Pantherjagd (eBook)
400 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46017-7 (ISBN)
Thomas Perry, geboren 1947 in Tonawanda, New York, studierte Englische Literatur an der Cornell University und der University of Rochester. Seitdem hat er weit über zwanzig Kriminalromane und Thriller geschrieben und gilt in den USA als einer der ganz Großen seines Metiers. Bereits für seinen ersten Roman, Abrechnung in Las Vegas (1982), wurde er mit dem renommierten Edgar-Allan-Poe-Award, dem wichtigsten Krimi-Preis der USA, ausgezeichnet.
Nach mehreren Jahren in Frankreich lebt und arbeitet Alexandra Baisch inzwischen in München. Sie übersetzt Romane und Sachbücher aus dem Französischen, Englischen und Spanischen und unterrichtet darüber hinaus im Masterstudiengang für literarisches Übersetzen. Thomas Perry, geboren 1947 in Tonawanda, New York, studierte Englische Literatur an der Cornell University und der University of Rochester. Seitdem hat er weit über zwanzig Kriminalromane und Thriller geschrieben und gilt in den USA als einer der ganz Großen seines Metiers. Bereits für seinen ersten Roman, Abrechnung in Las Vegas (1982), wurde er mit dem renommierten Edgar-Allan-Poe-Award, dem wichtigsten Krimi-Preis der USA, ausgezeichnet.
1
Der Mann floss in der Dunkelheit dahin, das Wasser wiegte ihn und spülte ihn durch den Betonkanal, zunächst langsam, dann immer schneller, während die Stunden verrannen und der starke Frühlingsregen ein paar Meter weiter oben auf den Asphalt klatschte, ehe er in die Gullys floss und die Strömung dort anschwellen ließ. Hin und wieder drängte der ansteigende Strom den Mann gegen die Betonwände des Kanals oder ließ ihn daran entlangschrammen. Aber die Gewalt der talwärts fließenden Wassermassen war zu heftig, als dass er lange an einer Stelle hängen blieb. Und dann war sie wiederum doch nicht stark genug.
Es war nach Mitternacht, als Bill Carmody mit seinem weißen Truck von den Stadtwerken gute fünfzig Meter vor der Kreuzung stehen blieb und durch die regenüberströmte Windschutzscheibe auf den kleinen See hinausstarrte, der sich an der Kreuzung bildete. Die Straßen hier in der Gegend waren im Dachprofil errichtet, fielen zum Bordstein hin ab, sodass der Regen in die Gullys entlang des Rinnsteins floss.
Seit zwei Tagen regnete es unablässig, und es sah ganz danach aus, als ob sich auch am dritten Tag daran nichts ändern würde. Es war ungewöhnlich viel Regenwasser, das gerade aus den Hügeln hinunterfloss. Südkalifornien wurde nicht oft von solch heftigen Unwettern heimgesucht. Der Winter war ausnahmsweise sehr nass gewesen, und dieses Unwetter war das heftigste, das sie bislang gehabt hatten. Carmody zog seine Kappe auf, klappte den Kragen seines gelben Regenmantels hoch und stieg aus. Dann stapfte er zum hinteren Teil des Trucks, öffnete den eingebauten Gerätekasten und holte eine Harke und einen Drahtkorb heraus. Genau genommen war das kein Job für einen Vorarbeiter, doch hätten sie einen Mann gewollt, der einfach nur herumstand, wenn er ein Problem sah, statt selbst aktiv zu werden, dann hätten sie nicht Carmody eingestellt.
Er stapfte durch immer tieferes Wasser bis zur Kreuzung. Das grelle Licht von zwei Scheinwerfern tauchte auf, dann sah er den SUV auf die Querstraße zudonnern. Seine Reifen ließen das Wasser zu beiden Seiten vier Meter weit aufspritzen wie bei einem Schnellboot, und dahinter bildete sich eine Art Heckwelle. Das Wasser reichte bis zu den Radkappen. Somit wusste Carmody, dass es in der Mitte der Straße mindestens fünfundzwanzig Zentimeter tief war. Er winkte dem Fahrer zu, damit dieser langsamer wurde, doch entweder sah der ihn nicht, oder es war ihm egal.
Es war jedenfalls zu spät, um der Fontäne auszuweichen, also drehte Carmody dem SUV den Rücken zu, ließ das Wasser gegen seinen Regenmantel klatschen und daran abperlen.
Der Wind wehte unablässig mit weit über zwanzig Stundenkilometern, und als er bei der Straßenecke ankam, klatschten ihm die Tropfen frontal ins Gesicht. Er zog den Schild seiner Kappe tiefer ins Gesicht und benutzte die Harke, um den Schutt über dem Regengitter beiseitezuschaffen, das im Rinnstein eingelassen war. Doch er spürte, dass das nicht weiterhalf. Er hatte erwartet, einen Sog des Abfließens zu spüren. Er ertastete Äste und Blätter, doch das Wasser dümpelte ungerührt vor sich hin. Er ging quer über die Straße zum nächsten Gitter und von dort weiter zum nächsten und zum übernächsten. Er machte kehrt, holte sein Stemmeisen und eine Taschenlampe aus dem Truck, ging damit zum ersten Gitter zurück und trat auf die Betonplatte, die auf dem Grasstreifen darüber angebracht war. Er stemmte den Kanaldeckel auf. Der Schmutzfänger war voller Wasser. Er fuhr mit seiner Harke am inneren Gitter entlang, fand aber nichts, was es blockierte. Stattdessen quoll das Wasser aus dem Gullydeckel hervor und floss auf die Straße.
Er trug den Korb, die Harke und das Stemmeisen zurück zum Truck, stieg ein, holte sein Handy hervor und drückte auf die Anruftaste.
»Stadtwerke.«
»Carmody hier. An der Kreuzung von Interlaken und Grimes in North Hollywood haben wir einen vollständig blockierten Regenwasserkanal. Das Wasser steht erst etwa dreißig Zentimeter tief, aber es steigt weiter. Es sprudelt aus den Entwässerungsrohren heraus.«
»Wie willst du vorgehen, Bill?«
»Ich habe die Schmutzfänger kontrolliert, jetzt können wir nur noch die Straße aufreißen und nachsehen, was den Hauptkanal blockiert. Für den Anfang brauchen wir einen Presslufthammer und einen Baggerlader.«
»Wann soll es losgehen?«
»Entweder wir machen es sofort, oder wir warten, bis das Wasser so hoch steht, dass es irgendein Haus flutet.«
Eine Stunde später hob ein Baggerlader die letzte Ladung triefenden Schlamm und aufgebrochenen Zement aus dem engen Graben, den er ausgehoben hatte, und kippte alles wenige Meter davon entfernt auf den bereits aufgetürmten Haufen Schutt. Als der Fahrer die Maschine um 180 Grad drehte, um seine Schaufel erneut eintauchen zu lassen, stieß Carmody einen lauten Pfiff aus und wedelte mit den Armen über dem Kopf.
»Moment«, rief er. »Lass uns nachsehen.«
Er und zwei seiner Männer wateten zu der Stelle, an der der Baggerlader den Straßenbelag aufgerissen hatte, kratzten mit ihren Schaufeln ein paar Asphaltbrocken weg und legten einen Haufen Unkraut, Zweige und Blätter frei. Sie spähten nach unten, zogen mehrere Armvoll Grünzeug aus dem Loch, stapften damit zum Truck und warfen es auf die Pritsche.
Das Knattern des Baggerladermotors verstummte, und plötzlich war es ganz still. Carmody drehte sich um. Der Baggerfahrer stand vor seinem Sitz und starrte am Ausleger seines Baggerladers ins Loch. Er zeigte hinein. »Verdammt, eine Leiche! Das ist ein Mensch!«
Officer Stearns trat näher an die menschliche Gestalt heran, die auf dem nassen Asphalt lag. Das ließ ihn nie kalt. Höchst selten war es ein hundertjähriger Mann, der glücklich und zufrieden gelebt hatte und dessen Seele sanft und nicht unvorhergesehen entschlafen war. Vielmehr handelte es sich immer um eine Geschichte von Verlust und Tragik, deren tatsächliche Details erst zu einem späteren Zeitpunkt vervollständigt wurden, die aber von Anfang an offenkundig waren. Er sah sich die Leiche genauer an. Es handelte sich um einen Afroamerikaner, etwa Anfang vierzig, bekleidet mit einem Sportsakko und einer schicken Hose. Er hatte keine Schuhe mehr an, aber das musste nichts heißen, weil Tote diese gerne mal verloren, wenn sie unsanft angefasst wurden.
Das Unsanft-angefasst-Werden war das Eigenartige. Die Arbeiter der Stadtwerke hatten den Mann soeben aus einem verstopften Regenwasserkanal herausgezogen, zusammen mit einem Haufen Blätter, Zweige und Gras von der Größe eines Heuballens. Ihnen zufolge gab es keine Erklärung dafür, wie er dort hineingekommen war oder wie weit das Wasser ihn in der Kanalisation mitgerissen haben könnte, ehe er hier hängen blieb.
Stearns blieb innerhalb der gelben Polizeiabgrenzung stehen und beobachtete die Leute von der Gerichtsmedizin und der Kripo, während es langsam hell wurde. Neugierige Gaffer würden erst dann auftauchen, wenn es nicht mehr regnete. Stearns dachte an das Opfer. Der Mann hatte braune, glatte Haut, war schlank, der Haarschnitt modern. Sollte er irgendwelche Verletzungen haben, so waren diese für Stearn nicht ersichtlich, aber das musste nichts heißen. In wenigen Stunden würde sich der Gerichtsmediziner über ihn beugen, sich jeden Quadratzentimeter von ihm genauestens ansehen, auch die inneren Organe. Stearns sah zu, wie das Team des Gerichtsmediziners die Leiche in eine Hülle packte, dann auf die Bahre legte und sie in den Transporter schob.
Es ließ sich nicht einfach sagen, was diesem Mann zugestoßen war, aber Stearns war durchaus geneigt, ein paar Vermutungen anzustellen. Das war kein Selbstmord. Vielleicht nahm man eine Überdosis oder vergiftete sich, aber man würde sich nicht in einen Regenwasserkanal stürzen, um unterirdisch flussabwärts getrieben zu werden, bis man eine Blockade verursachte. Das war allerdings auch alles, was Stearns mit einer gewissen Sicherheit mutmaßen konnte. Wenn es sich nicht um einen jener Fälle handelte, in denen der Erzfeind des Typen vor der Menge im Stadion der Dodgers geschworen hatte, dass er diesen Mann umbringen werde, oder seine Frau letzte Woche eine Lebensversicherung über fünf Millionen Dollar auf ihn abgeschlossen hatte, würden die Kripobeamten sich hier ziemlich reinhängen müssen, und sie könnten von Glück sagen, wenn sie herausfänden, wie er hierhergekommen war.
Stearns war erleichtert, als die Leute von der Gerichtsmedizin schließlich die Tür ihres Transporters schlossen. Er stand nicht gerne in der Nähe einer Leiche herum. Er konnte dieses Gefühl des Verlusts und der Traurigkeit nicht ausstehen, was vermutlich der offensichtlichen Diskrepanz zwischen einem lebenden, denkenden Menschen und dem leblosen Überrest in dem Haufen Zweige zuzuschreiben war, den die Arbeiter aus dem Kanal gezogen hatten.
Die Leute von der Gerichtsmedizin mussten die Unmenge Pflanzen und Müll entwirren, in der dieser Mann festgesteckt hatte. Jedes Stück, das sie freibekamen, wurde untersucht und dann wenige Meter entfernt unter einem aufgespannten Behelfsdach auf eine Plane gelegt. Hin und wieder nahm ein Spurensicherer einen Beweisbeutel und packte etwas ein. Stearns entdeckte keinerlei Aufregung, geschweige denn Begeisterung, keinen Hinweis darauf, dass jemand etwas für wichtig genug erachtete, um es einem Kollegen zu zeigen. Vielleicht sammelten sie Pflanzen ein, weil sie typische Beispiele von Pflanzen haben wollten, die den Mann auf seinem Weg begleitet hatten. Vielleicht waren sie aber auch genauso verloren wie er, und es war das Einzige, was sie tun konnten.
Ein Jahr und einen Tag später sah Professor Daniel Millikan aus dem hohen Fenster des...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2022 |
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Übersetzer | Alexandra Baisch |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Abels • Afroamerikaner • amerikanische thriller • A small town • Auftragskiller • Auftragsmörder • Ausgezeichneter Autor • Bestseller-Autor USA • Coup • Das fünfte Grab des Königs • Das Vermächtnis der Maya • Der finale Schuss • Diamantendiebe • Diamantenraub • Diamentenhändler • Diebe • ehemalige Polizisten • Ermittlerduo • Ermordet • Erschossen • Ex-Cop • Fargo-Abenteuer Band 4 • Fargo Abenteuer Band 5 • Fargo Adventures Band 5 • Forschungseinrichtung • forty thieves • Gangster • Gangsterduo • Gangster-Krimi • Gangster-Thriller • gnadenlos • Gnadenlose Jagd • harte thriller • Hoyts • Interpol • Killer • Knaur Taschenbuch • Knaur Verlag • Krimi USA • LAPD • Leichenfund • Mord • Noir Thriller • Organisierte Kriminalität • Pensionäre • Pensionäre ermitteln • Pink Panthers • Privatdetektiv • Rentner ermitteln • russische Gangster • Schusswechsel • serbische Gangster • Südkalifornien • Thomas Perry • Thriller Action • Thriller Auftragskiller • thriller für männer • Thriller Los Angeles • Thriller USA • USA Thriller • Verfolgungsjagd • Vertuschung • Waffen |
ISBN-10 | 3-426-46017-3 / 3426460173 |
ISBN-13 | 978-3-426-46017-7 / 9783426460177 |
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