Luyánta (eBook)

Das Jahr in der Unselben Welt

***

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2022 | 1. Auflage
784 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01106-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Luyánta -  Albrecht Selge
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Jolantha ist im Bergurlaub von ihrer dauerwandernden Familie ebenso genervt wie diese von ihrer anstrengenden Tochter. Doch wer piepst da eigentlich ständig nach ihr? Äußerst merkwürdige Boten! Sie führen das Mädchen in eine faszinierende fremde Gegend, wo sie auf einmal Luyánta heißt und verzweifelt erwartet wird: Denn in der Unselben Welt herrscht Krieg zwischen den Fanesleuten und dem grausamen Adlerprinzen. Weit und gefährlich ist die Reise, aber ihr Doppelwesen als Prinzessin und Weißes Murmeltier macht Luyánta zu einer einzigartigen Kriegerin, und in Laleh findet sie eine treue Gefährtin. Zugleich droht ein verhängnisvoller Fluch sie von innen zu verbrennen. Und was hat es mit den verschwundenen unfehlbaren Pfeilen auf sich? Der entscheidende Kampf um das Schicksal der Unselben Welt wird auch einer um zwei höchst gefährdete Seelen: die eines geliebten Menschen und ihre eigene. Ob man mit Bastian in die «Unendliche Geschichte» eintauchte, mit Bilbo im «Hobbit» aus dem Auenland aufbrach - das Überschreiten der Schwelle zum Erwachsenwerden war schon immer Stoff für große Leseerlebnisse. Albrecht Selge entführt uns mit «Luyánta» in eine fantastische Welt. Die Geschichte eines besonderen Mädchens - und ein außergewöhnliches Abenteuer.

Albrecht Selge, geboren 1975 in Heidelberg, studierte Germanistik und Philosophie in Berlin und Wien. Sein begeistert aufgenommenes Debüt «Wach» (2011) wurde für den Alfred-Döblin-Preis nominiert und mit dem Klaus-Michael-Kühne-Preis des Harbour Front Literaturfestivals Hamburg ausgezeichnet. Die folgenden Romane «Die trunkene Fahrt» (2016), «Fliegen» (2019) und «Beethovn» (2020) wurden nicht weniger gelobt. 2022 erschien sein Jugendroman «Luyánta - Das Jahr in der Unselben Welt». Albrecht Selge lebt als freier Autor und Musikkritiker mit seiner Familie in Berlin.

Albrecht Selge, geboren 1975 in Heidelberg, studierte Germanistik und Philosophie in Berlin und Wien. Sein begeistert aufgenommenes Debüt «Wach» (2011) wurde für den Alfred-Döblin-Preis nominiert und mit dem Klaus-Michael-Kühne-Preis des Harbour Front Literaturfestivals Hamburg ausgezeichnet. Die folgenden Romane «Die trunkene Fahrt» (2016), «Fliegen» (2019) und «Beethovn» (2020) wurden nicht weniger gelobt. 2022 erschien sein Jugendroman «Luyánta – Das Jahr in der Unselben Welt». Albrecht Selge lebt als freier Autor und Musikkritiker mit seiner Familie in Berlin.

Der Drache


Der Drache war los, und er war verdammt gut drauf. Und das bedeutete, dass es fürchterlich war. Raserei. Spuckte giftiges Feuer. Als wäre Gift oder Feuer allein nicht schlimm genug, es musste beides zugleich sein. Er hätte am liebsten die ganze Welt vernichtet.

Und das alles auf diesem schotterigen Bergwanderweg im Nieselregen. In Gott weiß welcher Höhe. Hunderttausend Meter oder so. Dort vorn piksten die Berge ja schon in die Wolken. Sie aber (zwölf Jahre alt und sah aus, als wäre sie vierzehn oder fünfzehn) fühlte sich in diesen klobigen Bergschuhen wie ein Elefant. Trotz atmungsaktiver Wandersocken. Als würde jeder Fuß eine Tonne wiegen.

Dabei mochte sie Regen sogar lieber als Sonne (diese verrückte Sonnensucht der Erwachsenen und überhaupt aller Menschen). Wenn sie schon rausging, dann immer noch lieber im Regen. Sonne ist das Normale heutzutage, Regen das Besondere. Und das Beste ist Hagel. Aber am allerbesten trotzdem, wenn man irgendwo drin ist. Im eigenen Zimmer. Wütend kickte sie einen Stein.

Verdammte Wanderung, verschissene Sommerferien.

«Man darf nicht verschissen sagen!», hätte ihr kleiner Bruder jetzt gekräht (ihr sehr kleiner Bruder), wenn er ihre Gedanken gehört hätte. Aber erstens kann man Gedanken nicht hören. Und zweitens war der sehr kleine Bruder ihr ja schon weit voraus. «Selbst unser Zwerg hier wandert tüchtiger als du», hatte ihr Vater gestern gesagt, «ist dir das nicht peinlich, junge Frau?»

«Ja, ja.» Ah, wie sie das hasste, wenn er junge Frau sagte … abgrundtief!

«Sogar ein Ast läuft schneller den Berg rauf als du!»

«Ja, ja.»

«Jaja heißt Leck mich am Arsch», hätte der Vater dann entgegnen können, wenn er’s gehört hätte. Den räudigen Spruch hatte er aus der Bundeswehr, wo er irgendwann mal gewesen war. Gedient hatte. Als Papa noch knackig war wie eine Gurke, wie die Mutter sagte. (Die Redensart hatte sie aus ihrem Lieblingsbuch, das von einem Russen handelte, der sein ganzes Leben lang im Bett liegt. Wie auch die Mutter es am liebsten getan hätte – und zwar die ganze Zeit lesend …)

Dabei wurde der sehr kleine Bruder ja jedes Mal getragen, wenn ihm das Wandern zu anstrengend wurde. Mal setzte ihr Vater ihn auf seine starken Schultern, mal die Mutter auf ihre noch stärkeren, mal ihr großer Bruder (ihr etwas großer Bruder) auf seine, die vielleicht bald die stärksten waren. Obwohl er, wenn sie nicht wanderten, die ganze Zeit am Handy klebte, wie die Mücke im Spinnennetz. Sie durfte ja noch keins haben, nur ein lächerliches altes Tastenhandy hatten sie ihr mal erlaubt. («Ein Smartphone frühestens ab vierzehn», sagten die Eltern, obwohl alle anderen in ihrer Klasse schon eins hatten, «und in deinem Fall ja wohl eher ab fünfzehn oder sechzehn.») Und sogar sie selbst hatte den sehr kleinen Bruder an einem drachenlosen Tag schon mal auf ihre Schultern genommen, aber der war ziemlich schwer für einen Vierjährigen … na gut, keine Ahnung, wie schwer Vierjährige sonst sind … Dort oben schaukelte er dann nervig herum oder hüpfte einem mit dem Po im Nacken. Irgendwann ließ er sich wieder absetzen und wanderte weiter. Flitzte weiter. Immer voraus.

«Tüchtig, tüchtig. Schaut ihn an, diesen kleinen Mann!»

Alle Wanderer, die sie trafen, bewunderten ihn ausgiebig für seine Tüchtigkeit.

«Oha, dein kleiner Bruder ist aber tüchtig!»

Tüchtig, auch so ein Wort von vor hundert Jahren. Tüchtig, wie das klingt. Wie der Name Irmgard. Oder Schmalz.

Als ob sie nicht gekonnt hätte. Die anderen waren ihr nicht voraus, sondern sie war hinterher. Weit hinterher. Und warum? Weil sie es so wollte. Hi Leute, da bin ich wieder, und das ist die Wahrheit: Ich hasse es. So war das. Sie hatte einfach keine Lust zu wandern. Wozu in die Berge fahren, wenn man auch schön im eigenen Zimmer sitzen könnte? Im eigenen Zimmer ein ungestörtes, glückliches Leben verbringen? Dort hatte man ja die ganze Welt – ihre eigene Welt …

Stubenhockerin, sagten sie manchmal zu ihr. «Du Höhlenbewohnerin. Geh mal raus.» Bitte sehr. Ging sie halt raus: in die Mall, musste sie nur einmal durch den Park. Das Lustschlösschen-Center, das die Eltern «abgeranzt» nannten, heruntergekommen, die Hälfte der Ladenflächen stand leer. Von wegen, man hat dort alles, was das Herz begehrt. Da könnte sie jetzt abhängen, mit Kunigunde-Marie und Elif und Jacky.

Oder allein. Allein wär am besten.

Stattdessen: mehrtägige Höhentour in Südtirol, von Hütte zu Hütte. Ihr Auto, diesen peinlichen blauen Kia (einen Diesel), hatten sie auf einem Bergparkplatz oberhalb eines Dorfes stehen lassen, zwischen knisternden Nadelbäumen. «Das sind Fichten», hatte ihr Vater gesagt. «Nein, Lärchen», die Mutter. Wen interessiert’s. Nach einer Woche würden sie wieder dort ankommen.

Eine Woche wie ein zähes Jahrhundert.

Warum müssen Kinder wandern, nur weil Erwachsene gern wandern?

Und etwas große und sehr kleine Brüder. Die wandern auch gern. Aber die waren ja gar keine normalen Kinder. Vielleicht war genau das das Problem: dass sie, Jolantha Seyfried, der einzige normale Mensch auf der Welt war.

Begreift ihr das? Dass jemand keine Lust hat? Dass jemand es hasst?

Der Drache. Hi Leute, da ist er wieder.

Und wer trägt mich?

Keine Ahnung, wie es überhaupt wieder zu dem Streit gekommen war. Aber es war ja überhaupt nicht wert und würdig, sich damit zu beschäftigen. Es hatte keinen richtigen Grund für den Streit gegeben, nur ein paar dumme Worte, die die anderen zu ihr gesagt hatten. Und wie sie es sagten. Wie sie es sagten, das war im Grunde schlimmer, als was sie sagten. Spöttisch. Respektlos. Die Scherze des Vaters. Oder wenn er ein Machtwort sprach – peinlich, schlimm. Und die Belehrungen des etwas großen Bruders. Tat so vernünftig, der Typ, obwohl er die ganze Zeit bloß am Handy suchtete oder zu Hause am Computer. Sollte er aufhören, dann jaulte er rum wie früher der sehr kleine Bruder, wenn man ihm den Schnuller wegnahm. Und wenn sie ihn beim Zocken störte, haute er ihr eine rein! Gut, manchmal half er ihr auch bei besonders ekligen Hausaufgaben. Aber sonst … Und hier in den Bergen lief er dann auf einmal wie so ein Wanderweltmeister. Und belehrte sie neunmalschlau, wieder und wieder.

Als wollten die alle sie ständig provozieren. Ihren Drachen von der Leine reißen.

Egal. Na ja, fast egal. Jedenfalls war jetzt etwas anderes wichtiger. Sie griff unter ihre Regenjacke und zog ein Bonbon aus dem Täschchen, das sie immer trug – dieser kleinen gehäkelten Umhängetasche mit Plastikperlen und bunten Fransen, das ihre Mutter den Hippiebeutel nannte. Ah, sie hatte ein gelbes Bonbon erwischt: Geschmacksrichtung Ananas. Betonung auf Richtung, nicht Geschmack.

Das war allerdings auch noch nicht das Wichtige. Das Wichtige geschah, während sie weiterging, über die nasse, rutschige Schotterstraße voller Pfützen: Da hörte sie nämlich wieder dieses seltsame Pfeifen von den Berghängen. Helles Pfeifen. Von weit weg. Und trotzdem ziemlich laut.

Als sie es zum ersten Mal gehört hatte, da hatte sie gedacht, sie bildete es sich bloß ein. Es wäre nur in ihrem Kopf. Sie pfiff ja auch manchmal, auch ziemlich laut, wenn sie allein in ihrem Zimmer war und nicht gerade Youtube schaute. Früher hatte sie auch gern allein im Treppenhaus gespielt, und eigentlich hätte sie das immer noch gern getan, aber jetzt war sie dafür zu groß …

Das heißt, in Wahrheit war sie eben gar nicht allein, sondern im Spiel und in Gedanken umgeben von unsichtbaren Freundinnen. Manchmal auch Feindinnen, natürlich. So oder so leichter mit umzugehen als mit den sogenannten echten Freundinnen und Feindinnen in der Schule. Und vor allem interessanter als die, aufregender.

Wobei: Nichts gegen die echten Freundinnen, sie hatte ein paar, und die waren alle okay auf ihre Weise. Elif zum Beispiel und Kunigunde-Marie und Jacky. Nach den Sommerferien würden ihre Wege sich trennen, wie man so sagt, sie ging auf ein Gymnasium, Elif und Kunigunde-Marie auf ein anderes, Jacky auf eine Realschule. Sie sagten: Wir werden uns nicht aus den Augen verlieren, aber das würden sie natürlich doch, und ihr war’s ehrlich gesagt egal. Für den Rest der Klasse galt das natürlich erst recht. Trotzdem hatte sie auch gegen die andern nichts. Nicht mal gegen die Jungs. Konnten ihr nicht das Wasser reichen, die Knirpse, aber dafür können sie ja nichts. Freundschaft ja, aber alles in Grenzen bitte. Immer wieder zog es sie weg von allen anderen Menschen, auch denen, die beste Freundinnen sind. Kein Bedürfnis nach Umgang, schon gar nicht mit Gleichaltrigen.

Mein Herz ist zu voll, als dass darin noch Platz für andere wäre.

Und manchmal kam es ihr sogar vor, als ob alle anderen Menschen nur Täuschungen wären … Anders als die unsichtbaren Freundinnen. Die Täuschungen sind das Echte. Manchmal unterhielten sie und die Unsichtbaren sich in unbekannten Sprachen, die sie sich in diesen Momenten erst ausdachte. Singende Sprachen. Oder sie pfiff eben, so laut es ging. Irgendwo auf der Welt gab es Pfeifsprachen, darüber war mal was im Fernsehen gewesen. Irgendwelche seltsamen Hirtenvölker, die sich über Berge und Schluchten hinweg pfeifend miteinander verständigten.

«Dieses gottverdammte Gesinge und Gepfeife!», rief dann ihr Vater, der in Ruhe schreiben wollte. Oder Mittagsschlaf halten. Nachdenken nannte er das. (Andere Väter...

Erscheint lt. Verlag 8.3.2022
Zusatzinfo Mit 1 s/w Karte
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte Abenteuer • All Age • Alpen • Coming of Age • Fantasy • Fantasy Jugendbuch • Gegenwelten • Gut gegen Böse • Heldin • Magie • Phantastische Welten • Sagen • Sagenwelt • Südtirol • Zauberei
ISBN-10 3-644-01106-0 / 3644011060
ISBN-13 978-3-644-01106-9 / 9783644011069
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