Die letzte Schuld (eBook)

Ein Fall für Emil Graf

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
352 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2818-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die letzte Schuld - Heidi Rehn
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Die Unschuld der Täter.

München, 1946. In einer Siedlung am Nordrand der Stadt wird die Leiche einer Frau gefunden. Am Tatort begegnet Mordermittler Emil Graf ausgerechnet der jungen Reporterin Billa Löwenfeld, die mit ihrer neuen Reportage Licht ins Dunkel der Verbrechen der Nationalsozialisten bringen will. Im Zuge ihrer Recherchen macht sie den ehemaligen Blockwart der Siedlung ausfindig. Nur widerwillig räumt er ein, dass seine Frau spurlos verschwunden ist. Billa und Emil suchen nach weiteren Hinweisen und kommen einem Geheimnis auf die Spur, das sie bis in die Keller des Hauses der Kunst - Hitlers vormaligen 'Kunsttempel' - führt ...  

Ein hervorragend recherchierter Kriminalroman über die Frage, welchen Preis die eigene Unschuld hat  



Heidi Rehn, geboren 1966, studierte Germanistik und Geschichte in München. Seit vielen Jahren schreibt sie hauptberuflich. In München bietet sie literarische Spaziergänge 'Auf den Spuren von ...' zu den Schauplätzen ihrer Romane an, bei denen das fiktive Geschehen eindrucksvoll mit der Historie verbunden wird. Im Aufbau Taschenbuch sind ihre Romane 'Die Tochter des Zauberers - Erika Mann und ihre Flucht ins Leben' sowie 'Das doppelte Gesicht', der Auftakt der Krimireihe um Emil Graf und Billa Löwenfeld erschienen. Mehr zur Autorin unter www.heidi-rehn.de

Prolog


Mittwoch, 17. April 1946

Da ging etwas gründlich schief. Das erkannte Korbinian Loibl selbst aus der Ferne. Dabei konnte er von seinem Versteck aus kein einziges Wort von dem hören, worüber sich die drei Männer vorn an der Weggabelung unterhielten. Einzig, dass sie Deutsch miteinander sprachen, stand wohl fest. Sonst würde sein Freund, Ignaz Niedermeier, der eine der drei, kaum so lange mit den beiden anderen reden. Er konnte kein Englisch.

Auf seine Worte hin wurden die zwei zunehmend wütender. Immer erregter liefen sie auf und ab, fuchtelten bald wild mit den Armen durch die Luft.

Sie trugen dunkle Lederkluft. Im schwindenden Licht konnte Korbinian ihre Gesichter nicht sehen.

Offenkundig wollte Ignaz sich die Behandlung nicht gefallen lassen. Bedrohlich plusterte er sich vor ihnen auf, stemmte die Hände in die Seiten und reckte den Kopf geradezu trotzig nach oben.

Daraufhin umkreisten die beiden Unbekannten ihn enger. Der eine von ihnen war gut einen Kopf größer als Ignaz, und seine Bewegungen wirkten dank seiner athletischen Figur besonders beeindruckend. Jetzt stellte er sich so nah vor Ignaz, dass sie einander fast berührten. Selbst auf die Entfernung stach Korbinian das auffallend eckige Kinn des Mannes ins Auge. Der zweite bezog in Ignaz’ Rücken Position und schlug ihm mit einer sehr schwungvollen Handbewegung den Hut vom Kopf.

Plötzlich zog der Athlet etwas aus der Brustinnentasche, aber nur so weit, dass Ignaz einen Blick darauf werfen konnte. Ein Messer oder gar eine Pistole? Leider konnte Korbinian das von seiner Position aus nicht genauer erkennen. Ignaz dafür umso besser. Ihm genügte der Anblick, um erschrocken zurückzuweichen.

Ausgerechnet der! Korbinian schnaubte entrüstet. Vor ihm markierte Ignaz gern den starken Mann. Ihn jetzt einmal so unterwürfig zu erleben erfüllte Korbinian mit einem Anflug von Genugtuung. Dennoch haderte er mit sich, ob er nicht besser eingreifen und Ignaz helfen sollte. Andererseits: Was würde er in seiner gegenwärtigen Verfassung schon gegen zwei so übermächtige Gegner wie diese beiden da vorn ausrichten können? Selbst wenn Ignaz dank seines Einschreitens neuen Mut schöpfte und sich selbst noch einmal aufbäumte, machte das die offensichtliche Überlegenheit der beiden anderen kaum wett. Wahrscheinlich waren sie zudem bewaffnet.

Korbinian überlegte. Währenddessen bedrohten die Männer Ignaz weiter. Doch Korbinian war sich sicher, dass sie ihn nicht töten würden. Zumindest noch nicht. Vorerst brauchten sie ihn noch, um die Geschichte weiter durchzuziehen. Also blieb Korbinian in seinem Versteck hinterm Baum und verfolgte von dort aus, was noch geschah.

Zweifellos würde die Begegnung Konsequenzen haben. Nicht nur für Ignaz, sondern auch für ihn. Zu tief steckte er mit drin, wenn auch alles andere als freiwillig. Ignaz hatte ihn in der Hand. Seit Jahren schon. Und ließ ihm keine andere Wahl, als weiter mitzumachen. Für immer und in Ewigkeit. Wie eine Marionette.

Er wischte sich über die schweißnasse Stirn. Nein! Er hielt inne. Damit war es vorbei. Die Stunde Null war längst angebrochen, schon seit fast einem Jahr. Damit waren endlich neue Zeiten da. Für alle. Auch für ihn, und für sein Verhältnis zu Ignaz. Es mochte vielleicht noch nicht ganz vorbei sein, doch er konnte ihm zumindest sagen, dass Schluss war mit diesen Geschichten. Dass sie jetzt besser aufhörten, bevor sie in etwas hineinschlitterten, dem sie nicht gewachsen waren. Weil es mehr als eine Nummer zu groß für sie war. Wie man gerade sehen konnte. Sie sollten die Finger davon lassen. So schnell wie möglich.

Ein Ruck ging durch Korbinians schmächtigen, noch immer ausgezehrten Leib. Lang vermisste Zuversicht erfüllte ihn. Sobald die Männer weg waren, würde er mit Ignaz reden, um ihn zur Vernunft zu bringen. Ignaz war auf ihn angewiesen. Ohne ihn konnte er nichts ausrichten. Das verlieh Korbinian neue Kraft. Er streckte den Rücken durch und sah wieder zu den drei Männern an der Wegkreuzung hinüber.

Der Größere der beiden Fremden verpasste Ignaz einen kräftigen Kinnhaken. Rücklings kippte er um. Während der Zweite das Motorrad startete, das nur wenige Meter entfernt stand, sah der Erste von oben auf Ignaz herunter und trat ihm mit dem Stiefel noch einmal heftig in die Eingeweide. Vor Schmerz krümmte sich Ignaz im Dreck. Der Mann sprang in den anrollenden Beiwagen, und das Gefährt brauste mit aufheulendem Motor davon.

Flach presste Korbinian sich gegen den Baumstamm. Hielt die Luft an, als könnte ihn jetzt doch noch ein Atemzug verraten. Im Stillen begann er zu zählen. Gelangte bis zwanzig. Dann atmete er tief durch.

Es war vorbei.

Eine trügerische Stille legte sich über die einsame Wegkreuzung oberhalb der Hirschau im Münchner Norden. Korbinian vernahm den kehligen Lockruf einer Amsel. Im Unterholz knackte es. Ein Eichhörnchen schoss aus dem Gestrüpp und hielt mitten auf dem Weg in Habachtstellung inne, bevor es nahezu lautlos den nächsten Baumstamm emporhuschte.

Erleichtert schnaufte Korbinian auf. Natürlich hatte er sich viel zu weit weg befunden, um je ernsthaft in Gefahr zu geraten. Außerdem hatte er schon vorhin, als er Ignaz zu dem Treffen im Gehölz gefolgt war, strikt darauf geachtet, nicht entdeckt zu werden. Wenn er eins in den letzten Jahren gelernt hatte, dann war es, sich unsichtbar zu machen. Das hatte ihm im Lager in den entscheidenden Momenten das Leben gerettet.

Mühsam rappelte Ignaz sich vom Boden auf, hob die geballten Fäuste über den Kopf und brüllte vor Wut laut auf.

Korbinian zuckte zusammen. Idiot! Die tiefe Bassstimme röhrte durch den nächtlichen Wald wie das Gebrüll eines brunftigen Hirschs. Wären die Zeiten andere, würde es Korbinian nicht wundern, wenn der Schrei Rotwild anlockte. So bestand nur die Möglichkeit, damit übles Gesindel aufzuscheuchen. Ein einzelner Mann bei heraufziehender Dunkelheit allein auf weiter Flur – das war ein gefundenes Fressen für das Geschwerl jeglicher Couleur, das seit Kriegsende vor knapp einem Jahr in der Stadt und vor allem in ihren nördlichen Außenbezirken sein Unwesen trieb, dem allmählich besser ausgebauten Polizeiapparat und den strengen Patrouillen der amerikanischen Besatzungsmacht zum Trotz.

Zu allem Überfluss hob Ignaz jetzt auch noch einen großen Stein vom Boden auf und schleuderte ihn unter neuerlichem Gebrüll dem längst in der Ferne verschwundenen Motorradgespann nach. Korbinian musste ihn zur Besinnung bringen, bevor er weitere Dummheiten beging.

Kurz entschlossen gab er die Deckung auf und eilte von hinten auf den einige Jahre älteren, aufgrund der Umstände allerdings weitaus kräftigeren Mann zu. Er packte ihn an den Schultern, riss ihn mit aller Kraft herum und rüttelte an ihm.

»Lass gut sein! Richtest jetzt eh nichts mehr aus gegen die.«

»Korbinian, du?«

Ungläubig starrte Ignaz ihn aus den bernsteinfarbenen Augen an. Die hohen Wangenknochen verliehen seinem Gesicht eindrucksvolle Kanten. Er brauchte offenbar einen Moment, bis er vollends begriff, wen er vor sich hatte und was Korbinians Worte bedeuteten. Wahrscheinlich steckte ihm der Schreck noch zu tief in den Knochen. Nur äußerst langsam sickerte die Erkenntnis in sein Hirn. Korbinian konnte es wie auf einer Kinoleinwand in Zeitlupe verfolgen.

»Aufhören sollten wir mit den Geschäften.« Korbinian ließ ihn los. »Eine Nummer zu groß ist das für uns. Mit solchen wie denen ist nicht gut Kirschen essen. Wir beide sind denen nicht …«

Er kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden. Im nächsten Moment dröhnte Ignaz abermals los und stürzte sich auf ihn, begann blindlings mit beiden Fäusten auf ihn einzudreschen.

Von der Wucht des Angriffs, aber auch, weil ihn die letzten Jahre nicht nur Gewicht, sondern auch die vertraute Boxerschlagfertigkeit wie Behändigkeit gekostet hatten, ging er zu Boden und zog Ignaz mit nach unten. Schon presste dessen Gewicht ihm die Luft ab. Voller Verzweiflung versuchte Korbinian, sich dem weitaus Kräftigeren und durch die bessere Position klar im Vorteil Befindlichen durch eine abrupte Drehung zu entwinden. Als das misslang, probierte er es mit schnellen Bewegungen mal nach rechts, mal nach links, denn Ignaz war trotz allem schwerfälliger und im direkten Kampf weniger...

Erscheint lt. Verlag 15.11.2021
Reihe/Serie Ein Fall für Emil Graf
Ein Fall für Emil Graf
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 1946 • Andreas Götz • Babylon Berlin • Billa Löwenfeld • Das doppelte Gesicht • Emil Graf • Gereon Rath • historischer Krimi • Historischer Kriminalroman • Krimi • Kriminalroman • Michael Jensen • Mord • München • Stunde Null • Volker Kutscher • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-8412-2818-6 / 3841228186
ISBN-13 978-3-8412-2818-5 / 9783841228185
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