Mörderische Auslese (eBook)

Ein Fall für Benjamin Freling
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
350 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-0392-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mörderische Auslese -  Mattis Ferber
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Als Benjamin Freling, begnadeter Sommelier eines Luxushotels am Kaiserstuhl, ein Skelett in der aufgeschlagenen Wand seines geliebten Weinkellers entdeckt, ist er fassungslos. Dabei wollte er nur mehr Raum für seine Weinraritäten erschließen. Der Sommelier hat jedoch eine Vermutung, wen er da gefunden hat: sein ehemaliges Kindermädchen, das vor zwanzig Jahren spurlos verschwand. Benjamin beginnt zu recherchieren und muss sein feines Gespür als Sommelier einsetzen, um in dem Gespinst aus Lügen, Vertuschung und Verrat den Mörder zu finden.



Mattis Ferber ist ein Pseudonym von Hannes Finkbeiner. Der Autor wuchs in einem Hotelbetrieb im Schwarzwald auf, machte eine Lehre zum Restaurantfachmann und studierte an der Hochschule Hannover Journalistik, wo er heute auch als Dozent lehrt. Finkbeiner schrieb u.a. für FAZ, Spiegel Online oder RND. Für die HAZ verfasst er eine wöchentliche Gastro-Kolumne.

Mattis Ferber ist ein Pseudonym von Hannes Finkbeiner. Der Autor wuchs in einem Hotelbetrieb im Schwarzwald auf, machte eine Lehre zum Restaurantfachmann und studierte an der Hochschule Hannover Journalistik, wo er heute auch als Dozent lehrt. Finkbeiner schrieb u.a. für FAZ, Spiegel Online oder RND. Für die HAZ verfasst er eine wöchentliche Gastro-Kolumne.

Eins


Benjamin Freling atmete ein, atmete aber nicht mehr aus. Es ging nicht. Er war erstarrt, und nur sein Herz pumpte weiter das Blut durch seine Adern. Mörtelstaub flirrte vor dem Lichtkegel der Taschenlampe. Hinter seinen Augen pochte ein nervöser Puls, brachte das Bild zum Zittern – oder war er es selbst, der zitterte?

Ohne seinen Blick abzuwenden, tastete er ins Leere, griff zweimal daneben, beim dritten Mal bekam er den Stiel des Vorschlaghammers zu fassen. Er brauchte Halt, stellte ihn auf den kleinen Schutthaufen neben sich und stützte sich darauf ab. In diesem Moment löste sich ein letzter Klinkerstein. Er fiel in Zeitlupe durch den luftleeren Raum, der urplötzlich sein ganzes Leben ausfüllte. Dabei wollte er doch nur einen Raritätenkeller haben. Nicht mehr. Er sah zu, wie der Stein durch den Lichtstrahl fiel. Nein. Falsch. Der Stein fiel nicht. Er rieselte hernieder. Schwebte. Langsam wie eine Feder. Und krachte berstend wie ein Fels auf den Haufen anderer Steine. Die Welt krampfte um sein nervöses Herz.

Es war einer dieser Augenblicke, dachte der Sommelier, in denen sich das ganze Leben schlagartig veränderte. Von jetzt auf gleich. Eine Sekunde, und alles war anders. Ticktack. Ein einziger Schritt und dazwischen nur eine unsichtbare Linie, über die man ging, und erst im Nachhinein bemerkte man, dass sie da gewesen war. Augenblicke. So einprägsam, dass sie für ewig ein Loch ins hauchdünne Seidentuch der Seele stanzten und den Lebensweg in eine andere Richtung lenkten.

Bei Benjamin war es auch so eine wundersame Winzigkeit wie der wahrscheinlich hundertste Wein, den er probierte. Ein Fingerhut voll Flüssigkeit stellte vor zehn Jahren sein ganzes Leben auf den Kopf: ein Pinot Noir aus dem Burgund, der ihm einmal in Oberbergen eingegossen worden war. Ein Clos Saint-Denis Grand Cru aus dem Jahr 1999 von der Domaine Dujac. Ein redseliger Connaisseur faselte bei der Verkostung pausenlos etwas von einer völligen Harmonie aus Säure, Frucht und Tanninen, von Würze, Wärme, Komplexität, von Aromen nach Himbeeren, Kakao und Zedernholz, von sehnigem Körper, stabiler Säure und was ihm sonst noch so in den Sinn kam. Stimmte ja auch alles, aber Benjamin mochte dieses überzeichnete Gerede nicht. Schon damals nicht. Ganz im Allgemeinen.

Im Speziellen hatte er das Gefühl, dass jedes weitere Wort diesen einmaligen Moment zerstört hätte. Der Wein war pure Magie. Benjamin nippte, schnupperte, beschwor dabei die Einmaligkeit des Daseins und der Schöpfung an und für sich. Er war vom Bouquet des Weins so verzaubert, regelrecht benommen, dass er kurz die Augen schloss, um einen Moment damit allein zu sein. Wäre es nicht unhöflich gewesen, dann hätte er sich die Finger in die Ohren gesteckt, um das Geschwätz nicht mehr hören zu müssen und ganz und gar seine Ruhe zu haben, ach was, er hätte am liebsten die ganze Flasche geschnappt und wäre damit im Kamelsgalopp getürmt. Raus aus dem legendären Adler. Rein ins Rebendickicht und hoch in die Bassgeige, dorthin, wo ihn niemand finden würde, ihn und seine hundert Fingerhüte.

Hatte er zu dieser Zeit nicht eigentlich gehörig die Schnauze voll von dem ganzen Gastrowahnsinn gehabt?

Spielte er nicht sogar mit dem Gedanken, seine Kellnerlehre endgültig an den Nagel zu hängen?

Und dennoch stand er jetzt schnappatmend in einem Weinkeller, aufgestützt auf einen Vorschlaghammer, mit hochgekrempelten Hemdsärmeln und Sommelier-Schürze. Er hatte fünfzehntausend Flaschen gehortet, über die er wachte wie der Drache über sein Gold – und schuld war ein Schlückchen Burgunder.

Benjamin Freling biss sich auf die Unterlippe, knipste die Taschenlampe aus und warf einen Blick in die selige Dämmerung des Weinkellers, der nur durch wenige Deckenstrahler erleuchtet wurde.

Was sollte er tun?

Was gebot die Stunde?

Die Klimaanlage brummte leise und beständig. Vorn, verdeckt durch das Regal mit den Überseeweinen, hörte er die gedämpften Stimmen zweier oder dreier Gäste. Mehrmals täglich, bei einem Rundgang durchs Hotel, drückten sie ihre Nasen an der gläsernen Eingangstür platt. Wortwörtlich. Er hatte sogar Glasreiniger und ein Baumwolltuch in einem Sideboard, um das Geschmiere bisweilen sauber zu machen. Der Sommelier atmete leise und flach, stand völlig still, als wäre er ein Einbrecher, nein, als wäre er ein Mörder, der eigenhändig die Leiche in der Zwischenwand versteckt hatte und nun fürchtete, entdeckt zu werden. Denn das war es, was vor ihm in der Dunkelheit lag: eine mumifizierte Leiche.

Staub kribbelte in seiner Nase. Kurz schwollen die Stimmen an, entfernten sich dann langsam, und Benjamin überkam der Drang, erneut die Taschenlampe anzuknipsen. Er konnte einfach nicht anders. Er blickte noch einmal durch das Loch in der Wand, sah die verkrümmten Gliedmaßen, sah die Haut wie vergilbtes, sprödes Pergament, sah den deformierten Schädel, die schwarzen Augenhöhlen, den aufgeklappten Kiefer und den lippenlosen Mund, der sich wie das kalte Grausen um einen Reigen blanker Zähne schloss.

Nein, das war nicht das Gerippe eines Hundes oder sonst eines Tiers.

Der Sommelier konnte es nicht glauben.

Wie auch?

Wochenlang hatte er Baupläne studiert. Wobei. Richtig war: Vor mehreren Wochen hatte er sich die Baupläne besorgt und sie einfach im alltäglichen Trubel wieder vergessen. Erst vorgestern hatte er sie dann unter die Lupe genommen. Da das Hotel seiner Familie auf eine jahrhundertelange Geschichte zurückblickte, gab es einiges übereinanderzulegen. Aber es war, wie er vermutet hatte. Irgendwie konnte er sich ja auch trübe daran erinnern, an damals, vor über zwanzig Jahren, als er zehn Jahre alt war, damals, als überall Planen hingen, ein steter Wind durch den entkernten Altbau blies, damals, als ihm an jeder Ecke ebenso viele Gäste wie Bauarbeiter entgegenkamen. Damals. Als seine Eltern starben. Knack. Ins Seidentuch der Seele.

Er erinnerte sich jedenfalls, dass es hier einen Durchgang zum alten Festsaal, den heutigen Boutiquen, gegeben hatte, der infolge des großen Umbaus zugemauert worden war. Und dieser Hohlraum war exakt das, was er brauchte. Auf den Plänen entsprach die Baulücke einer Länge von zwei und einer Breite von eineinhalb Metern. Das war genau das richtige Ausmaß für sein Unterfangen: einen Keller in den Keller zu bauen. Ja. Es war Irrsinn. Weinliebhaber waren eben nicht selten Romantiker. Freaks. Besessene. Irrationale. Allesamt unzurechnungsfähig, denn wenn der Stoff einmal von ihnen Besitz ergriffen hatte, dann waren sie unweigerlich verloren. Und Benjamin Frelings neue Stufe des Irrsinns war eben der Raritätenkeller. Er musste ihn einfach haben. Irgendwie hatte er das Gefühl, wenn es ihn nur gäbe, sanft beleuchtet, stabil temperiert, mit verzierter, gusseiserner Gittertür verschlossen, zu der nur er einen Schlüssel hatte – ein Raum, in dem sich das ganze Jahr hindurch nichts veränderte –, dann hätte er ein seelisches Gegengewicht zur Unbeständigkeit seines Arbeits- und Privatlebens. Immer wieder malte er sich die Flaschen darin aus. Kein Margaux, Petrus oder Romanée-Conti, nicht ausschließlich jedenfalls. Die großen Namen brauchte er nur für die Snobs dieser Welt, die Etikettentrinker, die dachten, Genuss steigere sich proportional zum Investment. Nein, er würde hier Weine mit Geschichte sammeln, echte Schönheiten mit Aura, die in seiner Gesellschaft würdevoll altern konnten.

Er seufzte so laut, dass es von einem Schnauben nicht zu unterscheiden war.

Es stand außer Frage.

Die Leiche musste weg.

Kurz wurde er sogar wütend auf dieses Ding da drinnen, das ihm an diesem Vormittag einen Strich durch die Rechnung machte. Sein Raritätenkeller war ganz offensichtlich eine Grabkammer. Er wurde mutig, stützte seine Ellenbogen wie ein hemdsärmeliger Archäologe auf den Rand des Lochs und schob den Kopf hindurch. Er rümpfte die Nase. Es roch muffig. Nach altem Mauerwerk. Sonst nichts. Da fiel sein Blick auf einige dicke, stillgelegte Rohrleitungen, die rechts unten am Boden ins Leere liefen und anscheinend einmal durch die Wand hindurchgeführt hatten. In diesem Moment fielen ihm auch die drei wuchtigen Waschmaschinen wieder ein, die früher im Weinkeller gestanden hatten – alte Dinger, die im Schleudergang das Hotel kurzzeitig zu einem Erdbebengebiet gemacht hatten. Vor dem großen Umbau wurde hier nämlich noch tagtäglich die Hotelwäsche gewaschen. Er dachte an die duftenden, feuchten Bettlaken, die hier einmal Bahn um Bahn hingen. Er sah sich selbst als Kind, wie er dazwischen durchgelaufen war, mit weit ausgestreckten Armen. Er hatte es geliebt, mit …

Der Sommelier machte intuitiv einen Schritt rückwärts.

Es wurde enger in seiner Brust.

Das Licht der Taschenlampe streifte diffus durch den Raum.

Er wusste, wer hier eingemauert worden war.

Im Weinkeller war es die meiste Zeit still und andächtig wie in einer Kathedrale. Benjamin Freling bemerkte dieses Detail immer dann, wenn er nach ein, zwei Stunden wieder in den Hotelbetrieb zurückkehrte. An diesem Tag war es sogar noch extremer. Sein Fund hatte die Zeit scheinbar aufgebläht, gedehnt, ausgewellt in die Unendlichkeit. Ihm kam es so vor, als sei er wochenlang in einer Isolationskammer in Einzelhaft gewesen, als er in den Küchen- und Servicetrakt lief. Es war laut. Die Servicekräfte brachten gerade die Reste des Frühstücksbüfetts herein, Geschirr klapperte, Wurst- und Käseplatten wurden abgeräumt, Obst- und Müslischüsseln umgeschüttet. Personal wuselte umher, und über alldem lag das ewige Rauschen der Spülstraße, das ganztags den Küchentrakt ausfüllte, und erst spät am Abend, wenn...

Erscheint lt. Verlag 27.8.2021
Reihe/Serie Benjamin Freling
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Deutschland • Familiengeheimnis • Hotel • Kaiserstuhl • Krimis • Kulinarischer Krimi • Mord • Sommelier • Wein • Weinkeller • Weinkrimi • Wein / Weinbau / Weinkunde
ISBN-10 3-7517-0392-6 / 3751703926
ISBN-13 978-3-7517-0392-5 / 9783751703925
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Psychothriller

von Sebastian Fitzek

eBook Download (2022)
Verlagsgruppe Droemer Knaur
9,99
Krimi

von Jens Waschke

eBook Download (2023)
Lehmanns Media (Verlag)
9,99
Psychothriller | SPIEGEL Bestseller | Der musikalische Psychothriller …

von Sebastian Fitzek

eBook Download (2021)
Verlagsgruppe Droemer Knaur
9,99