Schwäne in Weiß und Gold (eBook)

Geschichte einer Familie
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2021 | 1. Auflage
352 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2628-0 (ISBN)

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Schwäne in Weiß und Gold - Christine von Brühl
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Aufstieg und Fall - und Neuanfang: die Geschichte der Familie von Brühl und ihres Schwanenporzellans Christine von Brühl, Nachfahrin des Politikers Heinrich von Brühl (1700-1763), erzählt vom wechselvollen Schicksal ihrer Familie. Am Beginn stehen Heinrichs märchenhafte Karriere am Dresdner Hof und sein beispielloser Niedergang. Die Geschichte ist dabei aufs engste mit dem Brühlschen Schwanenservice verbunden. Es stammt aus der Manufaktur Meissen und war das erste Porzellan von derart gestalterischer Pracht. Seine Fragilität ist von höchster Symbolkraft: Nach Kriegen und Flucht sind heute von ursprünglich 2000 wertvollen Exponaten nur noch wenige hundert erhalten. Dank Frieden und Mauerfall ist der Familie die Übertragung ihrer tradierten Werte in zeitgemäße Formen gelungen. »Die Geschichte des Meissener Schwanenservice zeigt, wie meine Familie dank der Wiedervereinigung ihren Frieden mit der Vergangenheit machen konnte.« Christine von Brühl



Christine von Brühl, geboren 1962, studierte Slawistik, Geschichte und Philosophie in Lublin, Heidelberg und Wien. Nach Stationen bei DIE ZEIT, Sächsische Zeitung und Das Magazin lebt sie heute als freischaffende Autorin in Berlin.

Im Aufbau Taschenbuch sind von ihr lieferbar: 'Die preußische Madonna. Auf den Spuren der Königin Luise', 'Anmut im märkischen Sand. Die Frauen der Hohenzollern' und 'Gerade dadurch sind sie mir lieb. Theodor Fontanes Frauen'. Zuletzt erschien bei Aufbau: 'Schwäne in Weiß und Gold. Geschichte einer Familie'.

Des Königs Schnitzel


Heinrichs Karriere war keineswegs so steil, wie es von außen den Anschein haben mochte. Vierzehn Jahre gehörte er zu Augusts II. engstem Gefolge, begleitete zuverlässig seinen Hof und versicherte ihn dauerhaft seiner Loyalität. Erst ein gutes Jahr vor dem Tod des Königs beförderte ihn dieser auf einen Posten, der ihn zu einem Mitglied der Regierung machte mit allen Möglichkeiten rechtmäßiger Einflussnahme.

Trotzdem prägte sich der Eindruck eines kometenhaften Aufstiegs ein, den sich auch seine direkten Nachkommen, meine Familie, kaum erklären konnten. Vielmehr kursierte eine beliebte Legende, die mein Vater meiner Mutter, kaum dass sie sich kennengelernt hatten, erzählte. Ein Schnitzel, das August II. bei einem feierlichen Abendessen serviert wurde, rutschte vom Teller, und während alle zu Boden gingen, um danach zu fahnden, sei Heinrich blitzschnell in die Küche geeilt, habe eine neue Portion geholt und sie dem König kurzerhand vor die Nase gesetzt. August II. sei darüber derart begeistert gewesen, dass er ihn sofort zu seinem Leibpagen, bald darauf zum Kammerdiener und schließlich zum Premierminister gekürt habe.

Diese Anekdote ist typisch für die Geschichten, die man sich lächelnd im engsten Kreis bei gemeinsamen Familienfesten zu erzählen pflegte, zeigt sie doch, ob sie der Wahrheit entsprach oder auch nicht, wie genau man in Adelskreisen wusste, dass nahe Verwandte beruflich ganz plötzlich in die Nähe der Macht geraten, ebenso zufällig aber auch wieder auf mittlere oder ganz unbedeutende unterste Positionen herabsinken konnten.

Ausschlaggebend für Heinrich war die Tatsache, dass er nicht nur das Vertrauen Augusts II., sondern auch das seines Thronfolgers gewinnen konnte. Die Dinge am sächsischen Hof standen im 18. Jahrhundert so, dass der Übergang vom Vater auf den Sohn glänzend vorbereitet worden war und überwiegend harmonisch vonstattenging. Wenige Monate nach der Hochzeit des Kurprinzen hatte ihn der Vater qua Dekret vom 17. Dezember 1719 offiziell in die Regierungsgeschäfte eingeführt und ihn zu seinem direkten Stellvertreter gemacht.30 Das kam insbesondere dann zum Tragen, wenn August II. unterwegs war oder sich länger in Polen aufhielt. Die Nähe zwischen beiden zeigte sich auch darin, dass der sogenannte »Junge Hof« im Taschenbergpalais untergebracht war, unmittelbar neben dem Residenzschloss. Insofern war der Kurprinz jahrelang im Vorfeld an den Regierungsgeschäften beteiligt gewesen und konnte, wenn auch charakterlich keineswegs von derart selbstherrlicher Natur wie der Vater, dessen Werk auf angemessene Weise fortsetzen.

Zudem führte er eine stabile Ehe und hatte in der gebildeten Kaisertochter Maria Josepha eine Frau gefunden, die die Geschehnisse in Sachsen aufmerksam verfolgte. Schon vor Augusts II. Ableben gebar sie in rascher Folge potenzielle Thronfolger; von ihren fünfzehn Kindern erreichten elf das Erwachsenenalter, darunter fünf Söhne. Obwohl Heinrichs Eid auf das sächsische Königshaus mit Augusts II. Tod erlosch, hatte er allen Grund anzunehmen, dass es dort weiterhin für ihn Verwendung geben würde.

In den folgenden Tagen, Wochen und Monaten, in denen sich Sachsen umorganisieren, der neue Kurfürst bestätigt und auch die polnische Thronfolge bestimmt werden musste, agierte Heinrich in erprobter Unbeirrbarkeit und Zuverlässigkeit. Bei der Erbhuldigung im Dresdner Schloss sah man ihn selbstverständlich an der Seite Friedrich Augusts neben anderen getreuen Höflingen wie Friesen, Oberhofmarschall Woldemar von Löwendal (1660–1740), Christian von Sachsen-Weißenfels oder Sułkowski, einem besonderen Vertrauten Friedrich Augusts. Auch begleitete Heinrich den Kurfürsten auf seinen Huldigungsreisen durch Sachsen.

Ähnlich wie mit Heinrich selbst, der in allen seinen Ämtern und Befugnissen bestätigt wurde, verfuhr der Thronfolger auch mit dessen Brüdern, so dass die Familie weiterhin dem Dresdner Hof verpflichtet blieb. Hans Moritz hatte sich als General der Kavallerie gleich nach dem Tod Augusts II. eiligst in die Nähe seines Standquartiers begeben, um dem neuen Kurfürsten seine Loyalität zu bekunden.31

Erste Herausforderung für den neuen Kurfürsten war, sich in den Auseinandersetzungen um die polnische Thronfolge durchzusetzen, wobei er auf Heinrichs Unterstützung angewiesen war. Dieser kannte dank seines jahrelangen Einsatzes an der Seite Augusts II. die Mehrzahl der Personen im In- und Ausland, mit denen Sachsen konferiert hatte, ihre Namen, Titel und Funktionen waren ihm wohlvertraut. Zudem war er selbst allgemein bekannt. Insbesondere in Warschau wussten alle um seine Stellung. Der inzwischen 33-jährige Höfling durchschaute schnell, wie sich die neuen Machtverhältnisse am sächsischen Hof austarierten, und kooperierte entsprechend zuverlässig mit Sułkowski. Als Page an den Dresdner Hof gekommen, hatte sich der gebürtige Pole frühzeitig die Gunst des Kurprinzen erworben. Nachdem Friedrich August die Thronfolge angetreten hatte, machte er ihn zu seinem Oberkammerherrn, ferner zum Oberjägermeister von Kursachsen und General der Infanterie, schließlich zum Außenminister. Heinrich hatte sich das Vortragsrecht mit ihm zu teilen.

Nicht zuletzt galt es in der Anfangsphase, rasch umfangreiche Summen aufzutreiben, wollte man die Königswahl gewinnen. Der Kurfürst hatte einen Betrag von 500 000 Dukaten für den Wahlkampf bestimmt und dessen Finanzierung in Heinrichs Verantwortung gelegt.32 Gemeinsam mit Sułkowski erarbeitete er ein Programm mit »allerhand Requisites und Offerten« für die polnischen Wahlbevollmächtigten. Die nötigen Gelder suchte er durch Anleihen aufzunehmen und trat deshalb in Verhandlungen mit den Bankiers in Leipzig. Geplant war, eine Brücke über die Weichsel zu bauen oder ein Hospital für Arme zu errichten, die Silberbergwerke bei Olkusz zu renovieren und gegebenenfalls in Polen eine Garde auszustatten, um die Parteigänger des sächsischen Kurfürsten militärisch zu unterstützen. Obwohl nur wenige dieser Vorhaben realisiert wurden, gelang es Friedrich August, sich gegen seinen Mitbewerber Stanisław Leszczynski (1677–1766) durchzusetzen. Am 17. Januar 1734, ein Jahr nach dem Tod seines Vaters, wurde er in Krakau als König August III. gekrönt. Auch Preußen hatte die Wahl unterstützt.

Premierminister Augusts III.


Heinrich war nach diesem Erfolg ganz offensichtlich weder Page noch Kammerherr, also kein gewöhnlicher Hofbediensteter mehr, sondern stand dem Thronfolger schon bald in beratender Funktion zur Seite. Es war gewissermaßen ein Verhältnis auf Augenhöhe, und zwölf Jahre später bestimmte ihn der König zu seinem Premierminister.

August III. wird oft nachgesagt, er sei ein entscheidungsschwacher Herrscher gewesen, der das Regieren und die spätabendlichen gesellschaftlichen Verpflichtungen gerne dem Hof überlassen habe. In seiner Biographie über den König schreibt der polnische Historiker Jacek Staszewski: »Schon seine Zeitgenossen warfen ihm Verweichlichung und Mangel an Gespür für die Machtausübung vor, weswegen an der Seite des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs eine allenthalben unbeliebte Gestalt emporwachsen konnte – Graf Heinrich Brühl.«33 Den Grund dafür habe man in seiner Bereitschaft gesehen, die Ausgaben für das sächsische Militär zu reduzieren. »Sachsens Misserfolge in der europäischen Politik und in den schlesischen Kriegen […], nicht zuletzt das geringe Interesse für eine starke Armee, wurden als Pflichtverletzung eines trägen Königs und seines gewissenlosen Ministers gesehen.«34

Staszewki betont im Gegensatz dazu, August III. sei ein engagierter, vernünftiger Regent gewesen, überdies stark im Glauben und lediglich nachhaltig in den Schatten seines kraftstrotzenden Vaters gerückt worden. Friedrich II., 1740 auf den Thron gekommen, verstärkte mit seinen Schmähungen das vorherrschende negative Bild. Schon anlässlich des Todes Augusts II. hatte er sich keineswegs positiv geäußert. Während bei Friedrich Wilhelm I. Trauer und Unruhe beobachtet wurden, Schlaflosigkeit und Selbstgespräche, erging sich sein Sohn in Ablehnung und Zorn. Wenige Tage vor Augusts Ableben schrieb er an Friedrich Wilhelm von Grumbkow (1678–1739), Geheimer Staatsrat und preußischer Kriegsminister, August sei der schlechteste Herrscher in ganz Europa und er hege größte Aversionen gegen ihn. Es sei kein Schaden, wenn er endlich sterbe: »[…] il a tant été, qu’il peut bien une fois cesser d’être.«35

Kaum war Heinrich Premierminister geworden, begann Friedrich seinen privaten Feldzug gegen ihn. »Seinen Buchstaben-Feldzug gegen Brühl begann der König 1746 in der Histoire de mon temps. Darin schrieb er über den sächsischen Minister abschätzig, denn es sollte zeigen, dass der Graf unsolide und seines Amtes unwürdig sei: Er sei vom Pagen zum Leiter der Staatsangelegenheiten aufgestiegen. Dann weiter: Dieser Minister kenne nur die Listen und Ränke, von denen die Staatskunst kleiner Fürsten lebt. Brühl sei zaghaft, unterwürfig und geschmeidig, schurkisch und geschickt. Er besitze weder genug Klugheit noch genug Erinnerungsvermögen, um seine Lügen zu verbergen. Er sei doppelzüngig, falsch und verräterisch. In der Überarbeitung der Histoire von 1775 verschärfte Friedrich seine Charakterisierung noch: Brühl ›war doppelzüngig, falsch und zu den niederträchtigsten Handlungen bereit, wenn es seine Stellung galt, hieß es darin wörtlich‹.«36

Auch die Regierungskrise, die 1738 Sułkowskis Absetzung zur Folge hatte, führte...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Neuzeit bis 1918
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte 18. Jahrhundert • 19. Jahrhundert • 20. Jahrhundert • 21. Jahrhundert • Brühl • Familiengeschichte • Familienporzellan • Heinrich von Brühl • Lausitz • Meissen • Ostpreußen • Porzellan • Porzellanmanufaktur • Sachsen • Schwanenservice • Wiedervereinigung • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-8412-2628-0 / 3841226280
ISBN-13 978-3-8412-2628-0 / 9783841226280
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