Ça va, cher Karl? (eBook)
190 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-77345-0 (ISBN)
1999 lernen sich Sébastien Jondeau und Karl Lagerfeld kennen. Für den Jugendlichen aus einfachen Pariser Verhältnissen wird ein Traum wahr: Ab diesem Zeitpunkt wird er nicht mehr von der Seite des Modeschöpfers weichen. Jondeau wird Fahrer, Leibwächter, Assistent, Vertrauter, enger Freund. Lagerfeld eröffnet ihm eine Welt, die er, das Arbeiterkind aus einem Pariser Banlieue, sonst nie gekannt hätte: Er fliegt mit ihm in Privatjets, zu den wichtigen Modeschauen in New York, Mailand, Paris, begleitet ihn in seine Luxusvillen und lernt die internationale Prominenz kennen. Lagerfeld wird zu einer Vaterfigur für Jondeau, ein Vorbild, das er bis zu dessen Tod im Jahr 2019 begleitet - und das eine große Lücke in seinem Leben hinterlässt.
In »Ça va, cher Karl?« erinnert Jondeau sich an die gemeinsamen Jahre - und erzählt voller Ehrlichkeit, Bewunderung, Demut, aber auch mit Humor und Herz von einem Menschen, dem er so nah war wie kein anderer.
Sébastien Jondeau, geboren 1975 in Paris, ist ein französisches Model und Unternehmer. Seit 1999 an der Seite von Karl Lagerfeld als Chauffeur, Leibwächter, Assistent und Vertrauter.
Vorboten
Neben Professor Abbou, Doktor Khayat, Doktor Toledano und Professor Védrine bin ich der Einzige, der alles über Karls Krebserkrankung wusste. Erste Anzeichen machten sich im Juni 2015 kurz nach den Filmfestspielen in Cannes bemerkbar. Wir fuhren im Anschluss ein paar Tage nach Ramatuelle, wo Karl nun seit über zehn Jahren den Sommer verbrachte. Er war in letzter Zeit etwas aufgedunsen, aber das merkte man kaum. Er war ohnehin sehr zurückhaltend beim Entblößen seines Körpers, und in Badehose zeigte er sich nie. Ich war mit meinem Freund Arnaud gerade am Strand von Pampelonne, als Karls Anruf kam: »Ich weiß nicht, was los ist, aber ich habe Probleme beim Wasserlassen. Tut mir leid, dich damit zu behelligen.« Mir war sofort klar, dass da etwas nicht stimmte. Erst vor kurzem hatte ich mich mit einem gewissen Yves Dahan angefreundet, der seit über dreißig Jahren an der Dialyse hing und alle wichtigen Ärzte kannte. Mein erster Impuls war, ihn anzurufen. Es erschien mir als das Richtige in der Situation – andererseits neigte Dahan dazu, sich in die Privatsphäre anderer Leute einzumischen. Doch das spielte nun keine Rolle. Ich wollte für Karl da sein. Also rief ich nochmals an und ließ mir die Symptome beschreiben. Karl hatte ja keinen Hausarzt. Ich riet ihm, sich Dahan anzuvertrauen.
Eine Stunde später hatte ich einen Doktor Méjean an der Strippe, einen Facharzt für Prostataleiden. Er gab mir erste Anweisungen und verband mich mit Professor Abbou. Ich fühlte mich hilflos, aber ich wusste, es war ein Notfall. Ich fragte, ob ich ein Flugzeug nach Paris buchen sollte. Abbou riet mir dringend zu; Karl müsste sich unverzüglich in ärztliche Behandlung begeben. Es war Freitagabend um 18 Uhr. Karl lebte damals eher einsiedlerisch und zurückgezogen mit seiner Heiligen Birma, Choupette.
Dank Yves Dahan wurde eine diplomierte Krankenschwester vor Ort gefunden, die sofort kommen konnte. Karl musste Blut abgenommen werden, doch es fehlte irgendein Instrument. Über die Vermittlung der Apothekerin am Hafen von Saint-Tropez gelang es, eine andere Krankenschwester in Cavalaire aufzutun, die mit dem Instrument aushelfen konnte. Während sich also die eine Schwester von Cogolin auf den Weg nach Ramatuelle machte, düste ich auf dem Motorrad los, um das fehlende Instrument in Cavalaire bei der anderen Schwester abzuholen. Schließlich konnte noch in der Ferienvilla eine erste Blutprobe entnommen werden. Ein Labor in Gassin war bereit, die Probe in derselben Nacht zu untersuchen, ich musste sie nur hinbringen. Der Vorgang wurde unter meinem Namen angemeldet, da ich Karls Identität schützen wollte. Yves bestand darauf, das Ergebnis an mich weiterzuleiten, sobald es vorlag. Karl und ich aßen dann noch gemeinsam zu Abend. Ich ahnte, dass er die Probleme schon seit geraumer Zeit kannte, sie aber verharmlost hatte. Woher hätte ich das wissen sollen? Wir sprachen damals länger darüber. Ich hatte große Angst um ihn und wartete angespannt auf den Rückruf des Labors. Karl wusste das. Auch er erwartete die Laborergebnisse dringend. Ich versuchte mir einzureden, dass alles gut würde. Um mich abzulenken, verabredete ich mich später noch einmal mit Arnaud in Saint-Tropez. Um vier Uhr in der Früh erreichte mich der Anruf vom Labor. Sie redeten von Werten und Spiegeln, die mir alle nichts sagten. Ich fragte, ob es Auffälligkeiten gebe. Der Labormitarbeiter wand sich. Die Kreatininwerte seien erhöht, sagte er, und der PSA-Test war positiv; doch das Gespräch nahm eine bizarre Wendung, als er meinte, die Erhöhung der Werte könne auch damit zusammenhängen, dass ich in letzter Zeit viel Fahrrad gefahren sei (die Untersuchung lief ja auf meinen Namen). Ich verabschiedete mich und rief Karl an. Er war sofort am Telefon. Ich teilte ihm die Ergebnisse mit, ohne ins Detail zu gehen. Das gebot mir der Anstand.
Als die Ärzte in Paris die Werte am nächsten Morgen übermittelt bekamen, bestanden sie auf Karls sofortiger Rückkehr. Éric Pfrunder, Chanels Image Director, wurde verständigt. Er erwartete uns zwei Tage später zum Termin im Hospital Pompidou bei Doktor Méjean. Mein Onkel Jean-Claude wartete im Rolls-Royce auf dem Parkplatz. Wir nahmen den Nebeneingang, um kein Aufsehen zu erregen. Doch die Neugier der Leute hielt sich in Grenzen, denn wir befanden uns in einem Klinikum der Assistance Publique. Alle waren viel zu beschäftigt. Karls Konsultation bei Doktor Méjean dauerte fast eine Stunde. In zehn Tagen sollte er sich erneut vorstellen. Es bestünde kein Grund zur Beunruhigung, versicherte man uns. Karl bekam Medikamente verschrieben. Wir vertrauten darauf. Gleich nach Verlassen des Krankenhauses ging's Richtung Chanel, Karl freute sich sehr auf die Arbeit.
Kurz darauf kam ein Anruf von Yves Dahan. Er meinte, Professor Abbou würde dringend eine Kernspintomografie anraten, und er habe sich erlaubt, zeitnah einen Termin für Karl zu buchen. Wir würden erwartet. Das musste ich Karl nun verklickern. Wie immer war ich offen und ehrlich zu ihm. Und das schätzte er auch. Also kurzerhand Kehrtwende und auf ins 16. Arrondissement zum MRT-Termin. Éric und ich warteten, während Karl durch die Röhre geschoben wurde. Mittlerweile war es 20 Uhr. Éric – für Karls Inner Circle »Rico« – und ich wussten, dass Karl stets wie ein Uhrwerk funktionierte. Nach der Untersuchung rief er direkt Virginie Viard an, seine Direktorin im Kreativstudio von Chanel. Sie liebte Karl sehr, auf ganz unschuldige Weise. Doch er erzählte ihr fast nichts. Er wollte sie nicht in Panik versetzen, außerdem hasste er es, bemitleidet zu werden.
Es war zu spät, um noch bei Chanel aufzuschlagen, deshalb fuhren wir in die Rue des Saints-Pères, Karls Büro und Tageswohnung, deren Eingang in der Rue de Verneuil lag. Sein Koch hatte ihm ein Abendessen zubereitet. Karl war zwar ziemlich angeschlagen, aber sein eiserner Wille siegte auch damals. Éric konnte nicht zum Essen bleiben, er empfahl sich und ging zu Fuß nach Hause. Ich leistete Karl Gesellschaft, verabschiedete mich danach jedoch, um meine damalige Freundin J. im 6. Arrondissement zu besuchen. Trotzdem ahnte ich, dass es keine Entwarnung gab. Karl wirkte bedrückt. Das belastete mich. Als ich mit J. darüber sprach, musste ich weinen.
Am nächsten Morgen um acht rief Yves bei mir an. »Hey, junger Mann«, sagte er, »jetzt bitte nicht durchdrehen. Du musst Karl anrufen und ihn dann auf dem schnellsten Weg in die Notaufnahme des Amerikanischen Krankenhauses fahren.« Mein mulmiges Gefühl hatte sich bestätigt. Kurz zuvor hatte ich per SMS meinen üblichen Morgengruß an Karl versendet: »Ça va, cher Karl? Bin startklar.« Aber wie sollte ich ihn nun dazu bringen, sofort ins Krankenhaus zu fahren? Ich konnte ihn ja nicht zwingen. Andererseits war klar, dass es Probleme gab. Ich ließ eine Stunde verstreichen, dann rief ich Karl an und sagte, Yves würde ihm raten, sich schnellstmöglich ins Amerikanische Krankenhaus zu begeben. Ich war davon überzeugt, er würde sich weigern. Doch er sagte: »Eigentlich müsste ich arbeiten, aber ich mache mich fertig, dann fahren wir hin.« Er hatte begriffen, dass die Lage ernst war. In letzter Zeit hatte er manchmal gefragt, ob ich fand, dass er zugenommen habe. Das war seine Art, mit dem Problem umzugehen.
Am Abend war ein Diner in seinem Haus in Louveciennes angesetzt, mit Anna Wintour, der Chefin der amerikanischen Vogue, und Karls Freundin und Muse bei Chanel, Amanda Harlech.
Éric und Yves erwarteten uns im Amerikanischen Krankenhaus. Professor Abbou bat ihn gleich herein. Dann begleitete ich Karl zu den verschiedenen Stationen der umfangreichen Untersuchung. Am Ende landete er auf der Intensivstation. Seine Nieren funktionierten nicht mehr richtig, und das seit langem. Dahan erklärte uns die Lage genau – sie war sehr kritisch. In Karls Körper hatte sich überall Wasser angesammelt. Neun Liter holten sie aus ihm heraus. Die Menge an Markern, die Einschränkungen der Nierenfunktion im Blut anzeigten, war schwindelerregend. Die Werte waren im tiefroten Bereich.
Ich wurde als Einziger auf die Intensivstation vorgelassen. Karls Anblick versetzte mir einen schweren Schlag. Éric und ich besprachen anschließend, wer informiert werden müsste: Virginie Viard und Bruno Pavlovsky von Chanel auf jeden Fall. Mehr konnten wir nicht tun. Ich fuhr nach Hause. Amanda Harlech traf währenddessen Vorbereitungen für das Abendessen mit Anna Wintour, auch ihr musste ich...
Erscheint lt. Verlag | 11.4.2022 |
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Sprache | deutsch |
Original-Titel | Ça va, cher Karl? |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Baptiste Giabiconi • Berichte • beste Freunde • Ça va cher Karl? deutsch • Chanel • Choupette • claudia schiffer • Erinnerungen • Fashion • Fashion Week • Fendi • Geschenkbuch • insel taschenbuch 4910 • IT 4910 • IT4910 • Jetset • Karl Lagerfeld • Katze • Laufsteg • Mentor • Modedesigner • Model • Modeschöpfer • Muse • neues Buch • Paris • Paris (City) • Ziemlich beste Freunde |
ISBN-10 | 3-458-77345-2 / 3458773452 |
ISBN-13 | 978-3-458-77345-0 / 9783458773450 |
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