Horvath und die verschwundenen Schüler (eBook)
304 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45744-3 (ISBN)
Marc Hofmann, Jahrgang 1972, ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch. Von diesem Halbtagsjob nicht ganz ausgelastet, hat er bereits zwei Romane veröffentlicht und tritt seit 2015 regelmäßig mit seinem Kabarettprogramm 'Der Klassenfeind' auf, das sich rund um das Thema Schule dreht. Daneben gibt er bundesweit Lesungen aus seinen Romanen oder Kurztexten, teilweise kombiniert mit Livemusik, die er solo oder mit seiner Band Die Ständige Vertretung spielt, mit der er 2015 das Album 'Lieder von der unsicheren Seite' veröffentlichte.
Marc Hofmann, Jahrgang 1972, ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch in Freiburg. Von diesem Halbtagsjob nicht ganz ausgelastet, hat er bereits zwei Romane veröffentlicht und tritt regelmäßig mit seiner Band "Die Ständige Vertretung" sowie seinem Kabarettprogramm "Der Klassenfeind" auf, das sich rund um das Thema Schule dreht. Mit "Horvath und die verschwundenen Schüler" geht seine Lehrer-Krimireihe in die zweite Runde.
Kapitel 2
Der Bus hielt auf einem nicht asphaltierten Parkplatz neben der Straße.
»So, Herrschaften«, rief der Fahrer. »Alles aussteigen, weiter kann ich bei dem Wetter nicht fahren. Den Rest müsst ihr laufen.«
Die Schüler verfielen in allgemeines Gezeter.
»What, laufen?«, rief ein Mädchen. Bei dem Wort »what« war es wichtig, dass man es in die Höhe und in die Länge gleichzeitig zog. »Wie weit denn?«
»Ist nicht weit«, sagte der Busfahrer grinsend. »Zwanzig Minütchen. Immer den Feldweg lang.«
Unter Jammern und Wehklagen holten die Schüler ihre Taschen aus dem Stauraum des Busses. In der Tat lud das Wetter nicht zu einem längeren Fußmarsch ein, aber Laufen stand generell nicht sonderlich hoch im Kurs bei den jungen Menschen, vor allem nicht das Schleppen von für drei Nächte erstaunlich großen und schweren Taschen, ganz zu schweigen von den Rollkoffern, mit denen einige angereist waren.
»Alter, das mach ich nicht!«, bestimmte Isa und blieb trotzig stehen.
»Was genau ist die Alternative?«, fragte ich sie und zeigte auf den Bus, der in dem Moment losfuhr.
Wütend blickte sie vom Bus zu mir und wieder zurück, bevor sie sich maulend in Bewegung setzte.
Hinter dem Bus, der gerade wendete, fuhr ein schwarzes Auto auffällig langsam die Straße entlang. Es handelte sich um einen tiefergelegten Sportwagen, dessen Fabrikat ich nicht erkennen konnte. Darin saßen drei oder vier schwarz gekleidete Männer mit kurzen schwarzen Haaren und arabischem Aussehen, die uns mit düsteren Mienen merkwürdig interessiert ansahen. Niemand außer mir schien das Auto zu bemerken, das auf den Parkplatz rollte und an dessen hinterem Ende zum Stehen kam.
»Gregor, kommst du?«, hörte ich Maria Götz rufen. Ich blickte noch einmal zu dem schwarzen Wagen, in dem sich nichts regte, riss mich los und folgte der Gruppe hinein in den graugrünen Wald.
Die ersten Jugendlichen standen bereits nach wenigen Minuten kurz vor dem Kollaps. Offenbar am Ende ihrer Kräfte angelangt, schleppten sie sich durch die düstere Landschaft. »Alter, meine Füße sind nass«, rief Kristina, und ein Blick auf ihre weißen Sneaker ließ erahnen, dass sie damit nicht unrecht hatte. Allerdings ging es mir mit meinen Lederschuhen nicht besser, was ich aber für mich behielt. Die Einzigen, die trockenen Fußes an der Hütte ankommen würden, waren Maria Götz und drei Schüler, die ordnungsgemäß gekleidet waren, allesamt eher Außenseiter und naturwissenschaftlich begabte junge Menschen, die immun gegen das herrschende Modediktat schienen, womit sie sich jetzt schon für ein Lehramtsstudium empfahlen, wie ich leise lächelnd dachte.
Achmed, ein schwerfälliger und untersetzter Schüler, der sich prinzipiell nicht körperlich bewegte, blieb nach einer Weile einfach stehen und verlangte nach seiner Mutter, die ihn normalerweise jeden Morgen mit dem Familienmercedes zur Schule brachte.
Der kleine Paul lief plötzlich neben mir. Paul war ein Schüler an der Schwelle zur Hochbegabung oder sogar darüber hinaus. Hochbegabung war in den letzten Jahren so eine Art Trend an Gymnasien geworden, in der Regel bedeutete es zumindest bei den Jungs, dass der Schüler nicht still sitzen konnte, sozial inkompatibel war, schlechte Noten hatte und sich sehr für Vulkane oder das Weltall interessierte. Und weil sie sich mit Erwachsenen besser unterhalten konnten als mit Gleichaltrigen, lief nun der kleine Paul neben mir und fragte mich, ob ich diese neue Serie aus dem Star-Wars-Kosmos schon gesehen habe.
Ehe ich ihn fragen konnte, ob er eigentlich glaube, dass ich eine Art Vampir sei, der ewig lebe und dem es deshalb gleichgültig sei, wie viele Stunden seiner unendlichen Zeit er mit so einem Unfug verbringe, musste ich lautstark den irren Max ermahnen, auf dem Weg zu bleiben, da dieser aus unerfindlichen Gründen ständig das Bedürfnis hatte, ins Unterholz zu rennen. Prompt sprang er, meine Mahnung ignorierend, auf mehrere große Steine abseits des Weges, gefolgt von seinem Kumpan David, der auf einem glitschigen Wackerstein ausrutschte und unter dem Gejohle seiner Mitschüler der Länge nach hinschlug. Ich half ihm auf und sah ihm an, dass der Sturz alles andere als harmlos gewesen war, auch wenn er versuchte, sich seine Schmerzen nicht anmerken zu lassen. Ich setzte ihn auf eine Bank, die vor einem umzäunten Grundstück mit einer Art Gartenhaus darauf stand. Etliche Schüler nutzten die kurze Pause, um Fotos von sich und ihren Freunden zu machen. Als David nach einer Weile wieder in der Lage war aufzustehen, machte er ein paar Witze, konnte aber ein Humpeln nicht ganz unterdrücken.
Der Weg war weit und nass, und es wurde zu einem dieser Momente, in denen man sich ganz weit weg wünscht von dem Ort, an dem man sich befindet. Ich hatte nie eingestimmt in das Jammern über Klassenfahrten, denn ich sah sie als pädagogisch notwendig, im günstigsten Fall sogar bereichernd an. Aber in diesem Moment hatte ich keine Lust. Die Fahrt war von Anfang an unter keinem günstigen Stern gestanden. Der eigentliche Klassenlehrer hatte der Klasse zu Beginn des Schuljahrs verkündet, er fahre überall mit ihnen hin, solange die Schüler die Planung selbst übernähmen. Er stelle sich gerne formal für alles Notwendige zur Verfügung, aber ein Reiseziel zu finden, Angebote einzuholen, das Budget zu ermitteln, Anreise- und Übernachtungsmöglichkeiten zu sondieren, für all das seien die Schüler zuständig. Große Pädagogik hatte er es im Lehrerzimmer noch genannt, Erziehung zur Selbstständigkeit, und wenn sie es nicht hinbekämen mit Paris, London oder Rom, »können wir ja immer noch in den Schwarzwald fahren«, so seine Worte. Das war, bevor er sich in den Burn-out geflüchtet hatte, wie es ein Kollege mitfühlend formulierte.
Natürlich war die 11c nicht sonderlich erfolgreich bei der Planung gewesen. Das Vorhaben des Klassenlehrers war in einer Klasse, die sich grundsätzlich von mehr als zwei Klassenarbeiten pro Woche überfordert fühlte, woraufhin bei der dritten mitunter ein Drittel Schüler fehlte – wenn auch immer sauber von zu Hause entschuldigt –, vielleicht arg optimistisch gewesen. Es sei denn, man wollte dem Kollegen unterstellen, dass sein Kuraufenthalt möglicherweise schon von langer Hand geplant gewesen war, was ich zu vermeiden versuchte. Und nachdem wir ja, da alle Stricke gerissen waren, immer noch in den Schwarzwald hatten fahren können, waren wir nun genau hier.
Das auf Selbstversorgung ausgerichtete Haus war laut Maria Götz eines der wenigen, das so kurzfristig überhaupt noch zu haben gewesen war. Ich selbst kam so knapp hinzu, dass ich mich lediglich noch in die Verpflegungsvorbereitungen hatte einbringen können; das allerdings aus ganz konkretem persönlichen Interesse, denn auch in diesem Teenager-Gulag wollte ich gut essen. Ich hatte Kochteams eingeteilt, den Einkauf der Lebensmittel persönlich überwacht und gedachte auch beim Zubereiten der Speisen eher nichts dem Zufall zu überlassen. Nachdem das Busunternehmen uns am Vortag mitgeteilt hatte, dass der Bus bei den derzeitigen Witterungsbedingungen nicht bis zur Hütte würde fahren können, hatten Maria Götz, die nicht nur über Allwetterkleidung, sondern auch den dazugehörigen obligatorischen Lehrer-VW-Bus verfügte, und ich bereits tags zuvor die Verpflegung hier hinauftransportiert.
Ich sah mich um und nahm erstaunt zur Kenntnis, dass unser Weg bereits mit fallen gelassenen Plastikverpackungen und Stanniolpapieren gesäumt war, sogar die unvermeidlichen Chipstüten waren dabei, eine Tüte Chips ging offenbar auch in widrigen Lebenslagen. So viel zur Bildung für nachhaltige Entwicklung, wie unser Bildungsplan es so schön ausdrückt.
Etwa zehn Minuten später kamen wir an unserem Haus an, und es dauerte nicht lange, da hob ein allgemeines Lamento an. Es gab kein Handynetz.
Groß war die Verzweiflung unter den Jugendlichen.
»Kein Insta«, jammerten die einen. »Kein Snapchat«, war von anderen zu hören. Manche wanderten wie Wünschelrutengänger die Gegend ab, auf der Suche nach dem ersehnten Signal, andere hielten ihre Gerätschaften wie Fluglotsen in die Höhe.
Bei unserer Herberge handelte es sich um ein typisches traditionelles Schwarzwaldhaus, mit weit heruntergezogenem grauen Schindeldach und mit braunen Schindeln bestückten Außenwänden. Um das gesamte obere Stockwerk zog sich ein überdachter Holzbalkon mit Brüstung. Eine Treppe führte auf eine schmale, fast völlig überdachte hölzerne Veranda, von der aus man die Haustür erreichte. Einige Hundert Meter gegenüber der Eingangstür erhob sich ein Hügel, den einige Schüler, der irre Max allen voran, nun emporstürmten, worauf kurze Zeit später euphorische Jubelrufe folgen. Offenbar hatte man von dort oben Empfang.
Stand man mit dem Rücken zur Eingangstür, erstreckte sich linker Hand, unterhalb des Feldwegs, auf dem wir gekommen waren, ein kleines, düster wirkendes Kiefernwäldchen. Schräg rechts gleich neben dem Haus befand sich ein Verschlag mit Feuerholz, verschiedenen landwirtschaftlichen Werkzeugen und zwei schweren Motorrädern.
Letzteres ließ mich stutzen.
Wieso standen hier zwei Motorräder?
Ich holte den Schlüssel heraus und wollte die Eingangstür aufschließen. Überraschenderweise war sie offen. Ich betrat das Haus. Die niedrige Tür führte in einen dunklen Flur, von wo aus man gleich links in den Gemeinschaftsraum kam. Geradeaus folgte eine Reihe von Schlafzimmern, die für die Mädchen vorgesehen waren. Die Jungs sollten im ersten Stock nächtigen. Die Schüler folgten mir unter lautem Plappern und Johlen und belegten ihre Zimmer. Die Zimmereinteilung hatte ich schon vor einigen Tagen in...
Erscheint lt. Verlag | 2.8.2021 |
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Reihe/Serie | Lehrer Horvath ermittelt | Lehrer Horvath ermittelt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Betty Deville • cosy crime deutsch • Cosy Krimi • cosy krimi deutsch • cozy crime deutsch • cozy krimis • Deutschlehrer • Freiburg • Freiburg im Breisgau • Gregor Horvath • Gymnasiallehrer • Hercule Poirot • heutige Jugend • Humor • humorvolle Krimis • Jugendherberge • Jugendsprache • Klassenfahrt • Krimi deutsche Autoren • Krimi Deutschland • Krimi Humor • Krimi humorvoll • Kriminalromane Serien • Krimi regional • krimi reihen • Krimi Schule • Krimis mit Humor • Lehrer • Lehrerkrimi • Lehrer Krimi • lustig • lustige Krimis • Marc Hofmann • Rocker • Schwarzwald • verschwundene Schüler |
ISBN-10 | 3-426-45744-X / 342645744X |
ISBN-13 | 978-3-426-45744-3 / 9783426457443 |
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