Die Frömmigkeit der Schafe (eBook)
288 Seiten
Eisele eBooks (Verlag)
978-3-96161-163-8 (ISBN)
Gesuino Némus (der mit richtigem Namen Matteo Locci heißt) wurde 1958 in Jerzu geboren, einem kleinen Dorf auf Sardinien. Heute lebt er in Mailand. Seit frühester Jugend hielt er sich mit verschiedensten Tätigkeiten über Wasser. Für seine mittlerweile fünf Teile umfassende Krimireihe um das sardische Dorf Telévras wurde er in Italien mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, u.a. dem Premio Campiello und dem John-Fante-Preis. Nach Die Theologie des Wildschweins und Süße Versuchung ist Die Frömmigkeit der Schafe der dritte Sardinien-Krimi, der auf Deutsch erscheint.
Gesuino Némus (der mit richtigem Namen Matteo Locci heißt) wurde 1958 in Jerzu geboren, einem kleinen Dorf auf Sardinien. Heute lebt er in Mailand. Seit frühester Jugend hielt er sich mit verschiedensten Tätigkeiten über Wasser. Für seine mittlerweile fünf Teile umfassende Krimireihe um das sardische Dorf Telévras wurde er in Italien mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, u.a. dem Premio Campiello und dem John-Fante-Preis. Nach Die Theologie des Wildschweins und Süße Versuchung ist Die Frömmigkeit der Schafe der dritte Sardinien-Krimi, der auf Deutsch erscheint.
15.
Vielleicht habe ich sie zu frommen Schäfchen gemacht. Vielleicht hätte ich nicht versuchen sollen, meine Schüler davon zu überzeugen, dass sich Lernen lohnt, um eine bessere Zukunft zu haben. Lieber hätte ich ihnen, losgelöst von Schule und Institutionen, die Liebe zur Kultur nahebringen sollen. Sie nicht der Angst vor Prüfungen aussetzen, sondern sie in die Freiheit entlassen und ihnen Leidenschaft für Bücher und Autoren vermitteln sollen, ohne dass sie befürchten mussten, dazu abgefragt zu werden. Wie sehr hätte mir dabei meine Muttersprache zur Seite gestanden, die einzige auf der Welt, in der das Wort liberos sowohl frei als auch Bücher bedeutet.
Generationen hungriger Wölfe hätte ich heranziehen können und nicht Lämmer, aus denen später Schafe wurden. Ich werde niemals erfahren, ob Johannes in seiner Offenbarung recht hat und sanftes, zahmes Verhalten wirklich der Schlüssel zu einer besseren Welt ist. Ich selbst habe es, in der Überzeugung, dass am Ende die Wahrheit triumphieren würde, an den Tag gelegt. Ich habe leidvoll die schlimmste Verdächtigung ertragen, der man einen Mann meines Alters aussetzen kann. Aber es war sinnlos. Agnus Dei qui tollis peccata mundi, miserere nobis. Am Ende meiner Tage ziehe ich meinen Lieblingsschülern nur jene armen Verrückten vor …
(Marcellino Nonies, Die Frömmigkeit der Schafe, Seite 8)
»Kommen Sie nur herein, Brigadiere.«
Dem Maggiore war die Erleichterung anzuhören. Die Lektüre des Manuskripts erwies sich als ermüdend, vielleicht kam dabei nicht einmal etwas heraus, bislang stand dort jedenfalls nichts von einem Verbrechen. Er erkundigte sich bei seinem Untergebenen, ob es Neuigkeiten gebe.
»Ja und nein«, lautete die ernste Antwort Ettore Tigàssus.
»Was soll das heißen, ja und nein? Soll ich jetzt Rätsel raten?«
»Wie schon gesagt, Signor Maggiore, taucht die Firma, auf die die Autos zugelassen sind, bei uns nirgendwo auf. Sie hat ihren Sitz im Ausland, auf irgendeiner britischen Insel.«
»Soll das ein Witz sein? Das sind öffentlich zugängliche Informationen, die kann jedermann einsehen. Geben Sie mir die Nummer.«
Der Brigadiere hatte mit dieser Aufforderung gerechnet und die Nummer auf einen Zettel geschrieben. Als er sah, dass der Maggiore sie ins Telefon eintippte, zog er sich mit dem Taktgefühl eines altgedienten Carabiniere aus dem Büro seinen Vorgesetzten nach draußen auf eine Bank im Korridor zurück. Von dort hörte er, wie der Maggiore immer lauter wurde und dann – beng.
Ein Hörer knallte auf die Gabel, und der Brigadiere wurde wieder ins Büro gerufen.
»Schließen Sie die Tür und setzen Sie sich.«
Der Maggiore wirkte sehr aufgebracht.
»Also, gehen wir alles noch mal von Anfang an gemeinsam durch. Wir suchen eine Straffällige, die hier in der Kaserne per Unterschrift ihre Anwesenheit dokumentieren muss. Wir haben einen toten Grundschullehrer, von der Tidòngia als derjenige angegeben, der sie beherbergen würde, außerdem hat er ein Traktat über die Bedeutung von Lämmern, Schafen und Wölfen unter den Menschen hinterlassen. Fünf Personen erscheinen zur Beerdigung eines Mannes, mit dem sie vermutlich während ihrer anarchistischen Sturm-und-Drang-Zeit Bekanntschaft gemacht haben. Eine Firma, über die wir außer dem Namen und dass es sich um eine Ltd handelt, nichts wissen. Und auf die sind fünf Autos zugelassen, mit jeweils fünf Fahrern, alle um die sechzig.«
»Es waren sechs. Da gab es noch den einen Jüngeren, der zu dem ins Auto gestiegen ist, bei dem es sich vermutlich um den Boss handelt«, korrigierte ihn schüchtern der Brigadiere.
»Stimmt, sechs … Was soll das heißen, vermutlich der Boss? Davon haben Sie bislang nichts gesagt.«
»Das war nur mein Eindruck … nach seinen Gesten und wie er sich bewegt hat …«
»Vergessen Sie Ihre Eindrücke. Ich will Fakten. Fakten. Haben sie Englisch gesprochen, Französisch? Haben Sie etwas mitbekommen?«
»Nein, wie gesagt habe ich mir draußen die Kennzeichen notiert, während sie in der Kirche waren. Keinen Ton haben die gesagt, stumm wie Kommunisten. Nicht mal der Bestatter konnte mir Auskunft geben. Das Begräbnis war übrigens bereits bezahlt. Das habe ich gerade herausgefunden.«
»Und die Zahlung?«
»Eine Online-Überweisung von einem ausländischen Konto. Sehr merkwürdig. Sonst verlangt der örtliche Bestatter eigentlich, dass man ihm was schwarz zusteckt, sonst ist er glatt in der Lage, einem mitzuteilen, dass er platte Reifen hat und die Bestattung leider nicht übernehmen kann.«
»Lassen wir uns vom Richter entsprechende Amtshilfe genehmigen. Aber wahrscheinlich reicht das nicht, und wir brauchen ein internationales Gesuch. Und wofür das alles? Für eine, die nicht zu ihrer Unterschrift erscheint? Wir haben schon genug um die Ohren, jetzt müssen wir uns auch noch mit Anarchisten herumschlagen? Was habe ich nur verbrochen? Dass man mich an diesen Ort versetzt hat, ist wirklich Strafe genug.«
Wie viele blutjunge Oberleutnants ohne Erfahrung oder Hauptmänner, davon überzeugt, im Schnellverfahren alles in Ordnung zu bringen, waren Brigadiere Ettore Tigàssu in seiner Laufbahn nun schon begegnet. Oder Majore, die nur darauf aus waren, möglichst schnell Karriere zu machen, damit man sie aufs Festland versetzte, vielleicht in eine Großstadt, wo es um Einsätze gegen das organisierte Verbrechen ging und der Traum von einer Beförderung zum Oberst näher rückte.
Er erinnerte sich schon gar nicht mehr an ihre Namen. Doch ob sympathisch, unsympathisch, aufgeblasen oder zugänglich, allen war eines gemein: Sie alle wollten so schnell wie möglich fort von dieser verfluchten Insel. Sie war nur zum Ferienmachen gut, aber wenn man sich die Preise ansah, vielleicht nicht mal mehr dazu.
»Lesen Sie gern, Brigadiere?«
Ohne die Antwort abzuwarten, legte er ihm recht unsanft das Opus von Maestro Marcellino vor die Nase.
»Lesen Sie das, wenn Sie Zeit haben. Meinetwegen auch in der Kaserne, wenn Sie meinen, Sie finden darin etwas, das uns bei den Ermittlungen weiterhelfen könnte. Ich muss mich um anderes kümmern. Aber ich werde den stellvertretenden Staatsanwalt um eine entsprechende Genehmigung bitten.«
In Ettore Tigàssus Gesichtsausdruck spiegelte sich sein ganzer Widerwille.
»Aber ich kann …«
»Sie müssen nichts können, sondern nur lesen und herausfinden, ob da etwas über die Tidòngia steht. Vielleicht zwischen den Zeilen. Das sind einhundertzwanzig Seiten. Nahmen Sie das Ganze als eine vom Staat finanzierte Arbeitspause. Setzen Sie sich hin und lesen Sie. Sie hätten altersmäßig doch ein Schüler von dem sein können, oder nicht?«
»Nicht wirklich, Signor Maggiore. Ich bin zehn Jahre jünger. Aber warum ist das wichtig?«
»Sie sind es noch gewohnt, mit der Hand zu schreiben. Das haben Sie mir doch erst kürzlich erzählt. Bei mir dauert die Lektüre ewig, und ich begreife nichts. Auf den ersten Seiten kann man ja noch was entziffern, aber dann wird die Handschrift immer unleserlicher. Als hätte ein Besoffener was zu Papier gebracht.«
»Aber mit Verlaub, Maggiore, dass man schreiben kann, bedeutet nicht automatisch, dass man auch lesen kann.«
»Na, vielleicht ist es auch genau andersherum. Wie auch immer, betrachten Sie das Ganze als einen persönlichen Gefallen an mich. Befreien Sie mich von dieser Sisyphusarbeit, und Sie werden sehen …«
Das schon wieder. Wie oft hatte er das schon gehört, dieses »Sie werden sehen«. Am Anfang seiner Karriere regelmäßig. Auch er hatte einst von Versetzung geträumt, hatte sich eine Zukunft in einer Großstadt ausgemalt und Nachwuchs mit norditalienischem Akzent.
Aber er war immer noch hier. Wartete seit Jahren vergeblich auf irgendeine Beförderung oder auch nur eine winzige Anerkennung für seine Arbeit. Formulierte in seinen Gedanken Fragen, die er bei seinen Ermittlungen ohnehin niemals stellen würde, weil er wusste, dass er keine Antwort bekam. Man hasste ihn, ging ihm aus dem Weg, schnitt ihn, begegnete ihm bei Prozessionen, Dorffesten oder noch schlimmer, bei Beerdigungen allerseits mit aufgesetztem Lächeln.
Und nicht einmal die Tatsache, dass ihm bis zur Pensionierung nur noch zwölf Jahre, drei Monate und sechzehn Tage fehlten, war ihm ein Trost. Sein Kalender in der Kaserne erinnerte ihn an den beim Wehrdienst, als man jeden Tag mit einem Kreuz versah, der einen dem letzten Morgenappell näher brachte.
Wie viele Tage bis zu deinem letzten Morgenappell, kleiner Sarde Tigàssu?
ERINNERUNGEN
65 Tage bis zum letzten Morgenappell
Wie aus heiterem Himmel brachte der Briefträger einem damals eine gelbliche Postkarte vorbei. Wenn die ankam, konnte das, falls du eine Arbeit hattest, dein Ende bedeuten. Falls du arbeitslos warst und auch keinem Studium nachgingst, war es die einzige Gelegenheit zu entdecken, was hinter der Insel Tavolara alles noch lag. Es handelte sich nämlich um den Einberufungsbefehl. Man hatte den Militärdienst zu absolvieren und dem Staat zu dienen. Dem konnte man nur aus dem Weg gehen, wenn: man unter Herz- oder Atembeschwerden litt; man mit achtzehn bereits Nachwuchs hatte und vom eigenen Verdienst der Lebensunterhalt der Familie bis zur Verwandtschaft dritten Grades abhing; falls man der einzige Sohn einer Witwe war oder einen guten Draht in die Politik...
Erscheint lt. Verlag | 30.3.2023 |
---|---|
Reihe/Serie | Ein-Sardinien-Krimi | Ein-Sardinien-Krimi |
Übersetzer | Sylvia Spatz |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | krimi buch • Krimi Italien • krimi italien neuerscheinung 2023 • Krimi kindle • krimi lustig für erwachsene • Krimi mit Humor • kriminalroman 2023 • kriminalroman für kindle • kriminalroman lustig • Krimi neuerscheinung 2023 • Sardinien • Sommer • Sommerbuch • Urlaub • Urlaubskrimi • Urlaubslektüre Italien • Urlaubslektüre Krimi |
ISBN-10 | 3-96161-163-7 / 3961611637 |
ISBN-13 | 978-3-96161-163-8 / 9783961611638 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 2,5 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich