Wächter der Drachen (eBook)
608 Seiten
Penhaligon Verlag
978-3-641-27091-9 (ISBN)
Unverzichtbar für echte Fantasy-Fans: das berühmte Spin-off der Weitseher-Saga!
Die große Drachin Tintaglia rettete einst die Händler von Bingstadt. Dafür schworen ihr diese, ihre Brut zu beschützen. Doch die Dankbarkeit der Menschen währte nur so lange, wie sie sich davon einen Vorteil erhofften. Und als sich die Drachenbrut als missgestaltet und schwach erwies, zogen die Händler ihren Schutz zurück. Nun benötigen die jungen Drachen eine neue Heimat. Ihre verbliebenen menschlichen Freunde sehen nur eine Möglichkeit: Kelsingra, die verlorene Stadt der Drachen inmitten der Regenwildnis. Doch der Weg dorthin ist mühsam. Niemand weiß, ob alle Drachen die Reise überstehen werden - und ob Kelsingra überhaupt noch existiert.
Die New-York-Times-Bestsellersaga »Regenwildnis« von Robin Hobb ist unabhängig von der Weitseher-Saga lesbar und erscheint komplett bei Penhaligon:
1. Wächter der Drachen
2. Stadt der Drachen
3. Kampf der Drachen
4. Blut der Drachen
Dieser Roman ist bereits unter dem Titel »Drachenhüter« auf Deutsch erschienen. Er wurde für diese Ausgabe komplett überarbeitet.
Robin Hobb wurde in Kalifornien geboren, zog jedoch mit neun Jahren nach Alaska. Nach ihrer Hochzeit ließ sie sich mit ihrem Mann auf Kodiak nieder, einer kleinen Insel an der Küste Alaskas. Im selben Jahr veröffentlichte sie ihre erste Kurzgeschichte. Seither war sie mit ihren Storys an zahlreichen preisgekrönten Anthologien beteiligt. Mit »Die Gabe der Könige«, dem Auftakt ihrer Serie um Fitz Chivalric Weitseher, gelang ihr der Durchbruch auf dem internationalen Fantasy-Markt. Ihre Bücher wurden seither millionenfach verkauft und sind Dauergäste auf der New-York-Times-Bestsellerliste. Im November 2021 wurde ihr der renommierte World Fantasy Award für ihr Lebenswerk verliehen. Robin Hobb hat vier Kinder und lebt heute in Tacoma, Washington.
Prolog
DAS ENDE DER SCHLANGEN
Sie waren so weit gekommen, doch nun, als sie hier angelangt war, verblassten die Jahre des Wanderns bereits in ihrer Erinnerung und wichen den drängenden Erfordernissen ihrer verzweifelten Gegenwart. Sisarqua riss die Kiefer auseinander und streckte den Hals durch. Für die Seeschlange war es mühsam, sich zu konzentrieren. Seit Jahren war sie nicht mehr aus dem Wasser herausgekommen, und Festland hatte sie das letzte Mal unter ihrem Leib gespürt, als sie auf der Insel der Anderen aus dem Ei geschlüpft war. Jetzt war sie fern von jener Insel mit ihrem heißen Sand und ihrem milden Wasser. Über das dicht bewaldete Land zu beiden Seiten dieses eisigen Flusses fiel der Winter herein, und das morastige Ufer unter ihrem zusammengerollten Körper war fest und rau. In der kalten Luft trockneten ihre Kiemen rasch aus. Dagegen vermochte sie nichts anderes zu tun, als schneller zu arbeiten. Sie stieß ihre Kiefer in die riesige Grube und füllte ihr Maul mit silbrig schimmerndem Schlamm und Flusswasser. Dann warf sie den mächtigen Kopf zurück und schlang alles hinunter. Der lehmige Boden war mit Sand durchsetzt, kalt und auf eine eigenartige Weise köstlich. Noch ein Maul voll, noch ein Schluck. Immer wieder.
Längst zählte sie nicht mehr, wie oft sie von der sandigen Suppe geschlürft hatte, als sich schließlich der uralte Reflex in ihr regte. Während sie ihre Rachenmuskeln bewegte, schwollen ihre Giftsäcke an. Rings um ihre Kehle stellte sich eine fleischige Mähne auf, wie eine zitternde, giftige Halskrause. Das Beben wanderte bis zur Schwanzspitze hinab. Sie riss die Kiefer auseinander, presste und würgte. Dann drang die Masse aus ihr heraus, und sie klappte die Kiefer wieder zusammen, damit nur ein kräftiger, aber dünner Strahl aus Erde, Galle, Speichel und Gift hervorschoss. Mit einiger Mühe drehte sie den Kopf und wickelte ihren Leib dichter zusammen. Wie ein dicker zäher Silberfaden drang das Gemisch aus ihrem Maul, und mit kreisenden Kopfbewegungen überzog sie ihren aufgerollten Körper mit einer feuchten Schicht.
Sie spürte schwere Schritte herannahen, und kurz darauf fiel der Schatten eines Drachen auf sie. Tintaglia blieb bei ihr stehen und sprach zu ihr. »Gut, gut, so ist es recht. Erst einmal eine dünne, gleichmäßige Schicht ohne Lücken. So ist es recht.«
Sisarqua hatte keinen Blick für die blau-silberne Königin übrig, von der das Lob kam. Zu sehr nahm sie die Arbeit an der Hülle in Anspruch, die sie während der verbleibenden Wintermonate schützen würde. Das verzweifelte Bemühen entsprang ihrer Müdigkeit. Sie musste schlafen. Sie sehnte sich nach Ruhe. Doch sie wusste, dass sie niemals wieder erwachen würde, egal in welcher Form, wenn sie jetzt einschlief. Vollende die Hülle, dachte sie bei sich. Vollende die Hülle, dann kannst du ausruhen.
Um sie herum, über das gesamte Flussufer verteilt, waren weitere Schlangen mit der gleichen Arbeit beschäftigt, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg. Zwischen ihnen schufteten Menschen. Einige schleppten Eimer mit Flusswasser. Andere stachen silbern schimmernden Lehm von einer nahen Böschung ab und luden ihn auf Karren. Junge Burschen zogen die rumpelnden Karren zu der riesigen Grube, deren Wände hastig mit Baumstämmen abgestützt worden waren. Wasser und Erde wurden hineingekippt, und unten standen Menschen, die die größeren Erdbrocken mit Schaufeln und Rudern zerkleinerten und aus Wasser und Erde eine Art Brei mischten. Von diesem Schlick hatte Sisarqua sich bedient, denn er bildete die Hauptzutat für ihre Hülle. Die anderen Zutaten waren mindestens genauso wichtig. Das Gift, das ihr Körper beigemengt hatte, würde sie in einen todesähnlichen Schlaf versetzen. Und mit dem Speichel gab sie auch ihre Erinnerungen in die Obhut der Hülle. Nicht nur ihre eigenen Erinnerungen an ihre Zeit als Schlange wob sie hinein, sondern sämtliche Erinnerungen ihrer Blutlinie wickelte sie wie Garn um sich herum.
Was fehlte, waren die Erinnerungen der Drachen, die den Schlangen eigentlich beim Bau ihrer Hüllen hätten beistehen sollen. Noch war Sisarqua sehr wohl bewusst, dass wenigstens zwanzig Drachen hätten anwesend sein müssen, die ihnen Mut zusprachen, ihnen den Erinnerungssand und die Erde vorkauten und mit ihrem hervorgewürgten Speichel ihre eigene Geschichte beitrugen. Aber sie waren nicht da, und Sisarqua war zu müde, um sich zu fragen, welche Folgen das haben mochte.
Als sie am Hals angelangt war, überkam sie eine ungeheure Müdigkeit. Die Hülle musste so beschaffen sein, dass sie am Ende nur noch den Kopf einziehen und die Lücke von innen verschließen musste. Jetzt dämmerte ihr langsam, dass die Drachen, die die Schlangen hüteten, einst geholfen hatten, die Hüllen zu versiegeln. Aber Sisarqua wusste auch, dass sie nicht mehr auf solche Hilfe hoffen konnte. Gerade einmal einhundertneunundzwanzig Schlangen hatten sich an der Mündung des Schlangenflusses zusammengeschart, um die verzweifelte Wanderung stromaufwärts zu den überlieferten Reifegründen anzutreten. Maulkin, ihr Anführer, war sehr besorgt über die geringe Anzahl an Weibchen, deren Anteil weniger als ein Drittel betrug. In jedem Jahr der Wanderschaft hätten es ein paar Hundert Schlangen sein müssen und genauso viele Weibchen wie Männchen. So lange hatten sie im Meer verharrt, und so weit waren sie gereist in der Hoffnung, ihre Art zu erneuern. Zu erfahren, dass sie vielleicht schon zu spät und nicht mehr zahlreich genug waren, war ein herber Schlag.
Durch die Gefahren der Flussreise war die Gruppe noch weiter geschrumpft. Sisarqua wusste nicht genau, wie viele es bis zum sicheren Strand geschafft hatten. Um die neunzig, nahm sie an, doch die Nachricht, dass nicht einmal zwanzig von ihnen Weibchen waren, war um einiges erschreckender. Und um sie herum starben weiterhin Schlangen an Erschöpfung. Gerade als ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, hörte sie Tintaglia mit einem Menschen sprechen. »Er ist tot. Holt eure Hämmer und zerschlagt seine Hülle. Schafft sie in die Grube zu dem Erinnerungslehm, damit die anderen die Erinnerungen seiner Vorfahren am Leben erhalten können.« Auch wenn Sisarqua es nicht sehen konnte, so hörte sie doch, wie Tintaglia den toten Schlangenleib aus der unvollendeten Hülle zerrte. Und als die Drachin den Leichnam verschlang, roch sie das Fleisch und das Blut. Hunger und Müdigkeit krampften sich in ihr zusammen. Sie sehnte sich danach, an dem Mahl teilzuhaben, doch dafür war es zu spät. In ihrem Bauch war Lehm, der verarbeitet werden musste.
Und Tintaglia bedurfte dringend der Nahrung. Sie war der einzige noch lebende Drache, der sich um all die Schlangen kümmern konnte. Sisarqua hatte keine Ahnung, woher Tintaglia die Kraft dafür nahm. Ohne Rast war die Drachin tagelang geflogen, um sie den Fluss hinaufzuführen, dessen Lauf sich über die Jahrzehnte hinweg verändert hatte und der ihnen nicht mehr vertraut war. Viele Reserven konnte Tintaglia nicht mehr übrig haben, und sie hatte ihnen kaum mehr als Ermutigungen zu bieten. Was vermochte eine Drachin schon auszurichten angesichts der Not so vieler Seeschlangen?
Wie die spinnwebartige Erinnerung an einen Traum waberte für einen Moment das Bild eines Vorfahren durch ihr Bewusstsein. Das ist nicht richtig, dachte sie bei sich. Das alles stimmt nicht. Nichts ist so, wie es sein sollte. Zwar war dies der Fluss, aber wo waren die breiten Auen und die Eichenwälder, die ihn gesäumt hatten? Jetzt grenzten morastige Sumpfwälder an den Strom, und nur selten sah man einen Flecken festen Grunds. Hätten die Menschen das Ufer nicht mit Steinen befestigt, bevor die Schlangen angekommen waren, hätten sie es in ein Schlammloch verwandelt. Doch in der Erinnerung ihrer Vorfahren sah sie weite, sonnenbeschienene Auen und ein üppiges Ufer in der Nähe einer Stadt der Uralten. Drachen hätten Erdklumpen daraus lösen und aus Lehm und Wasser einen Brei mischen sollen. Drachen hätten die Hüllen der Schlangen schließlich vollends versiegeln sollen, und all das hätte in der Mittagshitze eines hellen Sommertages geschehen müssen.
Müdigkeit überrollte sie, und die Erinnerung verschwand unwiederbringlich. Sie war nur eine einzelne Schlange, die sich abmühte, ihre Hülle zu weben, um sich, vor der Winterkälte geschützt, verwandeln zu können. Eine einzelne Schlange, müde und durchgefroren, die nach einer Ewigkeit des Umherwanderns endlich heimgekehrt war. Ihre Gedanken schweiften zurück in die vergangenen Monate.
Die letzte Etappe ihrer Reise war ihr wie ein nicht enden wollender Kampf gegen die Strömung im felsigen Flachwasser vorgekommen. Maulkins Knäuel, zu dem sie neu dazugestoßen war, hatte sie in Erstaunen versetzt. Normalerweise bestand ein Knäuel aus zwanzig bis vierzig Schlangen. Maulkin hatte jedoch jede Schlange aufgenommen, die er finden konnte, und hatte sie nach Norden geführt. Dadurch war es um einiges schwieriger geworden, unterwegs Nahrung aufzutreiben, aber er hatte es als notwendig erachtet. Nie zuvor hatte Sisarqua so viele Schlangen zusammen als Knäuel auf Wanderschaft gesehen. Es ließ sich nicht leugnen, dass einige fast zu bloßen Tieren verkommen und andere vor Verwirrung und Angst dem Wahnsinn nahe waren. Zu viele litten an Vergessen, das ihnen den Kopf vernebelte. Doch als sie der Prophetenschlange mit den leuchtenden goldfarbenen Scheinaugen in einer langen Reihe gefolgt waren, hatte sich Sisarqua beinahe an die alten Wanderrouten erinnert. Um sie her hatten die bedrängten Schlangen neuen Mut gefasst und einen klaren Kopf erlangt. Sie hatte das Gefühl gehabt, dass diese strapaziöse Reise richtig war, so richtig, wie seit...
Erscheint lt. Verlag | 30.8.2021 |
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Reihe/Serie | Die Regenwildnis-Chroniken | Die Regenwildnis-Chroniken |
Übersetzer | Simon Weinert |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Dragon Keeper (Rain Wilds Chronicles Book 1) |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Beschützer der Drachen • Christopher Paolini • Der Bruder des Wolfs • Der Erbe der Schatten • Die Gabe der Könige • Diener der alten Macht • Die Tochter des Drachen • Die Tochter des Propheten • Die Tochter des Wolfs • Drachen • eBooks • Eragon • Erster Band • Fantasy • fantasy neuerscheinungen • Feuer und Blut • Freundschaft • Für Leser von George R.R. Martin • High Fantasy • Neuerscheinung 2021 • Prophet der sechs Provinzen • Rain Wilds Chronicles • Realm of the Elderlings • Regenwildnis • Seelenschiffe • Serienauftakt • Targaryen • Weitseher • World Fantasy Award |
ISBN-10 | 3-641-27091-X / 364127091X |
ISBN-13 | 978-3-641-27091-9 / 9783641270919 |
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