Sarg niemals nie (eBook)

Betty Pabst ermittelt | Ein witziger Bestatter-Krimi
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
304 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2609-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sarg niemals nie -  Paul Lüdicke
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Diese Familie liebt alle, die sie unter die Erde bringen darf 'Bestattungen Pabst - nur das Beste für die letzte Ruhe' lautet das Motto des Familienunternehmens in Bielefeld-Jöllenbeck. Leider laufen die Geschäfte immer schlechter, seit im Ort ein Beerdigungs-Discounter eröffnet hat. Da kommt ihnen eine aufwendige Yoga-Bestattung inklusive fliegender Tauben gerade recht. Die Leiterin des benachbarten Esoterik-Instituts ist trotz Schamanismus und Reiki plötzlich verstorben. Betty Pabst, Assistenzärztin an der Charité und auf Heimaturlaub, ist sich mit einem Blick auf die Leiche sicher: Das war kein natürlicher Tod!  Doch warum will keiner auf sie hören? Betty hat bald einen furchtbaren Verdacht: Ist vielleicht ihre ganze Familie in den Mord verwickelt?

Paul Lüdicke stammt aus Bielefeld und hat jeden Witz über diese Stadt, genauer gesagt: den einen, den es gibt, schon tausendmal gehört. Auch deswegen ist er ausgebrochen und hat als Stangentänzer, Bienenzüchter, Einsiedler, Doppelagent und Ornithologe gearbeitet. Paul Lüdicke lebt heute unter einem Pseudonym in einer anderen Stadt, hat zwei Kinder und verdient sein Geld damit, dass er Drehbücher schreibt.

Paul Lüdicke stammt aus Bielefeld und hat jeden Witz über diese Stadt, genauer gesagt: den einen, den es gibt, schon tausendmal gehört. Auch deswegen ist er ausgebrochen und hat als Stangentänzer, Bienenzüchter, Einsiedler, Doppelagent und Ornithologe gearbeitet. Paul Lüdicke lebt heute unter einem Pseudonym in einer anderen Stadt, hat zwei Kinder und verdient sein Geld damit, dass er Drehbücher schreibt.

1


Betty Pabst saß in einem überfüllten ICE aus Berlin. Und egal, wie sehr sie sich anstrengte, auf Höhe Hannover-Garbsen kamen ihr die Tränen. Dumme, überflüssige, widerspenstige Scheißtränen, die sich Betty schnell von den Wangen wischte, bevor der nervige Sechsjährige ihr gegenüber am Tisch darauf aufmerksam wurde. Er hatte die ganze Zeit über ein Rechenspiel machen müssen, weil ihm seine Mutter erst danach das Handy geben würde, da hatten auch sein Tobsuchtsanfall in Wolfsburg, der Schreikrampf in Gardelegen und die Krokodilstränen in Stendal nichts geholfen. Betty hatte sich bislang wenig Gedanken über Konsequenz und Erziehungsmethoden von Kindern gemacht, sie hatte schließlich keine. Und wenn sie den Sechsjährigen ihr gegenüber noch länger aushalten müsste, würde sie auch nie welche bekommen, so viel war mal sicher. Betty wünschte sich nur zweierlei. Erstens, dass diese bescheuerte, völlig verkrampfte Mutter dieses grenzdebilen Bengels etwas weniger konsequent wäre. Und dass der Idiot endlich dahinterkommen würde, wie viel elf minus acht war! Dann hätte er die Aufgaben fertig, würde das Handy bekommen, und es würde endlich Ruhe geben. Und er würde auch aufhören, Betty anzustarren. Und dabei – unfassbar – popelte er.

Betty war froh, dass sich die Kinderfrage noch nicht gestellt hatte, erstens war sie erst siebenundzwanzig und viel, viel zu jung. Und zweitens zweifelte sie daran, dass Sean der Richtige dafür war. Vor zwei Monaten waren ihre Tage ausgeblieben, und sie hatte es Sean nach der Vorspeise in diesem kleinen französischen Restaurant am Zionskirchplatz gesagt, ganz belanglos, nebenbei. Im gleichen Moment hatte sie sehen können, wie er innerhalb von Sekunden alle Fenster und Türen des Restaurants abcheckte. Fluchtreflexe eines in die Enge getriebenen Tieres. Betty hatte bemerkt, wie Sean sich versteifte, wie ihm der Schweiß ausbrach, er angespannt ihrem Blick auswich, und sie konnte förmlich hinter seiner Stirn den Gedanken hämmern sehen: Wie komme ich hier nur raus?

Die Vorstellung, dass Sean aufgesprungen wäre und sich kopfüber einfach durch die Fensterscheibe des Res­taurants gestürzt hätte, amüsierte Betty kurz, als der Zug in Garbsen wieder losfuhr. Es lag weniger an seinem überraschenden Stunt als an der Vorstellung, dass Seans Gesicht von Glas und Scherben zerschnitten und er draußen auf dem Gehsteig blutig zusammenbrechen und elendig verrecken würde.

Aber damals war Sean leider nicht gesprungen, sondern sitzen geblieben. Irgendwann hatte sich die Stimmung gebessert, als sie über Sean gesprochen hatten, seine abgesagte Ausstellung, seinen unfähigen Alkoholiker-Galeristen und dann über dieses Projekt, das er mit dieser Portugiesin machen wollte, you know, it’s real. Deep. A deep connection.

A deep connection für den Arsch, dachte Betty jetzt wütend. Warum verhielt sie sich bei Sean immer so bescheuert? Da war sie immer das kleine, neunjährige Mädchen, das rot wurde und verschämt auf den Boden starrte. Betty hasste sich dafür.

Auch dafür, dass sie ihre Probleme wieder mal ausgespart hatten. Betty ging nämlich nach drei Monaten im neuen Job schon auf dem Zahnfleisch. Diese fürchterlichen Zwölfstundentage in der Nephrologie machten sie einfach fertig. Sean fand ohnehin, dass sie es ruhiger angehen müsste, keiner verlangte, dass sie perfekt sei, das wäre eh eine überholte Vorstellung. Und überhaupt: Status- und Konkurrenzdenken, das seien Konzepte, die er ablehnte. Aber Sean konnte einfach nicht nachvollziehen, wie groß Bettys Angst war, einen Fehler zu machen. Sie war schließlich keine Gärtnerin oder ein kanadischer Exilkünstler wie er. Ein Fehler von ihr könnte Menschenleben kosten! Und deswegen recherchierte Betty alles doppelt und dreifach nach, sprach sich oft mit dem Oberarzt ab und war die Erste morgens in dem zugigen, trostlosen Arztzimmer mit dem widerlichen Kapselkaffee, und abends die Letzte. Betty brauchte einfach diese Extrazeit, um ihre Arztbriefe zu schreiben, weil sie sich ja den ganzen Tag mit Patienten beschäftigen musste.

Sean war wenig amüsiert gewesen, als er feststellte, wie Bettys erste Assistenzärztinnenstelle auch sein Leben beeinflusste. Sean führte ein Leben ohne feste Struktur, er war manchmal nachts wach und schlief von mittags bis abends, gerade so wie es passte. Sean war es gewohnt, dass Betty verfügbar war. Er hatte oft schlechte Laune gehabt.

Und genau deswegen waren sie an dem Abend auch essen gegangen. Um was gemeinsam zu unternehmen. Endlich wieder. Und natürlich hatten sie später in der Nacht Sex gehabt. Es war, wie immer, markerschütternd gut gewesen, lang ausdauernd und toll. Vor allem für Sean.

Eigentlich ging es immer nur um Sean, wie Betty jetzt bitter feststellte. In allem.

Aber das Fiese war, Betty vermisste ihn trotzdem, als sie jetzt aus dem Zugfenster starrte und die Landschaft an sich vorbeiziehen sah. Trotz aller Probleme, die sie miteinander hatten. Trotz des Ungleichgewichts zwischen ihnen, was Betty immer bewusster wurde.

Aber vielleicht war die Pause, die sie und Sean gerade machten, der richtige Schritt? Etwas Ruhe reinbringen, ein bisschen Abstand. Cooldown, wie Sean sagte. Seit einer Woche gab es den Cooldown. Eine Woche, in der Betty nicht viel geschlafen hatte. Sondern sich den Kopf wundgewälzt hatte, also innerlich. Eine Woche, in der sie sich zermürbt hatte mit den Gedanken, wie es mit ihr und Sean weitergehen würde, welche Ziele sie hatten, wie viel Gemeinsamkeit, kurz: Was es war, das mit ihnen.

Betty hatte noch nie gehört, dass Paare, die eine Beziehungspause machten, wieder zusammenkamen. Selbst wenn man der Pause einen fancy Titel wie Cooldown gab.

»Mama, die Frau weint.«

Betty zuckte erschrocken zusammen, wischte sich schnell übers Gesicht und schüttelte empört den Kopf. Die Mutter gegenüber fixierte sie ausdruckslos. Der Sechsjährige starrte Betty an und bekräftigte noch mal. »Die heult.«

»Die sitzt dir gegenüber und hört, was du sagst. Und außerdem stimmt das nicht«, zischte Betty etwas patzig zurück.

»Stimmt wohl.«

»Ja und wenn? Ich weine. Und weißt du, warum?« Betty funkelte den Idioten wütend an. »Weil du das nicht hinkriegst: elf minus acht! Das ist DREI! DREI! Das kann doch nicht so schwer sein, echt.«

»Ich muss ja wohl sehr bitten …«, sagte die Mutter.

»Nee, ICH muss mal sehr bitten. Und zwar, dass Sie Ihrem Kind endlich mal das Handy geben! Seit zwei Stunden terrorisiert der uns alle hier.«

In Bielefeld stieg Betty aus dem Zug und wuchtete den schweren Rucksack mühsam auf ihren Rücken. Es war noch eine sehr lange Fahrt von Garbsen nach Bielefeld gewesen, fünfzig Minuten, die sich hinzogen wie Monate, weil am Ende der gesamte Waggon sich gegen Betty verschworen hatte. Irgendwie hatte sich die Diskussion hochgeschaukelt. Und dass Betty »Waldorfschulschlampe« zu der Mutter gesagt hatte, war wirklich nicht nötig gewesen. Sie hatte gar nichts gegen Waldorfschüler. Überhaupt nichts. Sie konnten so lange ihren Namen tanzen, wie sie wollten, Hauptsache, Betty musste nicht mitmachen. Sie war einfach müde. Erschöpft. Völlig durch den Wind. Und deswegen leicht reizbar. Und noch mal, sie hatte wirklich nichts gegen Waldorfschüler.

Betty sah sich auf dem Bahnsteig in Bielefeld um, ihre Mutter war nirgends zu sehen. Sie seufzte und schaute auf ihr Handy. Vielleicht hatte ihre Mutter eine Nachricht geschrieben? Doch eigentlich wollte Betty nur schauen, ob Sean sich gemeldet hatte. Aber er hatte nicht angerufen, hatte keine Nachricht geschickt. Funkstille hin und her, aber als Betty vorgestern diese Leiche in der Pathologie gesehen hatte und für einen schlimmen, schrecklichen, verzweifelten Moment dachte, es wäre Sean, so ähnlich war der Tote ihm in Statur, Gesichtsform und Haarfarbe gewesen, da hatte Betty ihn einfach anrufen müssen. Der Schock war zu groß gewesen.

Doch Sean rief nicht mal zurück! Klar, sie hatten »Pause«. Aber Betty vermutete, dass er die Zeit nicht dafür nutzte, sich mit seinen Wünschen, Vorstellungen und der Frage, was Betty ihm bedeutete, zu beschäftigen, sondern mit dieser Portugiesin. Fuck!

Betty schleppte ihren Rucksack die kleine Bahnhofstreppe hoch, denn wie immer streikte die Rolltreppe. Die kleine Bahnhofshalle hatte Betty nach ein paar Sekunden durchquert, unfassbar, wie stark dieses Gefühl von Heimat sie plötzlich erfasste, wie altbekannt hier alles war, wie schön und einengend gleichermaßen. Betty war hin- und hergerissen, als sie endlich auf den halbrunden Vorplatz trat, sich umsah und tief einatmete. Bielefeld. Könnte schlechter sein.

Könnte aber auch sehr, sehr viel besser sein.

Es hupte. Betty drehte den Kopf und sah, wie der lange schwarze Bestatterwagen ihrer Eltern die Einfahrt zu den Parkspuren blockierte und sich dahinter eine wütende Schlange gebildet hatte. Betty erkannte ihre Mutter hinter dem Steuer, die trotz des Hupkonzerts keine Anstalten machte, weiterzufahren, sondern ihr freudig zuwinkte.

Betty schenkte den wütenden Autofahrern ein beruhigendes Lächeln und öffnete schnell die hintere Klappe der verlängerten...

Erscheint lt. Verlag 18.10.2021
Reihe/Serie Betty-Pabst-Serie
Betty-Pabst-Serie
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Achtsam morden • Agatha Christie • Bestatter • Bestattungsunternehmen • Cosy Crime • Das letzte Wort • Ermittlerkrimi • Kleinstadt • lustiger Krimi • Miss Marple • Tod
ISBN-10 3-8437-2609-4 / 3843726094
ISBN-13 978-3-8437-2609-2 / 9783843726092
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