Die Phileasson-Saga - Nebelinseln (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2022
928 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-25863-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Phileasson-Saga - Nebelinseln - Bernhard Hennen, Robert Corvus
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Bereits seit zwei Jahren überzieht Beorn der Blender die Nebelinseln mit einem Krieg, wie ihn die Elfen seit Jahrtausenden nicht mehr gesehen haben. Inzwischen wagt man in dieser verzauberten Welt seinen Namen nur noch zu flüstern. Währenddessen leitet die Prophezeiung der zehnten Aufgabe Asleif Phileasson durch den undurchdringlichen Nebel. »Weise gilt es zu finden, den Tod in den eigenen Reihen willkommen zu heißen.« Für Phileasson heißt das, dass er sich dem mächtigen Schlangenkönig stellen muss. Doch um diese Herausforderung zu meistern, braucht er möglicherweise die Hilfe seines alten Erzfeindes Beorn ...

Bernhard Hennen, 1966 geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Vorderasiatische Altertumskunde. Mit seiner »Elfen«-Saga stürmte er alle Bestsellerlisten und schrieb sich an die Spitze der deutschen Fantasy-Autoren. Bernhard Hennen lebt mit seiner Familie in Krefeld.

1  NEBELFAHRT

Fremde Gewässer,

fremde Zeit

Beim Aufstieg zum Bugkastell fühlte sich Shaya Lifgundsdottir leicht. Beinahe, als hätte sie kein Gewicht. Wie in einem Traum – oder in einem Albtraum? Der undurchdringliche Nebel, der die Taubralir umgab, schien die Elfengaleasse der Welt des Wirklichen und Greifbaren zu entheben. Seine Schwaden nahmen immer neue Formen an. Man konnte sie als Drohung verstehen, als Gehilfen, die Ungeheuer verbargen, bis diese so nah am Schiff waren, dass keine Flucht mehr möglich wäre.

Im leisen Knarren von Holz und Takelage sang alles an dieser Galeasse von edler Schönheit. Auch die Stufen, auf die Shaya ihre Schritte setzte. Sie wirkten wie gewachsen, aus dunklem und hellerem Holz, in einem Wellenmuster untrennbar miteinander verbunden. Die Treppe bot einen sicheren und angenehmen Tritt, der Handlauf fühlte sich an wie Samt. Auf der Reling brannten so viele Lampen, dass Shayas unmittelbare Umgebung wie für ein Fest beleuchtet erschien. Gelbes Licht strahlte durch flammenförmiges Glas. Jenseits des Schiffs erhellte es nur den Nebel, der die Taubralir seit Stunden umgab. Shaya fragte sich, ob es bloß am Licht lag, dass einige der Schwaden ihr ockerfarben erschienen, oder ob diese Färbung aus ihnen selbst hervorkam, wie bei Sandwirbeln in der Khôm. Doch Staub roch die Thorwalerin ebenso wenig wie das Salz des Meers, und sie spürte auch keine Feuchtigkeit auf der Gesichtshaut, wie man es in dichtem Nebel erwarten sollte. Überhaupt hielt sich der Nebel außerhalb der Taubralir, wie ihr ein Blick über die Schulter bestätigte.

Shaya sah das große, dreieckige Segel am einzigen Mast. Im leichten Wind blähte sich das weiße Leinen kaum. Eine stilisierte blaue Woge schwang sich verspielt über nahezu die gesamte Breite. In ruhigem Gleichtakt, von unsichtbaren Händen geführt, beschrieben die Riemen auf beiden Seiten in ihrem Auf und Nieder, im Vor und Zurück annähernd kreisförmige Bewegungen. Shaya sah die Ruderbänke im Halbschatten, der größte Teil des Decks lag offen. Nur schmale Stege führten an der Reling entlang, der Mittelsteg, der das Bugkastell, den Mast und das Achterkastell verband, war immerhin zwei Schritt breit.

Ohm Follker duckte sich unter dem Segel hindurch. In dem Griff, mit dem er die Leine prüfte, die die obere Rah an Backbord im Wind hielt, zeigte sich die Bewunderung des erfahrenen Seefahrers. Nicht nur die Riemen der Taubralir bewegten sich von Geisterhand, auch das Brassen des Segels geschah ohne Zutun der Besatzung. Die Leinen verlängerten oder verkürzten sich, um die Leinwand am Wind zu halten. Selbst das Steuerruder bewegte sich von allein. Zu Beginn der Fahrt hatten Ohm und Phileasson Hand angelegt und festgestellt, dass sich die Galeasse durchaus lenken ließ, aber wenn man die Pinne losließ, kehrte das Elfenschiff auf seinen vorherigen Kurs zurück.

Ohms Blick blieb an Shaya hängen, die auf der Treppe innehielt. Seine grauen Schläfenlocken pendelten, als er ihr zunickte. Er lächelte dabei. Allzu lang hatte ihre Reise sie über Land geführt, wo sich ein Seefahrer auf schwer benennbare Art stets unfrei fühlte.

Shaya erwiderte den Gruß und stieg weiter die Treppe hinauf. In der Rechten hielt sie ein mit einem breiten, gewellten Rand versehenes Silbertablett, auf dem süßes Weißbrot lag. Es kam aus einem Korb, der in der Kajüte unter dem Bugkastell neben einer Amphore mit Trinkwasser, einem Krug mit Milch und einer Schale mit Früchten stand. Alles schmeckte frisch und köstlich, und nichts wurde weniger, wenn man davon nahm. Ein weiteres Wunder der Taubralir.

Salarin der-ein-anderer-ist stand vorgebeugt im Bug, mit dem linken Fuß auf der Reling, die Hände auf dem Knie abgestützt. Der Elf spähte voraus in den Nebel, als erwartete er jeden Augenblick, dass die Schwaden aufrissen und ein lang ersehntes Ufer freigaben. Dabei waren sie erst eine halbe Nacht unterwegs auf dem westlichen Ozean, der Aventurien vom Güldenland trennte. Aus Phileassons Erzählungen wusste Shaya vom Efferdswall, dem geheimnisvollen Hindernis, das die beiden Kontinente gemäß dem Willen der Götter voneinander trennte und das man erst nach tagelanger Seereise erreichte.

Der Wind zupfte im blonden Haar des Elfen, das im Schein der flammenförmigen Lampen besonders hell erschien. Die Binde, die das linke Auge bedeckte, sorgte zugleich dafür, dass ihm keine Strähnen ins Gesicht flogen.

Leomara della Rescati dagegen war beinahe nur ein Schattenriss, weil sie vor einer Flammenlaterne stand. Die Zehnjährige bewegte die Hände vor dem Licht und bog die Finger in verschiedenen Formen, sodass sich die Umrisse von Tieren ergaben: einem Hasen mit aufgestellten Löffeln, einem Einhorn, einer Katze.

Shaya stellte sich an Salarins rechte Seite. So musste sie die Narbe nicht sehen, deren Anblick sie schmerzte.

Sie hielt ihm das Tablett hin. »Willst du etwas essen?«

Stumm schüttelte er den Kopf. Eine präzise, harte Geste. Das Sanfte und Verspielte von Salarins Wesen zeigte sich immer seltener. Das besorgte Shaya, aber sie bewunderte auch die Stärke und die Entschlossenheit, die in seiner Miene hervortraten. Selbst im Violett seines gesunden Auges funkelte das Licht wie eine Herausforderung.

»Was ist mit dir?«, fragte sie Leomara.

»Danke.« Das Mädchen griff zu, widmete sich aber sofort wieder seinen Schattenspielen. Dafür hielt es sein Brot mit den Zähnen, damit es beide Hände frei hatte.

Shaya nahm selbst eine Scheibe. Das Brot war auf seine eigene Art weich, obwohl es sich nicht so anfühlte, als wäre es in einer Gärung aufgegangen. Hefe benutzte man dafür bestimmt nicht. Während die Traviaschwester die Süße in ihrem Mund genoss, fragte sie sich, wie man es wohl backen konnte. Oder gab es solches Brot nur in Körben, die sich auf magische Weise aus dem Nichts füllten?

Sie sah hinaus in den Nebel. Die Geweihte liebte alles, was mit dem Haushalt zu tun hatte: das Aufräumen, bei dem jedes Ding seinen Platz fand. Das schöne Herrichten eines Tischs, das faltenfreie Beziehen eines Betts. Sogar das Putzen und Wischen. Zwar konnte es mühselig sein, aber ein sauberes Haus war stets eine Belohnung, die sie mit stiller Freude genoss. Nach über einem Jahr auf Reisen vermisste sie ein festes Heim, ein vertrautes Kissen, auf das sie jede Nacht ihr Haupt betten konnte. Brokscal hatte ihr etwas davon zurückgegeben, aber jetzt zog ihre Familie weiter, und sie wusste, dass noch viele Meilen und viele Wochen vor ihr lagen.

Sie schluckte den Bissen hinunter. Die meisten Menschen hätten sicher nicht gezögert, wenn sie Amphoren, Schalen und Körbe wie jene in der Kabine unter ihr bekommen könnten. Aber Shaya liebte das Backen, Kochen und Braten. Sie hätte es schnell vermisst, mit eigenen Händen aus Obst, Gemüse, Getreide und Fleisch etwas Köstliches zu machen, das Menschen zusammenbrachte. Sie dachte an die vielen Stunden zurück, die sie mit Lenya und Mutter Cunia an Herd und Ofen verbracht hatte. An das Lernen, an das Lachen, an die Gemeinschaft. Oft hatte sie Salarin davon erzählt, aber ob der Elf es nachfühlen konnte, wusste sie nicht.

Sie hob die Hand vor den Mund und hauchte dagegen.

»Ist dir kalt?«, fragte Salarin.

»Ja.« Zwar bildete ihr Atem keine Wolke, aber sie fühlte sich trotzdem, als stünde sie in einem kühlen Windzug. Eine ebenso merkwürdige Empfindung wie die Leichtigkeit ihres Körpers. Ein bisschen, als befände sie sich in einem kalten See, wo die Arme aufwärts strebten, wenn man sie locker ließ. Anders als unter Wasser fühlte sie jedoch keinen Widerstand bei ihren Bewegungen.

Sie stellte das Tablett auf den Boden zwischen ihr und Leomara und rieb sich die Oberarme. Ihr war wirklich kalt.

Salarin zog sein Wildlederhemd aus und gab es ihr.

»Du kannst doch nicht …« Sie sah seinen nackten Oberkörper an. Der nabellose Bauch war flach, die Schultern waren nicht übermäßig breit, überhaupt hatte er keine schwellenden Muskeln, und doch wirkte der Elf kräftig. Wohl, weil auch jegliches Fett fehlte, alles, was die Formen weich gemacht oder gar verwischt hätte.

Der Anblick machte Shayas Kehle trocken. Sie benetzte ihre Lippen und sah hinauf in sein Gesicht. Die Narbe, die auf der Stirn begann, unter der schwarzen Augenbinde verschwand und auf der Wange wieder auftauchte, zerstörte die Symmetrie, entstellte das Antlitz aber nicht. Es war, als ob sie die Miene des Kriegers vervollständigte. Während sie das Hemd nahm, fragte sich Shaya, ob Salarins Gabe von fürsorglichen Gefühlen zeugte oder ob sie eher abweisend war, eine stoische Pflichterfüllung gegenüber einer Schwächeren.

Obwohl es groß genug dafür war, wäre es der Geweihten seltsam vorgekommen, das Hemd über den Kaftan zu ziehen, der seit dem Tal der Echsengötter ihre Kutte ersetzte. Sie legte es um ihre Schultern und den Hals, wie einen Schal. Sie spürte Salarins Wärme, der Duft seines Körpers stieg in ihre Nase. Ihr Herz schlug schnell. Am liebsten hätte sie sich an ihn geschmiegt, aber sie wusste nicht, ob er sich das ebenfalls...

Erscheint lt. Verlag 10.1.2022
Reihe/Serie Die Phileasson-Reihe
Die Phileasson-Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte 2022 • Abenteuer • Aventurien • Das Schwarze Auge • deutscher phantastik preis • eBooks • Elfen • epische Fantasy • epische Schlachten • Fantasy • Götter • High Fantasy • Kapitäne • Magie • Neuerscheinung • SPIEGEL-Bestsellerserie • Wettfahrt
ISBN-10 3-641-25863-4 / 3641258634
ISBN-13 978-3-641-25863-4 / 9783641258634
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