60 Minuten - Die Uhr tickt (eBook)
400 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60242-6 (ISBN)
Nick Pirog veröffentlichte seinen ersten Roman schon in jungen Jahren. Seitdem lebt und atmet er für das Schreiben. John Grisham und Michael Crichton sind Pirogs Vorbilder, sein Ziel: Den ultimativen Spannungsroman für die Generation Netflix zu schreiben! Seine Serie '60 Minuten' wird in den USA bereits gefeiert.
Jagd
:01
Ich stemme mich im Bett hoch und schaue auf den Wecker auf der Kommode.
3:01 Uhr.
Freitag, 26. Februar.
Minus drei Grad.
Größtenteils bewölkt.
Irgendwas stimmt mit dem Wecker nicht. Er steht in einem seltsamen Winkel. Und viel näher am Rand als üblich.
Ich brauche eine weitere Sekunde, um zu erkennen, warum.
Direkt hinter dem Wecker, mit einer winzigen, halb ausgestreckten Pfote, sitzt das neueste Mitglied der Bins-Familie.
Archie.
Das orange und lohfarben gestreifte Kätzchen schaut mich aus großen Augen an und streckt dann seine Pfote in Richtung Wecker.
»Tu das nicht!«, rufe ich.
In den drei kurzen Wochen, seit Archie in unser Leben getreten ist, hat er drei Weingläser, zwei Bilderrahmen, Ingrids Lieblingskaffeebecher und ein Samsung Galaxy S6 ruiniert.
Er blickt mich ein paar Sekunden lang an, dann streckt er seine Pfote aus.
Der Wecker schwankt am Rand der Kommode.
»Archie, nicht.«
Ein weiterer Blick.
Ein weiterer Schubs.
»Im Ernst, Archie, nicht noch einmal schubsen.«
Er stößt erneut dagegen.
Der Wecker kracht zu Boden.
»Verdammt, Archie!«
Ich springe aus dem Bett und hebe den Wecker wieder auf.
Der LCD-Bildschirm ist zerbrochen.
Ich stelle den Wecker zurück und hebe das drei Monate alte Kätzchen von der Kommode. Ich kann es immer noch in einer Hand halten. Es hat zwar dieselben grünen Augen wie seine gestromte Mutter, aber das Ich schwöre, ich führe nichts Gutes im Schilde-Funkeln darin stammt sicher von seinem Vater.
Ich sage: »Alter, du musst aufhören, Sachen kaputt zu machen.«
Er schaut zu mir hoch. Die Augen sind riesig. Sein kleines rosafarbenes Näschen legt sich in Falten.
»Das zieht bei mir nicht.«
Sein kleines Mäulchen öffnet sich, und er leckt mir den Daumen.
Er ist so süß, dass es mir fast das Herz bricht.
»Es sei dir alles vergeben, es sei denn, du zerbrichst noch einmal eine von Ingrids Tassen«, sage ich ihm. »Dann wirst du auf der Straße leben müssen, Kumpel.«
Das ist natürlich nur ein Bluff. Wenn Archie mich um den kleinen Finger gewickelt hat, dann hat er Ingrid um die ganze Pfote gewickelt. In der ersten Woche, in der er bei uns war, habe ich fast jede meiner sechzig wachen Minuten damit verbracht, Bilder und Videos anzuschauen, die Ingrid am Vortag von ihm gemacht hat.
Schau dir das hier an, wie er auf der Couch schläft.
Schau dir das hier an, wie er mit meinen Schlüsseln spielt.
Schau dir das hier an, wie er auf den Teppich pinkelt.
Die nächste Minute verbringe ich damit, mit ihm auf dem Boden zu ringen und ihn auf allen vieren zu verfolgen. Er versteckt sich unter dem Bett, ich ziehe ihn heraus und setze ihn auf meine Brust. Ich kraule sein Köpfchen und erhebe mich dann mit ihm in der Armbeuge.
»Na gut, du kleiner Krawallmacher, gehen wir deinen Vater suchen, um ihn auf seine elterliche Aufsichtspflicht hinzuweisen.«
Wir verlassen mein Kinderzimmer – und mit Kindheit meine ich, dass ich dort bis zu meinem 27. Lebensjahr gelebt habe – und spazieren den Flur hinunter zum Zimmer meines Vaters.
Mein Vater ist nicht da, daher liegt Murdock – der gigantische englische Mastiff meines Vaters – schräg über das Bett ausgebreitet, wobei sein siebzig Kilo schwerer Körper fast die Hälfte der Matratze einnimmt. Lassie liegt zusammengerollt an Murdocks Bauch. Zweifellos war der junge Archibald in dieses Knäuel eingekuschelt, bevor er aufwachte und sich auf seine Vernichtungsmission begab.
»Hey, ihr Knallköpfe«, sage ich.
Beide rühren sich.
Lassie streckt seine Vorderbeine aus, dann robbt er an die Bettkante.
Murdock sieht Archie in meinen Armen und winselt.
»Okay, beruhige dich.« Ich setze Archie auf das Bett, wo er schnell zu Onkel Murdock läuft.
Murdock leckt ihn ein paarmal mit seiner riesigen Zunge, dann birgt er Archie schützend an seinem Körper.
»Archie hat meinen Wecker von der Kommode gestoßen«, sage ich zu Lassie.
Miau.
»Wie viele Stöße? Keine Ahnung, drei.«
Miau.
»Was, er braucht nur mehr Übung?«
Miau.
»Ich bin nicht sauer, weil er drei Versuche gebraucht hat, um den Wecker von der Kommode zu schubsen. Ich bin wütend, weil er den Wecker von der Kommode gestoßen hat.«
Miau.
»Weil er kaputtging, als er auf den Boden gekracht ist, du Dumpfbacke.«
Miau.
»Keine Ahnung, wie viel er gekostet hat. Mein Dad hat ihn mir vor zehn Jahren gekauft. Er zeigt die Temperatur und das Wetter an.«
Miau.
»Ob er von Woolworth war? Keine Ahnung, vielleicht.«
Miau.
»Gut, ich werde ihn fragen.«
Miau.
»Nein, ich werde ihn nicht sofort suchen und ihn fragen.« Ich schließe meine Augen und winke mit der Hand. »Hör zu, ich will nur sagen, während du geschlafen hast, ist der Mini-Rowdy da drüben Amok gelaufen. Du musst ihn strenger erziehen.«
Ich will den Kleinen nicht erziehen. Ich will der coole Onkel Henry sein.
Lassie schaut zu Archie, dann wieder zu mir.
Miau.
»Ihm seine PlayStation für eine Woche wegnehmen? Wir besitzen nicht mal eine PlayStation.«
Miau.
»Du willst ihm eine PlayStation kaufen, nur damit wir sie ihm wegnehmen können?« Ich schüttele den Kopf. »Und das hat nichts mit dem Ausraster an Weihnachten zu tun, als der Weihnachtsmann dir keine PS4 gebracht hat?«
Miau.
»Nein, du warst nicht das ganze Jahr brav. Ehrlich gesagt, du warst unausstehlich.«
Miau.
»Äh, zum einen hast du etwa fünf Häschen in meine Wohnung geschleppt, und Gott weiß, was du mit ihnen angestellt hast. Ganz zu schweigen davon, dass du den kleinen Shih Tzu am Ende des Flurs dermaßen terrorisiert hast, dass sie eine einstweilige Verfügung gegen uns erwirkt haben.«
Miau.
»Ja, ich verstehe, dass sie förmlich darum gebettelt haben, als sie ihn Captain Pancake nannten.«
Miau.
»Was noch? Du, Murdock und diese dämlichen Ziegen, ihr habt das Haus eines Mannes verwüstet, und du hast seine Perserkatze geschwängert.«
Er blickt Archie an, dann wieder zu mir. Seine Schnurrhaare zucken, und ich weiß, was er denkt.
Ich seufze. »Ja, ich weiß, wenn du das nicht getan hättest, dann hätten wir Archie nicht.«
Der Gedanke ist unerträglich. Von mir aus kann das kleine Kätzchen für den Rest seines Lebens jeden Tag etwas zerbrechen.
Ich setze mich auf das Bett, Lassie und ich schließen uns Murdock an, und wir drei kuscheln uns um unseren kleinen Archie.
Er beißt Murdock ins Ohr und schlägt dann mit der Pfote dagegen.
Es ist zum Totlachen.
Ein paar Minuten später mache ich mich auf den Weg nach unten.
Es ist 3:08 Uhr.
In den verbleibenden zweiundfünfzig Minuten habe ich noch eine Menge zu tun.
Morgen werde ich heiraten.
…
Auf halbem Weg die Treppe hinab halte ich inne.
Was gestern noch das Wohnzimmer meines Vaters war, wird gerade zu einer provisorischen Hochzeitskapelle umfunktioniert. Alle Möbel sind ausgeräumt, und ein weißer Torbogen befindet sich dort, wo einen Tag zuvor der Flachbildfernseher stand. Weiße Holzklappstühle sind gestapelt und an die Wände gelehnt.
Wahrscheinlich war ich naiv zu glauben, es...
Erscheint lt. Verlag | 6.1.2023 |
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Reihe/Serie | Die Henry-Bins-Serie | Die Henry-Bins-Serie |
Übersetzer | Alexander Wagner |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | 3 a.m. |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Action-Thriller • Experiment • Henry Bins • Sandmann • Schlaf • Schlafkrankheit • schlaflos • Überleben • Verschwörung |
ISBN-10 | 3-492-60242-8 / 3492602428 |
ISBN-13 | 978-3-492-60242-6 / 9783492602426 |
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