Best of Lem (eBook)

Jan-Erik Strasser (Herausgeber)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
527 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76818-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Best of Lem - Stanisław Lem
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Stanis?aw Lem gilt vielen als der Science-Fiction-Autor schlechthin. Und doch ist hier noch ein ganzer literarischer Kosmos zu entdecken: Lem der Philosoph, der streitlustige Kritiker, Erfinder neuer Genres, Sprachkünstler und Romancier von Weltrang. Best of Lem versammelt Erzählungen und Kostproben sowohl der berühmten, vielfach verfilmten und millionenfach gelesenen und geliebten Bücher als auch unbekanntere, aber ebenso aufregende Glanzlichter aus den 50 Jahren Lem'schen Schaffens. Nicht nur Fans von Philip K. Dick, Ursula K. Le Guin oder Cixin Liu kommen dabei voll auf ihre Kosten. Angesichts einer Gegenwart, die mehr und mehr von Künstlicher Intelligenz und menschlicher Dummheit geprägt zu sein scheint, ist der große Misanthrop und Utopist Lem zu seinem 100. Geburtstag unbedingt wieder neu zu lesen.



<p>Stanis?aw Lem wurde am 12. September 1921 in Lw&oacute;w (Lemberg) geboren, lebte zuletzt in Krakau, wo er am 27. M&auml;rz 2006 starb. Er studierte von 1939 bis 1941 Medizin. W&auml;hrend des Zweiten Weltkrieges musste er sein Studium unterbrechen und arbeitete als Automechaniker. Von 1945 bis 1948 setze er sein Medizinstudium fort, nach dem Absolutorium erwarb Lem jedoch nicht den Doktorgrad und &uuml;bte den Arztberuf nicht aus. Er &uuml;bersetzte Fachliteratur aus dem Russischen und ab den f&uuml;nfziger Jahren arbeitete Lem als freier Schriftsteller in Kr&aacute;kow. Er wandte sich fr&uuml;h dem Genre Science-fiction zu, schrieb aber auch gewichtige theoretische Abhandlungen und Essays zu Kybernetik, Literaturtheorie und Futurologie. Stanis?aw Lem z&auml;hlt heute zu den erfolgreichsten Autoren Polens. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, verfilmt und in 57 Sprachen &uuml;bersetzt.</p>

Der Mensch vom Mars


[…] »Sie sind, ohne es zu wollen … in eine sehr komplizierte Lage geraten.« Er schien jedes Wort auf die Waagschale zu legen. »Eines müssen Sie wissen: So wie Sie bis jetzt waren, werden Sie nicht mehr sein.«

Blitzschnell kam mir der Einfall, daß hier die Zentrale einer hervorragend organisierten Gang sei – oder vielleicht eine politische Gruppe von Faschisten oder etwas von der Art?

Aber wozu diese Bücher?

»Oder Sie werden hier gar nicht herauskommen, oder …«, er hielt inne. Sie betrachteten mich gelassen, aber ich spürte trotzdem eine gewisse Spannung.

»Oder?« fragte ich und wandte mich an den, der mir schon einmal eine Zigarette angesteckt hatte.

»Entschuldigung, darf ich Sie bitten? Wie Sie sehen, kann ich mich meiner Hände nicht bedienen und würde gerne rauchen.«

Er steckte mir langsam (alles machten sie langsam, es war lächerlich, aber zugleich schrecklich – als spielten sie eine Rolle auf der Bühne) eine Zigarette in den Mund und gab mir Feuer. Die anderen warfen einander Blicke zu – zum zweiten Mal.

»Oder Sie werden zu uns gehören …«, schloß der Mann mit dem Lorgnon. »Und es scheint mir, daß das der Fall sein wird.«

»Der Anschein kann trügen«, erwiderte ich und bemühte mich ebenfalls, langsam zu sprechen, nicht so sehr, um mich ihnen anzupassen, sondern eher, um den Cognacnebel zu beherrschen, der nach dem langen Hungern meine Sinne verwirrte.

»Darf ich wissen, worum es geht?«

Der Mann mit dem blassen breiten Gesicht, der bis jetzt geschwiegen hatte, hob den Kopf.

»Das können Sie natürlich nicht wissen«, sagte er in irgendwie entschuldigendem Tonfall. Und lauter: »Ihnen ist es doch nicht ganz egal. Unsere Devise ist einfach: gehorchen und schweigen.«

Ich muß zugeben, daß mich dieses Gespräch in einen sonderbaren Zustand versetzte. Als ich von dieser seltsamen Gesellschaft zum Verschwinden, gleichsam zum Tod verurteilt worden war, war mir bewußt geworden, daß meine Situation hoffnungslos war, doch die neue Wendung erweckte neue Kräfte in mir. Ein Mensch in auswegloser Lage wird apathisch, abgestumpft. Ein Hoffnungsstrahl aber genügt, und die Kräfte vervielfachen sich, alle Sinne werden bis zum Äußersten geschärft, und man wird zu einem einzigen gespannten Muskel, um das Leben mit den gewaltigsten Anstrengungen zu meistern. Das war auch bei mir der Fall. Während ich mit gedämpfter Stimme sprach, musterte ich gleichzeitig mit blinzelnden Augen die Umgebung und schätzte die einzelnen Entfernungen ab. Flucht? Warum nicht? Ja, das war der letzte Ausweg. Ich konnte nach einem massiven Aschenbecher greifen und ihn dem Anführer an den Kopf werfen, aber das wäre eine Dummheit. Weitaus besser wäre es, ihn gegen die große elektrische Lampe zu schleudern, die den Saal erhellte. Es ging lediglich darum, ob in der runden matten Kugel eine oder mehr Birnen glühten? Davon konnte alles abhängen. Gut, aber die Tür? Diese sonderbare Tür, die sich von selbst öffnete und schloß. Ich stand mit dem Rücken zu ihr und wußte nicht, ob sie eine Klinke hatte.

»Sie dürfen keine Fragen stellen …«, sagte langsam und mit Nachdruck der Mann mit dem bleichen, schweißüberströmten Gesicht und drückte die Zigarette in dem silbernen, ziselierten Aschenbecher aus. Er fegte ein unsichtbares Staubkörnchen von der Manschette und heftete plötzlich seinen kühlen blauen Blick auf mich.

»Erlauben Sie …«, ich lächelte und zuckte leicht mit den Achseln; dabei sah ich verstohlen zur Tür. Sie hatte eine gewöhnliche Klinke. Ich hatte das Gefühl, daß ich doch …

Ein Mann, der unserem Gespräch gar nicht zugehört zu haben schien, sagte auf einmal einige Worte in einer mir unverständlichen Sprache. Es waren Rachenlaute. Mein Gesprächspartner beugte sich über die Tischplatte und sagte schnell und leise:

»Sind Sie einverstanden?«

»Womit?«

Ich wollte um jeden Preis Zeit gewinnen.

»Sie haben die Wahl, entweder unserer …«, hier zögerte er. (Es mangelt ihnen wohl an Praxis, dachte ich. Das ist keine Gang. Dort haben sie andere Manieren.) »… Organisation beizutreten oder unschädlich gemacht zu werden.«

»Das heißt, auf Bodentemperatur abgekühlt, wie?«

»Nein«, sagte er ruhig. »Wir werden Sie nicht töten. Wir führen lediglich eine kleine Operation durch, nach der Sie den Rest Ihres Lebens ein Idiot sein werden.«

»Ja … Und was soll ich in der ›Organisation‹ tun?«

»Nichts, was Ihre Möglichkeiten übersteigen würde.«

»Geht es um etwas Gesetzwidriges?«

»Welches Gesetz meinen Sie?«

Ich war verblüfft. »Nun ja … unser amerikanisches Gesetz.«

»Zweifellos … manchmal«, antwortete er. Wie auf Befehl lächelten jetzt alle. Gasmasken, hätte man meinen können, die sich für einen Augenblick belebten. Ich machte eine langsame Fußbewegung, um durch die Drehung den Aschenbecher in mein Blickfeld zu bekommen. Schaffte ich es, ihn mit gefesselten Händen gegen die Lampe zu schleudern? Ich war kein schlechter Sportler. Im selben Augenblick beugte sich der Mann mit dem Lorgnon bis zu einem auf dem Tisch stehenden Oleander in einem schönen Jaspistopf hin und sagte einige Worte, die ich nicht verstehen konnte. Die Tür öffnete sich, und der Fahrer mit seinem Helfer erschien.

»Abführen – in den Operationssaal«, sagte der Anführer. »Und die Handschellen abnehmen.«

Der Fahrer trat zu mir her – der Schlüssel knirschte im Schloß. Im nächsten Augenblick versetzte ich ihm mit dem stählernen Armband der linken, noch gefesselten Hand einen Schlag an die Schläfe und gab ihm gleichzeitig einen Fußtritt in den Hintern. Er fiel um, ohne einen Laut von sich zu geben. Aber noch während sein großer Körper in meine Richtung fiel, faßte ich ihn am Kragen seiner Lederjacke und schleuderte ihn mit aller Kraft zwischen die Männer, die vom Tisch aufsprangen. Der riesige Körper stieß den Tisch um, einige Sessel kippten – ich wartete nicht ab, was weiter geschehen würde, sondern stürzte zur Tür. Sonderbarerweise schoß niemand. Der Helfer des Fahrers stand mit leicht gespreizten Beinen ruhig in der Tür, als wollte er plötzlich einen lange nicht gesehenen Bekannten begrüßen.

Ich schlug ihm mit der linken Faust an das Kinn, das heißt, ich zielte auf diese Stelle, doch er parierte meinen Schlag mit der Handkante, so daß ich einen scharfen Schmerz in der Hand verspürte, die unwillkürlich herunterfiel. Der Mann konnte Jiu Jitsu – das war fatal.

In diesem Chaos, als ich hinter meinem Rücken Schritte vernahm, die sich mir näherten, blitzte in mir die Erinnerung an den stämmigen kleinen Itchi-Hasam auf, der in Kyoto japanischen Kampfsport unterrichtete. In der letzten Lektion hatte er mich zwei Griffe gelehrt, die den Europäern unbekannt sind und die zum Tode führen. Es sind Schläge mit beiden Händen, von unten, die scherenartig die Kehle zertrümmern. Der, den ich mit der ganzen Kraft der Verzweiflung ausführte, gelang nur zum Teil. In dem Augenblick, als ich seinen gespannten Körper spürte, ergriffen mich starke Arme von hinten. Ich warf mich zu Boden, doch der Kampf dauerte nicht lange. Aus der Masse der bebenden Hände und Füße erhob ich mich, an den Kleidern festgehalten, und wurde sonderbarerweise zu Tisch gebeten.

Einer der nach Atem Ringenden schob mir einen Sessel zu, und als ich verdutzt und zittrig hineinfiel, schob mir der zweite eine lange Zigarette in den Mund, der dritte gab mir Feuer; und sie ließen sich alle bei mir nieder, wie zu einem geselligen Gespräch nach einer kurzen Pause.

Der Fahrer machte sich schnell davon, zusammen mit dem Helfer, der röchelte, Blut spuckte und sich die verletzte Kehle hielt.

Nach einer Minute des Schweigens sagte der Anführer:

»Sie haben die Prüfung bestanden … Sie gehören bereits zu uns.«

»All das war natürlich eine Komödie«, fügte er hinzu, als er meinen staunenden Blick bemerkte. »Wir haben Ihnen eine Chance gegeben, und Sie haben sie wahrgenommen.«

»Eine originelle Art und Weise …«, sagte ich und massierte mir den Oberarm. »Darf ich wissen, welche Scherze die Herren noch in petto haben? Mir als erfahrenem...

Erscheint lt. Verlag 20.6.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte 100. Geburtstag Stanisław Lem • Bestseller-Autor • Ehrendoktor der Universität Bielefeld (Dr. rer. nat. h.c.) 2003 • Ehrendoktortitel der Universitäten Oppeln und Krakau sowie der Staatlichen Medizinischen Universität Lemberg 1998 • Fantastische Erzählungen • Fantastische Literatur • Jubiläumsausgabe • Klassiker der fantastischen Literatur • Klassiker der phantastischen Literatur • Mitglied der Berliner Akademie der Künste 2004 • Phantastische Erzählungen • Phantastische Literatur • Science Fiction • ST 5147 • ST5147 • suhrkamp taschenbuch 5147
ISBN-10 3-518-76818-2 / 3518768182
ISBN-13 978-3-518-76818-1 / 9783518768181
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