Maschenmord (eBook)

Der Handarbeitsclub ermittelt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
464 Seiten
Blanvalet Taschenbuch Verlag
978-3-641-28833-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Maschenmord - Leonie Kramer
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Im »Wolllust« kommt es zu tödlichen Verstrickungen - der Madlfinger Handarbeits- und Krimiclub ermittelt in seinem ersten Mordfall!
Der Tod hält auf wollenen Socken Einzug ins bayerische Idyll. Ariadne Schäfer, Besitzerin des Handarbeitsladens »Wolllust« in Madlfing bei Murnau, ist entsetzt, als ihre Verkäuferin tot im Laden aufgefunden wird - erdrosselt mit einem selbst gestrickten Lace-Schal. War der Täter vielleicht gar einer ihrer Kunden? Zusammen mit dem MKHC, dem Madlfinger Krimi- und Handarbeitsclub, will sie der Frage auf den Grund gehen. Die umtriebigen Damen kommen dabei Kommissar Tim Wallenstein in die Quere. Frisch in die bayerische Provinz versetzt, muss der Kommissar erkennen, dass das Landleben weder friedlich noch Handarbeit ungefährlich ist. Beides kann zu unlösbaren Verstrickungen führen und tödlich enden.

Leonie Kramer wuchs am Fuß des Wettersteingebirges auf. Alles Wichtige - wie Stricken oder Geschichtenerzählen - brachte ihr ihre Großmutter bei. Sie studierte Volkskunde, arbeitete als Hutmacherin und ist heute Restauratorin und Expertin für ausgefallene Handarbeitstechniken. Mit ihrer Familie wohnt sie in der Nähe von München, träumt jedoch von einem Schreibtisch mit Bergblick im Blauen Land. Leonie Kramer ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Autorin.

1. Masche


Die Lauflänge ist bei Garnen, Schusswaffen und persönlichen Problemen von großer Bedeutung.

Wie leicht sich Luft und Leben anfühlen können, staunte Tim Wallenstein. Kurz nach Sonnenaufgang trabte er an saftigen Wiesen vorbei, wo hellbraune Milchkühe langsam wiederkäuend wach wurden. Die Tiere ließen sich von dem unbekannten Läufer nicht aus der Ruhe bringen, schauten ihm aber mit großen Augen nach. Mühelos steigerte Wallenstein sein Tempo. Es war, als würde er beim Laufen keine Energie verbrauchen, sondern sich neu aufladen. So unbeschwert hatte er sich seit der Katastrophe vor fünf Monaten nicht mehr gefühlt, so frei schon viel länger nicht mehr.

Die Psychologin Mia Alt hatte ihn gewarnt, er könne seinen Problemen nicht davonlaufen. Aber genau das würde er tun. Schritt für Schritt. Es war ihm schließlich vor Jahren schon einmal gelungen.

»Landleben, ich komme«, spornte er sich an, sprintete einen steilen Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Dabei rutschte er auf einer feuchten Wurzel aus, kam aus dem Gleichgewicht und ruderte wild mit den Armen. Die Kühe starrten ihn an, kauten jedoch unbeeindruckt weiter. Schließlich siegte die Schwerkraft, und Wallenstein landete rücklings im Dreck. Dort kämpfte er nicht nur mit dem matschigen Untergrund, sondern auch mit einem plötzlichen Heiterkeitsausbruch. Gerade hatte sich nämlich die Prophezeiung seines Kumpels Arne, er würde sich in der bayerischen Provinz ganz schnell auf den Arsch legen, erfüllt. Zum Abschied hatte Arne ihm gestern Nacht dann noch so fest in die Seite geboxt, dass Wallenstein im ersten Moment fürchtete, er habe ihm eine Rippe gebrochen. »Adrenalindiät ist nichts für dich, Chef. Wir holen deinen Krempel jederzeit wieder ab, Anruf genügt.«

Ursprünglich wollte ihm sein gesamtes altes Team beim Umzug von Köln nach Bayern helfen. Mit LKW und Begleitfahrzeug. Aber Wallenstein hatte Möbel und Zimmerpflanzen kurzerhand verschenkt. Danach hatte sein Hausrat (samt Fahrrad) locker in Arnes VW-Bus gepasst. Nur seine neue, sündteure Kaffeemaschine hatte Wallenstein im Originalkarton auf dem Beifahrersitz seines eigenen Wagens festgeschnallt.

Auf der Autobahn war er seinem ehemaligen Kollegen dann mit maximal 100 km/h Richtung Süden gefolgt. Die Fahrt war schrecklich gewesen. Für eine Verfolgung auf der rechten Spur brauchte man kein Spezialfahrtraining, sondern einen Tempomat und Nerven wie Stahl. Mehrfach hatte Wallenstein dagegen angekämpft, das Gaspedal durchzudrücken, auszuscheren und vorauszupreschen. Aber diese Zeiten waren vorbei. Nur sein Körper und Teile seines Hirns hatten das noch nicht begriffen.

Jetzt wischte sich Wallenstein die schmutzigen Hände an der Hose ab und strich Hektik und jede Art von Verfolgungsjagd aus seinem Wortschatz.

»Hinfallen, aufstehen, weiterlaufen. Dabei immer fokussiert bleiben. So einfach ist das«, erzählte er einer näher kommenden Kuh, die sich jedoch auf halber Strecke von einem besonders grünen Grashalm ablenken ließ.

Wallenstein stützte sich auf einen Pfosten des Weidezauns, dehnte seine Muskeln und ließ seinen Blick über das Murnauer Moos schweifen. Irgendwo hatte er gelesen, dass es sich dabei um das größte noch erhaltene Moorgebiet Mitteleuropas handelte. Über den Wiesen lag feiner Morgennebel, der die Natur wie ein Weichzeichner in sanfte Pastelltöne hüllte. Auch die Berge im Norden waren nur zu erahnen. Genussvoll atmete Wallenstein die klare Luft ein und schloss die Augen. Absolute Stille, keine Spur von Abgasen. Es war traumhaft. Obwohl er sich erst vor wenigen Stunden von seinem alten Leben verabschiedet hatte, fühlte es sich bereits wie Vergangenheit an. Er war auf einem guten Weg.

Kurz nach sieben sperrte er die Tür seiner Ferienwohnung in einem schmucklosen Mehrfamilienhaus am Ortsrand von Murnau auf, stellte seine Sportschuhe auf den Fußabstreifer und ging ins Bad. Dort zog er die schmutzigen Sachen aus, warf alles in die Wanne und wusch sich die Hände. Durch den kleinen Sturz war er wirklich gründlich geerdet worden. Im Flur drängte er sich an seinem Fahrrad und acht gestapelten Kartons vorbei, die er nach der Ankunft mit Arne ausgeladen hatte. Anschließend hatten sie sich im Griesbräu, einem zünftigen Wirtshaus, mit Schweinebraten und Knödeln gestärkt und lange über alte Zeiten geredet. Bevor Wallenstein danach ins Bett gefallen war, hatte er nur noch die Dinge der höchsten Prioritätsstufe ausgepackt: Zahnbürste und Kaffeeausstattung.

Voll Vorfreude betrat er jetzt in Boxershorts die Wohnküche, wo sich die hochglanzpolierte Siebträgermaschine wie ein futuristischer Fremdkörper zwischen einen angegilbten Toaster und einen verkalkten Wasserkocher quetschte. Ein kleiner Berg aus Verpackungsmaterial lag davor auf dem Boden. Kaffeemühle und Milchaufschäumer hatten einen vorübergehenden Platz neben dem Kühlschrank gefunden. Wallenstein füllte den Wassertank, steckte den Netzstecker ein und blätterte in der Gebrauchsanweisung. Dann schaufelte er Espressobohnen in die Mühle.

Genau so stellte er sich seinen neuen Alltag vor: eine morgendliche Laufrunde in der erwachenden Natur, ein heißer, selbst gemachter Kaffee und keine lauwarme Brühe aus einem Pappbecher am Kölner Hauptbahnhof, anschließend frisch geduscht und ausgeschlafen zum Dienst, wo er es langsam angehen ließe. Erst einmal würde er in aller Ruhe seine Kollegen kennenlernen und sich mit den Abläufen vertraut machen.

Die Maschine zischte vielversprechend. Am Tag der Stellenzusage war er auf dem Heimweg kurz entschlossen in ein Haushaltswarengeschäft gegangen und hatte etwas weniger kurz entschlossen ein Monatsgehalt für dieses technische Wunderwerk ausgegeben. Er redete sich ein, dass er damit in seine Zukunft investiert habe. Bei Veränderungen musste man schließlich mit den kleinen Dingen anfangen. Der Rest würde sich dann nach und nach finden.

Eine Kontrolllampe zeigte, dass der Dualboiler sich jetzt aufheizte. In wenigen Minuten würde die Rotationspumpe das Wasser mit einem Druck von neun bis zehn Bar durch das frische Kaffeepulver pressen, die Aromen herauslösen und ein Geschmacksfeuerwerk entzünden. Das hatte wenigstens der smarte Verkäufer versprochen. Er hatte ihm Fotos der kleinen italienischen Manufaktur gezeigt, die zwischen Olivenbäumen lag. Jede Maschine wurde dort noch in bodenständiger Handarbeit hergestellt und war ein Unikat. Auf den Schwarz-Weiß-Aufnahmen strahlten die Mitarbeiter eine zeitlose Gelassenheit aus, die entweder auf ein zufriedenes, einfaches Leben oder einen teuren Fotografen zurückzuführen war. Auf jeden Fall hatte Wallenstein in ihren Gesichtern gesehen, was er selbst suchte, aber nicht in Worte fassen konnte. Vier doppelte Probeespressi hatten ihn schlussendlich überzeugt.

Mehrere Minuten lang hypnotisierte Wallenstein das orange Lämpchen, das sich jedoch von ihm nicht hetzen ließ. Er gab auf und blickte sich stattdessen im Wohnzimmer um, das er bisher nur von Internetfotos und einem schnellen Wohnungsrundgang kannte. Die Einrichtung bestand aus einer konzeptlosen Mischung aus Ikeamöbeln und Flohmarktfunden. Im Bücherregal standen ein paar uralte Spionagethriller neben einem Wanderführer. Es gab weder einen Fernseher noch funktionierendes WLAN. Dafür war die Ferienwohnung günstig, und die Vermieterin war in Bezug auf die Mietdauer flexibel. Wallenstein hoffte, dass er schnell eine eigene Bleibe finden würde. Nach ein paar Liegestütze und Sit-ups ging er in die Küche zurück.

Das Lämpchen leuchtete immer noch. Nur gut, dass er hier Zeit im Überfluss haben würde. Mit den Fingerspitzen trommelte Wallenstein auf der weißen Arbeitsfläche. Obwohl er seiner alten Aufgabe nicht mehr gewachsen gewesen war, hatte er sein Versetzungsgesuch lange aufgeschoben. Radikale Veränderungen brauchten Mut, und genau der war ihm nach seinem Versagen verloren gegangen. Mia, die Polizeipsychologin, hatte ihn über Monate mit Therapie- und Gesprächsangeboten genervt. Aber Schwäche zeigen gehörte nicht zu Wallensteins Stärken. Dass es ihm besser ginge und er nur vom hektischen Großstadtleben genug habe, hatte Mia ihm nicht abgenommen. Er war sich aber sicher, dass ihm ein ländliches Umfeld mit gutem Sport- und Freizeitangebot helfen würde. Schließlich hatte er noch über zwanzig Dienstjahre vor sich. Am Handy antwortete er auf Arnes Ein-Wort-SMS (angekommen) und scrollte durch die Wohnungsangebote eines Maklers. Endlich erlosch das orange Licht und zeigte, dass die Kaffeemaschine einsatzbereit war. Wallenstein füllte den Siebträger und drückte das Kaffeepulver mit einem Edelstahltamper an. Er würde sich ein Mountainbike kaufen, neue Ski und vielleicht sogar Gleitschirmfliegen lernen. Sein Glück konnte er kaum fassen. Er arbeitete jetzt in einer Gegend, in der andere Menschen Urlaub machten. Da vibrierte sein Handy.

Unbekannte Nummer.

»Guten Morgen, Kollege Wallenstein. Hier Schmidl. Wir haben eine weibliche Leiche in Madlfing. Das ist bei Ihnen ums Eck, und die Chefin meint, Sie sollen da gleich mal hinfahren.«

»Heute ist mein erster Arbeitstag«, protestierte Wallenstein. »Ich war noch nicht mal auf dem Revier.«

»Drum passt’s ja so gut.« Schmidl lachte und schlürfte lautstark ein Getränk, bestimmt Kaffee.

Wallenstein hielt den perfekt befüllten Siebträger in der Hand und wartete auf Anweisungen des Kollegen. Er war darauf trainiert, schnell zu reagieren.

»Wären Sie schon bei uns, müssten’S gleich wieder zurückfahren. Das würd sich gar nicht rentieren«, philosophierte Schmidl. »Spaß beiseite: Für Sie liegt die Leich förmlich auf...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2022
Reihe/Serie Ein Fall für den Madlfinger Handarbeitsclub
Ein Fall für den Madlfinger Handarbeitsclub
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2022 • Alpenvorland • Amateurdetektivin • Anna Konda • Blaues Land • Christine Ziegler • Cosy Crime • eBooks • Eifersucht • Handarbeitskrimi • Heimatkrimi • Humor • Jessika Müller • Jörg Maurer • Kommissar • Krimi • Krimi Bayern • Kriminalromane • Krimi Neuerscheinung 2022 • Krimis • Leseclub • lustig • lustige • Martin Sernko • Mord • Murnau • Neuerscheinung • Polizei • Provinzkrimi • Regiokrimi • Rita Falk • Sauer macht listig • Stricken • Verstrickungen • Wohlfühlkrimi • Wolle
ISBN-10 3-641-28833-9 / 3641288339
ISBN-13 978-3-641-28833-4 / 9783641288334
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