Gespenster-Krimi 96 (eBook)

Das Dorf der Gnome

(Autor)

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2022 | 1. Aufl. 2022
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-3242-0 (ISBN)

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Gespenster-Krimi 96 - Philippe Pascal
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Die Lichtkegel der Scheinwerfer glitten wie tastende Geisterfinger über die kurvenreiche Höhenstraße. Gerard Dupin steuerte den weißen Renault mit sicherer Hand durch die zerklüftete Gebirgslandschaft, aber seine Ruhe übertrug sich nicht auf seine Beifahrerin.
Yvonne Laurent saß stocksteif auf ihrem Polstersitz, die Rechte um den Haltegriff geklammert, und starrte mit verzagten Gesichtszügen durch die Windschutzscheibe ins Freie. Tagsüber hatte sie die Wildnis der französischen Pyrenäen als faszinierend empfunden, aber im Dunkel der Nacht verursachte sie ihr Unbehagen. In der Fantasie der jungen Frau gebar die nächtliche Natur unzählige Schreckgespenster und gaukelte ihrem Gehirn bedrohliche Trugbilder vor ...


Das Dorf
der Gnome

von Philippe Pascal

Die Lichtkegel der Scheinwerfer glitten wie tastende Geisterfinger über die kurvenreiche Höhenstraße. Gerard Dupin steuerte den weißen Renault mit sicherer Hand durch die zerklüftete Gebirgslandschaft, aber seine Ruhe übertrug sich nicht auf seine Beifahrerin.

Yvonne Laurent saß stocksteif auf ihrem Polstersitz, die Rechte um den Haltegriff geklammert, und starrte mit verzagten Gesichtszügen durch die Windschutzscheibe ins Freie. Tagsüber hatte sie die Wildnis der französischen Pyrenäen als faszinierend empfunden, aber im Dunkel der Nacht verursachte sie ihr Unbehagen. In der Fantasie der jungen Frau gebar die nächtliche Natur unzählige Schreckgespenster und gaukelte ihrem Gehirn bedrohliche Trugbilder vor ...

Am Horizont hoben sich die Konturen zerklüfteter Höhenzüge vom helleren Nachthimmel ab – und wurden in Yvonnes Vorstellung zum gezackten Rückenkamm eines urzeitlichen Riesentiers, das sich dort vorne zur Ruhe begeben hatte, aber jederzeit aus seinem Schlaf erwachen konnte, um Tod und Zerstörung über die Bewohner der umliegenden Bergdörfer zu bringen.

Die am Straßenrand wachsenden Kiefern glichen stummen, bedrohlichen Gestalten mit ausgebreiteten Armen. Der volle Mond, der hoch am Himmel stand und die Berge, Täler und Schluchten in seinen bleichen Schein tauchte, verwandelte sich in ein riesiges Auge, das Yvonne bis auf den Grund ihrer Seele blickte und dort ihre geheimsten Ängste erkannte.

Die vereinzelt über den Himmel treibenden Wolken wirkten wie grotesk aussehende Dämonen mit Schwingen, Rüsseln und Klauen, die einander hinterherjagten, dabei beständig ihre Gestalt änderten und einem unbekannten Ziel entgegenstrebten.

Gerard Dupin waren derartige Assoziationen fremd. Er betrachtete die nächtliche Landschaft als das, was sie war – eine durchs Gebirge führende Wegstrecke, die er und seine Freundin passieren mussten, um zu ihrem gemeinsamen Urlaubsziel zu gelangen.

Diese Sichtweise entsprach seiner Persönlichkeit ebenso wie seiner beruflichen Qualifikation. Der hochgewachsene und durchtrainierte Endzwanziger mit den männlich-markanten Gesichtszügen und dem dichten blonden Haar arbeitete als Außenarchitekt bei einem renommierten Architekturbüro in Toulouse. Dort bestimmten Berechnungen, technische Zeichnungen und Baupläne seinen Alltag, aber Logik und Vernunft prägten auch sein Denken, wenn er nicht im Businessoutfit hinter seinem Schreibtisch saß, sondern in ausgewaschenen Jeans und einem Leinenhemd in den Sommerurlaub fuhr.

Wie dieser ablaufen sollte, darüber referierte er voller Begeisterung seit der letzten Abzweigung. Als Gespräch konnte die einseitige Kommunikation nicht bezeichnet werden, denn Yvonne sprach seit Minuten kein Wort mehr, was Gerard bisher aber nicht aufgefallen war.

»Wir müssen ja nicht gleich am ersten Tag eine Wandertour unternehmen«, meinte er im Plauderton. »Ich weiß zwar, dass wir das so geplant hatten, aber man soll nichts übertreiben. Etwas ausspannen und am Pool in der Sonne liegen täte uns nach der langen Anreise sicher auch gut. Wir dürfen ja auch unsere Kondition nicht überschätzen. Die Spaziergänge, die wir normalerweise in der Gegend um Toulouse unternehmen, sind schließlich nicht mit den Bedingungen im Hochgebirge zu vergleichen. Außerdem wurde im Wetterbericht eine Hitzewelle angekündigt, die dürfte aber auf dieser Seehöhe nicht ganz so schweißtreibend verlaufen. Apropos, wie hoch liegt eigentlich unser Hotel? ... Yvonne, ich habe dich etwas gefragt. Hörst du mir überhaupt zu? Yvonne?«

Die Erwähnung ihres Namens riss Yvonne Laurent wieder zurück in die Wirklichkeit. »Was hast du eben gesagt?«, fragte sie verwirrt.

»Ich wollte wissen, ob du mir überhaupt zuhörst. Aber anscheinend warst du mit deinen Gedanken woanders. Träumst du schon mit offenen Augen?«

»Ich habe Angst«, gestand sie leise.

Die Erwähnung dieses einen Wortes reichte aus, dass sich auch bei Gerard jegliche Ferienstimmung schlagartig verflüchtigte.

»Angst?«, wiederholte er ungläubig und wandte seiner Freundin kurz den Kopf zu. »Wovor, bitte, hast du plötzlich Angst? Hier gibt es weit und breit nichts, wovor man sich fürchten müsste. Wir fahren in die Ferien, erleben eine wunderbare Sommernacht und sind umgeben von unberührter Natur.«

»Das ist es ja gerade!«, beharrte Yvonne energisch. In ihrer Stimme schwang mühsam unterdrückte Panik mit. »Diese einsame, nächtliche Gegend ist mir unheimlich. Ich werde das Gefühl nicht los, als würden in der Dunkelheit unzählige unbekannte Gefahren lauern.«

Yvonne war etwas jünger als ihr Freund und trug ein knielanges Sommerkleid, das die schlanken Beine ebenso erkennen ließ wie die Ansätze der festen Brüste. Dichtes schwarzes Haar umrahmte das Oval ihres Gesichts, dem die hoch angesetzten Wangenknochen und die leicht schräg stehenden grünen Augen etwas Katzenhaftes verliehen.

Seit knapp einem Jahr betrieb sie sie in Toulouse eine gut gehende Blumenhandlung, die Reise in die Pyrenäen war ihr erster längerer Urlaub seit der Geschäftseröffnung. Beim Zusammenstellen von Blumensträußen und Schmücken von Kränzen kamen ihr ihre Kreativität und Fantasie durchaus zugute, aber in Situationen wie dieser zeigte sich die Kehrseite ihrer Begabung.

»Darf ich dich daran erinnern, dass es deine Idee war, den diesjährigen Sommerurlaub in den Bergen zu verbringen?«, wandte Gerard ein. »Du wolltest ausdrücklich einmal etwas anderes erleben, als Tag für Tag am Strand in der Sonne zu braten. Außerdem hast du vorgeschlagen, den Großteil der Strecke bei Nacht zurückzulegen. Weniger Verkehr und weniger Hitze, das waren deine Argumente.«

»Ja, ich weiß«, gab sie genervt zu. »Da habe ich mir die Fahrt durch die nächtlichen Pyrenäen aber noch anders vorgestellt.«

»Du bist einfach überarbeitet, das ist alles«, redete Gerard beruhigend auf sie ein. »Der Aufbau deines Geschäfts, ein Jahr ohne wirklichen Urlaub, so etwas zehrt an den Nerven und fordert irgendwann seinen Tribut. Solange du dich in die Arbeit gestürzt hast, hat dich das quasi betäubt. Jetzt aber, wo du auch räumliche Distanz zu den Dingen schaffst, dein Kopf allmählich frei wird und du nicht ständig an deine Blumenhandlung denkst, bricht sich die ganze Belastung ihre Bahn in Form von diffusen Ängsten. Andere Leute bekommen in vergleichbaren Situationen Erschöpfungszustände oder Magenbeschwerden. Glaub mir, in ein paar Tagen ist das alles vergessen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die echte Erholung nicht zu Beginn des Urlaubs einsetzt, sondern erst etwas später.«

»Du findest wie immer für alles eine logische Erklärung«, stellte sie lächelnd fest und wirkte nun schon etwas entspannter.

Einen Lidschlag später gefror ihr Lächeln.

Der Renault rollte auf eine schmale Schlucht zu, die ein klotziges Felsmassiv kerbte. Ihr Eingang gähnte düster, die Straße schien geradewegs ins schwarze Nichts zu führen.

Wie in einer Gruft!, dachte Yvonne schaudernd, als der Wagen in die Schlucht fuhr. Die turmhohen, fast senkrecht ansteigenden Wände schienen mit jedem zurückgelegten Meter näher zusammenzurücken und erzeugten bei Yvonne ein Gefühl bedrückender Beklemmung, das sich bleischwer auf ihre Brust legte. Die Beklemmung wuchs, drohte ihr den Atem zu rauben – und löste sich plötzlich auf wie ein mitternächtlicher Spuk um Schlag eins, als die Landschaft nach kurzer Wegstrecke abermals ihren Charakter änderte.

Yvonne registrierte mit einem Stoßseufzer der Erleichterung, dass die Felswände links und rechts der Fahrbahn zurückwichen und sich zu einem weitläufigen, kreisrunden Talkessel öffneten, in den die Straße sanft abfiel. Bedingt durch das kurzzeitig erweitere Blickfeld, wirkte der Vollmond plötzlich übergroß. Deutlich war die Musterung auf seiner Oberfläche zu erkennen, nur stellenweise verdeckt von schwarzen Wolkenfetzen, die wie Tintenpatzer am Himmel standen.

Gerard war Yvonnes neuerliche Anspannung nicht entgangen, dennoch hatte er sie darauf bewusst nicht angesprochen. Nun aber, wo sich das Landschaftsbild wieder harmonischer präsentierte und Yvonne etwas gelöster wirkte, hielt er einige aufmunternde Worte für angebracht.

»In spätestens einer Stunde checken wir in unserem Hotel ein«, erklärte er optimistisch, als sie die ebene Talsohle erreicht hatten und der Renault auf der von Wäldern gesäumten Straße wieder beschleunigte. »In zwei Stunden liegen wir in einem weichen Bett, und schon in zwei Minuten haben wir wieder Kontakt zur Zivilisation, genauer gesagt zu einem Dorf namens ...«

»Vorsicht!«

Der Warnruf Yvonnes riss Gerard das Wort von den Lippen – aber er wäre auch verstummt, wenn seine Freundin keinen Ton von sich gegeben hätte. Die sich überschlagenden Ereignisse forderten seine volle Aufmerksamkeit und zwangen ihn zu einer blitzschnellen, nahezu...

Erscheint lt. Verlag 14.6.2022
Reihe/Serie Gespenster-Krimi
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond
ISBN-10 3-7517-3242-X / 375173242X
ISBN-13 978-3-7517-3242-0 / 9783751732420
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