Wolfskinder (eBook)

Die Thriller-Sensation aus Deutschland

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(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
400 Seiten
Rowohlt E-Book (Verlag)
978-3-644-01402-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wolfskinder -  Vera Buck
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In Wahrheit ist ein Wald nicht still. Er ist voller Geräusche und aus dem Stoff, aus dem Albträume sind. Ein abgelegenes Dorf hoch oben in den Wäldern, fernab der Zivilisation. Ein Ort, wie geschaffen als Versteck - oder als Gefängnis. Hoch in den Bergen liegt die Siedlung Jakobsleiter, abgeschieden von der modernen Welt. Hier gelten die Regeln der Natur - rau, erbarmungslos, aber verlässlich. Das denkt zumindest Jesse. Ihm und den anderen Kindern von Jakobsleiter wurde eingetrichtert, dass alles Böse unten in der Stadt wohnt. Doch seine Freundin Rebekka glaubt nicht daran, sie will die Siedlung verlassen. Dann verschwindet Rebekka. Und sie ist nicht die Einzige. In der Bergregion werden immer wieder Frauen vermisst. Nur die Journalistin Smilla, die vor Jahren ihre Freundin Juli in der Gegend verloren hat, sieht einen Zusammenhang. Erst recht, als ihr ein verwahrlostes Mädchen vors Auto läuft, das verblüffende Ähnlichkeit mit Juli hat. Das Misstrauen gegenüber den Bewohnern von Jakobsleiter wächst, und nicht nur Jesse wird Opfer von brutalen Angriffen. Währenddessen gerät Smilla einem Geheimnis auf die Spur, das alle vermeintlichen Wahrheiten aus den Angeln hebt ...

Vera Buck, 1986 in NRW geboren, studierte Journalistik, Europäische Literaturwissenschaft und Drehbuch in Europa und den USA. Sie erhielt Stipendien und Auszeichnungen im In- und Ausland. Ihr erster Roman «Runa» war für den Friedrich-Glauser-Preis 2016 nominiert. Vera Buck lebt und arbeitet als freie Autorin in Zürich. «Wolfskinder» ist ihr Thriller-Debüt.

JESSE


Ich strecke mich neben Rebekka auf dem Moos aus und blicke in den Himmel. Wir haben unsere Jacken auf den Waldboden gelegt, denn das Moos ist noch nass vom nächtlichen Schauer. Es riecht so intensiv nach Wald, dass ich am liebsten meine Lungen mit dem Duft füllen und einen Vorrat für den Winter anlegen würde. Die Tannen zeichnen sich vor dem Blau ab wie ein Scherenschnitt. Freigeist schnüffelt an meinem Gesicht, und ich schiebe ihn beiseite, als er mir das Kinn leckt. Er legt sich ebenfalls ins Gras, direkt neben mich, rollt sich auf die Seite. Wenn ich den Kopf abknicke, kann ich seinen warmen Bauch als Kissen benutzen.

Unsere Sommer hier oben in Jakobsleiter sind kurz, und dieser ist fast vorbei. Nicht einmal fünf Monate lang ist der Wald schneefrei, darum sind Tage wie diese selten. Wir sollten das genießen. Aber Rebekka ist mit ihren Gedanken woanders. Ist in der Stadt, wo sie nie wirklich gewesen ist, aber von wo der Kerl kommt, der ihr den verhängnisvollen Zettel zugesteckt hat. Sie hat ihn dabei, diesen Zettel. Ich sehe, wie sie ihn in der hohlen Hand versteckt. Er ist bereits ganz klein gedrückt und verschwitzt, hoffentlich so sehr, dass man die Schrift darauf nicht mehr lesen kann.

Ich habe die Blicke gesehen, die Rebekka und der Antennenkerl sich vor ein paar Tagen zugeworfen haben. Der Mann war etwas älter als wir und nicht mal attraktiv. Aber hier oben fehlt ihm die Konkurrenz und Rebekka der Vergleich. Er hatte auch einen Kollegen dabei, Mitte vierzig, schätze ich, mit Bart und Bauch und großen Schweißflecken unter den Armen, die schon da waren, bevor er überhaupt mit der Arbeit begonnen hat. Sie sind auf den Turm gekraxelt und haben etwas von «Smart Farming» und «Precision Farming» erzählt. Aber als wir alle mit unseren Gerätschaften Aufstellung nahmen, mit Spaten und Harken und Spitzhacken, Geräten, die weit entfernt von jeder Digitalisierung sind, da haben sie doch recht schnell das Maul gehalten. Wir haben uns um den Antennenmast versammelt wie ein Lynchtrupp, während die Männer oben stumm und nervös ihre Arbeit verrichteten. Eine Arbeit, um die sie niemand von uns gebeten hat. Selbst die Antenne hat sich gesträubt, weil sie nicht bei uns bleiben wollte, und es hat lange gedauert, bis die Männer sie endlich bezwungen und an dem Mast festgeschraubt hatten.

Bisher war die Kapelle von Jakobsleiter der höchste Punkt weit und breit. Jetzt ist es die Antenne. Über ihr gibt es nur noch die Berge, massive Dreitausender, die immer schneebedeckt sind. Darum haben sie den Antennenmast hierhingestellt. Er wird in einem Umkreis von fünfzehn Kilometern alles mit Internet versorgen, hat Frau Bender in der Schule unten im Dorf gesagt und sehr froh darüber ausgesehen, denn Almenen liegt auch im Umkreis dieser fünfzehn Kilometer. Weil ich Frau Bender mag, hatte ich der Antenne eine kleine, eine winzige Chance eingeräumt, doch nicht so schlecht zu sein, wie unser Priester es uns allen prophezeit. Doch das war, bevor der Kerl, der sie brachte, Rebekka den Kopf verdreht hat.

Die Installateure waren hungrig und durstig, als sie nach ihrer stundenlangen Arbeit endlich von dem Mast heruntergeklettert kamen. Aber keiner von uns hat sie auf ein Mittagessen eingeladen oder auch nur auf einen Schnaps, wie man ihn hier nach getaner Arbeit sonst kippt. Diese Männer waren nicht von hier. Sie waren von «dort», waren Stadtmenschen und damit alles, vor dem man uns immer gewarnt hat. Und trotzdem hat Rebekka diesen Zettel angenommen und nervös in ihre Rocktasche gesteckt, als sie glaubte, keiner würde es sehen. Als alle anderen damit beschäftigt waren, die neue Antenne anzustarren wie einen Fremdkörper. Und genau das ist sie auch: ein Kommunikationsmast – ausgerechnet in einem Ort, in dem das höchste Gut das Schweigen ist.

Ich blicke Rebekka von der Seite an. Müsste ich wetten, würde ich sagen, dass eine Telefonnummer auf dem Zettel steht. Er ist also eigentlich völlig wertlos, weil es in Jakobsleiter ja nicht mal ein Telefon gibt. Aber Rebekka dreht den Zettel zwischen den Fingern, als wäre er ihr Ticket in ein anderes Leben. Sie will weg, das will sie schon lange. Aber jetzt, wo sie eine Adresse oder eine Telefonnummer hat, irgendetwas, das Freiheit und Abenteuer verspricht, weiß sie auch, wie sie es anstellen kann. Warum muss sie bloß immer gegen alles rebellieren?

Freigeists Flanke bewegt sich unter mir, als er den Kopf hebt. Irgendetwas hat er gehört oder gewittert. Bestimmt nur ein Kaninchen, denke ich, lege ihm beruhigend die Hand auf die Schnauze und mache: «Schhhscht.» Er bleibt noch zwei Sekunden angespannt, dann legt er den Kopf zurück auf die Pfoten. Ich atme durch. Ich wünschte, ich könnte ihm das Jagen abgewöhnen.

Vor acht Monaten hat mein Vater die Wölfin erschossen, die Freigeist geboren hat. Sie ist zu nah an die Siedlung gekommen, ist unseren Ziegen zu nahe gekommen, und darum sind wir eines Nachts losgezogen, auf Wolfsjagd. Mein Vater drückte mir das Gewehr in die Hand, als könnte ich damit etwas ausrichten. Als hätte ich jemals etwas anderes geschossen als ein paar Konservendosen vor unserem Haus. Und natürlich war am Ende er es, der den Abzug drücken musste. Im Gegensatz zu mir trifft mein Vater immer. Im Gegensatz zu mir hasst er die Wölfe. Ich kann ihn verstehen, wir leben von den Ziegen. Aber wir leben auch mit den Wölfen. Teilen kann ich seinen Hass darum nicht. Nach dem Schuss hat das sterbende Tier vor uns gelegen und in den Waldboden geblutet. In der Dunkelheit hat das Blut schwarz ausgesehen, ein schwarzes Loch, das sich unter ihm ausbreitete. An den prallen Zitzen habe ich erkannt, dass es eine Wölfin war und dass es irgendwo noch Wolfsjunge geben musste. Zwei Tage später habe ich sie in einer Erdhöhle gefunden. Nur eines von ihnen hat überlebt.

Freigeist.

Den Namen hat Rebekka sich ausgedacht. Freigeist, weil dieser Wolf nirgends hingehören soll, so meinte sie, nicht zu den Berggeistern und nicht zu den Talgeistern. Weil dieser Wolf Rebekkas Meinung nach ein Grenzgänger ist. Aber ich habe in ihren Augen gesehen, dass sie im Grunde selbst dieser Freigeist sein will.

Ich ziehe das Lederband aus der Tasche, das ich in der Nacht zuvor geknüpft habe.

«Ich habe etwas für dich gemacht», sage ich und halte es hoch. Ich hoffe, dass Rebekka den kleinen geschnitzten Anhänger daran erkennt. Aber sie ist abwesend, als sie sich bedankt. Und als ich ihr das Armband ums Handgelenk knote, legt sie nicht einmal den Zettel beiseite. Mit der freien Hand fährt sie durch Freigeists Fell, ihre Finger sind direkt neben meinem Gesicht, ihre dunklen Haare fallen nach vorn, und ich nehme den Geruch nach Seife wahr, der von ihnen ausgeht. Wir riechen hier oben alle nach der gleichen Kernseife. Eine, die in den Boden sickern kann, ohne ihn zu vergiften. In der Stadt nennt man so etwas biologisch abbaubar. Aber bei uns ist alles biologisch abbaubar, und ich weiß nicht, warum man sich mit etwas anderem waschen sollte. Mit etwas, das giftig ist.

«Es soll ein Wolf sein», sage ich, und an ihrem verwirrten Blick erkenne ich, dass sie einen Moment lang nicht einmal weiß, wovon ich spreche. «Der Anhänger. Das soll ein Wolf sein.»

Sie nickt. «Freigeist», sagt sie und dann, ohne erkennbaren Zusammenhang: «Ich glaube übrigens nicht mehr an Talgeister.»

Es klingt ein wenig trotzig und so, als verkündige sie etwas, das sie lange Zeit im Kopf gewälzt hat. Dabei ist mir die Information gar nicht neu. Spätestens seit wir zur Schule gehen, wissen wir beide, dass die Sache mit den Talgeistern ja eigentlich nichts weiter sein kann als eine Geschichte, die die Erwachsenen sich ausgedacht haben, damit wir uns nicht zu weit von der Siedlung entfernen. Aber das ändert nichts daran, was im Tal, in der Stadt, mit meiner Mutter geschehen ist. Irgendjemand muss ihr das zugefügt haben, und wenn es nicht die Talgeister waren, dann waren es die Städter. Tagelang haben wir sie in den Wäldern gesucht, als sie eines Abends nicht nach Hause kam. Und als mein Vater sie endlich fand und zurückbrachte, war etwas mit ihrem Kopf passiert, das sie für immer verändert hat. Ihr Lachen, ihre glasklare Stimme, ihr ganzes Wesen – alles ausgelöscht. Seitdem müssen mein Vater und ich uns um sie kümmern, wie um ein kleines Kind. Mama kann nicht mehr alleine auf die Toilette gehen. Sie kann nicht mehr sprechen. Manchmal weiß ich nicht mal, ob sie mich noch erkennt.

Rebekka weiß das, so wie wir alle es wissen. Meine Mutter musste jahrelang als Beweis dafür herhalten, dass die Geschichte über Talgeister stimmt. «Das waren die Talgeister!» war das Erste, was mein Vater damals gesagt hat, nachdem er meine Mutter zurückgebracht hatte. Und er hat es häufig wiederholt, bis ich älter wurde und sich die Geschichte ein wenig veränderte, so als würde sie zusammen mit mir wachsen. Die brutale Geschichte, wie man meiner Mutter den Schädel eingeschlagen hatte, wurde detaillierter, wie eine Gestalt im Nebel, die man von Weitem nur verschwommen sieht und die erst beim Näherkommen deutlich aus ihrer Umgebung hervortritt.

Mag ja sein, dass es keine Talgeister gibt. Mag sein, dass es nur Menschen gibt, gute und schlechte. Aber man muss nur meine Mutter ansehen, um zu wissen, wer auf welcher Seite lebt.

Rebekka streicht sich eine Strähne hinters Ohr und sieht mich endlich an. In ihren Augen spiegeln sich der Wald und der Berg, aber auch noch etwas anderes, das ich nicht greifen kann. In meinen Augen liegen schon immer nur der Berg und der Wald. Sonst nichts.

«Wir brauchen die Welt dort draußen nicht», sage ich. Ich sage es fest und bestimmt und merke selbst, dass ich dabei klinge wie mein...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2023
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Abgeschiedenheit • Aufwachsen in einer Sekte • Bergdorf • crimethrill • Deutscher Thriller • entführte Kinder • ermittelnder Journalistin • Krimis und Thriller • Melanie Raabe • Psychologischer Krimi • Psychologischer Thriller • psychologische Spannung • Romy Hausmann • Schweiz • Schweizer Alpen • Sekte • Spannung aus Deutschland • Thriller Neuerscheinung 2023 • Thriller und Krimis deutsch • vermisste Freundin • vernachlässigte Kinder • verschwundene Frauen • weibliche Ermittlerin • Wölfe
ISBN-10 3-644-01402-7 / 3644014027
ISBN-13 978-3-644-01402-2 / 9783644014022
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