Gespenster-Krimi 90 (eBook)

Der Tempel der Totengöttin
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Aufl. 2022
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-3086-0 (ISBN)

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Gespenster-Krimi 90 - Camilla Brandner
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Im Jahr 1940

Im Licht der vielen Fackeln glühte der unterirdische Raum rot wie ein Backofen. Der Zeremonienmeister Richard Odenbach stand reglos an der Tür zum eigentlichen Kultraum und sah zu, wie zwei Dutzend schlanke, muskulöse blonde Jungen ihre Hemden und kurzen Hosen ablegten und sich ein Stück raues Tierfell um die Lenden banden.
Auf seine Handbewegung hin trabten sie, zwei und zwei nebeneinander, in den Kultraum, wo sie ihre Fackeln in die Halterungen an der Wand steckten und im Kreis um den uralten, steinernen Altar in der Mitte des Gewölbes Aufstellung nahmen.
Odenbach entzündete die Feuerschale, die darauf stand, und warf ein Pulver in die Flammen, die gelblich-grün aufloderten. Als er die Hände hob, schrien zwei Dutzend begeisterte junge Stimmen im Chor: 'Heil Hitler und Heil der Göttin der Unterwelt!'
Aus der Tiefe des Gewölbes, von unterhalb des Altars, antwortete das dumpfe Heulen einer riesigen Bestie. Garm, der Höllenhund, ließ seine Herrin wissen, dass die Zeremonien zu ihren Ehren begonnen hatten ...
'Ich kann alleine laufen.'
Zufrieden, dass sie zwar motzig, aber einsichtig ist, geht er weiter.
In diesem Augenblick durchschneidet ein Schrei die Stille der Nacht ...


Der Tempel der Totengöttin

von Camilla Brandner

Im Jahr 1940

Im Licht der vielen Fackeln glühte der unterirdische Raum rot wie ein Backofen. Der Zeremonienmeister Richard Odenbach stand reglos an der Tür zum eigentlichen Kultraum und sah zu, wie zwei Dutzend schlanke, muskulöse blonde Jungen ihre Hemden und kurzen Hosen ablegten und sich ein Stück raues Tierfell um die Lenden banden.

Auf seine Handbewegung hin trabten sie, zwei und zwei nebeneinander, in den Kultraum, wo sie ihre Fackeln in die Halterungen an der Wand steckten und im Kreis um den uralten, steinernen Altar in der Mitte des Gewölbes Aufstellung nahmen.

Odenbach entzündete die Feuerschale, die darauf stand, und warf ein Pulver in die Flammen, die gelblich-grün aufloderten. Als er die Hände hob, schrien zwei Dutzend begeisterte junge Stimmen im Chor: »Heil Hitler und Heil der Göttin der Unterwelt!«

Aus der Tiefe des Gewölbes, von unterhalb des Altars, antwortete das dumpfe Heulen einer riesigen Bestie. Garm, der Höllenhund, ließ seine Herrin wissen, dass die Zeremonien zu ihren Ehren begonnen hatten ...

Im Jahr 1945

Richard Odenbach, Mitglied der Waffen-SS und Zeremonienmeister der jugendlichen »Ritter von Helheim«, wusste, dass er verloren war. Die Russen hatten bereits den Stadtrand von Wien erobert, es konnte höchstens noch ein, vielleicht zwei Tage dauern, bis sie sich zu seiner Villa im Wald durchgekämpft hatten.

Hier ging es schnell – kilometerweit nur Wald und verwilderte Wiesen, ein paar verlassene Häuschen und Kleingärten, da und dort eine Villa wie die seine – ein einstöckiges Gebäude, rosa-braun und weiß getüncht, mit zahlreichen Verzierungen, an denen ein Steinmetz seine Lust an Schnörkeln ausgetobt hatte.

Der Tag war eben erst angebrochen, als der hochgewachsene Mann mit dem schmalen, kantigen Gesicht und den saphirblauen Augen aus der Haustür trat und den Blick über das Grundstück schweifen ließ. In der Dämmerung waren undeutlich die Bungalows zu erkennen, in denen seine Schüler gewohnt und studiert hatten.

Jetzt waren die Studenten alle weg – einberufen zum letzten Gefecht gegen den bolschewistischen Feind. Wahrscheinlich würden sie alle sterben, diese halben Kinder, die sich der übermächtigen Walze der Roten Armee in den Weg stellen sollten.

Wenn er selbst aus dem Leben schied, wussten nur noch seine Schwester und ihre Tochter Edda um das Geheimnis des unterirdischen Tempels. Beide waren in Sicherheit. Wenn diese Zeit der Götterdämmerung vorbei war, wenn das Germanentum aus den Trümmern des Krieges wieder auferstand, würden sie den Kult ins Leben zurückrufen.

Er trug seine volle Uniform, und dazu in der einen Hand seine Pistole, in der anderen eine Lederschnur. Langsam, feierlich schritt er auf die gewaltige Eiche zu, die sich in etwa zwanzig Metern Entfernung vom Haus auf einer Wiese erhob. Im Zwielicht des Morgens wirkten ihre Äste wie riesige, sich ineinander windende Schlangen. Dutzende kleiner, verrosteter Drahtschlingen hingen daran, Überreste der Opfer, die sie dem Baum und seiner Schirmherrin dargebracht hatten.

Unter dem Erdreich zwischen ihren Wurzeln waren unzählige Knochen von Lämmern, Hasen, Zicklein und anderem Getier vergraben, wie sie beim Zerfall der Kadaver zu Boden gefallen waren. Allmählich würden sie immer tiefer ins Erdreich hinabsinken, bis sie den Ort ihrer Bestimmung erreicht hatten: Helheim, das eisige Reich der Totengöttin unter den Wurzeln der Weltenesche Yggdrasil.

Er hatte immer davon geträumt, der Göttin ein Menschenopfer zu bringen, am liebsten einen der schönen Jungen, aber das hatte er dann doch nicht gewagt. Den Vorwurf musste er dem Führer machen: Er war durch und durch Militär und Politiker gewesen, für Mystik hatte er absolut keinen Sinn gehabt. Der Reichsführer SS hatte diesen Sinn gehabt, der war ein Visionär gewesen, er hätte auch ein Menschenopfer geduldet, wenn es zur höheren Ehre der Götter geschah.

War es nicht immer so gewesen? Bis zur späten Wikingerzeit waren Menschenopfer noch gang und gäbe gewesen, beim großen »Blót«, dem Opferfest der Germanen, waren neun Individuen von allem Lebenden, Tiere und auch Menschen, geopfert und in einem Hain, der den Tempel umgab, aufgehängt worden. So konnte man es auch auf dem berühmten »Oseberg«-Bildteppich sehen: Darauf war ein großer Baum mit daran hängenden Menschen abgebildet.

Odenbach straffte die Schultern. Das Rad würde sich wieder drehen, die alten Götter zurückkehren und frische Opfer an ihren Altären gebracht werden. Seine Arbeit war getan. Jetzt konnte er nur noch den einzig verbliebenen Ausweg wählen.

Er trat dicht an die Eiche heran und flüsterte für andere Menschen unverständliche Worte. Was er erwartet hatte, geschah: Um seine Knöchel, dann seine Knie begann ein Nebel zu kreisen, der immer dichter wurde, bis er den Boden zu seinen Füßen nicht mehr sehen konnte. War es überhaupt noch der Boden, auf dem er stand?

Hier und da, wenn der Nebel sekundenlang aufriss, blitzte etwas anderes durch. Eine riesige Hand war es, graublau wie die einer Leiche, mit frostverbrannten Fingerkuppen und schwarzen, Geierkrallen ähnlichen Nägeln. Eine uralte Hand, bis auf die Knochen verdorrt und vertrocknet. Dennoch hob sie ihn langsam und mühelos in die Höhe, bis er, aufrecht stehend, den Ast erreichte, den sie ihm zugewiesen hatte.

Er stand jetzt gut einen Meter über dem Erdboden. Sie würden seinen Tod daran als ein Zeichen und Wunder erkennen, niemand sollte glauben, er hätte sich einfach nur feige aus der Welt geflüchtet. Eilig knotete er den langen Riemen am Ast fest, knüpfte die Schlinge, legte sie um seinen Hals. Dann steckte er den Pistolenlauf in den Mund. Als die Hand unter ihm weg sank, drückte er ab.

Im Jahr 1949

Ein Jahr nach Kriegsende waren wieder Jugendliche mit ihren Betreuern in die Bungalows eingezogen, diesmal Kinder, deren Eltern im Widerstand ermordet worden waren. In der Umgebung nannte man sie hinter vorgehaltener Hand »die Bolschewikenkinder«, aber tatsächlich hatten die allermeisten von ihnen mit Politik nichts am Hut.

Sie waren froh, dass sie ein Dach über dem Kopf hatten – das Grundstück der Odenbachs war bei den Kriegshandlungen weitgehend unbeschädigt geblieben –, wieder ordentlich zu essen bekamen und sich solchen Vergnügungen wie Ballspielen und Planschen in dem winzigen Zierbecken hingeben konnten.

Hin und wieder waren ein paar unangenehme Typen darunter, und im Jahr 1949 gab es gleich vier davon. Zwei Jungen und zwei Mädchen waren es, zwischen zwölf und fünfzehn Jahren alt, alle vier wahre Wechselbälge. Sie waren Jugendliche von jener seltsamen Sorte, bei denen man den Verdacht nicht loswird, dass von Anfang an etwas mit ihnen nicht gestimmt hat. Jugendliche, die Dinge taten, wie sie auch bei ungezogenen und verwahrlosten Proletarierkindern auf Ablehnung stießen.

Eines dieser Dinge war ihre Faszination für das Töten. Damit musste man zwar bei Kriegskindern rechnen, aber die Vierer-Bande, wie man sie nannte, konnte kein kleines Tier in die Hände kriegen, ohne dass sie es mit einer Drahtschlinge erdrosselten und den Kadaver an dem alten Eichenbaum aufhängten, den sie den Geisterbaum nannten.

Sie nervten ihre Mitbewohner mit Geschichten, dass unter den verschlungenen Ästen und Wurzeln dieses Baumes – der den meisten ohnehin nicht geheuer war – ein fürchterlicher Geist hause, der tote Tiere als Nahrung verlangte. Weder vernünftiges Zureden noch die damals üblichen Ohrfeigen änderten etwas daran.

Im November 1949 setzten sie dann in die Tat um, wovon sie schon so lange fantasiert hatten. Sie schlichen nachts aus ihren Quartieren und bauten unter dem Baum alles Zubehör auf, das es ihrer Meinung nach zu einer Geisterbeschwörung brauchte. Nur Kerzen konnten sie keine anzünden, weil man die vom Haus her gesehen hätte.

Was sie dann weiter taten, dafür gab es keine Zeugen. Erst gegen halb zwei Uhr morgens wurde die Mannschaft in der Villa von durchdringendem Geschrei geweckt. Zwei Männer und eine Frau waren die ersten, die halb angezogen hinausstürzten. Im Schein ihrer Taschenlampen sahen sie ein nacktes Mädchen unter dem Baum liegen, das schluchzend sein sichtlich gebrochenes Bein umklammerte.

Sie war die einzige Überlebende. Die drei anderen hingen, ebenfalls nackt, an den Ästen des Baumes, erhängt an ihren eigenen Halstüchern, Gürtelriemen und Schnürsenkeln. Sie alle hingen gut einen Meter über dem Boden, denn die unteren Äste der Eiche waren, um ein Erklettern des Baumes zu verhindern, abgesägt worden. Nirgends war ein Gegenstand zu sehen, den sie hätten verwendet haben können, um hinaufzuklettern.

Erika – so hieß die Überlebende – wurde vom Personal des Heims und später von der Kriminalpolizei befragt, aber es stellte sich heraus, dass nicht nur ihr Bein beschädigt worden war. Auf alle Fragen antwortete sie nur stockend: Ja, sie hätten die Absicht gehabt, den Geist im Baum oder unter dem Baum zu beschwören, sie hätten sich ausgezogen und Zeichen auf den Boden gemalt und...

Erscheint lt. Verlag 22.3.2022
Reihe/Serie Gespenster-Krimi
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond
ISBN-10 3-7517-3086-9 / 3751730869
ISBN-13 978-3-7517-3086-0 / 9783751730860
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