Elbstürme (eBook)

Spiegel-Bestseller

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(Autor)

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2021 | 1. Auflage
656 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00694-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Elbstürme -  Miriam Georg
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Stürme eines Neubeginns Drei Jahre lang lebte Lily Karsten in Liverpool, wo sie fernab der Hamburger Gesellschaft ihre Tochter Hanna zur Welt brachte. Jeden Tag sehnte sie sich nach Jo. Drei Jahre lang stürzte Jo Bolten sich aus Wut und Kummer in den Arbeitskampf. Und in den Alkohol. Er will sich rächen für das, was sein Boss ihm angetan hat - Ludwig Oolkert, der mächtigste Kaufmann Hamburgs, hat ihm das Liebste in seinem Leben genommen. Lily. Jetzt wird er Oolkert das Liebste nehmen: sein Geld. Endlich kehrt die Reederstochter Lily an Henry von Cappelns Seite nach Hamburg zurück. Doch ihre Ehe ist wie ein Gefängnis. Die Karsten-Reederei droht immer mehr in Ludwig Oolkerts Kontrolle abzugleiten. In den Gängevierteln brodelt es, die Hafenarbeiter können ihr Elend nicht länger ertragen. Lilys alter Widerspruchsgeist ist nicht zu ersticken. Und obwohl sie nichts mehr fürchtet als ein Wiedersehen, hofft sie doch, dass Jo eines Tages seine Tochter kennenlernen wird ... Eine bewegte Zeit. Eine unmögliche Liebe. Eine bewegende Saga. Das Ende des großen Zweiteilers.

MIRIAM GEORG, geboren 1987, ist die Autorin des Zweiteilers «Elbleuchten» und «Elbstürme». Beide Bände der hanseatischen Familiensaga wurden von Leserinnen und Lesern gefeiert, sie schafften auf Anhieb den Einstieg auf die Bestsellerliste und wurden zum Überraschungserfolg des Jahres. Die Autorin hat einen Studienabschluss in Europäischer Literatur sowie einen Master mit dem Schwerpunkt Native American Literature. Wenn sie nicht gerade reist, lebt sie mit ihrer gehörlosen kleinen Hündin Rosali und ihrer Büchersammlung in Berlin-Neukölln.

MIRIAM GEORG, geboren 1987, ist die Autorin des Zweiteilers «Elbleuchten» und «Elbstürme». Beide Bände der hanseatischen Familiensaga wurden von Leserinnen und Lesern gefeiert, sie schafften auf Anhieb den Einstieg auf die Bestsellerliste und wurden zum Überraschungserfolg des Jahres. Die Autorin hat einen Studienabschluss in Europäischer Literatur sowie einen Master mit dem Schwerpunkt Native American Literature. Wenn sie nicht gerade reist, lebt sie mit ihrer gehörlosen kleinen Hündin Rosali und ihrer Büchersammlung in Berlin-Neukölln.

1


Lily von Cappeln schob den Schleier ihres Hutes beiseite und blickte dem Schiff nach, das sich langsam seinen Weg aufs offene Meer hinaus bahnte. Der Bug brachte das Wasser des Hafens zum Schäumen, die blau-weiße Kontorflagge der Karsten-Reederei flatterte im Wind. Weit vorne an der Reling stand eine junge Frau in einem grünen Kleid. Die anderen Passagiere winkten und riefen, waren dem Hafen zugewandt, den Menschen, die zurückblieben. Die Frau aber blickte starr nach vorne auf das dunkle Wasser, einen entschlossenen Ausdruck auf dem Gesicht, als gäbe es nur sie und den zu bezwingenden Ozean.

Lily konnte die Augen nicht von ihr lösen. Es war, als betrachtete sie ein Traumbild. Ich sollte dort stehen, dachte sie und spürte, wie ein altbekannter Schmerz sie durchströmte. In letzter Zeit war es schwerer geworden, ihn in Worte zu fassen. Er veränderte sich, verlor die scharfen Kanten, war weniger brennend als am Anfang. Aber immer noch nahm er ihr in seiner Heftigkeit den Atem.

Er hatte verschiedene Gesichter, der Schmerz. Meistens das kleine weiße ihres Bruders Michel. Manchmal schoben sich aber auch die warmen und sorgenvollen Augen ihrer Mutter Sylta dazwischen. Oder Lily hatte plötzlich den Duft von alten Büchern in der Nase und sah ihren Vater vor sich. Immer aber war da diese eine Stimme. Dieser eine Geruch. Dieser eine Mensch, der alles überlagerte. Den sie einfach nicht vergessen konnte.

Egal, wie sehr sie es auch versuchte.

 

Um sie herum herrschte rege Geschäftigkeit. Riesige Dampfpumpwerke verrichteten am Kai ihre Arbeit, Taue wurden eingezogen, die Gangway zurück an ihren Platz geschoben. Menschen riefen durcheinander, einige weinten, andere winkten immer noch. Lily winkte nicht. Es gab auf diesem Schiff niemanden, den sie kannte – wie auf allen anderen, die in den letzten drei Jahren den Hafen von Liverpool verlassen hatten. Trotzdem stand sie beinahe jede Woche am Kai und sah beim Ablegen zu.

Dies war das erste Schiff der Karsten-Reederei, das seit ihrer Flucht nach England hier zu Wasser gelassen wurde. Es würde für die neue Kalkutta-Linie fahren, der ganze Stolz ihrer Familie. Indien, dachte Lily und hatte plötzlich die Stimme ihres Bruders im Ohr: «Es ist so heiß, dass du nicht richtig denken kannst. In den Mangrovensümpfen wimmelt es von Tigern, Leoparden und Giftschlangen. Glitzernde Paläste stehen neben den armseligsten Schlammhütten, Elefanten verrichten die Arbeiten auf den Feldern, Affen sind zu Leibdienern abgerichtet. Sie haben dort Krankheiten, die dich bei lebendigem Leibe verfaulen lassen. Aber auch Schätze, so unvorstellbar wertvoll, dass wir nicht einmal davon träumen können.» Franz hatte immer mit Begeisterung, aber auch voller Ehrfurcht von dem fremden Kontinent und der Hauptstadt der britischen Kolonialmacht erzählt, die das neue Ziel der Linie werden sollte. Früher hatte Lily diesen Geschichten sehnsuchtsvoll gelauscht, mit Michel am Kaminfeuer ganze Abende lang über Zeichnungen von Elefanten und Tigern gebrütet und versucht, die seltsamen Tiere nachzumalen, die ihnen vorkamen wie Kreaturen aus einem Märchen. Damals hatte sie heimlich davon geträumt, einmal mitzufahren in die fernen Länder, die die Karsten-Schiffe ansteuerten, Abenteuer zu erleben wie die Protagonisten aus ihren Büchern.

Aber die Fremde interessierte sie nicht mehr. Jetzt wollte sie nur noch eines: nach Hamburg zurückkehren.

Ihr Vater hatte sie in einem Brief über den heutigen Stapellauf informiert.

«Warum sollte mich das kümmern?» Verblüfft hatte sie beim Lesen die Stirn gerunzelt. In den letzten Jahren hatten sich die Konversationen mit Alfred Karsten auf das Nötigste beschränkt.

Ihre Mutter Sylta schrieb Lily beinahe jeden Tag, sammelte die Briefe und schickte dann ein ganzes Bündel auf einmal, das sie stets sehnsüchtig erwartete. Immer roch es nach Syltas Rosencreme, und wenn Lily die Schleife aufgezogen hatte, presste sie sich das Papier an die Nase, roch an jedem einzelnen Umschlag, sog den vertrauten Duft ein, und ein wenig war es in diesen Momenten, als würde ihre Mutter sie umarmen. Von ihrem Vater jedoch hatte sie bisher nur einen einzigen Brief erhalten, direkt nach ihrer Ankunft hier. Darin hatte er mitgeteilt, dass Lilys kleiner Bruder Michel noch lebte. Dass sie seinen Tod vorgetäuscht hatten, damit Lily auf das Schiff nach England ging. Sie sollte ihr uneheliches Kind weit weg von Hamburg bekommen, wo niemand sie kannte.

Wo sie die Ehre der Familie nicht beschmutzte.

Alle waren sie eingeweiht gewesen, sogar ihre Mutter. Sie hatten sie getäuscht, um ihren Willen zu brechen. Lily erinnerte sich noch genau daran, wie es war, die Worte zu lesen. Ihr Körper fühlte sich an wie mit Tausenden kleinen Nadelstichen überzogen, sie bekam kaum Luft, der Schock beinahe genauso schlimm wie zuvor die Nachricht von Michels Tod. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so verraten gefühlt.

Aber nachdem sich der erste Schmerz, das erste Entsetzen gelegt hatte, war die Freude darüber erwacht, dass er noch lebte. Manchmal dachte sie, dass sie nur deswegen die erste schreckliche Zeit in Liverpool überstanden hatte. Der Gedanke an sein unschuldiges Gesicht, sein weiches rotes Haar, seinen Kinderduft ließ sie die Hochzeit mit Henry überstehen, die Einsamkeit ertragen.

Ihre Mutter bat sie bald darauf um Verzeihung:

Es war die einzige Aussicht, dich eines Tages wieder bei uns zu haben und irgendwann wieder ein normales Leben zu führen. Als Familie. Wenn du mir nicht verzeihen kannst, verstehe ich das. Aber ich würde es wieder tun. Für dich würde ich alles tun, Lily. Für jedes meiner Kinder. Vielleicht wirst du es eines Tages verstehen, wenn du selbst Mutter bist: dass man manchmal das Schlimmste tun muss, um seine Kinder vor noch Schlimmerem zu bewahren. Auch wenn es einem das Herz bricht.

Und irgendwo, ganz tief in ihrem Inneren, konnte Lily es tatsächlich verstehen. Ihre Eltern waren keine schlechten Menschen, sie hatten aus Verzweiflung gehandelt. Dass sie nur ihren eigenen Standpunkt sahen und andere Möglichkeiten oder Perspektiven nicht zuließen, war nicht zu ändern. Im Laufe der Zeit, als ihr Bauch sich immer stärker rundete, hatte sich etwas in ihr verlagert. Vergessen würde sie es niemals. Aber sie verstand, dass sie nur ihr eigenes Herz vergiftete, wenn sie nicht verzieh.

Ihr Vater jedoch hatte sich nie erklärt oder gar entschuldigt. Er setzte oft ein paar Zeilen unter die Unterschrift ihrer Mutter, blieb aber immer distanziert. Meistens ging es um Geschäftliches, das Haus oder ihre monatliche Zuwendung. So hatte auch Lily nie den ersten Schritt auf ihn zu gewagt, und je mehr Zeit verging, desto unmöglicher schien es zu werden.

Doch nun brannten sich Lilys blaue Augen in den Schriftzug über dem Bug. «Cordelia», flüsterte sie.

Warum hatte er diesen Namen gewählt? Alfred Karsten taufte seine Schiffe schon immer nach weiblichen Shakespeare-Heldinnen. Aber Cordelia, die verstoßene Lieblingstochter? Wollte er ihr damit sagen, dass auch er so enttäuscht von ihr gewesen war, dass er sie verbannen musste? Oder dass er, genau wie König Lear, seine verstoßene Tochter Cordelia schmerzlich vermisste und erkennen musste, dass er ihr unrecht getan hatte? Es konnte doch kein Zufall sein, dass Alfred Karsten gerade dieses Stück gewählt hatte. Es musste eine Botschaft an sie sein, da war sie sich sicher. Nur welche?

Cordelias berühmte Worte kamen ihr in den Sinn: Ich bin nicht die Erste, die, Gutes wollend, dulden muss das Schwerste.

Hatte ihr Vater verstanden, dass sie ihn nie hatte verletzen wollen? Dass all die tragischen Ereignisse, die sie in Gang gesetzt hatte, aus Liebe und Freiheitsdrang geschehen waren? Und nicht, um ihn zu hintergehen?

Einen Moment krampften sich ihre Hände in den Rock ihres Kleides. Um sie her schrien die Möwen ihr ewiges klagendes Lied in den Wind. Lilys Blick verlor sich über dem Meer, hielt nicht die Segel des Schiffes fest, sondern den Horizont dahinter, das endlose Wasser, das hier in England winters wie sommers grau zu sein schien. Beinahe meinte sie, in der Ferne die Umrisse einer Stadt ausmachen zu können. Dort waren die fünf Kirchtürme Hamburgs, der grüne Michel, das Rathaus, das aus dem Dunst aufragte. Doch sie wusste, dass es nur ein Trugbild war, Geister der Vergangenheit, die sich sogleich in Rauch auflösen würden.

Das Nebelhorn ertönte, und der tiefe, klagende Ton jagte einen Schauer durch sie hindurch. Eines Tages, dachte sie. Eines Tages stehe ich auch dort oben. Und fahre zurück nach Hause.

Plötzlich schob sich eine kleine Hand in die ihre. Jemand zog sie am Kleid. Rasch nahm Lily ihre Tochter auf den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Wange. «Du bist ja ganz kalt!»

Hanna hatte wie immer stumm neben ihr gestanden und mit großen Augen alles um sich her aufgenommen, als sähe sie es zum ersten Mal. Lily zog die Handschuhe aus, um ihr über das Gesicht zu streichen. Hanna hatte Pastries gegessen, die Hälfte des buttrigen Gebäcks war auf ihren rosigen Wangen gelandet. Im Gegensatz zu ihr selbst konnte Hanna von Schiffen nicht genug bekommen, vergaß bei ihrem Anblick alles um sich her. Ihr...

Erscheint lt. Verlag 21.4.2021
Reihe/Serie Eine hanseatische Familiensaga
Eine hanseatische Familiensaga
Zusatzinfo Mit 1 4-farb. Karte
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Arbeiter • Elbe • Elbsaga • Elb-Saga • Emanzipation • England • Frauenrechte • Gängeviertel • Hamburg • historische liebesromane deutsch • Historische Romane • historische romane neuerscheinungen 2021 • Historischer Roman • Industrialisierung • Jahrhundertwende • Liebe • Liebesroman • Liebesroman Bestseller • Liebesroman historisch • Liebesroman Taschenbuch • Muttertagsgeschenk • Reederei • Saga • spiegel bestseller 2021 • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Werft
ISBN-10 3-644-00694-6 / 3644006946
ISBN-13 978-3-644-00694-2 / 9783644006942
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