Hans-Erdmann Schönbeck: "... und nie kann ich vergessen" (eBook)

Ein Stalingrad-Überlebender erzählt von Krieg, Widerstand – und dem Wunder, 100 Jahre zu leben

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
288 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-28718-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hans-Erdmann Schönbeck: "... und nie kann ich vergessen" - Tim Pröse
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Hans-Erdmann Schönbeck lag mit schwersten Verletzungen und erblindet vor Stalingrad und hatte keine Hoffnung. Doch er wurde gerettet. Als einer der letzten wurde er aus der Hölle geflogen. Fast 80 Jahre später, mit knapp 100 Jahren Lebensweisheit, blickte Schönbeck gemeinsam mit Spiegel-Bestseller-Autor Tim Pröse zurück: Auf seinen inneren Widerstand gegen Hitler. Auf die verpasste Gelegenheit, ihn zu töten, als Schönbeck nach der Schlacht in Hitlers Nähe kommandiert wird. Ein paar Nächte schläft er auch neben Graf Stauffenbergs Bombe. All das beschäftigt ihn, doch es bricht ihn nicht. Er macht steile Karriere in der Automobilindustrie und bleibt voller Demut und Dankbarkeit, gerettet worden zu sein. Mit dem großen Wissen, was Freiheit und Diktatur wirklich bedeuten, spricht er in diesem Buch über alte und neue Werte. Und das, was uns Menschen zusammenhält. Ein einfühlsames Porträt und ein Appell an die Menschlichkeit von einem Jahrhundertleben.

»Ich war zwölf, als Stalingrad unterging. Die meisten schwiegen damals. Vieles wurde inzwischen vergessen. Nun, genau acht Jahrzehnte später, bricht dieses Buch mit dem Schweigen und Vergessen. Es erzählt von einem Geretteten. Von einem, der trotz aller Wunden heiter blieb. Der sich mit fast 100 allem stellt. Es hat mich erstaunt. Und sehr bewegt!« Mario Adorf

Tim Pröse, geboren 1970 in Essen, ist Autor und freier Journalist in München. Sein Buch »Jan Fedder - Unsterblich« schaffte es 2021 aus dem Stand heraus auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Darauf folgte 2022 ein weiterer Platz 1 mit »Hans-Erdmann Schönbeck ?... und nie kann ich vergessen?« (»Es lohnt sich zu lesen, für uns alle« heute journal). Tim Pröse studierte Kommunikationswissenschaften, Politik und Psychologie, war Redakteur und Chefreporter, bekam den »Katholischen Medienpreis«, bevor 2016 sein Longseller erschien: »Jahrhundertzeugen. Die Botschaft der letzten Helden gegen Hitler« (FAZ: »Eines der berührendsten Bücher des Jahres«), 2017 folgte »Hallervorden. Ein Komiker macht Ernst«, 2018 »Samstagabendhelden« und 2019 »Mario Adorf. Zugabe!« (ZEITmagazin: »Ein feinfühliges Porträt«). Tim Pröse tourt mit bisher etwa 400 Lesungen durch Deutschland und war an mehr als 180 Schulen zu Gast mit seinen Vorträgen über Sophie Scholl, Oskar Schindler und Claus von Stauffenberg. 2022 erschien »Der Tag, der mein Leben veränderte. Von Menschen, die aus tiefster Krise zu sich fanden« (stern: »Eine Sammlung, die man nicht mehr vergisst«). 2024 kommt »Wir Kinder des 20. Juli. Gegen das Vergessen: Die Töchter und Söhne des Widerstands gegen Hitler erzählen ihre Geschichte« heraus.

Einleitung: Stalingrad in ihm


Etwas von Stalingrad ist noch in ihm. Ein paar Splitter, die ihn töten sollten. Sie sind Schönbeck geblieben, ein Leben lang. Sie stecken fest in seinem Rücken, bis heute. Acht Jahrzehnte lang gehören sie nun schon zu ihm. Es sind Granatsplitter.

Oft lassen sie ihn tagelang in Ruhe und mit etwas Glück auch ganz in seinem Jetzt sein. Doch gerade, wenn er sie lange nicht gespürt hat, weiß er, dass sie ihn bald schon wieder schmerzen werden.

Stalingrad ist ein Schmerz, der nicht vergeht. So wie die Vergangenheit nicht vergeht. In seiner Schulter nicht. In seiner Seele nicht. In Deutschland nicht.

Stalingrad, das war ein Menetekel. Eines mit etwa mehr als einer Million gefallener Soldaten und einer halben Million toter Zivilisten. Die unerbittlichste und grausamste Schlacht des 20. Jahrhunderts. Wenn dieses Buch erscheint, wird an ihren Beginn vor 80 Jahren im August 1942 auf der ganzen Welt erinnert werden.

Stalingrad war zudem die große Wende im Zweiten Weltkrieg, vor allem eine psychologische. Der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Der bis dahin unaufhaltsam geglaubte Feldzug Hitlers kam endgültig zum Stehen. Und so war Stalingrad in all seinem Schrecken auch der Anfang eines nicht mehr fernen Ende des Grauens. Denn der blitzartige und für viele Völker und Verfolgte todbringende Vormarsch der Wehrmacht war nun gestoppt.

Schönbeck fühlte lebenslang, dass er das Sterben von Stalingrad nicht würde vergessen können. Und wenn das schon so war, dann war es doch besser, sich ihm zu stellen, als es zu verdrängen. Schönbeck stellte sich immer allem in seinem Leben. Deswegen war er sehr erfolgreich. Er war ein Topmanager in der Automobilindustrie.

Und er beherrschte die Kunst, zu leben. Wirklich zu leben. Auch wenn ihn das Sterben einiges gelehrt hatte. Denn eigentlich hätte er ja sterben müssen. So wie Hunderttausende Russen und wie fast die ganze 6. deutsche Armee in Stalingrad starben.

Doch auch wenn Stalingrad bis heute in ihm geblieben ist, so ist um ihn herum immer noch München. Eine Stadt wie ein Trost. Jeden Tag schaut er von seinem Fenster in einer Seniorenresidenz hinunter auf diesen Ort, der gut zu ihm war und ist. Von hier oben blickt er an manchen Tagen, die wie aus Glas sind, bis zur Alpenkette. Er kann ihre Gipfel zählen, wie sie sich vor seinem Blick ausbreiten wie die Zähne eines Sägeblatts. So scharf umrissen sind sie an guten Tagen. Auf manchen von ihnen liegt Schnee.

Harmlos glitzert er als Postkartenmotiv vor seinen Augen. Er hat so gar nichts gemein mit dem Schnee, dem verfluchten, seiner Erinnerung. Und auch nichts mit der Kälte. Seit dieser Zeit hat er ein anderes Gefühl für Schnee. Er weiß um seine tödliche Macht.

Herr Schönbecks Gespür für Schnee hat einen traurigen Grund: In und um Stalingrad starben etwa 226000 deutsche Soldaten und weitere 300000 Verbündete, unter ihnen viele Rumänen, die rund um Stalingrad den Tod fanden. Etwa eine Million Russen. Hitlers Überfall auf Russland war von ihm von Anfang an als Vernichtungsfeldzug geplant.

91000 deutsche Soldaten gingen in Gefangenschaft.

Nur etwa 9000 von ihnen kehrten in ihre Heimat zurück.

Wir haben längst Frühling. Der Mann, der in Breslau im heutigen Polen zur Welt kam, hat hier oben seinen Frieden gefunden. Er hat es sich behaglich gemacht. Und er fühlt sich hier sicher und umsorgt. Aber eine falsche Bewegung reicht schon. Dann schmerzt der Krieg wieder in ihm, dann stechen die Splitter noch einmal zu. Oder die Erinnerungen.

Er nimmt beides mit einem sonderbaren Gleichmut hin, mit seinem immer gleichen Lebensmut. Und mit einer geradezu ansteckenden Heiterkeit. Wer in seiner Nähe ist, den lässt er gleich ein bisschen leichter und gelassener sein. Denn wenn Schönbeck alles so tapfer geschultert hat und trotzdem stets heiter blieb, möchte man selbst doch bitte nicht nachstehen und versucht, zurückzulächeln.

Dieses Muntere und Lebensbejahende hat ihn nun fast ein Jahrhundert lang getragen. Auch aus seinem Gestern immer wieder ins Heute. Für den Mann mit den Splittern in der linken Schulter ist die Vergangenheit gegenwärtig. Schönbeck trägt die Geschichte unter seiner Haut. Nicht bloß dort, wo das Geschoss sein linkes Schulterblatt zerstört hat. Sondern im Herzen. Denn er ist ein herzlicher Mensch.

Er klagt nicht, denn er sollte viel zu früh im Leben lernen, allen Schmerz mit sich selbst auszumachen. Hart und rücksichtslos sollte er werden, so hat es Hitler von ihm verlangt.

Aber Hansi blieb immer der eine. Das hat ihn von Beginn bis zum Ende der Nazis weit von ihnen entfernt.

Wie so viele Heimkehrer hat er selbst seinen Kindern und Enkelkindern immer nur kurz und knapp vom Krieg erzählt. Stets nur in kleinen Dosen, am besten bloß diese wenigen, fast harmlosen Anekdoten, die er extra für sie auf Lager hatte. Wenn er die darbot, hat er immer versucht, dabei auch noch zu lächeln. Nie hat er ihnen die ganze Geschichte erzählt. So wie er das jetzt hier tut. Weil er niemanden traurig machen und belasten wollte, schon gar nicht seine Liebsten. »Krieg ist unbeschreiblich«, hat er immer dann gesagt, wenn jemand nachgehakt hatte.

Aber auch, weil Schönbeck lieber darüber sprach, wie viel Glück er im Leben gehabt hatte, ganz viel sogar: »Es hat mich niemals verlassen«, sagt er.

Doch jetzt ist er so weit. Hans-Erdmann Schönbeck hat sich entschlossen. Er wird für dieses Buch am Ende seines Lebens noch einmal zurückkehren an dessen Anfang. Nach Stalingrad wird er sich zurückdenken. Zurückfühlen. Zurücktasten. Er ist dazu bereit.

Es ist an der Zeit. Am 9. September 2022 wird er vielleicht hundert Jahre alt werden.

Und vorher? Vorher wird er in seinen Erinnerungen noch einmal am Bahnsteig stehen mit seiner Liebsten. Er wird ihre Hand loslassen und in den Zug steigen, der ihn nach Russland bringt.

Er wird noch einmal Fahnenjunker der 11. Panzerdivision, später Leutnant und Oberleutnant im 24. Panzerregiment sein und dort eine Schwadron und eine Zeit lang sogar eine ganze Abteilung führen.

Er wird noch einmal in den Panzer steigen, mit dem er bis an die Wolga stürmt, mit dem er ein fremdes Land überfällt.

Er wird noch einmal in einem Erdloch liegen mit einer Pistole und einer letzten Patrone in der Hand, weil er überlegt, nicht mehr leben zu wollen, bevor die Russen ihn finden. Er hört sie doch längst kommen. Das Donnern ihrer Geschütze dringt Stunde um Stunde näher an sein Versteck im Boden.

Er wird noch einmal Graf Stauffenberg anschauen und gebannt sein von seiner Aura, mit der er Schönbeck sofort für sich einnimmt.

Er wird noch einmal in seinen Gedanken im Mauerwald in der Nähe des Führerhauptquartiers Wolfsschanze sein und dort in seiner Baracke wochenlang neben der Bombe schlafen, die Hitler töten sollte.

Und er wird auch noch einmal vor dem Mann stehen, der seiner 6. Armee verboten hatte, aus dem Kessel von Stalingrad auszubrechen und der sie damit aufgegeben und verraten hatte: Hitler.

Schönbeck wird im Jahr 1943 tatsächlich vor ihm stehen und ihm ins Weiße seiner Augen sehen. Er wird erst die Hand zum Hitlergruß heben und sie danach an seine Pistolentasche legen. Und dabei wird der eine Gedanke in ihm brennen: »Los! Du kannst es doch jetzt tun! Wieso erschießt du ihn nicht?«

Er weiß, dass beim großen Erinnern für dieses Buch alles Schreckliche und hoffentlich auch etwas von all dem Schönen in seinem Leben noch einmal an ihm vorbeiziehen wird. Vielmehr durch ihn hindurch. Vielleicht so, wie man das von Menschen hört, die dem Tod sehr nahe waren und noch einmal zurückkehrten ins Leben.

Schönbeck ist solch ein fast Gestorbener und solch ein Rückkehrer ins Leben. Er trägt gern maßgeschneiderte Jacketts, dazu Manschettenknöpfe an seinen korrekt gebügelten Hemden und Budapester Schuhe. Die 80 Jahre, die er nach seinem Beinahe-Tod in einer zerrissenen Uniform erlebte, waren eine einzige wunderbare Zugabe.

Es erhebt, diesem Mann dabei zuzusehen, wie sich Dank und Demut in sein Gesicht stehlen, wenn er sich an all die Jahre danach erinnert. Und mit wie viel Mitgefühl für die Opfer er das tut, deren Leben in Stalingrad endete.

Erst als ich seine Stimme noch einmal auf meinem Aufnahmegerät anhöre, fällt mir endlich ein, an wen sie mich die ganze Zeit erinnert hat: an die legendäre Stimme von Professor Bernhard Grzimek, der uns mit in unbekannte Länder nahm, mitten aus den Wohnzimmern unserer Kindheit. In die Serengeti statt nach Stalingrad. Und der wie Schönbeck aus Schlesien stammte.

Dieser Ton in seiner Stimme. Er näselt ein bisschen und klingt doch wach, als würde er nach etwas forschen. Ich denke an eine vom Aussterben bedrohte Art. Nicht nur jene zu sprechen. In den Sätzen dieser Menschen lagen Wissen, Leid, aber auch Abenteuer und Abgründe. Ich freue mich, dieser Art und Weise zu reden auf den Bändern noch einmal zu begegnen.

Sie gehörte Männern und Frauen dieser Zeit, die etwas zu sagen hatten. Sie sagten es niemals nebenbei oder einfach so dahin, eher schneidig. Sie trugen es vor. Hans-Erdmann Schönbecks Stimme hat auch dieses Knistern und zudem dieses Eindringliche alter Stimmen. Sie kommt in Zitaten in diesem Buch zur Geltung und in eigenen Kapiteln, die sich mit den von mir erzählten oder beschriebenen abwechseln – sie sind in zwei verschiedenen Schriftarten gedruckt.

Fast klingt Schönbecks Stimme wie auf alten Schellackplatten, mit all ihren Kratzern und ihrem Staub zwischen den Rillen. Brüchig mitunter, weil sie nach dem sucht, was war. Weil sie schürft. Mit Gefühl und Charisma....

Erscheint lt. Verlag 2.2.2022
Zusatzinfo Fotos im Text u. Bildteil
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte 100 Jahre alt • 2022 • 2. Weltkrieg • Augenzeugen • Biografie • Biographien • BMW • Drittes Reich • eBooks • Geschichte • Hundertjähriger • Kriegsheimkehrer • Langes Leben • Lebensweisheit • Nationalsozialismus • Neuerscheinung • Porträt • Stalingrad • Terror • Überlebende • Weltkrieg • Widerstand • Zeitgeschichte • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-28718-9 / 3641287189
ISBN-13 978-3-641-28718-4 / 9783641287184
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