Weil Liebe unbezahlbar ist (eBook)
224 Seiten
Gerth Medien (Verlag)
978-3-96122-565-1 (ISBN)
Priska Lachmann lebt mit ihrer Familie in Leipzig. Seit ihrem Theologiestudium an der LEE University im US-Bundesstaat Tennessee und an der Universität Leipzig arbeitet sie als Autorin, Bloggerin und freie Redakteurin.
Priska Lachmann lebt mit ihrer Familie in Leipzig. Seit ihrem Theologiestudium an der LEE University im US-Bundesstaat Tennessee und an der Universität Leipzig arbeitet sie als Autorin, Bloggerin und freie Redakteurin.
Kapitel 1
Es ist dunkel in dem großen Saal. Nur ein Scheinwerfer ist direkt auf einen großen, schwarzen Tisch in der Mitte der Bühne gerichtet. Ich bin die letzte Künstlerin, die an diesem Abend die Bühne betreten wird. Ich bin das Highlight der Show. Schnell wische ich mir noch einmal über die Nase, damit man keine verräterischen weißen Spuren sehen kann, die eventuell noch von der Koks-Line vorhin hängen geblieben sein könnten. Ohne Drogen würde ich das, was mich nun erwartet, nicht ertragen.
Ich betrete die Bühne. Ein aufgeregtes Johlen, Pfeifen und Klatschen empfängt mich. In der Luft hängt der Geruch von Alkohol und Rauch. Die Stimmung ist aufgeheizt und wartet darauf, sich zu entladen. Ich setze mich lasziv auf den Tisch. In meinen Händen halte ich einen riesengroßen, braunen Teddybären. Dieser Bär wird heute, wie sonst auch, meinen Freund spielen. Er ist mein „Showgefährte“ und dient dazu, den Männern zu zeigen, was sie mit mir machen dürfen, wenn sie nur gut genug bezahlen.
Innerlich bin ich tot, ich schalte meine Gefühle ab in dem Moment, als ich mich auf den Tisch lege, die Musik beginnt und ich mit meiner Show anfange. Ich weiß, wie lasziv ich mich bewegen und wie ich stöhnen muss, damit die Männer im Publikum begeistert sind und nachher Geld bezahlen, um mich im echten Leben zu bekommen und auf solch eine intime Weise berühren zu können. Und das mache ich nur, damit mein Zuhälter, der eigentlich mein Ehemann ist, zufrieden mit mir und meinem Verdienst ist und mich später nicht bestraft. Denn wenn er schlechte Laune hat, dann ist es so schlimm, dass ich sofort sterben möchte. Glücklicherweise bin ich sehr gut in diesem entwürdigenden Geschäft und er verdient so viel mit mir, dass er oft zufrieden ist und mich nicht ständig grausam schlägt und misshandelt.
Ja, das war mein Leben. Schockiert dich das? Ich war auch schockiert, dass ich so ein Leben führen musste. Dabei wollte ich doch Krankenschwester werden. Oder ein Restaurant führen. Ich träumte von der großen Liebe. Ich wollte die große Freiheit erleben. Aber das hier? Das war alles andere als frei sein. Ich war gefangen. Bei meinem Ehemann. In Drogen. In einem Leben, das ich mir nicht mal in meinen Albträumen so hätte vorstellen können. Wie ich dorthin kam? Und wie wieder raus? Das erzähle ich dir.
***
Mein Leben begann beschaulich Anfang der 50er-Jahre in einem hübschen, großen Forsthaus in der Wintererstraße in Freiburg. Wunderschön, mitten im Schwarzwald. Mit Balkonkästen voller roter Pelargonien, gut duftendem, selbst gekochtem Essen wie zum Beispiel Spätzle, Dampfnudeln oder Linsen. Besonders mochte ich, wenn es „Himmel und Erde“ gab. Das ist Kartoffelbrei mit Apfelmus. Dazu gab es oft Blutwurst. Aber auch Leber mit angebratenen Zwiebeln aß ich sehr gerne.
Unser Haus stand direkt am Waldrand auf einem Hang. Wenn meine drei Brüder und ich zur Schule gingen, mussten wir immer den Hang hinunterlaufen. Ich war das Nesthäkchen und die Prinzessin meines Papas. Er konnte mir keinen Wunsch ausschlagen. Das genoss ich sehr. Hinter unserem Haus hatte meine Mama Gemüsebeete angelegt und erntete dort Kartoffeln, Möhren, Kohl, Zwiebeln und alle möglichen anderen Sorten Gemüse. Die Äpfel pflückten wir von unseren Bäumen. Es waren grüne Äpfel, die noch leicht säuerlich schmeckten. Morgens begrüßten mich unsere Hühner, wenn ich wieder mal nachschauen musste, wo sie ihre frisch gelegten Eier versteckt hatten. Mama füllte regelmäßig Milch in Gläser und stellte diese dann auf die Fensterbank, damit die Sonne darauf schien. Später rührte sie Zucker dazu, und so entstand unser Joghurt.
Mein Papa ging manchmal auf die Jagd und brachte Wild mit, was meine Mama dann später in der Küche verarbeitete. Das Einzige, was sie im Supermarkt kaufte, war Diät-Früchtejoghurt für sie selbst und manchmal Reis für uns alle. Materiell fehlte es uns an gar nichts. Auch musste meine Mama die ganze Hausarbeit nicht allein schaffen, denn wir Kinder halfen, wo wir konnten – oder manchmal auch mussten.
Ein Bekannter meines Papas aus Afrika hatte unserer Familie eine kleine Gazelle geschenkt. Ich zog sie mit der Flasche auf, und mein Papa baute ein Gehege mit einem zwei Meter hohen Zaun, damit sie nicht einfach davonspringen konnte. Er tat alles für mich. Und mein Leben war voller kleiner und großer Abenteuer.
Manchmal schaffte ich es morgens, wenn ich früher wach war als meine Mama, meinen Lieblingsrock und meinen Lieblingspullover anzuziehen. Das musste ich heimlich machen, weil meine Mama meine auserkorene Farbkombination aus Rot und Grün nicht leiden konnte. „Das sticht sich, die Farben passen nicht zusammen“, sagte sie jedes Mal und ich musste mich wieder umziehen. Aber der rote Rock mit den Plisseefalten war so schick!
Leider musste ich dann ohne Frühstück aus dem Haus flitzen, damit sie mich nicht doch noch sah und zum Umziehen zwingen konnte. Aber das war es mir wert. Wenn ich von der Schule heimkam und meine Mama mich sah, bekam ich jedes Mal Ärger für meine farbenfrohe Kombination. Aber das war mir egal. Immerhin hatte ich sie angehabt!
Ich hatte kein enges Verhältnis zu meiner Mama. Aus keinem mir bekannten Grund hatten wir nie einen wirklich guten Draht zueinander gefunden. Sie zeigte mir, wie man Strohsterne bastelt und wie man mit der Strickmaschine umgeht, aber sie war streng mit mir und versuchte, mich gut zu erziehen. Mein Papa machte diesen Mangel wett, indem er mich mit Liebe überschüttete und verwöhnte. Er war sensibel und ich liebte ihn über alles. Es ging mir so gut mit ihm und ich wusste, dass ich später mal einen Mann wie ihn heiraten wollen würde.
Da wir, um zur Schule zu kommen, eine Stunde laufen mussten, schnitzte mir mein Papa im Winter aus Brettern Skier, damit ich nicht noch länger brauchte. Es bedeutete mir viel, dass er sich so viel Zeit für mich nahm, denn er war sehr bekannt und beliebt in Freiburg. Er war beruflich Forstamtmann vom Schwarzwald und zu allen immer freundlich und sozial. Ihm zu Ehren baute sein Bruder, der Bildhauer Alfons Fischer, später einen Brunnen an die Stelle der Toreinfahrt, an der früher unser Elternhaus gestanden hatte. Bis heute kann man ihn besichtigen.
Mein Papa nahm mich aufgrund seines Berufes oft mit auf die Jagd. Ich saß mit ihm auf Hochsitzen, lernte Baumnamen und die Wirkung von Heilkräutern kennen. Sonntags waren wir immer in einer katholischen Kirche in Herdern. Dort waren wir alle getauft worden und hatten auch die Erstkommunion und Firmung mitgemacht.
Meine drei älteren Brüder Michael, Martin und Hubert spielten oft mit mir im Wald, obwohl ich fünf Jahre jünger war als sie. Vielleicht lag es daran, dass ich risikofreudig war und jeden Streich, jeden Wettkampf mitmachte – und sie im Frechsein oft noch übertraf. Außerdem war ich hart im Nehmen, wie man umgangssprachlich sagt. Einmal, ich war damals ungefähr sechs Jahre alt, sind meine Brüder und ich Schlitten gefahren. Es war das erste Mal, dass ich allein auf einem Schlitten saß, und ich traute mich direkt, den steilen Hang vor unserem Haus hinunterzufahren. Doch nach einigen Metern bergab fiel mir auf, dass ich gar nicht wusste, wie man bremst. Ich begann zu schreien. Meine Brüder dachten wohl, es sei vor Freude. Ich fuhr mit hohem Tempo den ganzen Berg hinunter, über die Straße und direkt in einen Steinpfosten hinein. Mein Kopf flog gegen den Pfosten und so kam ich schließlich zum Stehen. Ich lag da, mein Kopf dröhnte und blutete, und ich erspürte vorsichtig mit meiner Zunge, ob ich noch alle Zähne im Mund hatte. Ich wusste nicht, was los war, und obwohl ich tapfer sein wollte, schossen mir die Tränen aus den Augen. Mein Kopf! Alles tat weh. „Maria, Maria, alles okay?“ Huberts Gesicht erschien über mir. Er packte mich und hob mich hoch. Dann trug er mich nach Hause.
Mama schimpfte, aber sie versorgte mich, verband meine Wunden und kümmerte sich um mich. Aber solche Unfälle waren keine Seltenheit, sondern passierten mir immer mal wieder. Nicht viel später, an einem Sonntagmittag, hatten meine Brüder und ich Spüldienst, während unsere Eltern Mittagsschlaf machten. Wir wechselten uns als Geschwister regelmäßig ab mit dem Spülen, Abtrocknen und Geschirreinräumen. Normalerweise verlief das immer friedlich. Doch an diesem einen Sonntag wollten wir alle abwaschen. Wir begannen zu streiten, und ich spürte, dass ich keine Chance gegen meine älteren Brüder hatte. Sie waren mir körperlich und auch in ihren Argumentationen überlegen. Die Wut und Verzweiflung krochen in mir hoch und ließen mich explodieren. In einer Kurzschlussreaktion schlug ich voller Wucht mit meiner Faust gegen die Fensterscheibe. Diese zerbrach darauf in tausend Einzelteile.
Totenstille folgte auf das Geräusch von splitterndem Glas. Wir wagten es nicht, uns zu rühren. Unsere Eltern mussten doch wach geworden sein? Es war so laut gewesen! Wir warteten auf das Donnerwetter, das uns erwarten würde. Doch es blieb still. Unsere Eltern schliefen immer noch. „Okay, wir beseitigen jetzt das Chaos“, flüsterte Hubert bestimmt. „Ich baue den Holzrahmen aus.“ Lösungsorientiert und zielstrebig, wie er war, machte er sich direkt ans Werk und stellte den ausgebauten Rahmen mit den restlichen Glassplittern vorsichtig in unseren Hof. Er beauftragte mich, das verbliebene Glas vom Rahmen zu lösen. Also hockte ich mich hin und begann vorsichtig mit der mir aufgetragenen Arbeit. Immer darauf bedacht, mich nicht zu schneiden.
Was ich jedoch nicht bedacht hatte, war,...
Erscheint lt. Verlag | 16.9.2022 |
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Verlagsort | Asslar |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Gewalt • Körper verkaufen • Lebensgeschichte • Liebe Gottes • Nagelstudio • Prostitution • Rotlichtmilieu • unbezahlbar • Vergebung • Wahre GEschichte • Zuhälter |
ISBN-10 | 3-96122-565-6 / 3961225656 |
ISBN-13 | 978-3-96122-565-1 / 9783961225651 |
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