God Mode (eBook)
221 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7549-2978-0 (ISBN)
Der Mensch hinter dem Pseudonym Magnus Kerner ist ein multidisziplinärer Künstler und arbeitet in der Werbebranche. Das Schreiben dient ihm der Verarbeitung zahlreicher Eindrücke, die er aus seinem bisherigen Leben, seiner Arbeit und der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Heute und Morgen schöpft. In seinen Geschichten vermischt sich das Denkbare mit dem Undenkbaren, dessen Kontrast er unverblümt betont und ab und zu mit seinem ganz eigenen, düsteren Humor garniert. Er wurde 1984 geboren und lebt in der Nähe von Frankfurt am Main.
Magnus Kerner existiert nicht. Er ist ein Symbol für einen freien Geist.
Die Tür schwang auf und Magnus betrat seine Firma. Alle waren bereits da und saßen allein oder zu zweit an den Arbeitsplätzen. Es war ein reges Treiben. »Moin, Chef!« »Moin, Torben!« Der Kameramann saß im Schneidersitz neben der Eingangstüre und machte Updates an den Kameras. Wahrscheinlich gab es wieder neue Echtzeittrackingtools und anderen Firlefanz. Jann saß im Videochat mit einem Kunden. Magnus wusste schon, wer das war. Das Stadtmarketing ließ regelmäßig Beiträge erstellen über Neuigkeiten aus Frankfurt. Derzeit waren wieder Museumstage und da wurden auf vielen Werbeflächen zu Ausstellungen und Events geladen. Eigentlich eine einfache Sache. Eigentlich. Leider gab es seit diesem Jahr ein neues Designmanual. Dieses war derart dilettantisch aufgesetzt, dass man immer wieder auf Ungereimtheiten stieß: Es wurde eine dermaßen unleserliche Schriftart vorgegeben, die sich einfach nicht gut mit den Illustrationen vertrug, die dahinter erscheinen sollten. Man konnte daher am Ende nicht mehr entziffern, was da hätte stehen sollen. Dazu kam, dass die Farbvorgaben – gelbe Schrift auf weißen Illustrationen auf cyanfarbenem Hintergrund einfach grässlich aussahen. Und so musste die arme Jann ständig mit der Leadagentur und unheimlich wichtigen Menschen von der Stadt korrespondieren und zwischen Gleichgültigkeit, Dummheit und schierer Arroganz einen Ausweg aus der jeweiligen Misere finden. Beim Vorbeilaufen hörte er sie verzweifelt stammeln: »…nein, das F! Es geht um das F! Wir können die Typo hier nicht platzieren, weil das F dem Mann im Schritt sitzt. Das sieht dann aus, als wäre es sein Gemächt! … Ja, das liegt an der Position. Verstehen Sie mich? Hallo?« Der Automat saß vor ihr und arbeitete an einem 3D-Modell. Natürlich hatte er, obwohl er sie sonst immer trug, seine Kopfhörer abgenommen, um Janns Gespräch zu belauschen. Später würde er sie bestimmt mit Dackelaugen fragen, ob denn etwas bei ihrem Projekt nicht stimmte und die Antwort genüsslich aufsaugen wie ein Schwamm. Magnus ließ seinen Rucksack neben Annika fallen. Sie saß bereits am Schnitt des Beitrags. »Bin ich so spät dran oder du so früh?« Sie war ganz in ihrer Welt. »Ich wollte unbedingt schon anfangen. Du weißt ja, wie wichtig diese Folge ist und ich will nicht, dass der Klocke irgendwas findet, was nicht passt. Du weißt ja, wie er ist.« Magnus setzte sich neben sie. »Was soll er denn da bloß finden? Einen gefährlichen Hypernarzissten? Negative Beeinflussung von jungen Leuten? Aufrufe zum Verstoß gegen die Menschenrechte?« »Oh, du bist gut drauf heute? Toll! Dann lass uns mal weitermachen. Hier!« Sie schob ihm einen Kaffee hinüber. »Ich habe den Anfang schon mal so geschnitten. Sie haute auf die Playtaste. Das Intro lief an. Man sah einen Zusammenschnitt aus Posen von Reemah in extravaganten Klamotten zwischen bunten Effektlichtern. Das hatten sie vor einigen Monaten in einem befreundeten Studio aufgezeichnet. Jede Folge von Reemahs Channel hatte ein neues Intro – ein hoher Aufwand, aber aufgrund der Fülle an Influencern musste er irgendwie herausstechen. Das war teuer, aber wirksam. Es gab ebenfalls viele Trittbrettfahrer, die diesen Style kopierten, aber jeder wusste, was das Original war. Leider. Zudem war der Channel mittlerweile so angesagt, dass Kopffreiheit des Öfteren Anfragen von Labels bekam, die ihre Musik in einer Folge platziert haben wollten. Selbstverständlich war das im Interesse von Frieder und seinen Leuten, die die Musikvertriebe ordentlich ausquetschten. In dieser Folge war es ein geradezu grotesker Song: eine Mischung aus Gabba und Volksmusik. Zwischen dem Gehämmer in einhundertachtzig BPM mischten sich Akkordeons und bayerischer Volksgesang, der von blonden Magden und Dirndln erzählte sowie eines mysteriösen Seppls, der mit ihnen schmusen wolle. Die Schnittfolge der Bilder war entsprechend schnell, sodass man eigentlich zuallererst eine Epilepsiewarnung hätte zeigen müssen. Dann erschien der Titel von Reemahs Channel: Reemah. Kurz und bündig. Ein Meisterwerk. Und schon war der silbrige Reemah in seinem Schalensessel neben den beiden Kopflosen zu sehen. »Hey Freshies, hier ist eure Reemaaaah!« »Oh Gott, halt mal an! Das ist zu früh für mich.« Magnus machte einen großen Schluck aus der Tasse, schmatzte laut und sah Annika eindringlich an. »Wir können das alles noch stoppen!« »Papperlapapp! Wir haben doch schon den größten Quatsch durchgestanden! Freu dich doch, es ist nicht wieder eine Unterwäschefolge!« Energiegeladen wischte sie über das Shuttle, der Cursor sprang ein paar Frames zurück und sie haute wieder auf die Playtaste. »… eure Reemaaaah!« Das Format war inhaltlich Müll vom allerfeinsten, aber Annika war eine ausgebildete und erfahrene Cutterin und konnte wirklich aus dem schlechtesten Footage etwas Brauchbares, teilweise geradezu Unglaubliches herausholen. Das Internet war voller Amateure. Das war schon immer so. Sie zelebrierten gegenseitig ihren inhaltslosen, zeitraubenden Schrott und einige drangen damit weit vor bis an die Grenzen der Mittelmäßigkeitsblase. Aber dort war Schluss. Von hier aus konnte man nur noch mit Talent und Können weiterkommen. Daher wurde Kopffreiheit auch permanent gebucht. Sie breiteten den digitalen roten Teppich für diese Armleuchter aus, auf dem sie dann umherstolzierten, wenn sie sich das leisten konnten. Annika hatte bereits mehr getan, als sie gesagt hatte. Sie war verdammt schnell und präzise. Sie hatte bereits alle möglichen kleinen Unzulänglichkeiten und Versprecher rausgeschnitten und eine vielversprechende Schnittfolge unter Zuhilfenahme von Torbens ausgezeichneter Kameraarbeit hergestellt. Magnus fügte noch an, dass sie an einigen Stellen mehr Platz im Bild schaffen sollte für Productplacements. »Warte, ich schau mal, was wir heute haben.« Magnus ergriff das Tablet, das auf dem Schreibtisch lag und öffnete den Cloudfolder, in dem von Tillmann und Klocke die Assets für die Werbeschaltungen hineinkopiert wurden. »Okay, wir haben hier zwei Werbepartner: Da wäre ein E-Scooter aus Bambus von Woodrive und ein Voicepaket von Hollywooddarstellern für Smart Devices. Ich würde mal sagen, ich gebe die Scooterdaten mal rüber an unsere 3D-Abteilung. Den können wir dann rechts neben Reemah platzieren. Links stehen ja die zwei von der Gesundheitsbehörde. Da ist kein Platz mehr frei. Ja, und wegen dem Voicepaket - das nehmen wir dann, wenn er brüllt: Wie nennst du mich? Wie nennst du mich? Ach so, das müssen wir ja leider rausschneiden…« Annika prustete laut los. »Ja, echt schade, dass das raus muss. Aber hey, wir haben’s auf dem Server, wann immer du es brauchst. Wie sollen wir das Voicepaket denn da reinbringen?« Magnus grübelte. »Ich hab’s! Wir lassen das, was die Beamten sagen, einfach von der Sprachsoftware sprechen. Dann sind das eben keine x-beliebigen Leute, sondern Keanu Reeves und Kate Hudson. Dann bringen wir da noch die Typo und den QR-Code zum Download in die linke untere Ecke und fertig. Ich schreibe mal dem Frieder, ob wir das dürfen.« »Und wieder einmal hast du den Tag gerettet.« Annika zoomte an den entsprechenden Stellen aus dem Bild und machte Platz für die Werbeplatzierungen. Magnus ging hinüber, um den Automaten zu briefen. Dieser lud sich die 3D-Daten vom Bambus-Scooter in seine Software und glich die Kamerakoordinaten des Drehmaterials mit der Position des zu projizierenden Objekts ab. Danach musste noch entsprechendes Licht im Programm gesetzt werden, damit die Shader die Reflektionen im Raum nachahmen konnten. So wurde die Illusion perfekt. Magnus schaute ihm eine Zeit lang über die Schulter. Der Automat nahm seine Kopfhörer ab und visierte Magnus mit einem eigenartigen Blick an. »Yo, Magnus! Was macht ihr denn jetzt mit dem Behind-the-Scenes Material? Darfst du das überhaupt in deiner Cloud lassen?« Diese Frage traf Magnus bis ins Mark. Das hatte er völlig vergessen! Stimmt, sie sollten das Material auch noch in das Video einbinden! Aber das war vor allem eine echt seltsame Frage. Warum stellte er sie denn so eigenartig? Ja, er war eigenartig, aber warum die Frage nach dem Rechtlichen? Solche Gedanken waren ihm doch sonst fern. Wusste er vielleicht mehr als angenommen? Während Magnus ganz paralysiert war und in seinem inneren Labyrinth umherirrte, machte sich ein kaum sichtbares Grinsen auf dem Gesicht vom Automaten breit. Scheiße! Was wusste er noch? Wusste er überhaupt etwas? Die Finger an Magnus’ rechter Hand begannen, nervös zu zucken. Wortlos drehte er sich um und ging zu Annika. Er musste das kompromittierende Material loswerden! Langsam und gespielt lässig setzte er sich wieder neben sie. »Du, Annika, mir ist gerade eingefallen, dass wir ja noch das Footage von meinem Device haben.« »Shit! Ja stimmt! Das hatte ich völlig vergessen. Lad mir das doch mal rüber und ich bastle da noch schnell was draus. Wäre doch gelacht!« Magnus hatte einen Kloß im Hals. »Weißt du, äähm, ich habe mir das schon angesehen. Das kann man nicht nehmen.« Sie löste sich vom Bildschirm los. »Wie meinst du das?« »Tja, ich habe wohl meinen Finger die ganze Zeit halb im Bild gehabt. Das sieht total blöde aus. Ist doch sowieso nicht verkauft. Und was der will, ist doch eh…« »Zeig mal her.« Panik! Magnus musste die Flucht nach vorn antreten. »Wieso muss hier eigentlich jeder immer alles hinterfragen, was ich sage? Es ist unbrauchbar! Basta!« Er stand nun neben ihr, aufgeplustert wie ein Gockel. »Ist ja gut. Dann lassen wir’s eben. Mein Gott…« Sie rollte mit den Augen und machte unbekümmert weiter. Nervös scannte er die Umgebung nach feindlichen Blicken ab. Keinen schien es groß zu interessieren. Torben zwinkerte ihm aufmunternd zu und schnitt eine lustige Grimasse, immer noch ganz beschäftigt mit den Kameras. Doch jemand saß im Raum und hatte seine Kopfhörer nicht auf. Er schaute Magnus nicht direkt...
Erscheint lt. Verlag | 7.12.2021 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror | |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Dystopie • Gesellschaft • Spannung • Transhumanismus • Zukunft |
ISBN-10 | 3-7549-2978-X / 375492978X |
ISBN-13 | 978-3-7549-2978-0 / 9783754929780 |
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Größe: 386 KB
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