Die linke Hand der Dunkelheit (eBook)

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2023 | 1. Auflage
352 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491551-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die linke Hand der Dunkelheit -  Ursula K. Le Guin
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Das Epoche machende Science-Fiction-Meisterwerk von Ursula K. Le Guin jetzt in neuer Übersetzung. Gethen ist ein Winterplanet und permanent mit Eis bedeckt. Auch die politische Lage ist alles andere als einfach: Zwischen dem Königreich Karhide und seinem Nachbarland Orgoreyn existieren starke politische Spannungen. Die Aufgabe von Genly Ai, der als terranischer Abgesandter die Bevölkerung davon überzeugen möchte, dem Weltenverbund des Ekumen beizutreten, ist also alles andere als einfach. Zumal ihm die Regeln und Konventionen vor Ort nicht vertraut sind und ihn die fehlende Zweigeschlechtlichkeit der Bewohner irritiert.  Sein wichtigster Ansprechpartner ist Estraven, der Premierminister des Königs von Karhide, aber er hat keine Ahnung, ob er ihm vertrauen kann. Als Estraven des Verrats beschuldigt wird, läuft Genly Ai Gefahr, seinen wichtigsten Verbündeten zu verlieren. Er muss sich entscheiden, wo seine Loyalität liegt. 'Le Guin hat, in höherem Maße als Tolkien, dazu beigetragen, die Fantastik als Literatur zu etablieren.' Harold Bloom »Ein Juwel« Frank Herbert Für LeserInnen von Cixin Liu, Frank Herbert, Octavia Butler, Margaret Atwood und Isaac Asimov

Ursula K. Le Guin (1929-2018) gilt als die Grande Dame der angloamerikanischen Science Fiction. Sie wurde mit zahlreichen Literatur- und Genrepreisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem National Book Award für ihr Lebenswerk. Ihre Bücher beeinflussten viele namhafte Autoren, darunter Salman Rushdie und David Mitchell ebenso wie Neil Gaiman und Ian M. Banks.

Ursula K. Le Guin (1929–2018) gilt als die Grande Dame der angloamerikanischen Science Fiction. Sie wurde mit zahlreichen Literatur- und Genrepreisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem National Book Award für ihr Lebenswerk. Ihre Bücher beeinflussten viele namhafte Autoren, darunter Salman Rushdie und David Mitchell ebenso wie Neil Gaiman und Ian M. Banks. Karen Nölle lebt als freie Übersetzerin und Lektorin in der holsteinischen Schweiz. Sie hat unter anderem Doris Lessing und Alice Munro ins Deutsche übertragen.

Le Guin ist die große Philosophin unter den Science-Fiction-Autorinnen, eine liebevoll und mit Leichtigkeit Lehrende […].

[...] das bahnbrechende Meisterwerk endlich in einer zeitgemäßen Neuübersetzung [...].

[…] unglaublich schön, würdevoll und intelligent …

[A]ktueller denn je.

Der bahnbrechende Roman »Die linke Hand der Dunkelheit« [...] untersucht den Zusammenhang von Geschlecht und Macht. Das feministische Science-Fiction-Meisterwerk erscheint jetzt in neuer Übersetzung.

Ein Klassiker der Science-Fiction-Literatur!

Umso schöner ist es, dass dieser Klassiker jetzt in einer sehr gelungenen Neuübersetzung von Karen Nölle vorliegt.

Sie hat DEN definitiven feministischen Science-Fiction-Roman geschrieben, das ist eben ›The left hand of darkness‹ [...]. Das ist eine ganz herausragende Autorin.

Ursula K. Le Guin war eine der hervorragendsten Schriftstellerpersönlichkeiten der internationalen Szene, die Zeit ihres Lebens etliche Romane verfasste, die mittlerweile Kultstatus erworben haben.

Vorwort


Science Fiction wird häufig als extrapolativ bezeichnet, ja definiert. Demnach greifen Science-Fiction-Autoren Trends oder Phänomene aus dem Hier und Jetzt auf, reinigen diese, spitzen sie dramatisch zu und setzen sie in Zukunft fort. »Wenn dies so weitergeht, wird das und das geschehen.« Sie stellen eine Prognose. Vorgehen und Ergebnisse sind ganz ähnlich wie bei einem Wissenschaftler, der große Mengen eines gereinigten, konzentrierten Lebensmittelzusatzes an Mäuse verfüttert, um daraus abzuleiten, was mit Menschen passiert, die den Zusatz über lange Zeit in geringen Mengen zu sich nehmen. Das Resultat scheint fast unausweichlich Krebs zu sein. Genauso ist es bei der Extrapolation. Streng extrapolative Science Fiction landet gemeinhin ungefähr da, wo auch der Club of Rome landet: irgendwo zwischen der allmählichen Auslöschung menschlicher Freiheit und der totalen Auslöschung irdischen Lebens.

Das mag erklären, warum viele Menschen, die keine Science Fiction lesen, sie »eskapistisch« nennen, bei näherem Nachfragen aber eingestehen, dass sie sie nicht lesen, weil sie »so deprimierend« ist.

Fast alles, was bis zum logischen Extrem getrieben wird, führt zu Depressionen oder Krebs.

Glücklicherweise jedoch ist Extrapolation zwar ein Element von Science Fiction, aber keineswegs das Bestimmende. Sie ist viel zu rationalistisch und simplifizierend, um die Phantasie – der Lesenden oder Schreibenden – zu befriedigen. Variablen sind die Würze des Lebens.

Dieses Buch ist nicht extrapolativ. Wer mag, kann es – und viele andere Werke der Science Fiction – als Gedankenexperiment lesen. Nehmen wir an (sagt Mary Shelley), ein junger Arzt erschaffe in seinem Labor einen Menschen; nehmen wir an (sagt Philip K. Dick), die Alliierten hätten den Zweiten Weltkrieg verloren; nehmen wir an, dies oder das sei so oder so, und schauen, was passiert … Eine so entworfene Geschichte muss weder auf die für moderne Romane angemessene moralische Komplexität verzichten noch in eine Sackgasse führen; Denken und Intuition können sich innerhalb der allein durch die Versuchsanordnung gesetzten Grenzen uneingeschränkt bewegen, und diese Grenzen können sehr, sehr weit gesteckt sein.

Der Sinn eines Gedankenexperiments, wie der Begriff von Schrödinger und anderen Physikern verwendet wurde, liegt nicht darin, die Zukunft vorherzusagen – Schrödingers berühmtestes Gedankenexperiment zeigt gerade, dass sich die »Zukunft« auf der Quantenebene nicht vorhersagen lässt –, sondern darin, die Wirklichkeit, die Welt der Gegenwart, zu beschreiben.

Science Fiction ist nicht prognostisch, sondern deskriptiv.

Prognosen werden von Propheten erstellt (kostenlos), von Hellsehern (üblicherweise gegen Gebühren, weshalb sie zu ihrer Zeit mehr verehrt werden als Propheten) und von (besoldeten) Futurologen. Prognosen sind die Sache von Propheten, Hellsehern und Futurologen. Nicht die Sache von Schriftstellern. Ein Schriftsteller stellt keine Prognosen, er lügt.

Der Wetterdienst sagt voraus, wie der nächste Dienstag wird, und die Rand Corporation sagt voraus, wie das 21. Jahrhundert wird. Ich möchte niemandem empfehlen, derartige Informationen von Schriftstellern einzuholen. Es ist nicht ihre Sache. Sie wollen nur eines: erzählen, wie sie sind und wie du bist – was los ist –, wie das Wetter jetzt ist, heute, in diesem Augenblick: der Regen, das Sonnenlicht, schau! Mach die Augen auf; hör zu, hör hin. Das ist es, was die Schriftsteller sagen. Aber was du sehen und hören wirst, sagen sie nicht. Sie können dir bloß erzählen, was sie gesehen und gehört haben, in ihrer Zeit auf dieser Welt, die sie zu einem Drittel mit Schlafen und Träumen und zu einem zweiten Drittel mit dem Verfertigen von Lügen zubringen.

»Die Wahrheit gegen die Welt!« – Ja, gewiss. Schriftsteller streben, zumindest in ihren mutigeren Momenten, nach der Wahrheit: sie zu erkennen, zu äußern, ihr zu dienen. Aber sie tun es auf merkwürdig verschlungenen Wegen mit Hilfe von erfundenen Figuren, von Orten und Ereignissen, die es niemals gegeben hat und niemals geben wird, und erzählen lang und breit und mit viel Gefühl von ihnen, um am Ende, wenn sie diese ganzen Lügen zu Papier gebracht haben, zu verkünden: Da! Das ist die Wahrheit!

Sie können alle möglichen Fakten verwenden, um ihr Lügengewebe zu stützen. Sie können das Marshalsea-Gefängnis beschreiben, das es wirklich gegeben hat, oder die Schlacht bei Borodino, die wirklich geschlagen wurde, oder den Vorgang des Klonens, der tatsächlich in Laboren stattfindet, oder den Verfall einer Persönlichkeit, wie er in existierenden Fachbüchern der Psychologie beschrieben wird, etcetera. Das Gewicht überprüfbarer Orte, Ereignisse, Phänomene, Verhaltensweisen lässt die Leserinnen und Leser vergessen, dass sie eine reine Erfindung lesen, eine Geschichte, die sich nie anderswo abgespielt hat als in einer nicht zu verortenden Region im Gehirn des Autors. Wir sind, wenn wir einen Roman lesen, de facto verrückt – im Wahn. Wir glauben an die Existenz von Menschen, die nicht da sind, wir hören ihre Stimmen, wir erleben mit ihnen die Schlacht bei Borodino, wir werden vielleicht sogar zu Napoleon. Die Vernunft stellt sich (in der Regel) wieder ein, wenn das Buch zugeklappt wird.

Ist es verwunderlich, dass noch keine wahrhaft seriöse Gesellschaft ihren Künstlern traute?

Doch aus Sorge und Verunsicherung und weil sie Rat sucht, bringt unsere Gesellschaft ihren Künstlern zuweilen ein völlig unangebrachtes Vertrauen entgegen und missbraucht sie als Propheten und Futurologen.

Ich sage nicht, dass Künstler nicht inspiriert oder keine Seher sein können: dass sie nicht von Awen geküsst sein können und der Gott nicht durch sie sprechen kann. Wer würde Künstler werden, wenn er nicht glaubte, dass es das gibt? Wenn er nicht wüsste, dass es das gibt, weil er den Gott in sich gespürt hat, der seine Zunge, sein Hände führt. Vielleicht nur ein einziges Mal im Leben. Aber einmal genügt.

Auch will ich nicht behaupten, dass nur Künstler diese Bürde tragen oder dieses Vorrecht genießen. Auch Wissenschaftler rüsten sich, üben sich Tag und Nacht, im Schlaf wie im Wachsein, in der Bereitschaft zur Inspiration. Wie schon Pythagoras wusste, kann der Gott durch geometrische Formen wie durch Traumgestalten sprechen; durch die Harmonie reinen Denkens wie die Harmonie von Klängen; durch Zahlen wie durch Worte.

Die Worte aber sind es, die Probleme und Verwirrung schaffen. Wir sind heute gehalten, Worte nur in einer Hinsicht für nützlich zu erachten: als Zeichen. Unsere Philosophen – zumindest einige – streben Einigkeit darüber an, dass ein Wort (ein Satz, eine Äußerung) nur insofern von Wert ist, als es eine einzige Bedeutung hat, auf ein Faktum verweist, das dem rationalen Verstand begreiflich, logisch tadellos und – idealerweise – quantifizierbar ist.

Apollon, Gott des Lichts, der Vernunft, des Maßes, der Harmonie, der Zahlen –, Apollon blendet alle, die ihm in ihrer Anbetung zu nahekommen. Schau nicht direkt in die Sonne. Geh gelegentlich in eine dunkle Bar und trink mit Dionysos ein Bier.

Ich rede von den Göttern, dabei bin ich Atheistin. Aber ich bin auch Künstlerin und von daher eine Lügnerin. Misstrau allem, was ich sage. Ich sage die Wahrheit.

Die einzige Wahrheit, die ich zu begreifen oder zu sagen verstehe, ist logisch definiert eine Lüge. Psychologisch definiert ein Symbol. Ästhetisch definiert eine Metapher.

Oh, es ist schön, als Teilnehmerin zu futurologischen Kongressen eingeladen zu werden, wo die Systemwissenschaft ihre beeindruckenden apokalyptischen Diagramme vorlegt; von Zeitungen gebeten zu werden, ihnen zu sagen, wie die USA nach der Jahrtausendwende aussehen werden und dergleichen, aber es ist ein entsetzlicher Irrtum. Ich schreibe Science Fiction, und Science Fiction handelt nicht von der Zukunft. Ich weiß nicht mehr über die Zukunft als du, und sehr wahrscheinlich weniger.

Dieses Buch handelt nicht von der Zukunft. Ja, am Anfang steht, dass es im »ekumenischen Jahr 1490–97« spielt, aber das wirst du doch nicht glauben, oder?

Ja, die Menschen darin sind androgyn, doch damit will ich weder vorhersagen, dass wir in einem Jahrtausend oder so alle androgyn sein werden, noch verkünden, dass wir meiner Ansicht nach gefälligst alle androgyn sein sollten. Ich stelle lediglich auf die eigentümlich gewundene und gedankenexperimentelle Weise der Science Fiction fest, dass wir es zu bestimmten Tageszeiten bei bestimmtem Wetter besehen längst sind. Ich sage weder voraus, noch schreibe ich vor. Ich beschreibe. Ich beschreibe in Schriftstellermanier bestimmte Aspekte der psychologischen Realität, indem ich weitschweifige Lügen erfinde.

Beim Lesen eines Romans, jedes Romans, müssen wir uns bewusst sein, dass es sich um Unsinn handelt, und während der Lektüre dann jedes Wort glauben. Hinterher, wenn wir ihn ausgelesen haben – und falls er gut ist –, spüren wir möglicherweise, dass wir ein wenig anders sind als vor der Lektüre, dass wir ein bisschen verändert worden sind, wie durch die Begegnung mit einem neuen Gesicht oder als hätten wir eine Straße überquert, über die wir vorher noch nie gegangen sind. Wobei es sehr schwer zu sagen ist, was genau wir gelernt und wie wir uns verändert haben.

Künstler gehen mit dem um, was mit Worten nicht gesagt werden kann.

Künstler, deren Medium das Erzählen ist, tun das mit Worten. Schriftsteller sagen mit Worten, was mit...

Erscheint lt. Verlag 25.1.2023
Übersetzer Karen Nölle
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Feministische Science Fiction • GenderStudies • Hainish Zyklus • Hugo Award • Nebula Award • Pogressive Phantastik • progressive fantasy • Progressive Phantastik • Science Fiction • Science Fiction Geschenk • Science Fiction Klassiker • Science Fiction Neuerscheinung 2022 • SF-Roman • Transgender
ISBN-10 3-10-491551-2 / 3104915512
ISBN-13 978-3-10-491551-7 / 9783104915517
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