John Sinclair 2234 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-1276-7 (ISBN)
An
Sir James Clark, Baronet
Leibarzt der Königin und seiner königlichen Hoheit des Prinzen Albert
Mein Herr!
Hauptsächlich Ihrer gütigen Ermunterung wegen sah ich mich vor vielen Jahren veranlasst, mich um die Stelle als Hausarzt im Hanwell Asylum zu bemühen. Neben den vielen anstrengenden Arbeiten, die dieses Amt mit sich bringen, mangelte es mir niemals an Ihrem anregenden Zuspruch.
Nach Beendigung meiner Tätigkeit daselbst und da ich nun in Kürze dem geneigten Publikum jenes System vorlegen werde, welches ich zu fördern strebte, fühle ich mich gedrungen, Ihnen mein inniges Gefühl der Ehre auszusprechen, das mir Ihre Freundschaft vermittelt, und Sie meiner aufrichtigen und dankbaren Hochachtung zu versichern.
John Conolly
Hanwell, 26. Juli 1856
Wen der Wahnsinn ruft
von Ian Rolf Hill
An
Sir James Clark, Baronet
Leibarzt der Königin und seiner königlichen Hoheit des Prinzen Albert
Mein Herr!
Hauptsächlich Ihrer gütigen Ermunterung wegen sah ich mich vor vielen Jahren veranlasst, mich um die Stelle als Hausarzt im Hanwell Asylum zu bemühen. Neben den vielen anstrengenden Arbeiten, die dieses Amt mit sich bringen, mangelte es mir niemals an Ihrem anregenden Zuspruch.
Nach Beendigung meiner Tätigkeit daselbst und da ich nun in Kürze dem geneigten Publikum jenes System vorlegen werde, welches ich zu fördern strebte, fühle ich mich gedrungen, Ihnen mein inniges Gefühl der Ehre auszusprechen, das mir Ihre Freundschaft vermittelt, und Sie meiner aufrichtigen und dankbaren Hochachtung zu versichern.
John Conolly
Hanwell, 26. Juli 1856
Hanwell, 1. Juni 1839
»Wir sind da!«, polterte die Stimme des Kutschers.
Ich erwachte, wie aus einem tiefen, traumlosen Schlaf und blinzelte, verdutzt darüber, dass wir unser Ziel schon erreicht hatten. Hätte mich der Mann über mir auf dem Bock der Droschke gefragt, woran ich während der Fahrt gedacht hatte, ich hätte ihm keine gescheite Antwort geben können.
Dabei gab es für mich weder einen Grund, gedankenverloren vor mich hin zu starren, noch in trübsinnigen Grübeleien zu versinken. Mit fünfundvierzig Jahren und als promovierter Mediziner sowie ehemaliger Professor am University College of London war ich auch kein unerfahrener Jungspund mehr, der vor dem Antritt einer neuen Anstellung vor Nervosität am gesamten Leib bebte.
Gleichwohl ich einräumen muss, dass mit dem Posten des Hausarztes im Middlesex County Asylum, den ich gerade im Begriff war, anzutreten, ein kleiner Traum in Erfüllung ging.
Ein Traum, der ohne die beständigen Ermunterungen von Sir James Clark wohl auf ewig ein solcher geblieben wäre.
Nachdem ich zusammen mit meinen geschätzten Kollegen Charles Hasting und John Forbes, die ich ebenfalls die Ehre habe, meine Freunde zu nennen, vor nunmehr sieben Jahren eine Gesellschaft gründete, welche die Verbesserung der medizinischen Versorgung auf dem Lande zum Ziele hatte, hoffte ich nun, auch das allgegenwärtige Leid der Patienten in den Irrenanstalten unseres Landes lindern zu können.
Weiß Gott keine leichte Aufgabe, war doch der Großteil der Bevölkerung froh und erleichtert darüber, dass die in ihren Augen gemeingefährlichen Irren weggesperrt wurden. Von Familien und Freunden verlassen, siechten sie in ihren Zellen dahin, der Willkür und Grausamkeit ungebildeter Wärter schutzlos ausgeliefert.
Gottlob war mein Vorgänger, der honorige Doktor William Charles Ellis, der das Asylum nach seiner Gründung im Jahr 1831 als erster Superintendent leitete, ein integrer Mann von hoher Moral und ethischen Grundsätzen, die mit den meinen konform gehen. Tatsächlich möchte ich behaupten, dass einem Geistergestörten kaum etwas Besseres passieren konnte, als in das Middlesex County Asylum eingewiesen zu werden.
Ich war mir sicher, sollte es mir irgendwo gelingen, mein System zur Behandlung der Irren umzusetzen, dann hier, mit der freundlichen Unterstützung von Doktor Ellis und seiner Frau Mildred, die als Matrone der Anstalt vorstand.
»Sir?«
Ich erschrak, als der Kutscher von Neuem die Stimme hob. Hastig ergriff ich die Tasche aus Schweinsleder, die mir meine liebe Frau Elizabeth nach dem Medizinstudium zum Antritt meiner ersten Stelle als Arzt in Lewes geschenkt hatte. Obschon sie einen reichlich abgewetzten Eindruck machte – die Tasche, nicht meine Frau – brachte ich es einfach nicht übers Herz, mich von dem guten Stück zu trennen.
Ich schwang mich aus dem Einspänner und kramte aus der Rocktasche einen Sovereign, den ich dem mürrischen Mann, dessen Gesicht von der Krempe seines Hutes beschattet wurde, zuwarf. Geschickt fing er ihn auf und ließ ihn blitzschnell unter seinem Mantel verschwinden.
Einen Wimpernschlag später knallte er mit der Peitsche und trieb den Rappen an, als wollte er die Minuten wieder reinholen, die er durch meine Nachlässigkeit vergeudet hatte. Klappernd und ratternd zuckelte das Gefährt die Allee entlang in Richtung Torhaus, dessen helle, efeubewachsene Fassade im frühen Licht des Tages keinen unfreundlichen Anschein erweckte.
Als ich mich umdrehte, gewahrte ich über den Kronen der Platanen und Pappeln hinweg den spitzen Turm der Kapelle. Wie der mahnende Finger Gottes ragte er empor, um die Menschen daran zu erinnern, dass ein jeder von uns zu seinen Kindern zählte und es verdiente, mit Liebe und Respekt behandelt zu werden, ganz gleich mit welchen Einschränkungen sie oder er zu kämpfen hatte.
Ich beschloss, ihn nicht zu enttäuschen.
Zügig, aber mit Bedacht schritt ich den gepflasterten Weg zum Haupthaus hinüber, das sich hinter der Kapelle duckte. Zwei mächtige Flügel, deren trutziges Mauerwerk zwischen den Stämmen der dicht belaubten Bäume hindurch nur zu erahnen war, reckten sich wie die Arme eines versteinerten Riesen beidseits der Allee in Richtung Torhaus. Als wollte das Gebäude jeden Menschen, egal ob Insasse, Mitarbeiter oder Besucher in seinen Schlund hineinziehen wie ein nimmersatter Moloch.
Man verzeihe mir meine theatralischen Gedanken, die sich mir beim Anblick der vergitterten Fenster von selbst aufdrängten. Es fiel mir schwer, ihre Existenz mit der unmittelbaren Nähe eines Gotteshauses in Einklang zu bringen.
Noch während ich dem schwachen Rauschen des Windes und dem Zwitschern und Trällern der Vögel, die im Laub der Baumkronen Deckung suchten, lauschte, zerschnitt ein grässlicher Schrei die morgendliche Stille.
Ich verharrte gerade so lange, um mir bewusst zu machen, wo ich mich befand. Dann setzte ich meinen Weg fort, an der Kapelle vorbei auf das Portal des Haupthauses zu, aus dessen Schatten sich eine schmale, ich möchte fast sagen, knorrige Gestalt löste, die mit wehendem Kittel auf mich zuflog.
Das Gesicht unter der gestärkten Haube war hohlwangig und bleich, sodass mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Die Nase stach wie der Schnabel eines Vogels aus dem wächsernen Antlitz. Ein abergläubiger Mensch hätte leicht zu dem Schluss gelangen können, eine fleischgewordene Fantasie des irischen Schriftstellers Joseph Sheridan Le Fanu zu sehen.
Allein meinen medizinischen Kenntnissen und der Macht meines Verstandes hatte ich es zu verdanken, dass ich nicht panisch zurückwich, als das lebende Gespenst auf mich zu drängte und mit seinen knochigen Fingern nach meiner Hand griff, um sie mit solcher Kraft zu drücken, als wollte es das Leben aus ihr herauspressen.
»Doktor Conolly. Seien Sie herzlich willkommen. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehnsüchtig wir ihre Ankunft erwartet haben. Mein Name ist Mrs. Doktor William Ellis. Mildred«, fügte sie abschließend hinzu, bevor sie meine Hand aus ihrem beinernen Griff entließ. Der freundliche, feste Klang ihrer Stimme stand im Widerspruch zu ihrem ausgezehrten Äußeren.
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Mrs. Ellis«, erwiderte ich lächelnd.
Abermals gellte ein Schrei über das Gelände und brach sich vielfach an den trutzigen Mauern des Asyls. Es handelte sich zweifellos um denselben Krakeeler, der mich bereits vorab begrüßt hatte. Der Unterschied bestand darin, dass ihm jetzt zwei, drei Stimmen antworteten. Nicht minder schrill und intensiv.
»Verzeihen Sie bitte das unbotmäßige Betragen, aber nicht alle unsere Bewohner sind imstande mit den anstehenden Veränderungen auf angemessene Weise umzugehen.«
»Nun, deshalb sind sie ja hier, nicht wahr?«
»Recht haben Sie, Doktor Conolly.« Sie lächelte entschuldigend. Es war ihr offenkundig unangenehm, dass meine Ankunft von den Rufen geistig Verwirrter gestört wurde.
Ich machte mir nichts daraus, gleichwohl ich mich leicht irritiert zeigte.
»Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, Mrs. Ellis, aber ich hatte erwartet, dass mich Ihr Gemahl in Empfang nimmt.«
Ein Schatten senkte sich über das verhärmte Antlitz, das förmlich zu zerfallen schien, sodass mir erneut Le Fanus groteske Schauergeschichten in den Sinn kamen. War nicht jene Carmilla aus der gleichnamigen Novelle ebenso verfallen, als man ihr einen Stecken durch das Herz trieb?
Obwohl ich mich nicht entsinne, dass in ihren Augen Tränen geglitzert hatten, so wie sie es bei meinem Gegenüber taten. Mitleid erschwerte mein Herz.
»Verzeihen Sie, Mrs. Ellis. Ich wollte Sie nicht kränken.«
»Oh nein, ich bin es, die um Verzeihung bitten muss. Es ist nur so, dass Sir William ... sein Gesundheitszustand hat sich noch einmal verschlechtert. Trotzdem hat er darauf bestanden, herzukommen, um Sie persönlich zu begrüßen. Nur ist er leider nicht imstande, das Gebäude zu verlassen und Sie in Empfang zu nehmen.«
Ich machte aus meiner Betroffenheit keinen Hehl. »Dass es so schlecht um ihn steht, habe ich nicht gewusst. Aber bitte, gehen Sie voran. Wir wollen ihren...
Erscheint lt. Verlag | 4.5.2021 |
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Reihe/Serie | John Sinclair |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Academy • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • e Book • eBook • E-Book • e books • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horrorthriller • Horror-Thriller • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony Ballard • Tony-Ballard • Top • Walking Dead |
ISBN-10 | 3-7517-1276-3 / 3751712763 |
ISBN-13 | 978-3-7517-1276-7 / 9783751712767 |
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