Kinderklinik Weißensee - Geteilte Träume (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman | Die Kinderklinik-Saga geht weiter

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
512 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2874-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kinderklinik Weißensee - Geteilte Träume -  Antonia Blum
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Der langersehnte vierte Band der Kinderklinik Weißensee Berlin-Weißensee, 1948: Elisabeth 'Lissi' Vogel kann es kaum erwarten, als Assistenzärztin an der Kinderklinik Weißensee endlich in die Fußstapfen ihrer Tante Marlene zu treten. Doch der Klinikdirektor schätzt die begabte, junge Frau wegen ihres verformten Beines, das von einer überstandenen Kinderlähmung herrührt, gering. Außerdem legt er ihr immer neue Steine in den Weg. Aber Lissi lässt sich so schnell nicht einschüchtern, genauso wie ihre Tante Marlene. Die musste in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Westberlin fliehen und dort bei null anfangen. Als sich in Berlin Fälle von Kinderlähmung häufen, wird die frisch verliebte Lissi plötzlich mit ihrer größten Angst konfrontiert und verliert den Mut, für ihre kleinen Patienten und für den Mann ihres Herzens zu kämpfen.

Antonia Blum lebte längere Zeit in Berlin, ohne den Weißen See dort je gesehen zu haben. Erst Jahre später, nachdem sie die Hauptstadt längst verlassen hatte, entdeckte sie durch einen Zufall die Ruine der einstigen Kinderklinik in Weißensee und kommt seitdem von dem Ort und seiner bewegten Geschichte nicht mehr los. Heute fährt Antonia nicht nur zum Spazierengehen immer wieder an den Weißen See, der dem Berliner Stadtteil seinen Namen gab. Sie ist überzeugt, dass dort ein Tor in die Vergangenheit existiert.

Antonia Blum lebte längere Zeit in Berlin, ohne den Weißen See dort je gesehen zu haben. Erst Jahre später, nachdem sie die Hauptstadt längst verlassen hatte, entdeckte sie durch einen Zufall die Ruine der einstigen Kinderklinik in Weißensee und kommt seitdem von dem Ort und seiner bewegten Geschichte nicht mehr los. Heute fährt Antonia nicht nur zum Spazierengehen immer wieder an den Weißen See, der dem Berliner Stadtteil seinen Namen gab. Sie ist überzeugt, dass dort ein Tor in die Vergangenheit existiert.

1


1. Mai 1948

Die Kronen der Mandelbäume beschatteten die Tafel, die Marlene von Weilert im Garten der Villa aufgebaut hatte. Eine Girlande aus geflochtenen Gänseblümchen, die ersten dieses Frühlings, wand sich um die Kuchenplatten und silbernen Kerzenständer.

Marlene hob ihr Kelchglas und prostete den Geburtstagsgästen zu. »Auf unseren Maximilian und darauf, dass er uns noch viele Jahre erhalten bleibt.« Sie trat vor ihren Ehemann, lächelte ihn liebevoll an und stieß ihr Glas vorsichtig gegen seines.

Er trug Anzug und Fliege, wie eh und je. Seit fast dreißig Jahren waren sie verheiratet, und sie freute sich auf jeden weiteren Tag mit ihm. Sie nahm einen Schluck vom Sekt, der hervorragend schmeckte. Es war Jahre her, dass sie so fürstlich getrunken hatten. Die Freifrau von Porz aus der Nachbarsvilla hatte am Vormittag mit herzlichen Glückwünschen zwei Flaschen herübergebracht. Die alte Dame zählte wie die von Weilerts zu den wenigen Adligen, die nach der Machtübernahme der Kommunisten nicht in den Westen geflohen waren.

»Ich wünsche mir heute keine Geschenke, sondern eine friedliche Zukunft mit dir«, antwortete Maximilian in zärtlichem Ton und streichelte Marlene die Wange.

Aus dem stürmischen Paar, das sie einst gewesen waren – romantisch, spontan und leidenschaftlich –, war eine besonnene Familie geworden, die Liebe, Verlust und Aufopferung nur noch enger zusammengeschweißt hatte.

Sie küsste seine Daumenkuppe, dann sagte sie: »Frieden, den wünschen wir uns alle«, und wandte sich den anderen Familienmitgliedern zu, die daraufhin nickten.

Das Ende des Krieges lag bereits drei Jahre zurück, aber die politische Situation hatte sich noch immer nicht beruhigt. Deutschland war von den Siegermächten in vier Besatzungszonen und Berlin in vier Sektoren eingeteilt worden. Weißensee lag im sowjetischen Sektor. Auch wenn die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, England und die Sowjetunion die oberste Regierungsgewalt gemeinsam ausübten, waren Diskussionen über die Zukunft des Landes an der Tagesordnung. Die Versorgungslage war prekär. Vor allem fehlte es an Lebensmitteln, Medizinprodukten, Drogeriewaren und Kraftstoff. Trotz allem war Marlene voll Hoffnung, dass es endlich bergauf gehen würde, wenn die Trümmer beseitigt waren. Sie alle mussten nach vorne schauen.

»Vielen Dank, dass ihr gekommen seid«, ergriff Maximilian das Wort. Ein leichter Frühlingswind wehte durch sein graues Haar und ließ es an der Stirn auffliegen. Das Grau stand ihm ausgezeichnet, fand Marlene.

»Es ist mir immer wieder eine Freude, euch hier willkommen zu heißen.« Maximilian wies zur Villa hinter sich, die trutzig wie eine Burg dastand. Der Krieg hatte ihr nichts anhaben können. »Vierundsechzig ist noch kein biblisches Alter, weswegen ich wenigstens auf meinen Achtzigsten hoffe«, fuhr er fort. »Ein paar Geburtstage müsst ihr also noch mit mir feiern.« Schmunzelnd machte er mit Marlene an seiner Seite die Runde um die Tafel. Seine Gelenke waren schon etwas steif, aber das ließ er sich heute noch weniger als sonst anmerken. Erst prostete er seiner Schwägerin Emma zu, die sich – um die Herrschaft der Nationalsozialisten zu überleben – von ihrem Mann Kurt hatte trennen müssen. Dann hob er sein Glas in Richtung seines Neffen Theodor, der extra aus London angereist war, und stieß kurz darauf mit seinem jüngsten Sohn Franz an.

Marlene zwang sich, in diesem Moment nicht an Franz’ älteren Bruder zu denken. Albert wäre jetzt neunundzwanzig gewesen. Sie schob sich ihre Brille die Nase hinauf. Ihr neues Gestell war am Rand dicker, an den Außenseiten nach oben geschwungen und so grün wie die feuchten Wiesen bei Lübars. Es erinnerte an die Form von Katzenaugen und verlieh ihr einen frischen und modernen Ausdruck. Genau das Richtige für den Beginn einer neuen Zeit.

Als Maximilian vor Lissi, seine Nichte, trat, fiel die ihm um den Hals. Marlene verstand, was er ihr zuflüsterte: »Du wirst das morgen großartig machen!«

Lissi nahm ihren Onkel noch fester in die Arme und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. Dann überreichte sie ihm ein Geschenk: ein Schild aus Emaille. Es war für seine Arztpraxis im Erdgeschoss der Villa und zeigte veränderte Öffnungszeiten, weil Maximilian schon länger kürzertreten wollte.

Marlene lächelte über diesen Wink mit dem Zaunpfahl, den guten Vorsatz endlich in die Tat umzusetzen. Sie selbst war noch nicht bereit, beruflich kürzerzutreten. Zu sehr hing sie an der Arbeit mit den kleinen Patienten in der Kinderklinik. Außerdem fühlte sie sich mit ihren fast sechsundfünfzig Jahren noch außerordentlich fit und der oft hektischen und verantwortungsvollen Arbeit als Oberärztin gewachsen.

Maximilian umarmte seine einzige Tochter Katharina nun ebenso fest wie eben noch Lissi. Die knapp Sechzehnjährige machte sich nicht so schnell frei wie aus den Umarmungen ihrer Mutter. Das übersah Marlene nicht. Außer ihrer Ähnlichkeit – die wilden Locken, die unauffälligen Gesichtszüge und der schmale, hochgewachsene Körper mit den zu langen Beinen – hatten sie nicht viel gemein, was sie sehr bedauerte. Katharina war oft lustlos und wenig interessiert, nicht mal an der Schule. Es lag wohl an diesem besonderen Alter, in dem Mädchen zu Frauen wurden.

Zurück am Kopfende der Tafel, forderte Maximilian die Gäste auf zuzugreifen. Zwei Kuchen hatte Marlene von den Zutaten backen können, die ihre Lebensmittelkarten für diesen Monat hergaben. Ein Rationierungssystem aus fünf verschiedenen Karten sollte den Bedarf der Bevölkerung irgendwie decken. Dass die Karten der Kategorie »fünf«, die für Kinder bestimmt waren, auch »Friedhofskarten« genannt wurden, sprach Bände.

»Mmmmh, ist der Apfelkuchen gut«, schwärmte Emma mit halb vollem Mund.

Marlene lächelte ihre Schwester an. Sie war so froh, dass Emma noch lebte und endlich zurück in Weißensee war.

»Der Pflaumenkuchen ist auch echt dufte!«, pflichtete Lissi zwischen zwei Schlucken aus der Kaffeetasse bei. Katharina verdrehte daraufhin die Augen und schob sich missmutig einen Bissen in den Mund.

Marlenes Blick glitt von ihrer Tochter weg und in die Kronen der Mandelbäume über ihnen. Sie zeichneten sich scharf vor dem blauen Himmel mit den Federwölkchen ab und bogen sich unter der Last Hunderter rosa Blüten. Jeder Baum stand für die Ankunft eines Kindes in ihrem Leben: erst Albert und Franz – die Jungen hatten sie adoptiert –, dann Katharina.

Genießerisch sog sie den Duft der wohlriechenden Blüten ein. Zu oft hatte während des Krieges der Gestank von rauchendem Feuer, verbranntem Fleisch und Fäulnis über Berlin gelegen. Nach vorne schauen!, erinnerte sie sich in Gedanken.

Nachdem der Kuchen aufgegessen war, spielte Marlene mit Lissi Federball, und Theodor tanzte mit Emma. Im weiteren Verlauf des Nachmittags entspann sich ein Federballturnier. Zur Überraschung aller gewann Theodor mit einigem Abstand, sogar zu Marlene. Er sprach längst fließend Englisch und trug Tweedsakkos. Franz hatte trotz mehrfacher Aufforderung nicht mitmachen wollen und saß eher teilnahmslos am Rand des ausgelassenen Geschehens. Auch als die Dämmerung einsetzte und die Feiernden erschöpft auf den Rasen sanken, weigerte Franz sich, auf seiner alten Gitarre ein paar Lieder zum Besten zu geben. Maximilian spendierte Pfefferminzlikör, den es nur an Feiertagen gab und dann tröpfchenweise. Bei dem Gedanken, dass sich die Dinge in ihrem Leben zum Guten entwickelt hatten, flutete eine warme Welle Marlenes Körper. Sie saßen beisammen und genossen die abendliche Ruhe in Weißensee.

Als es gegen einundzwanzig Uhr richtig kalt wurde, verabschiedeten sich die Gäste. Nur Lissi blieb noch, um Marlene vom Befinden der Tiere auf dem Hof Sonnenschein zu berichten. Der Hof lag am Rand von Weißensee und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, alten, kranken und misshandelten Tieren ein Zuhause zu geben. Lissi half dort mit und wollte heute Abend noch einmal vorbeischauen.

Nachdem sie kurz berichtet hatte, dass Esel Beppo gerade nicht fressen wollte, hakte sie sich bei Marlene ein und schmiegte sich an sie. »Ich freue mich, dass wir uns ab morgen täglich sehen.«

Marlene küsste ihre Nichte auf die Stirn. »Ich bin sehr stolz auf dich, die Jahrgangsbeste der Universität in Bern.« Ihr Blick sprang hoch zum Fenster von Katharinas Zimmer, wo Licht brannte. Die Erziehung von Franz und Albert war einfacher gewesen als die ihrer Tochter.

Lissi strahlte übers ganze Gesicht. »Morgen ist der wichtigste Tag in meinem Leben!«

»Dein erster Tag als Assistenzärztin an der Kinderklinik.« Marlene lächelte. »Falls du Hilfe brauchst, ich bin immer für dich da.«

»Danke, Tante Lene. Du bist die Beste.« Lissi nickte. »Jetzt muss ich aber los.«

Marlene brachte ihre Nichte zum Tor des Anwesens. Nach einer innigen Umarmung radelte Lissi los.

Das Quietschen der Fahrradkette war längst verklungen, als Marlene immer noch da stand. Sie schaute in Richtung Kinderklinik, die in etwa einem Kilometer Entfernung lag. Dort hatte ihr Leben nach...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2024
Reihe/Serie Die Kinderärztin
Die Kinderärztin
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 50er Jahre • Arzt • Ärztin • Baby • Berlin • DDR • Familiensaga • Fünfziger Jahre • Heilkunde • historisch • Kind • Kinder • Krankenhaus • Krankenschwester • Krankheit • Neonatologie • Pädiatrie • Roman • Saga • Säugling • Schwester • Tiere • Tiertherapie • Weißensee
ISBN-10 3-8437-2874-7 / 3843728747
ISBN-13 978-3-8437-2874-4 / 9783843728744
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