Zwergenzorn - Dennis L. McKiernan

Zwergenzorn

Roman
Buch | Softcover
336 Seiten
2004
Heyne (Verlag)
978-3-453-53007-2 (ISBN)
8,95 inkl. MwSt
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Die Zwerge schlagen zurück! Dennis L. McKiernans packendes Zwergenepos um das Moira von Mithgar ist ein Muss für alle Fans von J. R. R. Tolkien.Was wäre, wenn viele Jahre nach dem gewaltigen Ringkrieg das Volk der Zwerge seine unterirdischen Hallen zurückerobern würde? – 200 Jahre nach dem Sieg über den Dunklen Lord liegt erneut ein Schatten über dem Land Mithgar: Angeführt von König Durek begibt sich eine Armee von Zwergen auf den vergessenen Weg nach Kraggen-Cor, der legendären Stadt unter dem Berg, einst das Herz des Zwergenreichs und nun letzte Zuflucht des Bösen.

Dennis L. McKiernan wurde am 4. April 1932 in Missouri geboren. Im Alter von 18 Jahren trat er in die Air Force ein und kämpfte vier Jahre als Soldat im Korea-Krieg. Nach seiner Militärzeit studierte McKiernan Elektrotechnik. 31 Jahre lang arbeitete er als Ingenieur im Rüstungsbereich, bevor er sich entschloss, das Schreiben zum Beruf zu machen. Sein erstes Buch schrieb er 1977, während er sich von einem Autounfall erholte. Seitdem hat Dennis L. McKiernan über zwanzig Fantasy-Romane verfasst. Er lebt mit seiner Frau in Tuscon, Arizona und ist ein leidenschaftlicher Taucher und Motorradfahrer.

PROLOG Langsam holperte der Karren westwärts die Querlandstraße entlang. Seine drei Insassen konnten voraus eine dunkle, in den Himmel ragende Silhouette sehen, die sich viel weiter, als das Auge reichte, nach Norden und Süden erstreckte. Es handelte sich um Spindeldorn, ein Gestrüpp aus dicken, fünfzig Fuß und höher aufragenden Ranken mit nadelspitzen Dornen. Die einzelnen Ranken waren derart ineinander verwoben, dass sogar Vögel es schwierig fanden, in das Dickicht einzudringen. Die Straße führte durch diese gewaltige Barrikade. Über Kopfhöhe waren die Ranken auf beiden Seiten miteinander verbunden und bildeten einen schattigen Tunnel aus Dornen, der in das Flusstal führte. Der Karren rollte in den Tunnel, und das Licht fiel nur noch trüb auf den Weg. Lange fuhr das Trio durch die dornige Düsternis. Schließlich konnten die Reisenden voraus einen Lichtbogen erkennen und gelangten wieder ins Tageslicht, da der Weg über eine Brücke über den Fluss Spindel führte. Jenseits der Brücke dehnte sich die Barrikade weiter aus, und ein weiterer dunkler Tunnel führte hindurch. Zwei Meilen hatten die Reisenden innerhalb des dornigen Weges bis zur Brücke zurückgelegt, und drei weitere Meilen lagen noch vor ihnen, bis sie dem Dornwall entkommen sein würden. Sie rollten auf die Brücke, und die dicken Planken polterten unter den Rädern. Die drei Insassen des Karrens starrten voller Erstaunen auf das riesige Dornendickicht, das hoch aufragte und sich in den blauen Himmel über ihnen zu krallen schien. Diese natürliche Wehr wuchs in sämtlichen Flusstälern entlang der Grenze und erstreckte sich rings um das Land, in das die Reisenden unterwegs waren. Bald hatten sie die Brücke überquert und befanden sich wieder in der Dunkelheit des Tunnels.Insgesamt brauchte das Trio fast zwei Stunden, um die Spindeldornbarriere vollständig zu durchqueren, aber schließlich gelangten sie doch zum anderen Ende. Vor ihnen erstreckte sich hügeliges Ackerland, und die Straße führte nach Westen über die Kuppe der nächsten Erhebung, nur um auf der Erhebung dahinter wieder aufzutauchen.Sie folgten der Straße, die von einer angenehm warmen Sonne beschienen wurde. Nach etwa einer Meile sahen sie Arbeiter auf einem Feld in der Nähe, die Getreide ernteten. Der Fahrer hielt den Karren auf Höhe der nächsten Feldarbeiter an.»Heda!«, rief der Wagenlenker. »Könnt Ihr uns den Weg weisen?«Das Zischen der Sensen verstummte, als Leute sich dem Rufer zuwendeten. Doch als sie die Insassen des Karrens am Straßenrand erblickten, traten die Männer, die das Korn schnitten, nach vorn, während Frauen und Alte, die Garben aus dem geschnittenen Korn banden, sich weiter nach hinten zurückzogen. Die Kleinen, die Ähren nachlasen, lugten ängstlich hinter Röcken hervor, um die Fremden zu betrachten. Alle schwiegen.»Wir sind im Auftrag des Hochkönigs hier«, rief der Fahrer, »und wir suchen den Weg zu Tucks Bau.«»Im Auftrag des Königs, sagt Ihr?«, flötete ein Bokker in der vordersten Reihe, der staunend zu den Fremden hochschaute, die wiederum ihn verblüfft anstarrten. Die Wagenfahrer sahen jemanden aus dem Kleinen Volk vor sich, einen Wurrling, denn sie befanden sich im Land der Sieben Täler. Er war kaum dreieinhalb Fuß groß. Seine Haare waren schwarz und schulterlang. Wams und Kniehose hatten die Farbe vertrockneter Blätter, und an den Füßen trug er weiche Stiefel. Seine Ohren waren spitz wie die der Elfen und auch seine glänzenden, flinken Augen standen schräg wie bei den Elfen – Utruni-Augen, hätten manche gesagt, denn die Augen des Kleinen Volks ähneln denjenigen der Steinriesen. Doch anders als bei den Riesen sind die Augen der Wurrlinge keine richtigen Edelsteine, sondern haben erstaunlicherweise nur deren Farben: saphirblau, smaragdgrün oder golden wie Bernstein.»Tucks Bau ist in Waldsenken, das gut fünfzig Meilen weiter westlich liegt«, sagte der Wurrling, indem er auf die Querlandstraße zeigte. Dann richtete er den Blick wieder auf die Fremden. »Könntet Ihr einen Schluck Wasser an diesem warmen Tag vertragen oder etwas zu essen? Denn ich weiß, dass Reisende von der staubigen Straße ziemlichen Durst bekommen … und Hunger auch.«»Recht vielen Dank, aber nein, wir haben Essen und Trinken dabei, und unsere Mission ist dringend. Sonst würden wir gern verweilen«, antwortete der Fahrer.»Dann gehabt Euch wohl«, erwiderte der Bokker mit seiner wohlklingenden Stimme, indem er vom Straßenrand zurücktrat. Mit einem Schnalzen des Zügels trieb der Fahrer die Pferde an. Als sie langsam losrollten, winkte er den Kleinen Leuten auf dem Feld zu. Sie winkten zurück, während die winzigen Jungen unter perlendem Gelächter durch die Furchen rannten und einen Moment das Tempo des Karrens hielten, bis sie von den Älteren zurückgepfiffen wurden. »Hmph! Das sind also Waerans«, brummte einer der Passagiere, der nach hinten schaute. »Es fällt mir schwer, mir so kleine Leute als legendäre Helden vorzustellen.«»Und doch sind sie sehr mutig«, sagte der Fahrer, »und freundlich noch dazu. Ich hoffe nur, wir werden das Gesuchte in dem Tagebuch finden, das zu lesen wir so weit gereist sind.«»Aye, das Tagebuch von Tuck Sunderbank, Held des Königreichs «, grunzte der andere Passagier. »Meine Leute ehren sein Andenken wohl, obschon seine Taten über zwei Jahrhunderte zurückliegen. Aber was mein Bruder sagt, stimmt: Die Tapferkeit scheint sich dieses Volk auszusuchen. Obwohl auch ich sie für zu klein für so eine Veranlagung gehalten hätte.«Der Fahrer wandte sich an seinen Sitznachbarn. »Aber es heißt, dass diese Kleinen Leute – diese Waerlinga – mehr als eine Schlüsselrolle in der Geschichte Mithgars gespielt haben. Die Statur allein sagt noch nichts über die Größe des Herzens.«Stille kehrte bei den Reisenden ein, als ihnen uralte Legenden durch den Kopf gingen, während sie im Auftrag des Königs weiter westwärts fuhren.1Unerwartete Gäste »Heda, Herr Perry! Heda! Heda! Ihr bekommt Besuch! Aus dem Rathaus!«Peregrin saß in der Oktobersonne auf der Veranda seines Heims, der Wurzel von Waldsenken. Er schaute von dem silbernen Horn auf, dass er angelegentlich polierte. Was, in allen Sieben Tälern, soll der Krach?, fragte er sich. Was er sah, war ein Jungbokker – also ein männlicher Wurrling in der Blüte seiner Jahre zwischen zwanzig und dreißig –, der den gewundenen Weg zur Wurzel empor lief. Das Gesicht des rennenden Bokkers war vor Anstrengung rot angelaufen. Zwei Wurrlingsjunge tollten hinter ihm her.»Nur die Ruhe, Zwirn! Immer langsam, sonst platzt du noch«, rief Perry lachend. »Und ihr zwei Windräder hört auf, euch zu drehen.«Der Jungbokker blieb am Aufgang zur Veranda stehen, und die beiden Jungen in seinem Gefolge ließen sich erschöpft und keuchend ins Gras bei der Hecke fallen, voller gespannter Erwartung zu erfahren, warum Zwirn eigentlich so gerannt war. Nachdem er einen Augenblick gewartet hatte, um dem Jungbokker etwas Zeit zum Verschnaufen zu geben, fragte Perry schließlich: »Also schön, Zwirn, was soll die Eile? Wer will etwas von mir? Wer kommt aus dem Rathaus?«»Du meine Güte, Herr, sie wollen etwas von Euch«, begann Zwirn immer noch schnaufend. »Heda! Augenblick mal. Ihr zwei Junge« – er starrte die beiden kleinen Wurrlinge missbilligend an –, »das ist nicht für eure Ohren bestimmt. Schert euch weg, damit ich meinem Herrn sagen kann, was los ist. Macht schnell! Auf, auf!« Die beiden Jungen waren wohlerzogen und hatten Manieren nach Art der Sieben Täler, wie alle jungen Wurrlinge in Waldsenken. Überdies sahen sie ein, dass er nichts verraten würde, solange sie zugegen waren. Also rannten sie den von Steinen gesäumten Weg hinunter und verschwanden hinter der Hecke.Zufrieden begann Zwirn von neuem: »Herr Perry, ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas noch mal erlebe. Leute wie diese hat man seit Tucks Zeiten nicht mehr in den Tälern gesehen! Sie kamen einfach ins Rathaus marschiert. Ja, Herr Perry, und da war ich und habe den Boden gefegt, wie ich es jeden Mittmonat tue, und plötzlich waren sie da und haben mich – mich! – nach dem Vorsteher gefragt.Ich habe meinen Augen nicht getraut und muss ausgesehen haben wie ein schwachköpfiger Trottel, wie ich vor Erstaunen Maulaffen feil hielt. Ich nehme an, ich würde immer noch dastehen und gaffen, wenn Vorsteher Kleinriegel nicht ausgerechnet in diesem Augenblick aufgetaucht wäre.›Ach, Zwirn‹, hat er gesagt, ›wo ist denn der …‹ Dann hat er die Besucher auch gesehen und war ebenso vom Donner gerührt wie ich, aber nicht so lange. Über Kleinriegel mit seinen weitschweifigen Reden und seiner Vorliebe für Zeremonien, bei denen Bänder durchgeschnitten werden, kann man sagen, was man will, aber eins muss ich ihm lassen: Nach dem ersten Schock hat er sich schnell gefasst und sie gefragt, ob er etwas für sie tun könne.›Wir wollen mit dem Vorsteher sprechen‹, hat der Große gesagt. ›Ich bin der Vorsteher‹, sagte Kleinriegel. ›Vorsteher‹, meinte der Große, ›können wir uns irgendwo unterhalten?‹ ›Folgt mir‹, sagte der Vorsteher und dann sind sie alle in sein Büro getrabt.Je nun, ich war so neugierig wie eine junge Katze, also habe ich die ganze Zeit vor der Tür des Vorsteherbüros gefegt«, fuhr Zwirn fort. Sein Gesicht war vor Verlegenheit rot angelaufen, aber er hatte auch den Kiefer vorgereckt, als wolle er die ganze Welt herausfordern, ihn doch des Lauschens zu bezichtigen – wenngleich seine smaragdgrünen Augen dem Blick seines Herrn auswichen. »So dick, wie die Türen im Rathaus sind, habe ich aber nur Gemurmel gehört und konnte kein Wort von dem verstehen, was gesagt wurde. Sie haben sich ungefähr eine halbe Stunde leise unterhalten. Dann habe ich schließlich doch etwas mehr gehört als nur Gemurmel. Es war Kleinriegel. Er sagte: ›Du meine Güte, Ihr habt Recht! Peregrin Schönberg ist derjenige, den Ihr sprechen wollt.‹ Damit riss er die Tür auf und brüllte: ›Zwirn! Zwirn!‹ Dann hat er gesehen, dass ich schon da war. Also wurde er leiser und sagte eindringlich: ›Zwirn, lauf zur Wurzel und sag Herrn Perry, dass wir Gäste haben. Sie wollen mit ihm reden und Tucks Tagebuch sehen. Sie brauchen ihn und das Buch. Jetzt lauf und beeil dich.‹Also habe ich meinen Besen fallen lassen und bin so schnell hierher gelaufen, wie ich konnte, um Euch die Nachricht zu überbringen, Herr Perry! Sie kommen hierher zur Wurzel, um Euch und Euer Buch des Raben zu sehen – obwohl ich mir beim besten Willen nicht denken kann, warum.«Perry stand auf, wickelte das kleine silberne Horn in das Poliertuch ein und ging zur Eingangstür. Plötzlich drehte er sich noch einmal um. »Aber, Zwirn«, sagte er perplex, »das Wichtigste hast du mir noch gar nicht erzählt. Wer will mich denn nun sprechen? Wer oder was braucht mich? Wer kommt, um sich den Bericht anzusehen?«»Dussel, der ich bin!« Zwirn schlug sich mit der Linken vor die Stirn. »Du meine Güte, Ihr habt völlig Recht, Herr. Ich habe wirklich das Wichtigste ausgelassen.«Er schaute hinter sich, um sich zu vergewissern, dass niemand hören konnte, was er sagen würde. Dabei übersah Zwirn völlig die tanzenden, funkelnden Augen der beiden kleinen Wurrlinge, die auf der anderen Seite der Hecke auf dem Bauch lagen, wohin sie gelaufen waren, als man ihnen befohlen hatte zu verschwinden. Den Rest ihres Lebens sollten diese beiden noch oft Zwirns nächste Worte wiederholen. Denn soweit es die Wurrlinge der Sieben Täler in späteren Zeiten betraf, war dies der Augenblick, als das richtige Abenteuer begann. Zwirn sagte nämlich: »Herr, die das Buch des Raben sehen wollen? Herr, nun ja …« Wieder sah er sich um.»Heraus damit, Zwirn. Wer sind sie?«»Du meine Güte, Herr.« Er holte tief Luft und dann platzte es förmlich aus ihm heraus: »Sie sind Zwerge, Herr! Das sind sie: Zwerge!«2Willkommen in der Wurzel»Zwerge, Zwirn? Hier in den Sieben Tälern? Zwerge, die mich sprechen wollen?«»Und ein Mensch, Herr Perry, zwei Zwerge und ein Mensch.«Du meine Güte!, dachte Perry benommen. Welch eine Nachricht! Ein Mensch und zwei Zwerge. Und sie sind wegen mir gekommen! Er machte auf dem Absatz kehrt und lief in seinen Bau, dicht gefolgt von Zwirn.Das war tatsächlich eine Neuigkeit, denn Menschen und Zwerge besuchen die Sieben Täler nur selten. Nur ein einziges Mal waren viele Menschen diesseits des Spindeldorns gewesen, und zwar vor langer Zeit während des Winterkrieges – nachdem der schändliche Modru einen großen Trupp Ghule geschickt hatte, um die Täler zu überrennen. Diese bösartigen Kreaturen hatten sogar beinah Erfolg gehabt. Sie waren sengend, plündernd und mordend durch das Land gezogen und hatten die Sieben Täler dabei fast vollständig zerstört.Aber dann waren Patrel Binsenhaar und Danner Brombeerdorn gekommen, zwei der größten Helden des Wurrlingvolks – noch größer als Arbagon »Rukhtöter« aus dem Weitimholz. Die Hauptleute Patrel und Danner waren während des Großen Rückzugs in die Sieben Täler zurückgekehrt. Und dann fingen sie an, die Wurrlinge zu organisieren, Modrus Soldaten aus dem Land zu jagen und die Sieben Täler von den Eindringlingen zu befreien.Die Schlachten waren gewaltig gewesen, und ihr Ausgang hatte auf Messers Schneide gestanden, bis schließlich die Menschen gekommen waren – Vidrons Legion – und dann waren die Ghule versprengt worden … nur um durch eine von Modrus Horden ersetzt zu werden. Doch die Menschen hatten bis zum Ende des Winterkriegs mit ihren Verbündeten gekämpft.Nach dem Krieg waren wieder andere Menschen gekommen, um beim Wiederaufbau der Sieben Täler zu helfen. Aber danach hatte man nur noch selten große Leute innerhalb des Dornenrings gesehen, denn König Galen in Pellar hatte die Sieben Täler zu einem freien Reich unter dem Schutz seines Zepters erklärt. Sein Edikt lautete, dass kein Mensch im Land des Kleinen Volks wohnen solle. Daher sah man seit dem Winterkrieg innerhalb der Barriere gewöhnlich nur Menschen, die auf der Durchreise waren. Ganz selten kamen Boten in die Täler und brachten Nachricht vom Wirken des Königs. Hin und wieder kamen Kaufleute, um Tabakblätter aus Untertal, Melonen und Flechtwerk aus Großmarschen und auch andere Handelswaren des Kleinen Volks zu erwerben. Aber infolge von Galens Edikt blieb kein Mensch länger bei den Wurrlingen. Auch als König Galens Sohn Gareth Monarch wurde, bestätigte er das Edikt. So kam es, und so ist es bis auf den heutigen Tag geblieben, dass die Sieben Täler ein freies Land sind, in dem keine Menschen wohnen, ein Reich unter dem Schutz des Königs im weit entfernten Pellar.Doch so selten Menschen in die Täler kamen, Zwerge waren noch seltener. Obschon ihnen das Betreten der Sieben Täler nicht verboten war, hatte zu Lebzeiten Perrys noch kein Wurrling einen Zwerg gesehen. Tatsächlich war schon so lange keiner mehr gesichtet worden, dass Zwerge zur Legende geworden waren. Gewiss, wenn ein Wurrling einmal den Dornenring verließ und nach Steinhöhen reiste, kam es vor, dass er manchmal glaubte, einen Zwerg erspäht zu haben, aber immer aus so großer Entfernung, dass der Wurrling hinterher nie mit absoluter Sicherheit behaupten konnte, tatsächlich einen gesehen zu haben. Historisch gesprochen, waren zuletzt unzweifelhaft Zwerge in den sieben Tälern gewesen, als mehrere von ihnen mit einem Karren voller Waffen und Rüstungen durch das Land gezogen waren, die bei ihren bitteren Zusammenstößen mit den Rukhs Verwendung gefunden hatten. Das hatte sich vor langer Zeit ereignet, fast zweihundertzwanzig Jahre vor dem Winterkrieg und vor dem Drachenstern – was bedeutete, dass seit fast 450 Jahren keine Zwerge mehr in den Sieben Tälern gesichtet worden waren. Doch wenn Zwirn Recht hatte, waren nun sowohl Menschen als auch Zwerge zurückgekehrt.Perry lief durch den Flur und ins Arbeitszimmer. Ins Arbeitszimmer! Denn in dieser Beziehung war die Wurzel eigentümlich, weil sie eine der ganz wenigen Wurrlingsbehausungen war, in der es so einen Raum gab.Anstelle von Büchern ziehen Wurrlinge im Allgemeinen ihre Gärten und Felder, ihr Marschland und ihre Wälder vor. Was nicht heißen soll, die meisten Wurrlinge könnten weder lesen noch schreiben oder rechnen – o nein, weit gefehlt. Viele aus dem Kleinen Volk lernen diese Dinge noch vor dem zweiten Altersnamenswechsel – und sie sind ebenso stolz über einen Sieg in einem Buchstabierwettbewerb wie darauf, dass sie die Namen aller ortsansässigen Helden aufsagen können. Doch wenngleich viele Wurrlinge gebildet sind, sitzen die meisten doch lieber in ihrem Gemüsegarten oder mit einer Pfeife und einem Krug Dunkelbier in der Einäugigen Krähe oder dem Blauen Ochsen oder sonst einer Taverne in den Sieben Tälern statt in irgendeinem Zimmer mit staubigen Wälzern. Jedenfalls fand man Bücher hauptsächlich an den richtigen Stellen – wie zum Beispiel in den Bibliotheken in den Klippen oder im Großen Baumhaus oder im Festsaal von Ostend – und nicht in einer privaten Behausung.Daher war das Arbeitszimmer in der Wurzel eine Kuriosität in den Tälern.Es war ein großes geräumiges Zimmer mit runden Fenstern nach Westen. Der Boden war aus Eichenholz, aber Wände und Decke waren mit Walnussholz vertäfelt. Es gab viele bequeme Sitzgelegenheiten, und an drei Wänden standen ein Schreibtisch und zwei Pulte. In der Mitte des Zimmers stand außerdem ein niedriger Tisch mit einem Sofa und großen Sesseln. Es gab mehrere vom Boden bis zur Decke reichende Bücherregale, in denen Manuskripte, Folianten, Bücher und Schriftrollen zuhauf gestapelt waren. Doch am auffälligsten waren mehrere große und kleine Glasvitrinen, in denen Waffen und Rüstungen, Flaggen und Banner sowie andere Gegenstände ähnlicher Natur ausgestellt waren – alle in einer für Wurrlinge geeigneten Größe.In diesem Arbeitszimmer hatten Tucks Schreiber den größten Teil des Buchs des Raben aufgezeichnet. Dieses Buch war das von Tuck Sunderbank im ersten Jahr des Winterkriegs begonnene Tagebuch. Tuck war einer der berühmtesten Wurrlinge in der Geschichte – sogar noch berühmter als Danner und Patrel – und tatsächlich Gegenstand elfischer Lieder.

Reihe/Serie Die Zwergen-Saga ; 1
Illustrationen Arndt Drechsler
Übersetzer Christian Jentzsch
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Silver Call Bd. 1: Trek to Kraggen-Cor
Maße 118 x 187 mm
Gewicht 275 g
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte dasBöse • Epos • Fantasy • Highfantasy • Kampf • Mithgar • Reihe • Roman • Volk der Zwerge • Zwerge
ISBN-10 3-453-53007-1 / 3453530071
ISBN-13 978-3-453-53007-2 / 9783453530072
Zustand Neuware
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