Zerteilt (eBook)
352 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46408-3 (ISBN)
Prof. Dr. Michael Tsokos, Jahrgang 1967, ist Professor für Rechtsmedizin und leitet das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berlin. Michael Tsokos ist der bekannteste deutsche Rechtsmediziner und regelmäßig als Experte im In- und Ausland tätig, beispielsweise für das BKA bei der Identifizierung der Opfer von Terrorangriffen und Massenkatastrophen. Seine bisherigen 26 Bücher waren allesamt SPIEGEL-Bestseller. Folgen Sie Michael Tsokos auf Instagram: @dr.tsokos
Prof. Dr. Michael Tsokos, Jahrgang 1967, ist Professor für Rechtsmedizin und leitet das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berlin. Michael Tsokos ist der bekannteste deutsche Rechtsmediziner und regelmäßig als Experte im In- und Ausland tätig, beispielsweise für das BKA bei der Identifizierung der Opfer von Terrorangriffen und Massenkatastrophen. Seine bisherigen 26 Bücher waren allesamt SPIEGEL-Bestseller. Folgen Sie Michael Tsokos auf Instagram: @dr.tsokos
4
Berlin-Wedding,
Wohnung von Lars Moewig,
21. Oktober, 11:54 Uhr
Verdammte Scheiße, Freddy … Geh doch endlich ran.
Lars Moewig ging wie ein Tiger im Käfig zwischen dem Wohn- und Schlafzimmer und der Küche seiner vor wenigen Monaten bezogenen kleinen Wohnung im Wedding hin und her.
Es war zwar erst sein zweiter Versuch – innerhalb von gerade mal fünf Minuten –, seinen Freund auf dessen Handy zu erreichen, aber er brauchte dringend Informationen von dem BKA-Beamten. Zwar konnte er sie sich als Privatermittler auch irgendwie selbst beschaffen, aber das hätte einige Zeit in Anspruch genommen. Zeit, die er nicht hatte. Er brauchte die Infos jetzt. Sofort. Das Handy mit dem monotonen Freizeichen immer noch am Ohr, warf er einen Blick aus dem Küchenfenster.
Im Sommer war er kurz entschlossen aus seiner heruntergekommenen Wohnung in einer anonymen Mietskaserne am Heckerdamm in Charlottenburg-Nord ausgezogen und in seinen Kiez, den Wedding, zurückgekehrt. Seine finanzielle Lage als Privatermittler hatte diesen Umzug ermöglicht, obwohl es eigentlich die illegalen Machenschaften seiner direkten Nachbarn waren, zwei Mitglieder einer berühmt-berüchtigten Verbrecherorganisation, die ihn mehr oder weniger zu einem Umzug gezwungen hatten, wollte er sein Leben nicht bei einer Auseinandersetzung mit diesen Kriminellen riskieren.
Er ließ seinen Blick erneut aus dem Küchenfenster schweifen. Seine jetzige Wohnstraße war Tristesse pur und der Wedding einer von vielen Berliner Problemstadtteilen, in denen die Uhren gänzlich anders schlugen als in den schicken Villenvierteln, den eleganten Einkaufsstraßen oder dem Regierungsviertel der Hauptstadt. Abgebröckelte und mit Graffiti beschmierte Häuserfassaden, Ein-Euro-Shops neben Dönerläden und Shisha-Bars, heruntergekommene Autos, allesamt älteren Baujahrs, am Straßenrand und achtlos vor der Haustür entsorgter Sperrmüll. Trotzdem liebte Moewig den Wedding. Hier war er geboren, und hier gehörte er hin. Auch wenn ihn seine diversen Auslandseinsätze, zunächst als Bundeswehrsoldat in Afghanistan, danach als Fremdenlegionär und später als Sicherheitsberater – eine euphemistische Umschreibung seiner damaligen Tätigkeit als Söldner –, in verschiedene Länder in Nahost und in Afrika geführt hatten. Länder, die durchaus mehr zu bieten hatten als sein verwahrloster Kiez, und dennoch hatte es ihn immer wieder hierher zurückgezogen.
Moewig war in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Von seinen afroamerikanischen Vorfahren hatte er die dunkle Haut geerbt.
Seit seine Tochter vor drei Jahren gestorben war, hatte es ihn nicht mehr hinaus in die Welt gezogen, er spürte, dass sein Platz in der Nähe von Lillys Grab war und er sie nicht noch einmal, wie früher so oft, zurück- und allein lassen durfte. Deshalb hatte er damals eine Gewerbelizenz als Privatdetektiv beantragt und schlug sich seitdem durchs Leben mit der Observation untreuer Ehemänner, dem Aufspüren angeblich gestohlener Fahrzeuge und anderer vermeintlicher Betrügereien für Versicherungsgesellschaften und manchmal als Security-Berater für mittelständische Unternehmen.
Während er noch seinen Gedanken nachhing, hörte er am anderen Ende der Leitung die Stimme seines alten Freundes.
»Lars? Du schreibst doch höchstens mal eine SMS und rufst sonst nie an. Ist alles in Ordnung?«
Abel hatte mit seiner Bemerkung recht, denn Moewig hasste Handys. Nicht nur wegen der damit verbundenen permanenten Erreichbarkeit, sondern auch wegen der Möglichkeit der Ortung eines Handynutzers. Ein Umstand, der für seinen Job definitiv kein Vorteil war. Deshalb steckte sein Handy auch die meiste Zeit ausgeschaltet in seiner Jackentasche oder lag im Handschuhfach seines alten Lada Niva.
»Nein, gar nichts ist in Ordnung, Freddy«, erwiderte er mit belegter Stimme. »Marie wurde gestern Abend Zeugin, wie ihr Freund erschossen wurde.«
»Wie bitte? Ist das dein Ernst? Wie geht es Marie?«, fragte Abel am anderen Ende der Leitung mit erschrockener Stimme.
»Es geht ihr den Umständen entsprechend. Sie war in einem anderen Raum des Hauses, als der Schuss fiel. Sie hörte den Knall, als sie gerade das Haus betreten hatte, und hat sich dann versteckt. Für sie bestand wohl keine unmittelbare Gefahr, da der Schütze nichts von ihrer Anwesenheit wusste. Aber … Ich brauche deine Hilfe, Fred. Ich benötige dringend Informationen über Ludger Bartrück. Das ist sein Name … ich meine, war sein Name. Maries Freund. Ich muss wissen …«
»Moment«, unterbrach Abel ihn. »Der Reihe nach, Lars. Erzähl mir erst genau, was passiert ist. Damit ich mir ein Bild machen kann. Die sieben Ws, du weißt schon.«
Moewig wusste nur zu gut, worauf sein alter Freund und Lebensretter anspielte. Die sieben Ws standen für die in der Kriminalistik am Anfang jeder Ermittlung stehenden sieben W-Fragen, deren Beantwortung zur Beurteilung eines Sachverhalts nicht nur essenziell, sondern auch ausschlaggebend für die weitere Planung der Ermittlungstaktik waren, nicht zuletzt, um unter Zeitdruck Prioritäten zu setzen: Was ist wo, wann, wie und warum geschehen? Wer war beteiligt, und woher stammt diese Information?
In Moewigs Kopf schossen Dutzende Gedanken umher. Er versuchte, sich zu konzentrieren.
»Der Reihe nach. Bitte, Lars. Wir können uns aber auch gern hier bei mir im Büro treffen, wenn du das möchtest. Du kannst …«
»Nein, es ist eilig, Fred«, unterbrach er Abel nun seinerseits und bemühte sich, ruhig zu klingen.
Fred hat recht. Ich muss ihm alles erzählen, nur so kann er mir helfen …
»Ich darf keine Zeit verlieren. Also, Marie hat seit einem knappen Jahr einen neuen Freund. Ich wusste bis heute Morgen nicht, dass sie in einer festen Beziehung ist, weil wir seit Lillys Tod vor drei Jahren keinen Kontakt mehr hatten.«
Bis auf meine von Marie nie beantworteten SMS zweimal im Jahr. Zu Lillys Geburtstag und zu ihrem Todestag.
»Ich habe sie das letzte Mal bei Lillys Beerdigung gesehen.«
Moewigs Stimme wurde brüchig.
»Das wusste ich nicht, Lars. Das tut …«
»… nichts zur Sache, Fred. Marie ist gestern am frühen Abend zu ihrem Freund, diesem Ludger Bartrück, rausgefahren. Nach Teupitz, südliches Brandenburg. Er hat da ein Wochenendhaus. Na ja, vielmehr einen imposanten Landsitz, nach dem, was Marie mir vorhin berichtet hat. Sie wollte ihn mit ihrem Besuch überraschen. Sie wusste, dass er dort ist, weil er sich am Vormittag mit einem Geschäftspartner in Leipzig treffen und die Nacht über in Teupitz bleiben wollte.
Marie fährt also zu ihm, und als sie sich dem Haus nähert, hört sie Stimmen. Eine kurze, aber heftige verbale Auseinandersetzung. Kurz danach kracht ein Schuss. Marie, die sich zu jenem Zeitpunkt bereits im Eingangsbereich in der Diele befindet, versteckt sich sofort in einem von der Diele abgehenden Gästebad. Als sie dann Schritte auf der Auffahrt hört, die sich vom Haus wegbewegen, lugt sie aus dem Badezimmerfenster und macht ein Handyfoto von dem mutmaßlichen Schützen, von dem Mann, der gerade das Haus verlassen hat.«
»Wow, das ist nicht nur sehr mutig, sondern auch blitzschnell und richtig reagiert. Was sieht man auf dem Foto?«, fragte Abel.
»Du kennst sie, Fred. Auf Maries Intuition konnte man sich schon immer verlassen. Sie tut eigentlich stets das Richtige im richtigen Moment«, erwiderte Moewig, dessen Gedanken zu seiner ehemaligen Lebensgefährtin, der Mutter seines einzigen, viel zu früh verstorbenen Kindes abschweiften. Aber sofort war er wieder fokussiert.
»Das Handyfoto zeigt einen Mann, allerdings nur von hinten. Er trägt einen schwarzen Overall mit Kapuze und dunkelblaue Latexhandschuhe. Als er das Haus verließ, hatte er die Kapuze noch auf. Das hat Marie beobachtet, als sie sich mit ihrem Handy in Position brachte. Aber in dem Moment, in dem Marie die Aufnahme macht, streift er die Kapuze herunter. Das Entscheidende dabei ist: Während er danach greift, rutscht der Ärmel des Overalls ein Stück herunter und enthüllt am erhobenen linken Unterarm den kleinen Ausschnitt eines Tattoos. Irgendein Tribal-Motiv, schlangenförmige Linien, so wie sie es mir beschrieben hat.«
»Und das konnte Marie von ihrem Versteck aus tatsächlich fotografieren?«, fragte Abel ungläubig.
»Da das Haus etwas erhöht gebaut ist, war Maries Perspektive ideal«, erwiderte Moewig knapp.
»Und dann?«
Moewig spürte die Anspannung in seiner Stimme.
»Dann nichts. Dann war er auch schon weg. Marie hat noch einige Zeit im Gästebad gewartet, ob er vielleicht zurückkommt, und ist dann ins Wohnzimmer geeilt. Dort lag Bartrück auf dem Rücken, eine riesige Blutlache unter seinem Kopf. Das Projektil ist wohl in der Mitte der Stirn eingetreten. Sie hat dann den Notruf gewählt.«
»Okay, ich hab jetzt einen ersten Überblick. Das Brandenburger Landeskriminalamt ist involviert und hat Marie bereits befragt, nehme ich an?«
»Korrekt. Das war gestern Abend. Sie war bis nach Mitternacht in Potsdam im Präsidium. Dort wurde ihr mitgeteilt, dass das Berliner LKA wegen des Hauptwohnsitzes von Bartrück in Berlin übernehmen würde und für seine Ermordung zuständig sei, allerdings in Zusammenarbeit mit den Brandenburger Kollegen. Sie ist jetzt gerade in der Keithstraße...
Erscheint lt. Verlag | 4.10.2022 |
---|---|
Reihe/Serie | Die Fred Abel-Reihe | Die Fred Abel-Reihe |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Attentäter • Berlin • Berlin Thriller • BKA-Einheit Extremdelikte • Clearview App • Echte Kriminalfälle • Extremdelikte • Forensik • Forensiker • Forensik Krimi • Forensik Thriller • Fred Abel 5 • Fred Abel Band 5 • Fred Abel Reihe • Fred Abel Reihenfolge • Gerichtsmedizin • Gerichtsmediziner • Gerichtsmedizin Krimi • Gerichtsmedizin Thriller • Gesichtserkennung • harte thriller • Islamismus • Krimi • Krimi-Bestseller • Kriminalfall • kriminalfälle deutschland • Kriminalistik • Kriminalroman • krimi serie • Michael Tsokos • Michael Tsokos Bücher • Michael Tsokos Fred Abel • Michael Tsokos Serie • Mord im Aufzug • Obduktion • Pathologie • Polizei Krimis/Thriller • Psychothriller • Rechtsmedizin • Rechtsmediziner • Rechtsmediziner Michael Tsokos • Sarah Wittstock • sezieren • spannende Bücher • Terroranschlag • Terrorist • Thriller • Thriller Berlin • Thriller Bestseller • Thriller Bücher • Thriller deutsche Autoren • Thriller Deutschland • Thriller Forensik • thriller reihe • Thriller Serienkiller • True Crime • True Crime Bücher • True Crime Bücher deutsch • True Crime deutsch • True crime Thriller • Tsokos Bücher • Tsokos Podcast • Tsokos Reihenfolge • wahre Fälle • Wahre Verbrechen • Wolverine • zerbrochen • zerrissen • Zerschunden • zersetzt |
ISBN-10 | 3-426-46408-X / 342646408X |
ISBN-13 | 978-3-426-46408-3 / 9783426464083 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 2,5 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich