Aus schwarzem Wasser (eBook)

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(Autor)

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2020 | 1. Auflage
608 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43775-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Aus schwarzem Wasser -  Anne Freytag
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Das Meer ist der Ursprung allen Lebens und verbirgt eine tödliche Bedrohung Ohne zu bremsen, rast die Innenministerin Dr. Patricia Kohlbeck mit ihrem Dienstwagen in die Spree. Mit dabei: ihre Tochter Maja. »Du kannst niemandem trauen, sie stecken alle mit drin«, ist das Letzte, was sie zu ihrer Tochter sagt, bevor sie ertrinkt. Auch Maja stirbt - wacht jedoch wenige Stunden später unversehrt in einem Leichensack im Krankhaus wieder auf. Wie ist das möglich? Während Maja versucht, Antworten zu finden, ereignet sich eine verheerende Naturkatastrophe nach der anderen. Und gegen ihren Willen gerät sie in einen Konflikt aus Lügen, Intrigen und Machtkämpfen, dessen Folgen fatale Ausmaße annehmen.

Anne Freytag hat International Management studiert und als Grafikdesignerin gearbeitet, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Für ihre Romane wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet - u.a. mit dem Bayerischen Kunstförderpreis in der Sparte Literatur. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in München.

Anne Freytag hat International Management studiert und als Grafikdesignerin gearbeitet, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Für ihre Romane wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet – u.a. mit dem Bayerischen Kunstförderpreis in der Sparte Literatur. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in München.

MAJA


Ich weiß nicht, wo er anfängt und ich aufhöre. Oder wer wen zusammenhält. Ich atme langsam ein und aus, spüre ein scharfes Brennen hinter meinen geschlossenen Lidern. Die Wohnung riecht noch nach uns. Nach Daniel und mir. Nach einem Hauch von Schweiß und unseren Körpern. Ein kleiner Rest Sex, den wir im Bettzeug zurückgelassen haben. Das war vor ein paar Stunden. Am späten Nachmittag. Als ich gekommen bin, um es zu beenden, und wieder nur gekommen bin.

Daniel vergräbt sein Gesicht in meiner Halsbeuge, küsst mich auf die Schläfe, auf die Wange, murmelt belegt: »Du lebst.« Er sagt es immer wieder. Seine Arme liegen um mich wie ein Versteck, in dem mich niemand findet.

Wir stehen neben der offenen Wohnungstür, im Hintergrund läuft der Fernseher. Der Ton ist kaum zu hören, nicht mehr als ein dumpfes männliches Flüstern. Als ich die Augen öffne, sehe ich mein Gesicht. Eine Version von mir mit hochgesteckten Haaren und stark geschminkten Augen. Ein Blick in die Vergangenheit. Das Foto zeigt meine Mutter und mich in bodenlangen Roben. Es ist vor zwei Jahren auf einer Benefizveranstaltung entstanden. Vielleicht auch vor zweieinhalb. Ich erinnere mich daran, wie sie damals in ihrem begehbaren Schrank stand, zwei Abendkleider hochhielt und fragte: »Welches davon soll ich anziehen? Das schwarze oder das hellblaue?« Und wie ich antwortete: »Das hellblaue.« Weil es denselben Farbton hatte wie ihre Augen. Dieses beinahe eisige Blau. Sie sah schön aus an jenem Abend. Das tat sie oft.

Ich löse mich aus Daniels Armen und es wird schnell kühl ohne ihn. Er drückt die Wohnungstür ins Schloss, ich schaue stumm in den Fernseher. Unten links im Bild steht Brennpunkt. Der Moderator trägt Schwarz. Ich bücke mich nach der Fernbedienung, die neben dem Bett auf dem Boden liegt, und mache lauter.

»Was die genaue Ursache für den Unfall war, bei dem die Innenministerin Dr. Patricia Kohlbeck und ihre Tochter Maja tödlich verunglückten, ist derzeit noch unklar. Ein Krisenstab wurde zusammengestellt und mit der Aufklärung des Vorfalls beauftragt, ein Sondereinsatzkommando hat die Ermittlungen aufgenommen.

Von der Kanzlerin selbst gibt es bislang noch keine Stellungnahme. Diese wird jedoch direkt nach ihrer Landung in Kopenhagen erwartet, wo sie als eine der Abgesandten der Europäischen Union an der Welt-Klimakonferenz teilnimmt.

›Das Einzige, was wir zum jetzigen Zeitpunkt mit Sicherheit sagen können, ist, dass die Bundesinnenministerin, Dr. Patricia Kohlbeck, in einen schweren Autounfall verwickelt war. Es ist noch zu früh, um genauere Angaben zu den Hintergründen oder dem Unfallhergang zu machen‹, so der Sprecher des Innenministeriums Markus Dornbusch bei einer Sonderpressekonferenz.

Augenzeugen berichten von einem schwarzen Audi A8, der heute Abend gegen 21:45 Uhr Am Kupfergraben ungebremst das Geländer des Spreeufers durchbrach und dann in den Fluss raste. Mehrere Passanten verständigten umgehend den Rettungsdienst. Einer von ihnen, der einunddreißigjährige Efrail R., riskierte sein Leben bei dem Versuch, die Opfer aus dem Wagen zu befreien. Seiner Aussage zufolge kam jede Hilfe für die Innenministerin zu spät. Ihre Tochter hingegen war noch bei Bewusstsein. Efrail R. ist es zu verdanken, dass Maja Kohlbeck noch lebend aus dem Wrack geborgen werden konnte. Sie verstarb dann jedoch nur wenig später auf dem Weg ins Krankenhaus.«

Daniel nimmt mir die Fernbedienung aus der Hand und schaltet auf stumm.

»Was ist passiert?«, fragt er.

Ich starre auf den Bildschirm, in das Gesicht meiner Mutter. Da sah sie noch aus wie sie. Unter Wasser dann nicht mehr. Als hätte es sie geschluckt, sie festgehalten unter der Oberfläche, dicht wie Quecksilber. Auf dem Foto lächelt sie. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nie wieder lächeln wird. Dass es sie nicht mehr gibt.

Daniel legt seine Hand auf meine Schulter. Ich schaue ihn an. In ernste Augen, seine Stirn ist gerunzelt, eine steile Falte steht zwischen seinen Brauen. Er weiß, dass ich nicht antworten werde. Weil ich nicht kann. Dann nickt er, als hätte er mein Schweigen verstanden. Er drückt sanft meinen Arm, Daniels Blick fällt auf den kleinen See aus Blut, der sich um meine Ferse gebildet hat.

»Soll ich mir das mal anschauen?«, fragt er.

Ich nicke.

Er verschwindet nebenan im Badezimmer und kommt wenig später mit einem Verbandskasten, Desinfektionsmittel und einer mit Wasser gefüllten Plastikwanne zurück.

»Geh zum Bett«, sagt er.

Genau das hat er vor ein paar Stunden schon einmal zu mir gesagt. Nur in einem völlig anderen Zusammenhang. In einem anderen Tonfall. In einem ganz anderen Leben. Daniel sieht mich an. Und da weiß ich, dass wir beide dasselbe denken.

Er weicht meinem Blick aus und ich setze mich auf die Bettkante. Daniel geht vor mir in die Hocke, greift nach meinem Fuß und fängt an, die Wunde zu säubern. Es ist mir unangenehm, aber ich sage nichts. Schmutz und Blut färben das Wasser.

»Tut es sehr weh?«, fragt Daniel.

Ich schüttle den Kopf. »Es geht.«

Er trocknet meine Ferse mit einem sauberen Handtuch ab. Der weiße Stoff saugt sich voll. Daniel untersucht die Verletzung. Es ist der inspizierende Blick eines Medizinstudenten, fokussiert und ernst. Man sieht, dass ihm Blut nichts ausmacht. Er desinfiziert die Wunde. Ich halte still, obwohl es brennt.

»Der Schnitt ist tief«, sagt er. »Das muss genäht werden.«

»Ich gehe nicht ins Krankenhaus«, sage ich.

Daniel nickt langsam, so als hätte er nichts anderes von mir erwartet.

»Ich kann es hier machen.« Kurze Pause. »Aber ich habe nichts zum Betäuben da.« Er mustert mich. Sein Blick sagt: Das wird verdammt wehtun.

Ich sage: »Ist okay.«

Daniel zögert einen Moment, doch dann steht er auf und nimmt einen Stuhl. Er stellt ihn vor das Bett und platziert mein Bein so, dass meine Ferse ein Stück über die Kante der Sitzfläche ragt. Danach setzt er sich auf den Boden und zieht Einweghandschuhe an. Er desinfiziert erst meinen Fuß, dann seine Hände.

»Ich brauche mehr Licht«, sagt er und macht eine Kopfbewegung in Richtung Nachttischlampe. Ich strecke mich danach und verstelle den Schirm.

»So?«, frage ich.

»Ja«, sagt Daniel und reißt zwei Zellophanverpackungen auf. Es sind geübte Handgriffe, ruhig und präzise. Bevor er zu nähen beginnt, schaut er noch einmal hoch, direkt in meine Augen. »Und du bist dir sicher?«, fragt er.

»Ich bin mir sicher«, sage ich.

»Nicht bewegen.«

»Okay.«

Wir sehen einander an, ein, vielleicht zwei Sekunden, dann senkt er den Blick und beinahe im selben Moment schießt der Schmerz heiß durch meinen Fuß.

»Worüber wollte deine Mutter mit dir sprechen?«, fragt Daniel.

Ich kann nicht denken, auch nicht antworten, der Schmerz frisst sich durch meinen Verstand. Ein Brennen und Stechen, das sich ausbreitet.

Daniel stellt die Frage noch einmal. Er will mich ablenken. Und ich lasse mich ablenken. Versuche, mich zu erinnern. Daniel setzt zum zweiten Stich an, ich schließe die Augen und presse die Lippen aufeinander, gebe keinen Laut von mir. Meine Hände krallen sich ins Bettzeug. Und ich halte still.

Es war Viertel nach neun, als mein Handy geklingelt hat. Ihr Anruf kam aus dem Nichts. Als würde sich eine Tote bei einem melden. Eine Tote, denke ich. Ich lag nackt auf Daniel. Auf diesem Bett. Er war noch in mir. Alles an dieser Situation war falsch.

Meine Mutter stand schon vor der Tür. Ich weiß nicht, woher sie wusste, wo ich war, woher sie die Adresse kannte. Ich hätte sie fragen sollen. Vielleicht habe ich das ja und weiß es nur nicht mehr. Vielleicht will ich es auch gar nicht wissen.

Der Schmerz in meiner Ferse wächst und breitet sich langsam aus, er zieht in den Mittelfuß und die Wade hoch. Ich schlucke dagegen an und halte weiter still.

Sie wartete vor Daniels Haustür. Ein Panzer von einem Wagen, in der zweiten Reihe geparkt. Sie ist selbst gefahren, saß nicht wie sonst hinten. Ich tauche ein in den zähen Brei aus Erinnerungen. In die klebrige Masse aus Bildern und Worten, bei der ich nicht weiß, was wahr ist und was nicht. Ich sehe meine Mutter und mich im Auto sitzen. Sie angespannt und fahrig und ich auf einmal wieder das Kind, das ich nicht mehr sein wollte, ein paar Jahre jünger in nur ein paar Minuten. Sie hat immerzu in den Rückspiegel geschaut. Tausend nervöse Blicke. Ich habe keine Ahnung, wohin sie wollte. Sie hat es mir nicht gesagt. Oder ich erinnere mich nicht. Aber ich erinnere mich an ihren letzten Gesichtsausdruck. Daran, wie ich zugesehen habe, wie das Leben aus ihren Augen verschwand. Wie eine Kerze, die man ausbläst. Und an das, was sie kurz davor noch zu mir sagte. Kurz bevor der Wagen volllief und wir nur noch Blicke hatten.

»Fertig«, sagt Daniel.

Ich öffne die Augen. Er verbindet bereits meinen Fuß.

»Danke«, sage ich leise.

Er antwortet nicht, lächelt nur. Mit dem Mund und mit den Augen. Dann sagt er: »Du musst Sofie anrufen.«

»Ich will nicht, dass sie sich Sorgen macht«, erwidere ich. »Ich glaube kaum, dass sie auf den Philippinen irgendwas davon mitbekommen hat.«

»Hat sie«, widerspricht Daniel. »Ihr Vater hat es ihr gesagt.«

Natürlich hat er das, denke ich. Identifiziert von Prof. Robert Stein.

»Du hast mit ihr gesprochen?«

Daniel nickt. »Sie hat mich vorhin angerufen.«

»Wo sind sie gerade?«, frage ich.

»Auf...

Erscheint lt. Verlag 2.8.2020
Reihe/Serie dtv bold
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlin • Bestseller Autorin • Bestseller-Autorin • Frank Schätzing • kulturpass • Marc Elsberg • Meer • Natur • Öko-Thriller • Paris • Philippinen • Psycho-Thriller • Spannung • Thriller • Thriller Neuerscheinung 2020 • Thriller Neuheit 2020 • Thriller überlegene Spezies • Umweltschutz • Umwelt-Thriller • Ursula Poznanski
ISBN-10 3-423-43775-8 / 3423437758
ISBN-13 978-3-423-43775-2 / 9783423437752
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