Wie man einen Prinzen tötet (eBook)
351 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7517-4271-9 (ISBN)
Die junge Marra, drittgeborene Tochter eines kleinen Königreichs, muss mitansehen, wie ihre beiden älteren Schwestern nacheinander mit dem sadistischen Prinz Vorling verheiratet werden. Nach dem mysteriösen Tod der Älteren, muss die Jüngere ihren Platz einnehmen, um Vorling endlich einen Erben zu schenken - ein Los, das auch Marra zu drohen scheint.
Es sei denn, sie nimmt ihr Schicksal in die eigene Hand und sucht sich ein paar schillernde Verbündete für ihren Plan - denn Marra will den Prinzen nicht küssen, sondern ihn töten!
<p><strong>T. Kingfisher</strong>ist das Pseudonym der bekannten Schriftstellerin Ursula Vernon. In einem anderen Leben schreibt sie Kinderbücher und abseitige Comics und hat u. a. den<b>HUGO</b>-,<b>SEQUOYAH</b>- und<b>URSA-MAJOR-PREIS</b>gewonnen sowie diverse<b>JUNIOR-LIBRARY-GUILD-AUSZEICHNUNGEN</b>eingeheimst. Als T. Kingfisher schreibt sie Bücher für Erwachsene. Wenn sie nicht gerade schreibt, findet man sie im Garten, wo sie vermutlich gerade Augenkontakt mit Schmetterlingen sucht.</p>
T. Kingfisher ist das Pseudonym der bekannten Schriftstellerin Ursula Vernon. In einem anderen Leben schreibt sie Kinderbücher und abseitige Comics und hat u.a. den HUGO-, SEQUOYAH- und URSA-MAJOR-PREIS gewonnen sowie diverse JUNIOR-LIBRARY-GUILD-AUSZEICHNUNGEN eingeheimst. Als T. Kingfisher schreibt sie Bücher für Erwachsene. Wenn sie nicht gerade schreibt, findet man sie im Garten, wo sie vermutlich gerade Augenkontakt mit Schmetterlingen sucht. Jasmin Schreiber ist Biologin, Schriftstellerin, Wissenschaftsjournalistin und Übersetzerin. Wenn sie nicht gerade zwischen Flora und Fauna kleine Expeditionen zu Farn und Insekten durchführt, schreibt sie Bücher (MARIANENGRABEN, ABSCHIED VON HERMINE, DER MAUERSEGLER, 100 SEITEN ÜBER BIODIVERSITÄT) und bringt Geschichten aus Wissenschaft und Natur im Podcast BUGTALES.FM zusammen. Mit ihrem Newsletter SCHREIBERS NATURARIUM bringt sie spannende Tiergeschichten, News zu Pflanzen, Ökosystem und die Welt der Wissenschaften ins Mail-Postfach. Sie lebt in Frankfurt und Hamburg.
KAPITEL 1
Die Bäume waren voll Krähen und die Wälder voller Verrückter, die Grube war voll Knochen, und in den Händen hielt sie Draht.
Dort, wo die Drahtenden sie geschnitten hatten, bluteten ihre Finger. Der Blutstrom der ersten Wunden war versiegt. Die Ränder waren rot und heiß geworden, und auf ihrer Haut breiteten sich giftig aussehende Streifen aus. Ihre Fingerspitzen waren angeschwollen und weniger flink.
Ja, Marra war sich bewusst, dass das alles nicht ideal war. Doch lange genug zu leben, um an einer Infektion zu sterben, war sowieso zu unwahrscheinlich, als dass sie sich darüber jetzt Sorgen machen müsste.
Sie nahm einen langen, dünnen Beinknochen und umwickelte seine Enden mit Draht. Er passte zu einem anderen Knochen – zwar nicht vom selben Tier, aber ähnlich genug. Sie band beide zusammen und fügte sie in das Gestell ein, das sie gerade schuf.
Die Leichengrube war randvoll, doch Marra brauchte nicht allzu tief zu graben. Die einzelnen Schichten erzählten von unterschiedlichen Phasen des Hungers. Zuerst hatten sie Hirsche gegessen und Rinder. Als das Vieh ausging und es auch keine Rehe mehr gab, aßen sie die Pferde, und als die Pferde aus waren, aßen sie die Hunde.
Als es die nicht mehr gab, aßen sie sich gegenseitig.
Es waren die Hunde, die Marra wollte. Vielleicht hätte sie auch einen Mann aus Knochen bauen können, doch für Männer hatte sie keine große Liebe mehr übrig. Hunde jedoch … Hunde waren immer ehrlich.
»Aus ihren Fingern schafft er Stimmwirbel, schön und klar«, sang sie leise und monoton, fast unhörbar, »und bespannt die Knochen mit ihrem güldenen Haar …«
Die Krähen riefen einander von den Bäumen aus mit erhabenen Stimmen zu. Marra fragte sich, was der Harfner in dem Lied wohl gedacht hatte, während er jene Harfe aus den Knochen einer toten Frau baute. Vermutlich wäre er der einzige Mensch auf der Welt, der verstehen würde, was sie hier gerade tat.
Vorausgesetzt, er hat überhaupt jemals wirklich existiert. Und wenn ja, was für eine Art Leben hatte er wohl geführt, in dem er an einen Punkt kam, eine Harfe aus Leichen bauen zu müssen? Und wenn wir gerade dabei sind: Was sagt es über dein Leben aus, wenn du dir einen Hund aus Knochen bauen musst?
Viele der Knochen waren aufgebrochen worden, um an das Mark in ihnen zu kommen. Wenn sie zwei zusammenpassende Knochenstücke fand, konnte sie diese einfach wieder zu einem Ganzen zusammenfügen, doch oft waren die Enden zersplittert. Dann musste sie die Stücke mit Draht zusammenschienen, wobei sie blutige Fingerabdrücke auf den Knochen hinterließ. Doch das war in Ordnung. Das war Teil der Magie.
Hat sich der große Held Mordechai, als er den giftigen Wurm erschlug, über schmerzende Finger beschwert? Nein, natürlich nicht. Zumindest nicht da, wo ihn jemand hören und es hätte aufschreiben können.
»Das einz’ge Lied, das dieser Harfe entspringt«, krächzte sie, »ist O! Der furchtbare Regen und Wind …«
Sie war sich bewusst darüber, wie wild sie klang. Ein Teil von ihr erschrak deshalb etwas. Der andere, größere Teil jedoch sagte sich, dass sie am Rande einer Grube voller Knochen kniete. Und das in einem Land, das vor lauter Grauen so aufgedunsen war, dass ihre Füße in der Erde versanken – ganz so, als liefe sie auf der Oberfläche einer gigantischen Eiterblase. Ein wenig Wildheit war hier also nicht fehl am Platz.
Die Schädel waren einfach. Sie hatte ein schönes, breites Exemplar gefunden, mit kräftigen Kiefern und ausdrucksstarken Augenhöhlen. Dutzende hätte sie haben können, doch sie brauchte nur einen. Das schmerzte sie auf unerwartete Weise: Die Freude über den einen Schädel wurde schnell von der Trauer über all jene überschattet, die ungenutzt blieben.
Ich könnte für den Rest meines Lebens hier sitzen und Hunde aus Knochen bauen, die Hände voller Draht. Und dann werden mich die Krähen fressen, und ich werde in die Grube fallen, und wir werden alle zusammen Knochen sein …
Ein Schluchzen blieb ihr in der Kehle stecken, und sie musste kurz innehalten. Sie kramte in ihrem Rucksack nach ihrem Wasserschlauch und nahm einen Schluck.
Der Knochenhund war halb fertig. Sie hatte schon den Schädel und die elegant geschwungene Wirbelsäule, zwei Beine und die langen, feinen Rippen zusammengefügt. In diesem einen Knochenhund würde sich mindestens ein Dutzend weiterer Hunde verbergen – doch der Schädel, der war das Wichtigste.
Marra streichelte die hohlen Augenhöhlen, welche zart mit Draht umflochten waren. Alle sagten, dass das Herz der Sitz der Seele sei, aber sie glaubte nicht mehr daran.
Sie baute vom Schädel ausgehend nach unten. Mehrere Knochen hatte sie schon verworfen, weil sie nicht zu ihm zu passen schienen. Die langen, unglaublich feinen Knöchelchen der Windhunde taugten nicht, um ihn zu tragen. Sie brauchte etwas Stärkeres und Solideres; Wildschwein- oder Elchhunde, etwas mit Gewicht.
Es gab doch so einen Springseilreim über einen Knochenhund, oder? Wo hatte sie ihn gehört? Sicherlich nicht im Palast, denn Prinzessinnen sprangen kein Seil. Es musste später gewesen sein, in einem Dorf in der Nähe des Konvents. Wie ging das doch gleich? Knochenhund, Steinhund …
Die Krähen krächzten links von ihr in den Baumkronen und riefen eine Warnung. Marra schaute auf. Irgendetwas war im Anmarsch, stürmte durch die Bäume. Sie zog die Kapuze ihres Umhangs über den Kopf und rutschte ein Stück weiter in die Grube hinunter, wobei sie das Hundeskelett fest an ihre Brust drückte. Ihr Mantel war aus Eulentuchfetzen und Nesselgarn gefertigt. Der Zauber war zwar unvollkommen, aber er war das Beste, was sie in der kurzen Zeit hinbekommen hatte.
Vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung und wieder zurück, mit einer Stechnadel aus einem Dorn – ja, ich würde gern sehen, wie das jemand besser hinkriegt. Sogar die Staubfrau sagte, ich hätte das gut gemacht, und ihr Lob kommt so selten wie der Regen in der Wüste.
Marras Lumpenmantel ließ große Lücken frei, aber sie hatte festgestellt, dass dies keine Rolle spielte. Er lockerte ihre Gestalt auf, sodass die Leute durch sie hindurchzusehen schienen. Und selbst wenn sie fanden, dass dort in der Ecke das Licht- und Schattenspiel ein wenig seltsam wirkte, blieben sie nie lang genug, um den Grund dafür herauszufinden.
Die Menschen waren bemerkenswert schnell bereit, den eigenen Augen zu misstrauen. Vielleicht, so dachte Marra, war die Welt an sich so fremd und unser Sehsinn so mangelhaft, dass man irgendwann dem Glauben verfiel, dass sowieso alles eine Illusion sein konnte.
Der Mann trat zwischen den Bäumen hervor. Sie hörte ihn vor sich hin murmeln, konnte die Worte jedoch nicht verstehen. Dass es ein Mann war, vermutete sie nur wegen seiner tiefen Stimme, und selbst das war geraten.
Die meisten Menschen im eitrigen Land waren harmlos. Sie hatten das falsche Fleisch gegessen und waren dafür bestraft worden. Einige von ihnen sahen Dinge, die nicht da waren, andere konnten nicht mehr laufen, sodass ihre Kameraden ihnen helfen mussten. Mit zwei von ihnen hatte sich Marra vor einigen Nächten ein Feuer geteilt, obwohl sie sich hütete, das ihr angebotene Essen anzunehmen. Welch grausamer Geist, der die hungernden Menschen für das bestrafte, was sie zu essen gezwungen worden waren – andererseits hatten die Geister ja auch nie vorgegeben, freundlich zu sein.
Die Menschen am Feuer hatten sie dennoch gewarnt. »Sei vorsichtig«, sagte eine. »Sei schnell, sei sehr schnell, und sei leise. Es gibt ein paar, vor denen du dich in Acht nehmen musst. Sie waren schon vorher böse und sind jetzt noch bösartiger.«
»Böse«, stimmte der Zweite zu. Sein Atem ging sehr schwer, und er musste nach jedem Wort eine kleine Pause machen. Marra konnte sehen, dass ihn das frustrierte. »Nicht … gut. Alle … von uns … jetzt«, er schüttelte reumütig den Kopf, »aber sie … böse.«
»Es nützt nichts, wütend zu sein«, sagte die Erste. »Aber sie wollten nicht hören, sie haben zu viel gegessen. Es hat ihnen geschmeckt.« Sie brach in ein etwas zu schrilles Lachen aus und sah auf ihre Hände hinunter. »Wir haben aufgehört, sobald es etwas anderes gab … Doch sie haben einfach weitergegessen.«
Der Zweite schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Mehr … als das. Immer … wütend. Geboren.«
»Manche werden so geboren«, stimmte Marra zu und nickte.
Ein Teil dieser Menschen waren Männer. Und einige dieser Männer waren Prinzen. Ja, ich weiß, es ist eine andere Form der Wut. Etwas Dunkleres, Durchdachteres.
Der Mann sah erleichtert aus, weil sie verstanden hatte. »Ja. Wütender … jetzt. Sehr.«
Sie saßen alle drei schweigend um das Feuer herum. Marra streckte ihre Hände in Richtung der Flammen und atmete langsam aus.
»Meistens töten sie Leute wie uns«, sagte die Erste abrupt. »Wir können nicht immer fliehen. Die Dinge geraten durcheinander …«
Sie machte eine Geste über ihren Augen in der Luft, die Marra nicht zu verstehen vermochte. Doch der Begleiter nickte, als er sie sah.
»Wir sind sowieso schon leicht zu fangen. Aber wenn sie dich sehen, werden sie auch hinter dir her sein.«
Das Feuer knisterte. Dieses Land war sehr feucht, und Marra war dankbar für die Wärme, und doch … »Hast du keine Angst, dass sie das Feuer sehen könnten?«, fragte sie.
Die Frau schüttelte den Kopf. »Sie hassen es«, antwortete sie. »Das gehört zur Strafe....
Erscheint lt. Verlag | 28.4.2023 |
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Übersetzer | Jasmin Schreiber |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Nettle and Bone |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Bann • Coming-of-age • Familienbande:Knochenhund • Fantasy Bücher • Feen • Feminismus • Femizid • Gebrüder Grimm • Heranwachsen • Hexen • Humor • Jugend • Königreich • Liebe • Märchen • Mission • Mondlicht • Mord • Nessel • Prinz • Prinzessin • Prüfung • Rache • Ritter • Schwestern • Selbstermächtigung • Totschlag • Verliebtheit • Verwünschung • Zauberkraft • Zauberspruch |
ISBN-10 | 3-7517-4271-9 / 3751742719 |
ISBN-13 | 978-3-7517-4271-9 / 9783751742719 |
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