Report Darknet (eBook)

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2020 | 1. Auflage
280 Seiten
Verlag Antje Kunstmann
978-3-95614-418-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Report Darknet -  Theresa Locker,  Daniel Mützel
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2020. Die Freiräume im Internet verschwinden und das anonyme Darknet gilt als eines der letzten Refugien. Wer bewegt sich in der digitalen Unterwelt, wem nützt es - davon berichtet dieses kenntnisreiche und spannend erzählte Buch. Seit Jahren verfolgen Daniel Mützel und Theresa Locker die Aktivitäten im Darknet. Sie tauchen ein in die verborgenen Winkel der digitalen Unterwelt und erzählen die großen Kriminalfälle, die aus dem dunklen Netz ans Licht gekommen sind: von einem Studenten aus der deutschen Provinz, der Waffen und Munition bis nach Australien verschiffte, vom 19jährigen »Kinderzimmerdealer «, der ein millionenschweres Drogenimperium hochzog, von einem Rechtsradikalen, der in einem »Forum gegen Meinungskontrolle« eine Pistole erwarb und damit neun Menschen ermordete, von vier Männern, die Deutschlands größte Kinderporno-Plattform betrieben. In spannenden und akribisch recherchierten Reportagen erzählen Mützel und Locker von einer neuen Generation von Cyberkriminellen, die am Laptop Millionen verdienen, und von Dissidenten, für die das Darknet eine Frage von Freiheit oder Folter ist. Und sie machen deutlich, warum - trotz des Ansturms der neuen Internetkriminellen - das Darknet für eine offene Gesellschaft unverzichtbar ist.

Daniel Mützel ist freier Reporter. Seine Artikel, Radio- und Videobeiträge erscheinen u.a. bei VICE, Tagesspiegel, Süddeutsche Zeitung, taz, Deutsche Welle, tagesschau.de und Die Welt. Er lebt und schreibt in Berlin und Unterfranken.

Daniel Mützel ist freier Reporter. Seine Artikel, Radio- und Videobeiträge erscheinen u.a. bei VICE, Tagesspiegel, Süddeutsche Zeitung, taz, Deutsche Welle, tagesschau.de und Die Welt. Er lebt und schreibt in Berlin und Unterfranken.

2. CYBERCRIME-FOREN IN DEUTSCHLAND: DAS BERUFSNETZWERK FÜR DARKNET-TÄTER


Neil ist nervös. Als er am vereinbarten Treffpunkt ankommt – rastlose Pupillen, breite Schultern –, dreht er sich alle paar Minuten um, um zu schauen, ob ihm jemand folgt.

Ein bisschen paranoid zu sein, das hat er in den letzten Jahren unter Kreditkartenbetrügern, Datendieben und auf Verschlüsselung spezialisierten Programmierern gelernt. Sein soziales Umfeld sind Nerds, die sich für robuste Verschlüsselung, Anonymität und Sicherheit im Netz interessieren, um die Technologien zu ihrem eigenen geldwerten Vorteil auszunutzen. Als Treffpunkt, Marktplatz, Ausbildungszentrum und Jobbörse dienen ihnen spezielle Plattformen, in denen Methoden des Cybercrime diskutiert und die Mittel dazu gehandelt werden – und wo Menschen nur noch »Vics« (vom englischen »victim«), also Opfer heißen. Plattformen, die Ermittler zu gerne abschalten würden, es aber meistens nicht können. Neil gibt diesen kriminellen Nerds ein Zuhause. Er betreibt zusammen mit einem Partner1 die wohl prominenteste Plattform für Internetkriminalität der vergangenen Jahre: Crimenetwork2. Mit über 300.000 Seitenaufrufen monatlich und 84.000 registrierten Nutzerkonten ist das Cybercrime-Forum das älteste, lebhafteste und größte in Deutschland.

Wir interessieren uns für Neils Crimenetwork (CNW), weil wir die Menschen, die wir dort getroffen und interviewt haben, immer häufiger auch im Darknet wiedersehen. Hier tauschen sich die Täter aus, lernen und bilden Banden. Die Cybercrime-Foren sind eine Art lokaler Kryptomarkt, an dem sich vieles erklären lässt: Die Technologien ähneln sich, die Delikte auch. Für einige unserer Protagonisten ist Crimenetwork ein unverzichtbares Sprungbrett für eine Karriere im Darknet als Drogendealer, Datenhehler oder böswilliger Hacker.

Blick in den Maschinenraum: So funktioniert ein Cybercrime-Forum in Deutschland


Im World Wide Web gibt es Cybercrime-Foren wie Crimenetwork seit Mitte der 90er-Jahre. Die Domainnamen von Cybercrime-Foren haben Endungen von weit entfernten Atollen wie den Kokosinseln (.cc) oder Vanuatu (.vu) – das soll Strafverfolgungsbehörden den Zugriff erschweren. Die Server der Foren stehen zumeist in Staaten wie Vietnam oder Russland oder werden durch ein kompliziertes System in gleich mehreren Ländern gespeichert. Wo genau, das bleibt das Geheimnis der Betreiber. Man kann die Seite zwar im Clearnet ansteuern, die Foren-Inhalte sind aber erst hinter einer Anmeldemaske zugänglich. Für manche braucht man auch eine dezidierte Einladung. Technisch gesehen liegen die Foren also im Deep Web, denn googeln kann man keinen der Einträge, Nachrichten und Unterhaltungen. CNW kann man auch im Darknet unter einer .onion-Adresse mit dem Tor-Browser erreichen.

Weil es auf den Cybercrime-Foren fast ausschließlich um Illegales geht, zeichnen sie sich durch eine unstete Existenz aus. Seiten tauchen auf, wachsen rasant, verschwinden mehrmals im Jahr. Klar ist jedoch, dass frühe Nutzer ihren Weg in die Cybercrime-Foren aus der Warez-Szene gefunden haben. Das waren Online-Communities in den jungen Tagen des Internets, die sich auf die Beschaffung und Verbreitung von urheberrechtlich geschütztem Material spezialisiert hatten. Diese Raubkopien (»Warez«) wurden vor der Blütezeit der Filesharing-Netzwerke wie Napster oder KazaA auf Boards getauscht. Gegen Mitte der ooer-Jahre änderte sich jedoch der Fokus der Board-Mitglieder vom libertären Informationsaustausch hin zu monetarisierten Interessen. Während sich die Foren spezialisierten und Zugänge zu den Daten selbst zur Handelsware wurden, wichen die Warez-Provider zunehmend kriminellen Hackern und Betrügern, die in ihren diversen Ausprägungen in diesem Kapitel im Fokus stehen sollen.

Kreditkarten, Bulletproof Hoster und Packboxen: Die Dreh- und Angelpunkte der Underground Economy


Heute ist die Bedeutung von Cybercrime kaum zu überschätzen, denn immer mehr Bereiche unseres Lebens werden in Codes übersetzt und von Dritten verarbeitet. Mit jedem Tag, an dem wir Daten produzieren und unseren Alltag ins Netz auslagern, bieten wir auch Betrügern im Netz und böswilligen Hackern eine immer größere Angriffsfläche. Aus diesem Grund nehmen auch Straftaten wie Identitätsdiebstahl, Computersabotage und Netzwerkeinbrüche zu. Nicht mal 40 Prozent der Fälle werden aufgeklärt3. »Im Phänomenbereich Cybercrime ist – wie in kaum einem anderen Deliktsbereich – eine kontinuierlich steigende Kriminalitätsentwicklung zu verzeichnen«, schreibt das Bundeskriminalamt auf seinen Internetseiten. BKA-Abteilungsleiter Carsten Meywirth sagt sogar: »Cybercrime ist eine der größten Bedrohungen unserer Zeit.«4

Mit jeder vernetzten Glühbirne und jeder neuen App multiplizieren sich auch die Schauplätze für Cybercrime – und damit auch das Angebot auf Foren wie Crimenetwork. Das Herz des Forums ist der Marktplatz-Bereich. Was dort feilgeboten wird, bezeichnet Neil als »Sumpf« und die Cybercrime-Abteilung des BKA als »Crime-as-a-service« (CaaS): Hunderte spezialisierte Dienstleistungen und Produkte rund um Internetkriminalität laufen dort zusammen. Crimenetwork hat aber im Gegensatz zu einem Darknet-Markt eine noch stärkere Business-to-Business-Ausrichtung: Hier handeln – vorwiegend junge5 – Kriminelle mit Kriminellen. Wer sich hierhin verirrt, der sucht meistens ganz konkret ein Puzzleteil im riesigen Dienstleistungsspektrum des Cybercrime.

Sind ausländische Foren für Cybercrime-Tools und Drogen oft streng getrennt, sind auf CNW Drogen allgegenwärtig. Anbieter für Kokain, Gras und Speed sind prominent platziert. Für Verkäufer, die mit Online-Drogenhandel Fuß fassen wollen, gelten die Boards als erster Testballon: Mit dem Verkauf über CNW kann man sein Geschäft bekannt machen und sich sogar einen Ruf und einen Kundenstamm erarbeiten, ohne zunächst einen eigenen Drogen-Webshop hosten zu müssen. Wie bei allen Angeboten auf dem Forum wird in der Kryptowährung Bitcoin bezahlt, um Zahlungsströme zu verschleiern. Details der Geschäfte werden über verschlüsselte Messenger abgewickelt. Gleichzeitig findet man auf CNW Dienstleister rund um Internetkriminalität, die man für die Infrastruktur eines Online-Drogengeschäfts braucht. Auch die größten deutschen Online-Drogendealer, die unter den Namen Shiny Flakes, Chemical Love oder Chemical Revolution sehr reich werden sollten, starteten hier ihre Karriere.

Analoge Güter wie Drogen spielen trotzdem nicht die Hauptrolle auf dem CNW-Marktplatz: Der Fokus liegt viel eher auf Identitätsdiebstahl und Betrug. Als »Carding« bezeichnet man den Diebstahl von Kreditkartendaten, mit denen sich dann im Netz Waren bestellen lassen, um sie zu Geld zu machen. Carding gibt es schon seit den 80er-Jahren, doch erst das komplexe Netz von digitalen Gütern und Dienstleistungen, die dieser Art von Kriminalität zuarbeiten, hat diese Betrugsschiene so explodieren lassen.6 Im Jahr 2019 wurden insgesamt 290.707 Waren- und Warenkreditbetrugsfälle polizeilich erfasst. Die erfolgreichsten unter den Internet-Cardern haben sich im Darknet ein zweites Standbein aufgebaut. Ein Kreditkartenbetrüger unter dem Pseudonym Alpha02 zog später einen der größten Darknet-Schwarzmärkte aller Zeiten auf und bewarb ihn mit seinem Namen – AlphaBay.

Am Anfang der Carding-Wertschöpfungskette stehen die Daten fremder Leute. Die erbeuten Kriminelle unter anderem durch Phishing-E-Mails – betrügerische Nachrichten, die Menschen dazu bringen sollen, sich auf einer gefälschten Login-Seite anzumelden und unter einem Vorwand ihre Adresse, vielleicht auch ihre Kreditkartendaten an die Täter zu verraten. Auf dem CNW-Markplatz gibt es in der »Phishing«-Kategorie vorgefertigte Fake-E-Mails, aber auch ganze Datenbanken mit E-Mail-Adressen möglicher Opfer zu kaufen. Hat jemand eine größere Anzahl Zahlungsdaten erbeutet, schnürt er daraus ein Paket und verkauft die Daten auf Crimenetwork in der Rubrik »CC«. Die teuersten dieser Datensätze heißen »Fullz« und bestehen nicht nur aus gültigen Kreditkartendaten inklusive des Codes auf der Rückseite der Karte, sondern auch aus Adressen und anderen persönlichen Daten. Je umfangreicher der Datensatz, desto größer das Missbrauchspotenztial.

Wieder andere Nutzer spezialisieren sich darauf, die mit gestohlenen Daten gekauften Produkte zum Täter zu bringen. Da man mit gestohlenen Zahlungsdaten nicht auf seinen echten Namen an seine eigene Adresse bestellen sollte, bieten CNW-Nutzer gegen Geld sogenannte »Hausdrops« an. Das kann zum Beispiel ein Zugang zu Häusern mit hoher Mieterfluktuation sein, bei denen man ergaunerte Produkte unter falschem Namen in Empfang nehmen kann. Andere Kreditkartenbetrüger überkleben ihr Briefkastenschild einfach mit einem falschen Namen und lassen sich die Ware dorthin liefern. Mindestens genauso beliebt ist der »Packstation-Drop«. Kriminelle organisieren sich auf CNW gestohlene Zugangsdaten für eine Paketbox und holen die Ware dort ab. Das Bundeskriminalamt meldet in den vergangenen fünf Jahren jedes Jahr eine steigende...

Erscheint lt. Verlag 23.9.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Cyberkriminalität • darknet • Darknet Deutschland • Deniel Mützel • digital • Drogen • Handel • Illegal • Internet • Internetkriminalität • Kriminalität • Kriminell • locker • Mützel • Reportagen • Theresa Locker • Unterwelt • Waffen
ISBN-10 3-95614-418-X / 395614418X
ISBN-13 978-3-95614-418-9 / 9783956144189
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