Die Revolution von 1848/49 (eBook)
144 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-74257-6 (ISBN)
Dieter Hein lehrte als Professor für Neuere Geschichte an der Universität Frankfurt am Main. Schwerpunkte seiner Forschungen bilden die Geschichte des Bürgertums im 19. Jahrhundert sowie die Parteien- und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.
1. Krise und Revolution
Die Revolution, die seit Anfang März 1848 die Staaten des Deutschen Bundes erschütterte, war kein isoliertes, auf den mitteleuropäischen Raum begrenztes Phänomen. Sie war Teil einer allgemeinen europäischen Entwicklung, in der sich tiefgreifende Spannungen seit langem mehr und mehr aufgebaut hatten und nun in gewaltsamen Auseinandersetzungen entluden. Das konkrete Konfliktpotential war von Land zu Land sehr verschieden. Von der revolutionären Bewegung erfasst wurden Regionen, die sich wie Frankreich, Deutschland und Oberitalien bereits mehr oder minder weit im Übergang zur Industrialisierung befanden, doch auch solche, die wie etwa Süditalien und weite Teile der Habsburgermonarchie noch rein agrarisch strukturiert waren. Verfassungsstaaten mit gewählten Parlamenten wurden ebenso ergriffen wie autokratisch regierte Länder. Die Erhebungen richteten sich gegen einheimische Monarchen wie auch gegen fremde Regime. Am ehesten war noch in dem außer in Frankreich überall anzutreffenden Streben nach nationaler Selbstbestimmung ein verbindendes, die jeweils landesspezifischen Bewegungen überwölbendes Element zu sehen.
Es war gerade die europäische Perspektive, der Blick auf die soziale Gärung und politische Unruhe in vielen Ländern des Kontinents, der der liberalen Opposition gegen den monarchisch-bürokratischen Obrigkeitsstaat auch in Deutschland die Zuversicht gab, dass die Entwicklung unaufhaltsam zu größerer politischer Freiheit und zu einem Europa der selbstbestimmten Nationen führen werde. Dramatisch verstärkte sich um die Jahreswende 1847/48 auch bei den gemäßigten, auf den Weg der Reform setzenden Sprechern der Opposition der Eindruck, dass, wenn nicht bald durchgreifende Veränderungen erfolgten, alles auf einen gewaltsamen Umbruch, auf eine Revolution zutreibe, ja, mehr noch, dass auch ihnen kaum anderes übrig bleibe, als angesichts der starren Haltung der Monarchen und ihrer Regierungen auf diesen Weg zu setzen. In diesem Sinne klagte Karl Mathy, gemeinsam mit seinem Mannheimer Freund Friedrich Daniel Bassermann der führende Sprecher der badischen Liberalen, am 23. Februar 1848 in der Zweiten Kammer, der vom Volk gewählten Vertretung seines Landes, über die geringen Erfolge, die die bislang an den Tag gelegte «Zahmheit» erbracht habe; es sei an der «Zeit, daß man es mit der Wildheit probiert, aber sie darf sich nicht auf den Ständesaal allein beschränken». Dies war in der Tat, wie sogleich von konservativer Seite und von der Regierungsbank empört bemerkt wurde, «eine revolutionäre Äußerung», es war ein kaum verhüllter Appell an die Straße, ein Aufruf zur Volkserhebung.
Insofern kam die schwere politische Erschütterung, die seit Ende Februar 1848, vorbereitet durch den Schweizer Sonderbundskrieg von 1847 und die Revolution im Königreich Neapel im Januar und unmittelbar angestoßen durch den Umsturz in Frankreich, zunächst den deutschen Südwesten erfasste, alles andere als unerwartet. Sie war gewiss von der breiten Mehrheit der oppositionellen Kräfte im eigentlichen Sinne nicht gewollt. Ihr tatsächlicher Ausbruch kam auch – wie fast jeder politische Umschwung von weittragender Bedeutung – für die Beteiligten überraschend. Dennoch war sie angesichts der seit Monaten unübersehbaren Verschärfung der politischen und sozialen Gegensätze und der starren Haltung des Staates nahezu unvermeidlich. Dieses Bewusstsein bestimmte sogleich die Sprache in den ersten Bürger- und Volksversammlungen. Und es prägte ebenso die Haltung der Monarchen und ihrer Kabinette. Es erklärt zu einem erheblichen Teil ihre letztlich nur schwache Gegenwehr, ihr baldiges Eingehen auf die Forderungen der revolutionären Bewegung. «Es fehlte ihnen», wie Bassermann einmal bemerkt hat, «das gute Gewissen», sich mit aller Macht der Erhebung zu widersetzen.
Der Ablauf des Geschehens folgte in vielen kleineren und mittleren deutschen Staaten – bei zahllosen Abweichungen im Einzelnen – jenem Muster, mit dem das Großherzogtum Baden vorangeschritten war. Kaum waren die ersten Nachrichten über die Ausrufung der Republik in Paris eingetroffen, hatten sich am 27. Februar 1848 mehrere Tausend Mannheimer in der Aula des ehemaligen Jesuitengymnasiums versammelt, um – von vornherein auch in der Absicht, auf die Entwicklung im übrigen Deutschland einzuwirken – zu der neuen Lage Stellung zu beziehen. Das Ergebnis der Versammlung war der Form nach eine Petition an die Zweite Kammer, wie so viele in den Jahren zuvor. Doch in ihrer scharfen und direkten Diktion machte sie unmissverständlich deutlich, dass sich die Situation von Grund auf geändert habe und dass ein fundamentaler Systemwechsel auf der Tagesordnung stehe. Konkret erhob man vier zentrale Forderungen: Mit der Volksbewaffnung sollte dem stehenden Heer des Monarchen ein Machtmittel der Bürger entgegengestellt werden. Mit der Pressefreiheit sollten die Jahre der politischen Knebelung und Unterdrückung beendet werden. Schwurgerichte sollten an die Stelle der bürokratischen Kabinetts- und Gesinnungsjustiz treten. Und in dem Verlangen nach sofortiger «Herstellung eines deutschen Parlaments» verbanden sich die Zielsetzungen, einen parlamentarisch regierten Verfassungsstaat zu schaffen und einen deutschen Nationalstaat zu konstituieren. Damit war der klassische Katalog formuliert, der in den folgenden Wochen – hier und da ergänzt durch den einen oder anderen Programmpunkt der vormärzlichen Oppositionsbewegung – als «Märzforderungen» überall in Deutschland die Runde machen sollte.
Nun überstürzen sich die Ereignisse. Am nächsten Tag schließen sich die Heidelberger, dann auch die Karlsruher und die Freiburger mit ähnlich lautenden Resolutionen an. Und am 1. März ziehen, obwohl sich die Regierung bereits am Tag zuvor zu weitreichenden Konzessionen bereit erklärt hat, mehrere Tausend Menschen – teilweise mit Sonderzügen der neuen Eisenbahn herbeigebracht – durch die Straßen der Hauptstadt, um ihren Forderungen vor dem Ständehaus demonstrativ Nachdruck zu verleihen. Angesichts der Menschenmassen halten die meisten an die hauptstädtische Ruhe gewöhnten Karlsruher, wie selbst die liberale «Deutsche Zeitung» spöttisch bemerkt, verschreckt die Fensterläden geschlossen. Nur mühsam gelingt es der Kammer, gegen den Druck der Massen den eigenen Anspruch als gewählte Volksvertretung zu wahren und sich nun ihrerseits den Forderungskatalog in geordneten Beratungen zu eigen zu machen und ihn zugleich um wichtige Punkte, die Ministerverantwortlichkeit, die Vereidigung des Militärs auf die Verfassung, die Abschaffung der verbliebenen Feudalrechte, zu ergänzen. Während die Regierung in den folgenden Tagen wiederum einzelne Reformzusagen gibt, mit weiter greifenden Schritten aber noch zögert, springt die Märzbewegung bereits auf andere deutsche Städte und Staaten über, beginnen auch beim Bundestag in Frankfurt am Main hektische Beratungen darüber, wie die Bewegung durch zum Teil weitreichende Zugeständnisse in den Bahnen der Bundesverfassung gehalten werden kann. In Baden finden nun täglich in zahllosen weiteren Städten und Gemeinden Bürger- und Volksversammlungen mit oft mehreren Tausend Teilnehmern statt, die Märzbewegung erfasst das ganze Großherzogtum. Vor allem jedoch setzen im Odenwald und in anderen standesherrlichen Gebieten die ersten Bauernunruhen ein: Amtshäuser werden gestürmt, Grundbücher und Schuldurkunden verbrannt, Schlösser angegriffen und teilweise zerstört. Hinzu kommen Übergriffe speziell auf jüdische Geldverleiher, Getreide- und Viehhändler wie auch antisemitische Ausschreitungen, die sich pauschal gegen die jüdische Minderheit richten. Jetzt endlich lenkt Großherzog Leopold vollständig ein. Die Regierung wird umgebildet, Karl Theodor Welcker, einer der prominentesten Sprecher der liberalen Kammeropposition, wird auf den wichtigen Posten des badischen Gesandten beim Bundestag berufen. Die ländlichen Unruhen werden durch die rasche Entsendung von Truppen und durch den Beginn der Beratungen über ein Agrarreformgesetz, die bereits am 10. April erfolgreich abgeschlossen werden, beigelegt.
Diesem Muster folgten, wie gesagt, die Märzereignisse auch in anderen deutschen Staaten. In Massenversammlungen wurde die städtische Bevölkerung mobilisiert, meist ein breites soziales Spektrum vom gehobenen Bürgertum über Handwerksmeister und Gesellen bis hin zu Arbeitern und Tagelöhnern. Teilweise war wie in Nassau auch die Landbevölkerung bereits in großer Zahl beteiligt. In Resolutionen und Adressen wurden die politischen Forderungen formuliert, die dann mit Demonstrationen in der Hauptstadt unterstrichen wurden. Gewaltsame Aktionen – wie etwa die Erstürmung des Zeughauses in München – blieben hier eher die Ausnahme. Die Regierungen wagten durchweg nicht, Gewalt anzuwenden und...
Erscheint lt. Verlag | 18.3.2020 |
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Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft ► Geld / Bank / Börse | |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Neuzeit bis 1918 | |
Reisen ► Reiseführer ► Europa | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung ► Staat / Verwaltung | |
Schlagworte | 1848 • 19. Jahrhundert • Deutschland • Frankfurt • Geschichte • Liberalismus • Nationalismus • Nationalversammlung • Österreich • Parlament • Revolution |
ISBN-10 | 3-406-74257-2 / 3406742572 |
ISBN-13 | 978-3-406-74257-6 / 9783406742576 |
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