Dämonenritt (eBook)
408 Seiten
Hybrid Verlag
978-3-96741-129-4 (ISBN)
Diana Kricheldorf, Jahrgang 1972, hat Krankenschwester in Saarlouis gelernt. Heute lebt sie in Hüttersdorf und ist Hausfrau. Dadurch kann sie sich ihrer großen Leidenschaft, dem Schreiben widmen.
Diana Kricheldorf, Jahrgang 1972, hat Krankenschwester in Saarlouis gelernt. Heute lebt sie in Hüttersdorf und ist Hausfrau. Dadurch kann sie sich ihrer großen Leidenschaft, dem Schreiben widmen.
Die Puppenmacherin
Yvonne Quasdorf
Gabriel klappte die Sonnenblende am Fahrersitz herunter, um seine Augen vor dem einfallenden Licht zu schützen. Die dichten Baumkronen erzeugten einen flackernden Wechsel von Hell und Dunkel, der ihn an den alten Filmprojektor im Keller seiner Eltern erinnerte. Es war schon eine Weile her, dass ihm auf dem schmalen Schotterweg ein Auto entgegen gekommen war. Trotzdem nahm er den Fuß vom Gas. Schließlich konnte jederzeit ein Reh aus dem Dickicht geschossen kommen. Oder ein Troll. Wenn es welche gab, dann sicher in diesen Wäldern.
»Das Haus deiner Mutter liegt ja ganz schön weit ab vom Schuss«, stellte er das Offensichtliche fest, in der Hoffnung, Elise würde auf den fragenden Tonfall in seiner Stimme eingehen. Doch seine Freundin, die die ganze Fahrt über auf dem Beifahrersitz vor sich hin döste, gab nur ein zustimmendes Brummen von sich. Dann löste sie die Schläfe von der Scheibe, aber nur, um den Blick nach draußen auf das vorüberziehende Grün zu richten. Bestimmt verband sie mit der Landschaft die eine oder andere Kindheitserinnerung.
»Weißt du«, fing sie irgendwann an, als er schon längst nicht mehr mit einer Reaktion rechnete. »Meine Mutter liebt die Abgeschiedenheit des Waldes. Sie tut sich oft schwer mit … sozialen Kontakten und kann auf manche Menschen etwas … sonderbar wirken.«
Die Pausen in Elises Sätzen gefielen ihm gar nicht. Bisher hatte seine Freundin immer nur davon gesprochen, wie nah sie und ihre Mutter sich standen und wie schwer es für die beiden gewesen war, nachdem der Vater kurz nach Elises sechstem Geburtstag das Weite gesucht hatte. Von sonderbar war nie die Rede gewesen. Was sollte das überhaupt bedeuten? Gabriel witterte das Streitpotenzial in der Frage und unterließ es, nachzuhaken. Stattdessen sagte er nur: »Ich wette, wir werden uns blendend verstehen.« Eine hohle Phrase, aber Elise schien sie zufriedenzustellen.
Das Zellophan, das den Blumenstrauß aus gelben und roten Gerbera umhüllte, knisterte unter seinen verkrampften Fingern. Er hatte die letzte halbe Stunde der Autofahrt damit zugebracht, sich auszumalen, welche Eigenschaften von Elises Mutter die Beschreibung sonderbar rechtfertigen würden. Seine Top 3-Theorien lauteten:
- Sie hatte einen Altar im Haus, wo sie den heiligen Wesen des Waldes huldigte.
- Sie bestand darauf, dass Besucher sich nur in einer Geheimsprache unterhielten, aus Angst, abgehört zu werden.
- Sie war ein Hippie und lief mit Vorliebe nackt herum.
Die Eingangstür öffnete sich mit einem Knarren und Gabriel schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass sich seine letzte Theorie nicht bewahrheiten würde. Ein Lichtstreifen fiel in das dunkle Innere des Hauses und beleuchtete die Gestalt einer kleinen rundlichen Frau. Das ergraute Haar trug sie zu einem Dutt hochgesteckt. Rasch nahm Gabriel ihr restliches Erscheinungsbild in sich auf: ausgelatschte Puschen, eine braune Stoffhose und eine Bluse mit Karomuster. Auf den ersten Blick wirkte sie wie ein ganz normales Hausmütterchen.
Gabriel räusperte die Enge in seinem Hals weg und streckte die Blumen vor sich wie einen Schutzschild.
»Hallo, Frau Reikowski. Ich bin Gabriel. Freut mich, Sie kennenzulernen«, ratterte er seinen Text herunter.
Die Frau auf der Schwelle verzog die Lippen zu einem breiten Lächeln, das die tiefen Falten um ihre Mundwinkel hervortreten ließ.
»Ich bitte dich. Nenn mich Ingrid.«
Sie nahm ihm den Strauß ab und tätschelte dabei flüchtig seinen Unterarm. Dann zog sie Elise in eine feste Umarmung.
»Kommt rein, Kinder. Ihr müsst ja von der langen Fahrt ganz erschöpft sein.«
Immer noch leicht angespannt folgte Gabriel ihr ins Haus. Schon nach den ersten Schritten in die Diele beschlich ihn eine Ahnung, worauf seine Freundin angespielt haben könnte.
»Wow, Sie sammeln wohl Puppen!«
Und sein Name lautete Captain Obvious. Die schiere Masse an altmodischen Porzellanfiguren im Haus war überwältigend. Auf jeder halbwegs ebenen Fläche im Eingangsbereich und im angrenzenden Wohnzimmer thronte mindestens ein Miniaturmensch. Das Gefühl, aus allen Winkeln des Hauses angestarrt zu werden, kroch Gabriel unter die Haut.
Mit einem Lächeln, das hoffentlich mehr interessiert als verstört wirkte, ging er zu einer mit Schnitzereien verzierten Holzkommode und betrachtete die dekorativ aufgereihten Puppen, deren Beine von der Kante baumelten. Aus den Augenwinkeln registrierte er, wie Ingrid an seine Seite trat.
»Ich sammle sie nicht nur. Ich stelle sie auch her.«
»Echt? Das find’ ich ja stark!«
Der bewundernde Tonfall war nur zum Teil gespielt. Denn auch wenn er sich so ein Ding niemals ins eigene Wohnzimmer gestellt hätte, offenbarten die akribisch geformten Gesichtchen ein nicht zu verachtendes handwerkliches Talent.
Er nahm ein Mädchen mit grüner Schürze in die Hand und strich fasziniert durch die langen blonden Strähnen, welche einzeln an die Perückenbasis geknüpft waren. Auf einen oberflächlichen Betrachter musste das Haar täuschend echt wirken. Für ihn als Friseur waren der künstliche Glanz und die unnatürliche Glätte wiederum offensichtlich.
»Dir gefallen wohl blonde Frauen.«
Elises Mutter hatte den Satz ganz leise ausgesprochen. Doch der beißende Tonfall in ihrer Stimme brachte die Alarmglocken in seinem Kopf zum Schrillen. Hastig setzte er die Puppe wieder an ihren Platz zurück und räusperte sich verlegen. Was sollte die Anspielung? Elise hatte braunes Haar.
Eben diese meldete sich nun von der anderen Raumseite her. »Oh Mama, was machen denn diese Fotos noch hier?«
Dankbar für die Ablenkung wandte er sich mit Ingrid zusammen der Sofaecke zu, wo Elise stirnrunzelnd vor einigen Rahmen stand. Gabriel betrachtete die Bilder, auf denen seine Freundin in den unterschiedlichen Stadien ihrer Teenager- und Erwachsenenjahre abgebildet war. Zunächst dachte er, sie würde sich frauentypisch über die Erinnerung an modische Fehltritte aufregen. Doch dann bemerkte er, dass sie auf keinem der Fotos alleine war. Wer waren diese ganzen Männer? Etwa Elises Exfreunde?
Ja, den Glatzkopf auf dem letzten Bild kannte er. Das war Jens — sein Vorgänger. Bis vor zwei Jahren hatten sie noch im selben Fußballverein trainiert, wo dieser Prolet immer wieder durch sein Gehabe aufgefallen war. Eine Klassefrau wie Elise hatte er definitiv nicht verdient und so war Gabriel froh gewesen, als Jens plötzlich von der Bildfläche verschwunden war. Nach Mexiko ausgewandert. Einfach so. Und das, obwohl der Idiot keinen geraden Satz auf Englisch herausbrachte, geschweige denn auf Spanisch.
»Du hast wirklich einen furchtbaren Männergeschmack«, kommentierte Ingrid und knüpfte damit unbewusst an seinen letzten Gedankengang an. Doch die Tatsache, dass sie einer Meinung waren, freute ihn nicht. Ihm war nämlich nicht entgangen, dass sie in der Gegenwartsform gesprochen hatte.
»Der da war der Schlimmste«, fuhr sie fort und deutete mit dem Zeigefinger auf eine der älteren Aufnahmen, die einen Jungen um die 18 zeigte. Er hatte braune Wuschellocken und ein Gesicht voller Sommersprossen. Noch harmloser hätte nur ein Rehkitz aussehen können. Was war bloß los mit dieser Frau? Hasste sie alle Männer, die größer als 50 Zentimeter waren?
Doch zu seiner Überraschung pflichtete Elise ihr bei.
»Ja, er war ein echtes Arschloch. Und genau deshalb möchte ich nicht jedes Mal, wenn ich hierherkomme, an ihn und die anderen Loser erinnert werden.«
»Ich finde aber, man sollte sich seine Fehler regelmäßig vor Augen führen, damit man sie nicht wiederholt.« Ingrid warf ihm einen Seitenblick zu. »Gabriel, du verstehst, was ich meine, oder?«
Schon wieder dieser seltsame Unterton. Er zuckte mit den Schultern. »Ich schätze schon.«
Ingrid schenkte ihm ein schmales Lächeln. Dann straffte sie die Schultern und klatschte in die Hände.
»Also gut, dann lasst uns mit den Vorbereitungen fürs Abendessen anfangen. Der Wildbraten müsste mittlerweile aufgetaut sein.«
Gabriel öffnete den Mund, doch Elise kam ihm zuvor. »Mama, ich hab’ dir doch gesagt, dass er Vegetarier ist.«
»Ach!«, machte Ingrid und zog dabei ein übertrieben zerknirschtes Gesicht. »Das muss ich wohl vergessen haben.« Hexe. Die Alte drehte sich zu ihm um, und er beeilte sich, seinen Groll mit einem Lächeln zu kaschieren. »Wenn du aus ethischen Gründen verzichtest, musst du dir aber keine Sorgen machen. Das Fleisch stammt von einem regionalen Wildtier. Und es ist nicht bei einer Hetzjagd gestorben. Der Jäger hat ihm aufgelauert.« Sie machte eine Pause. »Es war tot, bevor es überhaupt wusste, was los ist.«
Gabriel suchte den Blick seiner Freundin, um herauszufinden, ob ihr Ingrids Verhalten genauso seltsam vorkam wie ihm. So redete doch kein normaler Mensch! Aber Elise war immer noch in die Fotos vertieft und schien dem Gespräch nur mit halbem Ohr zu lauschen.
»Nun, in dem Fall kann ich wohl mal eine Ausnahme machen«, gab er schließlich nach.
»Wunderbar! Komm, ich zeig dir, wo du euer Gepäck abstellen kannst. Elise, fängst du schon mal mit Zwiebelschneiden an?«
Nein, nein, nein! Lass mich bitte nicht allein mit ihr, versuchte Gabriel seine Freundin auf telepathischem Wege zurückzuhalten. Doch entweder hatte Elise ihre Antennen ausgeschaltet, oder sie ignorierte sein stummes Flehen absichtlich.
Somit blieb ihm nichts anderes übrig, als sich die...
Erscheint lt. Verlag | 31.10.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Anthologie • Dämon • Dämonenritt • Horror • Kopf • Psychisch • psychologisch |
ISBN-10 | 3-96741-129-X / 396741129X |
ISBN-13 | 978-3-96741-129-4 / 9783967411294 |
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