Blutige Bucht (eBook)

Thriller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
416 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0585-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Blutige Bucht - Allie Reynolds
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Niemand verlässt die Bucht lebend

Kenna ist schockiert als sie erfährt, dass ihre beste Freundin Mikki einen Mann heiraten will, den sie gerade erst kennengelernt hat. Kurzerhand macht sie sich auf den Weg nach Sydney, um die beiden zu überraschen. Doch sie wollen zum Surfen, also bleibt Kenna nichts anderes übrig, als sie zu begleiten. An der abgelegenen Ostküste Australiens trifft sie auf eine Gruppe ungleicher Menschen, die sich fernab der Zivilisation einen Rückzugsort geschaffen hat und alles tut, um ihn vor der Außenwelt zu bewahren. Hier zählen nur die Wellen, das Wetter und die Gezeiten. Doch das Küstenparadies birgt ein dunkles Geheimnis und schnell wird klar: niemand verlässt die Bucht lebend.



Allie Reynolds fuhr professionell Snowboard und rangierte unter den ersten zehn in der Rangliste. Sie verbrachte mehrere Winter in den Bergen von Frankreich, der Schweiz, Österreich und Kanada. Im Jahr 2003 tauschte sie das Snowboard gegen das Surfbrett und zog an die Goldküste in Australien, wo sie fünfzehn Jahre lang Englisch als Fremdsprache unterrichtete.

2


KENNA

»Ich bringe dich um!«, sagt Mikki.

Unter der Last meines Rucksacks gebeugt, stehe ich auf ihrer Schwelle. »Ich wusste, dass du sauer sein würdest.«

Mikkis Stirn und Wangen sind übersät mit Sommersprossen. Ihre langen Haare, früher glänzend und schwarz, wurden von der australischen Sonne zu einem stumpfen Braun verblichen. Der blühende Baum neben der Haustür erfüllt die Abendluft mit seinem exotischen Duft und unterstreicht die Tatsache, dass ich mich auf der anderen Seite des Erdballs befinde.

Sie sieht mich an, als könne sie nur schwer entscheiden, ob sie sich freut, mich zu sehen, oder nicht. »Wieso hast du mir nicht Bescheid gesagt, dass du kommst?«

Weil du gesagt hast, dass ich nicht kommen soll. Aber darüber wollen wir jetzt nicht reden. »Ich habe versucht, dich anzurufen, aber du bist nicht rangegangen.«

»Ich sagte doch, dass es an dem Strand, zu dem wir oft fahren, kein Netz gibt.«

Das weiße Top von Roxy bringt ihre straffen Oberarme und sonnengebräunte Haut besonders gut zur Geltung.

So unauffällig wie möglich halte ich Ausschau nach blauen Flecken, kann jedoch keine entdecken. Ich erlaube mir, ein wenig aufzuatmen. Allem Anschein nach geht es ihr gut. Meiner besten Freundin.

Jetzt grinst sie. »O mein Gott, Kenna! Du bist wirklich hier!«

Auch ich muss grinsen. Sie sagt ständig O mein Gott! Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich den Ausruf schon aus ihrem Mund gehört habe – normalerweise nachdem ich mal wieder etwas Verrücktes gemacht habe.

Sie nimmt mich in die Arme und drückt mich an sich.

Siehst du? Alles ist gut. So ist das zwischen besten Freundinnen. Wenn man lautere Absichten hegt, darf man hin und wieder auch mal Grenzen überschreiten. Was ist eine Freundschaft anderes als die Summe der Erinnerungen an die gemeinsam verbrachte Zeit? Und je schöner die Erinnerungen, desto tiefer die Freundschaft. Meine Erinnerungen an Mikki: wie wir eines Abends in angetrunkenem Zustand nackt surfen waren; wie ich in einer schmalen Gasse in Cornwall ihren uralten VW Käfer anschieben musste, weil er nicht anspringen wollte; ein gemeinsamer Campingurlaub, bei dem sie vergessen hatte, das Zelt einzupacken, sodass wir die Camper nebenan bequatschen mussten, damit sie uns eins liehen.

Wir haben so viele lustige Dinge zusammen erlebt. Und diese Aktion hier wird als eine davon in unsere gemeinsame Geschichte eingehen: als ich nach Australien flog, um Mikki einen Überraschungsbesuch abzustatten. Wenigstens versuche ich, mir das einzureden. Sie muss heute gesurft sein – ihre Haare sind klebrig vom Salz. Ich löse eine Strähne von meinen Lippen und befreie mich aus ihrer Umarmung, um sie eingehender zu betrachten.

»Ich kann nicht glauben, dass du die weite Reise auf dich genommen hast«, sagt sie. »Was, wenn ich nicht zu Hause gewesen wäre?«

Der Gedanke ist mir auch schon gekommen. »Dann hätte ich mir ein Hotel gesucht.«

Zwischen uns hakt es ein wenig. Vielleicht liegt das daran, dass wir uns seit über einem Jahr nicht mehr gesehen haben, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass mehr dahintersteckt.

»Na, komm rein«, sagt sie.

Vor Betreten des Hauses ziehe ich mir die Schuhe aus. Mikki ist mit sechs Jahren aus Japan weggezogen, hat aber viele japanische Sitten von ihren Eltern übernommen. Ich stelle mein Gepäck ab und schaue mich um. Holzdielen, Möbel aus dem Trödelladen. Ist ihr Verlobter da? Hoffentlich nicht.

»Hast du Hunger?«, erkundigt sie sich.

»Hm. Weiß nicht genau.«

Sie lacht.

»Meine innere Uhr ist völlig durcheinander. Wie spät ist es überhaupt?«

Sie sieht nach. »Kurz vor sieben.«

»Im Ernst?« Ich denke angestrengt nach. »In England ist es jetzt acht Uhr morgens.«

»Ich mache gerade eine Riesenportion nikujaga

Ich folge ihr in die Küche, wo mir der würzige Duft von Fleisch in die Nase steigt, und ich stelle fest, dass ich tatsächlich Hunger habe. Meine Haut ist glitschig vom Schweiß. Die Fenster sind geöffnet, die Tür zum Garten ebenso, aber die Brise, die durch den Fliegendraht hereinweht, ist genauso stickig wie die Luft im Raum, und der Deckenventilator rührt die Hitze lediglich um.

Mikki fächelt sich Kühlung zu, während sie im Topf rührt.

Nun, da sie den anfänglichen Schock überwunden hat, scheint sie sich wirklich über meinen Besuch zu freuen, allerdings weiß man bei Mikki nie so genau. Sie entstammt einer Kultur, in der Höflichkeit über allem steht. Ich hingegen habe eins dieser Gesichter, in denen sich jede Emotion spiegelt, deshalb achte ich darauf, nicht in ihre Richtung zu schauen.

In der Spüle stapelt sich das Geschirr, Ameisen krabbeln über die Arbeitsflächen. Komisch. Mikki legt sehr großen Wert auf Sauberkeit – jedenfalls hat sie das früher getan. Unsere letzte gemeinsame Wohnung in Cornwall sah immer aus wie geleckt.

Sie bemerkt, wie ich mich umsehe, und zerdrückt einige Ameisen mit dem Finger.

Mein Schädel pocht – eine Kombination aus Flüssigkeitsmangel, Müdigkeit und Jetlag. »Könnte ich vielleicht ein Wasser haben?«

Sie füllt ein Glas aus dem Wasserspender am Kühlschrank. In meiner Hast schütte ich mir etwas von dem eisigen Nass über Finger und T-Shirt. Das Gefühl ist so herrlich erfrischend, dass ich am liebsten das gesamte Glas über mir ausgießen würde.

Mikki wischt sich die Stirn. Sie sah noch nie so schlank und muskulös aus wie jetzt, nicht mal zu ihren Zeiten als Leistungssportlerin. Ihre Füße sind nackt, die Nägel glänzend schwarz lackiert.

»Du siehst toll aus«, sage ich.

»Danke. Du auch.«

»Lüg nicht. Nach dem langen Flug wohl kaum. Kein Wunder, dass du nicht zurück nach England kommen möchtest. Wer würde freiwillig so eine weite Reise ein zweites Mal auf sich nehmen?« Ich bemühe mich um Leichtigkeit, doch es gelingt mir nicht, die Anspannung zu vertreiben.

»Deine Haare.« Sie streckt die Hand aus und berührt sie. »Die sind so …«

»Langweilig?« Seit wir uns in der Grundschule kennengelernt haben, hatten meine Haare so ziemlich jede Farbe des Regenbogens, nur nicht mein natürliches Mausbraun.

Sie lacht. »Ich wollte ›normal‹ sagen.«

Auch ich lache, obwohl ›normal‹ in Mikkis Augen vermutlich kein Kompliment ist. Und in meinen auch nicht.

Sie schöpft Eintopf in zwei tiefe Teller. Als sie sie auf den Frühstückstresen stellt, sehe ich das Tattoo an der Innenseite ihres Handgelenks.

»Was ist denn das?«

Sie schaut nur flüchtig hin, als wäre es keine große Sache.

Ich selbst habe einen fliegenden Vogel auf dem Schulterblatt, den Mikki eigens für mich entworfen hat. Ehe ich mir das Motiv stechen ließ, unterhielten wir uns über Tätowierungen, und ich schlug ihr vor, sich auch eine machen zu lassen.

»Auf gar keinen Fall«, sagte sie damals. »Meine Eltern würden mich umbringen. Viele Japaner halten Tattoos für unanständig. Damit lassen sie einen nicht ins Fitnessstudio oder ins öffentliche Schwimmbad.«

»Ist das immer noch so?«

»Ja. Oder man muss sie bedecken. Viele Firmen geben einem keinen Job, wenn man tätowiert ist. Das ist nicht gut für ihr Image.«

Deshalb falle ich fast aus allen Wolken, als ich jetzt das Tattoo an ihrem Handgelenk sehe. »Zeig mal.«

Mikki streckt mir ihren Arm hin. Es ist ein Schmetterling in verschiedenen Schwarz- und Brauntönen mit einem dicken, gestreiften Leib und Fühlern mit kleinen Hörnern. Ich sollte etwas sagen – dass ich das Motiv schön finde. Aber das wäre gelogen. Es sieht schrecklich aus.

Wir nehmen uns zwei Hocker. Es gibt so viel, was ich sie gerne fragen würde. Aber das muss warten. Ich will die Stimmung zwischen uns nicht vollends kaputtmachen.

Es ist seltsam, in dieser winzigen stickigen Küche nikujaga zu essen. Wie oft haben wir es in unserer zugigen Küche in Cornwall gegessen, nachdem wir vor Kälte schlotternd vom Surfen wiederkamen?

»Wie ist es so in London?«, fragt sie.

Ich bin vor Kurzem dreißig geworden, und fast niemand hat von meinem Geburtstag Notiz genommen. Meine neuen Kollegen wussten nicht Bescheid, und ich habe es ihnen auch nicht gesagt. Mum hat eine Karte geschickt, und ein paar Freunde haben mir Nachrichten geschrieben oder angerufen, aber das war es auch schon. »Ich finde es toll. Ich habe schon ein paar echt nette Leute kennengelernt.«

»Und die Arbeit?«

»Auch gut. Viel zu tun. Meine Patienten holen sich regelmäßig irgendwelche Verletzungen.«

Mikki sieht mich ungläubig an. »In London?«

»Ja. Rugby, Yoga, so was eben.« Das immerhin entspricht der Wahrheit. Ich erzähle ihr von einigen Verletzungen, die ich behandelt habe, doch sie scheint nur mit halbem Ohr zuzuhören.

»Was ist mit dir? Arbeitest du immer noch in diesem Club?«

»Nein, da bin ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr.«

Mikki muss ein kleines Vermögen geerbt haben, als ihr Großvater gestorben ist, denn sie hat erwähnt, dass sie hier ein Haus kaufen möchte.

»Und was machst du stattdessen?«, frage ich.

»Ach, so dies und das.« Sie nimmt einen Flyer vom Tisch.

(McMorris Surfbretter: handgemacht für alle, die den Unterschied kennen) und fächelt sich damit Luft zu. »Scheiße, ist das schwül heute.«

»Wann hast du das Fluchen...

Erscheint lt. Verlag 27.6.2023
Übersetzer Sybille Uplegger
Sprache deutsch
Original-Titel The Bay
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Australien • Bücher Thriller • Bucht • Freunde • Gefahr • Geheimnis • krimi und thriller • locked room mystery • Meer • Psychothriller • Sommer • Sorrow Bay • Strand • Surfen • Sydney • The Beach • Thriller • Tod • Wellen • Wellenreiten
ISBN-10 3-7499-0585-1 / 3749905851
ISBN-13 978-3-7499-0585-0 / 9783749905850
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