrachte, aber ich warf einen Stein nach ihm, und da ließ er’s dann bleiben.

Ich habe es nicht gesehen, aber im Kopf sehe ich es immer noch. Sie wusste, dass sie nicht rausdurfte, aber sie freute sich immer so drauf, abends zu uns zu kommen. Und bei ihr zu Hause wäre ja keinem aufgefallen, dass sie nicht da war. Die bemerkten Felicitas sowieso nie.

Am selben Tag, an dem ich erfuhr, dass Felicitas geholt worden war, machte ich mich zum König auf.

Na ja, eigentlich war es in derselben Nacht, weil ich bei Tag nie von unserem Haus oder vom Dorf weggekommen wäre. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn nicht mein Onkel Ambrose eine Fuhre Schaffelle zum Markt in Hagsgate hätte bringen wollen – und um dort zu sein, wenn der Markt anfängt, muss man schon lange vor Sonnenaufgang los. Onkel Ambrose ist mein Lieblingsonkel, aber ich wusste, ich konnte ihn nicht bitten, mich zum König zu bringen, er wäre schnurstracks zu meiner Mutter gegangen und hätte ihr gesagt, sie solle mir Schwefel und Melasse geben und mich mit einem Senfpflaster ins Bett stecken. Er gibt sogar seinem Pferd Schwefel und Melasse.

Also ging ich an dem Abend früh ins Bett und wartete, bis alle schliefen. Ich wollte einen Brief auf meinem Kopfkissen hinterlassen, aber ich schrieb immer wieder etwas hin und zerriss es dann und warf es ins Feuer, und ich hatte Angst, dass jemand aufwachte oder dass Onkel Ambrose ohne mich losfuhr. Schließlich schrieb ich einfach nur: Bin bald wieder da. Ich nahm keine Kleider mit und auch sonst nichts außer einem Stückchen Käse, weil ich dachte, der König müsse ja wohl irgendwo in der Nähe von Hagsgate wohnen, der einzig größeren Stadt, die ich je gesehen habe. Meine Eltern schnarchten in ihrem Zimmer, aber Wilfrid war schon an der Feuerstelle eingeschlafen, und wenn er das tut, lassen sie ihn immer dort liegen. Wenn man ihn weckt, damit er in sein Bett geht, schlägt er um sich und heult. Warum, weiß ich nicht.

Ich stand eine Ewigkeit da und guckte auf ihn runter. Im Schlaf sieht Wilfrid nicht halb so gemein aus. Meine Mutter hatte die Glut mit Asche bedeckt, damit am Morgen noch Feuer zum Brotbacken da war, und die Moleskin-Hosen von meinem Vater hingen zum Trocknen da, weil er am Nachmittag in den Viehteich hatte waten müssen, um ein Lamm zu retten. Ich verschob sie ein kleines bisschen, damit sie nicht angesengt wurden. Ich zog die Uhr auf – eigentlich ist es Wilfrids Aufgabe, das abends zu machen, aber er vergisst es immer – und musste dran denken, wie sie sie am Morgen alle ticken hören würden, wenn sie nach mir suchten und vor lauter Angst das Frühstücken vergaßen, und ich machte schon kehrt, um wieder in mein Zimmer zu gehen.

Aber dann drehte ich wieder um und kletterte aus dem Küchenfenster, weil unsere Haustür so quietscht. Ich hatte Angst, dass Malka in der Scheune aufwachen und sofort wissen würde, was los war, denn Malka kann ich nie was vormachen, aber sie wachte nicht auf, und ich hielt fast den ganzen Weg die Luft an, als ich zu Onkel Ambroses Haus rannte und schnell auf seinen Wagen mit den Schaffellen kletterte. Es war eine kalte Nacht, aber unter dem Haufen Schaffelle war es heiß und stinkig, und ich konnte nichts tun, als dazuliegen und auf Onkel Ambrose zu warten. Also dachte ich vor allem an Felicitas, damit ich nicht so ein scheußlich schlechtes Gewissen hatte, weil ich einfach von zu Hause und von...

Erscheint lt. Verlag 22.4.2023
Übersetzer Cornelia Holfelder-von der Tann
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte Das letzte Einhorn • Einhorn • Elfen • Fantastische Welten • Greif • Magische Wesen • Phantasie • Phantastische Literatur
ISBN-10 3-608-12022-X / 360812022X
ISBN-13 978-3-608-12022-6 / 9783608120226
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