Das deutsche Kaiserreich (eBook)

Von der Gründung bis zum Untergang
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2021 | 2. Auflage
129 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-77393-8 (ISBN)

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Das deutsche Kaiserreich -  Christoph Nonn
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1871 wurde im Spiegelsaal von Versailles das Deutsche Kaiserreich gegründet. 1918 ging es mit der Niederlage im ErstenWeltkrieg unter. Prägnant und anschaulich führt Christoph Nonn in ein halbes Jahrhundert deutscher Geschichte ein und hinterfragt die gängigen Deutungen dieser umstrittenen Epoche.

Christoph Nonn ist Professor für Neueste Geschichte an der Universität Düsseldorf.

2. Reichsgründung und liberale Ära (bis 1879)


Der Weg zum Nationalstaat


Warum kam es überhaupt zur Gründung des deutschen Kaiserreichs? Dem nationalen Mythos zufolge, der sich seit 1871 entwickelte, war das vor allem das Werk eines einzelnen Mannes, nämlich Otto von Bismarcks. An der Mythenbildung um Bismarck den «Reichsgründer» waren gerade Historiker in vorderster Linie beteiligt. Selbst eine spätere Neubewertung der Person des ersten Reichskanzlers, die ihn in Teilen der Geschichtsschreibung vom strahlenden Nationalhelden zum finsteren «Dämon der Deutschen» werden ließ, änderte daran lange wenig.

Gegenüber solchen personalisierenden Erklärungen ist Skepsis angebracht. Gegen sie spricht allein schon, dass die deutsche Reichsgründung kein isoliertes Ereignis, sondern Teil einer Welle von Staatsbildungen in Europa war. Während des 19. Jahrhunderts entstand ein knappes Dutzend neuer Nationalstaaten auf dem Kontinent, die meisten davon während der 1860er und 1870er Jahre. Diese Neugründungen waren weniger das Werk einzelner Politiker, auch wenn diese nahezu überall zu nationalen Helden und Genies verklärt wurden. Vielmehr handelte es sich um komplexe Prozesse, an denen sehr viele Menschen beteiligt waren.

Wichtigste Antriebsfeder war die Ideologie des Nationalismus. Im 19. Jahrhundert gewann die Vorstellung an Bedeutung, dass gemeinsame Sprache und gemeinsame Geschichte aus Millionen von Menschen eine Gemeinschaft machten – auch wenn die meisten dieser Menschen sich persönlich nicht kannten und nie kennenlernen sollten. Als «erdachte Gemeinschaft» füllte die Nation eine Lücke aus, die durch Auflösung oder Bedeutungsverlust von anderen Gemeinschaften entstanden war.

Institutionen wie Handwerks- und Handelszünfte, Gutshöfe, Kirchengemeinden und Dorfgemeinschaften hatten über ein Jahrtausend lang die relativ stabile Grundlage der alteuropäischen Gesellschaft gebildet. Doch mit dem Einsetzen rapider Prozesse wirtschaftlichen und politischen Wandels waren diese Institutionen seit dem späten 18. Jahrhundert massiv geschwächt oder beseitigt worden. Die Rationalisierung im Agrarsektor, der Grundlage der alteuropäischen Gesellschaft gewesen war, hatte Arbeitskräfte freigesetzt, die aus den Dörfern abwanderten, und so gewachsene Dorfstrukturen aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Auflösung der ständischen Ordnung und die Bauernbefreiung demontierten die Gutshöfe als rechtliche und soziale Verbände. Die Gewerbefreiheit beseitigte die traditionellen Zünfte, und parallel zur fortschreitenden Säkularisierung verloren auch die Kirchengemeinden schrittweise an Bedeutung.

In dieser Zeit der Veränderungen bot die nationale Idee neue Orientierung. In einer Welt, in der alte Ordnungen zerbrachen, versprach die Nation neuen Halt. Der Nationalismus vermittelte ein neues, starkes Wir-Gefühl, als die alten Gruppenidentitäten brüchig wurden. Er entwickelte deshalb eine Dynamik, der sich schließlich kaum jemand in Europa entziehen konnte. Das Resultat war eine Vielzahl von Aktionen und Interaktionen auf dem gesamten Kontinent, die den nationalen Gedanken zum Allgemeingut machten.

Als Initialzündung dieses Prozesses kann man die Französische Revolution von 1789 sehen. Das revolutionäre Frankreich war mit seinen Prinzipien der Volkssouveränität, staatsbürgerlichen Gleichheit und Brüderlichkeit das erste Land Europas, das sich als Nationalstaat verstand. Dieses Konzept exportierte es im Verlauf der Revolutionskriege ab 1791 über die eigenen Grenzen hinaus. In Deutschland war wie anderswo in Europa der Aufschwung eines eigenen Nationalbewusstseins ebenso Imitation des französischen Vorbilds wie Reaktion auf die französische Expansion. Seinen ersten Höhepunkt erlebte der deutsche Nationalismus während der «Befreiungskriege» gegen Frankreich unter Napoleon.

Nach dem Ende der französischen Vorherrschaft setzten manche deutschen Patrioten ihre Hoffnungen in den 1815 gegründeten Deutschen Bund. Bei der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress aus der Taufe gehoben, diente dieser aber vor allem strategischen Zwecken. Als defensives Militärbündnis sollte er zur Eindämmung Frankreichs beitragen und die Mitte des Kontinents befrieden. Als Fürstenbund schützte er außerdem die Herrscher der kleineren Mitgliedsstaaten vor den Großmächten.

Zwei der europäischen Großmächte waren dauerhaft Mitglied im Deutschen Bund: Preußen und Österreich. Die Mehrheit der Bevölkerung Preußens sprach Deutsch. Das von den Habsburgern regierte Kaisertum Österreich war dagegen ein Vielvölkerstaat. Der größere Teil seines Staatsgebietes gehörte nicht zum Deutschen Bund, und selbst in dem dazugehörenden Teil lebten zahlreiche Tschechen, Slowenen und Italiener. Die deutsche Nationalbewegung setzte deshalb mehr und mehr auf Preußen, um ihrem Ziel eines Nationalstaats näher zu kommen. Während der Revolution von 1848/49 trug die Mehrheit der Nationalversammlung dem preußischen König die deutsche Kaiserkrone an. Doch der lehnte sie ab, und die Revolution wurde niedergeschlagen.

In den 1850er Jahren organisierte sich die Nationalbewegung erneut. Teile von ihr hofften nun zunächst, ihrem Ziel durch eine Weiterentwicklung des Deutschen Bundes näher zu kommen. Angesichts des Desinteresses der Fürsten in den kleineren Mitgliedsstaaten erwies sich diese Strategie jedoch als wenig erfolgversprechend. Daher orientierte die Nationalbewegung sich wieder zunehmend auf Preußen. Der seit 1862 dort als Ministerpräsident amtierende Otto von Bismarck war grundsätzlich für eine Zusammenarbeit offen. Von allen deutschen Regierungen stimmten die Ziele der preußischen am stärksten mit denen der nationalistischen Gruppen überein. Allerdings verfolgten Preußens König Wilhelm und sein Ministerpräsident in erster Linie monarchische und adlige Interessen. Darüber war es zwischen Krone und der im preußischen Landtag dominierenden liberalen Nationalbewegung bereits Ende der 1850er Jahre zu einem langandauernden Verfassungskonflikt gekommen.

Es waren denn auch keine deutschen Akteure, welche den Anstoß für eine Entwicklung gaben, die schließlich auf verschlungenen Wegen zur Gründung des Deutschen Reiches führte. Der Anstoß kam vielmehr von außen, von der dänischen Nationalbewegung. Diese betrieb seit Längerem eine Verschmelzung der Herzogtümer Schleswig und Holstein mit Dänemark. Das widersprach nicht nur internationalen Verträgen, es provozierte auch Widerstand im Deutschen Bund. Ein dänischer Vorstoß zum Anschluss Schleswigs führte 1864 schließlich zu einem Krieg mit Österreich und Preußen.

Die beiden Großmächte gewannen den Feldzug gegen das ohne Verbündete bleibende kleine Dänemark, das im Friedensvertrag Schleswig und Holstein an die Sieger abtreten musste. Über diese Siegesbeute entbrannte bald Streit zwischen Österreich und Preußen. Beide Mächte waren seit Langem Rivalen um die führende Rolle im Deutschen Bund. 1866 kam es zum Krieg zwischen ihnen, der nach dem preußischen Sieg in der Schlacht von Königgrätz beendet wurde. Preußen annektierte die meisten der österreichischen Verbündeten in Norddeutschland. Anstelle des aufgelösten Deutschen Bundes entstand nördlich des Mains ein Norddeutscher Bund unter preußischer Vorherrschaft.

Der größere Teil der liberalen Nationalbewegung beendete daraufhin den langandauernden Verfassungskonflikt mit König Wilhelm und dessen Ministerpräsidenten Bismarck in Preußen. Allerdings war auch jetzt die Entwicklung in Richtung einer Ausweitung des Norddeutschen Bundes zum Deutschen Reich noch keineswegs zwangsläufig. Die preußische Regierung hatte während der Konflikte mit Dänemark und Österreich die Nationalbewegung weitgehend ignoriert. Südlich des Mains waren Bayern, Württemberg und Baden nun souveräne Staaten. 1868 dort abgehaltene Wahlen zeigten, dass es in der Bevölkerung Süddeutschlands einstweilen nur wenig Sympathien für einen Anschluss an den großpreußischen Norddeutschen Bund gab. Und auch Bismarck hielt es damals für gut möglich, dass ein solcher Anschluss wenn überhaupt, dann nicht mehr zu seinen Lebzeiten erfolgen würde.

Dass es anders kam, war erneut in erster Linie einem Akteur außerhalb Deutschlands zuzuschreiben, nämlich der französischen Regierung unter Kaiser Napoleon III. Der Neffe des ersten Napoleon hatte in Frankreich, getragen von breiter Zustimmung in der Bevölkerung, nach der Revolution von 1848 Schritt für Schritt die Macht erobert. Ende der 1860er Jahre war diese Zustimmung aber weitgehend wieder verloren gegangen. Napoleons ...

Erscheint lt. Verlag 4.5.2021
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Beck'sche Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft Geld / Bank / Börse
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Neuzeit bis 1918
Reisen Reiseführer Europa
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Staat / Verwaltung
Schlagworte Adel • Antisemitismus • Deutsches Kaiserreich • Deutschland • Entwicklungsland • Fürsten • Geschichte • Gesellschaft • Herrschaft • Mentalität • Militarismus • Nationalismus • Politik • Traditionen • Verantwortungslosigkeit • Wirtschaft
ISBN-10 3-406-77393-1 / 3406773931
ISBN-13 978-3-406-77393-8 / 9783406773938
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