Das Reich der Grasländer 2 (eBook)
544 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11635-9 (ISBN)
Tad Williams, geboren 1957 in Kalifornien, ist Bestseller-Autor und für seine epischen Fantasy- und Science-Fiction-Reihen, darunter Otherland, Shadowmarch, und Das Geheimnis der Großen Schwerter bekannt. Seine Bücher, die Genres erschaffen und bisherige Genre-Grenzen gesprengt haben, wurden weltweit mehrere zehn Millionen Male verkauft.
Tad Williams, geboren 1957 in Kalifornien, ist Bestseller-Autor und für seine epischen Fantasy- und Science-Fiction-Reihen, darunter Otherland, Shadowmarch, und Das Geheimnis der Großen Schwerter bekannt. Seine Bücher, die Genres erschaffen und bisherige Genre-Grenzen gesprengt haben, wurden weltweit mehrere zehn Millionen Male verkauft.
32
Das Guckloch in der Tür
Porto gelang es, Feldwebel Levias lebend über die Nacht und auch über den ganzen nächsten Tag zu bringen. Er flößte ihm aus der hohlen Hand Wasser ein und säuberte und verband die Bauchwunde des Erkynländers, so gut er konnte, aber es schien ein verlorener Kampf, und das war quälend. Er hatte diesen Albtraum schon einmal durchgemacht.
Viele Jahre zuvor, während der Schlacht am Tor von Nakkiga, hatte Porto seinen sterbenden Freund Endri gepflegt. Doch Endris Wunde war von einem vergifteten Nornenpfeil verursacht worden. Diese hier stammte von einer vergleichsweise sauberen Grasländerklinge, und das war das Einzige, was ihm Hoffnung machte. Aber es war weit bis zur nächsten Wasserstelle, und so heiß die Haut seines Gefährten auch war und so mitleiderregend sein Verlangen nach etwas zu trinken, ließ er ihn doch äußerst ungern allein. Endri war damals gestorben, als Porto gerade weg war.
Das Chaos, das unter den Massen beim Thantreffen ausgebrochen war, schien sich inzwischen gelegt zu haben. Ab und zu hörte Porto von ihrem Versteck aus immer noch laute Stimmen von Thrithingmännern, aber das Rufen und Brüllen klang jetzt nicht mehr nach Kampf. Trotzdem hielten ihn nicht nur sein Stolz und sein Schmerz hier bei dem Sterbenden. Selbst wenn Levias seiner Verletzung erläge und Porto ihn zurücklassen könnte, erwartete ihn dort draußen auch nur ein langsames, qualvolles Ende. Ihre Pferde waren davongelaufen, und den ganzen Weg nach Erkynland zu Fuß zurückzulegen, war undenkbar, selbst wenn er zwanzig Jahre jünger wäre.
Aber solange ich mein Schwert und meinen Dolch habe, sagte er sich, kann ich zumindest selbst bestimmen, wie ich sterbe.
Als Levias bei Anbruch des zweiten Tages nach ihrem Kampf mit den Grasländern etwas leichter atmete, wagte es Porto, sich mit ihm auf die Suche nach Wasser zu begeben. Er hievte ihn sich auf den Rücken, stapfte mühsam ein Stück weiter vom Thantreffen weg und ließ sich dann mit Levias am Ufer eines der Flüsse nieder, die den Blutsee speisten. Der Fluss war jetzt im Spätsommer flach und schmal, nur ein Bächlein zwischen den breiten Schlammstreifen zu beiden Seiten, aber das Wasser floss und schmeckte Porto köstlich, also lehnte er Levias an einem schattigen Plätzchen gegen einen Baumstamm, wusch das blutige Unterhemd des Verwundeten aus, nahm es wieder mit zurück, wischte Levias den Schweiß von der Stirn und versuchte dann erneut, die Wunde zu säubern. Er hatte auf dem Schlachtfeld viele solcher Wunden gesehen und wusste, es bestand kaum eine Überlebenschance für den Feldwebel, aber ihn hier allein seinem Schicksal preiszugeben – das wäre, wie den armen Endri ein zweites Mal im Stich zu lassen.
Er saß den ganzen Tag bei Levias, verrückte ihn ab und zu ein wenig, damit ihm die heiße Sonne nicht ins Gesicht schien, säuberte seine Wunde von dem dunklen, trocknenden Blut und gab ihm Wasser zu trinken, wenn er durstig schien. Er konnte sich nicht vorstellen, ihn eine längere Strecke zu tragen, also blieb ihm nur zu warten, dass Gott seinen Freund zu sich nahm. Levias sagte nichts mehr, und Porto hatte nur seine eigenen düsteren Gedanken zur Gesellschaft.
Porto schreckte hoch. Er war eingedöst und von einem seltsamen Geräusch wach geworden, einem langgezogenen, rauhen Quietschen, als ob ein Nagel aus altem Holz gezogen würde. Es kam vom Bach her, also überzeugte sich Porto nur kurz, dass Levias’ flaches Atmen nicht aufgehört hatte, ergriff dann sein Schwert und kroch durch den Unterwuchs, bis er bessere Sicht auf den Fluss hatte.
Zuerst hielt er die Gestalt für eine Art Riesen, weil sie so groß und massig auf ihrem Pferd thronte, das aus dem schmalen Fluss trank. Dann aber sah er, dass der Fremde gar nicht außergewöhnlich groß war, sondern nur so wirkte, weil er auf einem kleinen Esel saß.
Der Mann drehte sich in seine Richtung, obwohl Porto kein Geräusch gemacht hatte. Porto fasste sein Schwert fester, bereit, zu kämpfen oder den Fremden von dem hilflosen Levias fortzulocken, aber der Mann auf dem Esel nickte nur und wandte sich wieder ab, als wären Männer, die mit gezücktem Schwert durchs Gras robbten, für ihn nichts Ungewöhnliches. Er hatte einen breiten Brustkorb, aber kurze Beine – als ob einer von Prinz Morgans Trollfreunden mannsgroß geworden wäre, nur dass er, anders als die Trolle, einen langen, zu einem Zopf geflochtenen Bart trug. Sein Bart- und Haupthaar bedeckte große Teile seines Gesichts, als wäre er ein Halbaffe oder ein Halb-Hune, aber ansonsten wirkten seine Züge ziemlich normal.
»Vilagum«, rief der Fremde. »Ves zhu haya.«
Es dauerte einen Moment, bis Porto verstand, was der Mann in der Grasländersprache gesagt hatte: nichts Bedrohlicheres als »Willkommen« und dass er ihm Gesundheit wünsche.
»Zhu dankun«, antwortete er – ich danke Euch.
Der Bärtige merkte, dass das nicht Portos Muttersprache war, denn er verfiel jetzt in ein recht gutes Westerling, allerdings mit einem starken Akzent, jedes Wort so stachelig wie ein Kiefernzapfen. »Ihr seid nicht vom großen Gras, wie ich höre. Woher kommt Ihr?«
»Erkynland, obwohl ich nicht dort geboren bin.«
»Trüben wir den Bach, mein Freund Gildreng und ich? Wollt Ihr trinken? Gildreng hat seinen eigenen Willen, aber er wird wohl weggehen, wenn ich darauf bestehe.«
»Ich habe Wasser in meinem Wasserschlauch«, antwortete Porto und blickte sich suchend nach dem Freund des Mannes um. Er wollte dem Fremden gern vertrauen, fürchtete jedoch einen Hinterhalt. »Aber nichts zu essen.« Ihre letzten Vorräte waren in den Satteltaschen gewesen und mit den Pferden verschwunden. Erst, als er die Worte aussprach, merkte Porto, wie hungrig er war. »Meinem Freund geht es sehr schlecht.«
Der Mann musterte ihn. »Kommt heraus, damit ich Euch sehen kann, bitte«, sagte er.
Porto kroch aus dem langen Gras hervor und stand auf. Der Fremde war ein Thrithingbewohner, das sah er jetzt, mit einer tätowierten Schlange, die sich vom rechten Handgelenk den Arm hinauf und dann auf der anderen Seite des ärmellosen Hemds zum linken Handgelenk hinabwand. Er trug auch eine Halskette aus Schlangenknochen.
»Warum geht es Eurem Freund schlecht?«, fragte der Mann.
Porto zögerte, befand dann aber, dass es besser war, ehrlich zu sein, für den Fall, dass der Fremde jemanden kannte, der Levias helfen konnte. »Er hat eine Klinge in den Leib bekommen. Hier.« Er zeigte auf eine Stelle an seinem eigenen Bauch. »Wir wurden angegriffen – wir haben keinen Streit gesucht.«
Der Bärtige nickte, glitt dann von seinem Esel. Er kam durchs seichte Wasser herangewatet und führte den Esel zu Porto hinauf.
»Ich sehe es mir an«, sagte er. »Ich habe einige … Kenntnisse.« Er fand das Wort nicht gleich, aber als er es gefunden hatte, nickte er wieder, als hätte er nicht daran gezweifelt, dass es ihm einfallen würde. »Ruzhvang bin ich, Schamane des Schlangen-Clans. Ich verstehe etwas vom Heilen. Wann wurde Euer Freund verletzt?«
»Vor zwei Tagen«, sagte Porto.
Ruzhvangs haariges Gesicht nahm einen betrübten Ausdruck an, und er schüttelte den Kopf. »Zu spät, fürchte ich. Aber vielleicht erbarmt sich die Erdnahe. Von welchem Clan ist Euer Freund?«
»Er ist aus Erkynland, wie ich.«
Ruzhvang sagte nichts mehr, folgte ihm nur zu der Mulde, in der Levias lag. Der Schamane band seinen Esel an einen Ast und hockte sich neben den Verwundeten, der immer noch schlief, aber jetzt so bleich war, dass der Tod wohl nicht mehr fern sein konnte. Der Bärtige inspizierte Levias’ Augen und Zunge, löste dann vorsichtig Portos Behelfsverband und betrachtete die Wunde, wobei er leise mit der Zunge klickte.
Schließlich drehte er sich zu Porto um. »Habt Ihr um Hilfe gebetet?«, fragte er.
Verdutzt sagte Porto: »Ja, natürlich. Zu unserem Gott.«
Ruzhvang winkte ab. »Alle Götter sind ein Gott. Man muss ein Mann der guten Taten sein, damit sie einen hören. Wir vom Schlangen-Clan sind die besten Heiler, das ist bekannt.«
»Könnt Ihr ihm helfen?«
»Ich sage nicht Ja, ich sage nicht Nein. Er ist sehr schwach.« Er vergewisserte sich, dass sein Esel gut festgebunden war. »Die bösen Geister sind in der Wunde und im Blut. Nur die Beinlose – die Erdnahe – kann ihm jetzt noch helfen, indem sie ihm Kraft schenkt. Bringt Ihr ihn?«
»Bringen? Wohin?«
»Mir nach. Dahin, wo das Wasser tiefer ist.«
Als sie stehenblieben, waren sie wieder so nah bei dem Thantreffen, dass Porto...
Erscheint lt. Verlag | 13.6.2020 |
---|---|
Reihe/Serie | Der letzte König von Osten Ard | Der letzte König von Osten Ard |
Übersetzer | Wolfram Ströle, Cornelia Holfelder-von der Tann |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Duelle • Elbenvölker • Helden • Intrigen • Könige • Osten-Ard • Wilde |
ISBN-10 | 3-608-11635-4 / 3608116354 |
ISBN-13 | 978-3-608-11635-9 / 9783608116359 |
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