Zombie Zone Germany: Der Beginn (eBook)
576 Seiten
Amrûn Verlag
978-3-95869-137-7 (ISBN)
Prepapocalypse
Lisanne Surborg
Gerade eben
Ein Schwall Blut klatscht mir ins Gesicht und rinnt warm meinen Kragen hinab. Von irgendwoher dringen die ersten Sirenenchöre in den Wald.
16 Stunden zuvor
»Hey Geeks und Freaks! Ihr guckt Prepapocalypse mit Ben und Kalle. Danke für eure Fragen und Challenges in den Kommentaren. Ich hab´ einige davon ausgesucht und heute schauen wir mal, wie Kalle sich schlägt!«
Ich klappe den Bildschirm meines Laptops ein wenig nach vorn, damit das Licht der Schreibtischlampe mir Bens Gesicht nicht verblendet. Als er in die Kamera grinst, muss ich unwillkürlich lächeln. Im Video wendet er sich Kalle zu und zieht herausfordernd eine Augenbraue nach oben. »Bereit?«
»Klar!« Kalle plustert seine ohnehin schon fleischigen Wangen auf und nickt großspurig. Seine Schweinsäuglein fixieren die Kamera. Der Vlog wäre nie erfolgreich geworden, wenn Kalle ihn allein aufnehmen würde. Ich wette, für die meisten Fans ist er nur lästiges Beiwerk, das man eben akzeptiert, wenn man dafür Ben sehen kann. So ist es zumindest für mich. Ben ist die Pizza und Kalle das Basilikumblatt, das jeder gleich an den Rand legt.
»Okay!« Ben grinst wieder. Eine Strähne seines dunklen Haares rutscht ihm aus der Frisur und umschmeichelt seine hohen Wangenknochen.
Mit einer lässigen Bewegung streicht er sie wieder zurück. Er hat dieses Funkeln in den Augen, das ein Stakkato in meinem Brustkorb auslöst. »Die erst Frage kommt von Survivor11: Atomkrieg. Was machst du als allererstes?«
Kalle verzieht seinen breiten Mund zu einer Linie, die wohl Enttäuschung ausdrücken soll. »Easy. Ich gehe in meinen Bunker und fertig.«
»Next: IvyGal will wissen, welche Gegenstände du für den Fall der Fälle immer dabeihast.«
Kalle zählt an drei Fingern ab. »Panzertape, Aspirin, Kabelbinder.«
Ben bricht in Gelächter aus und wirft den Kopf in den Nacken. Unter dem T-Shirt spannt sich seine Brustmuskulatur an. »Das stimmt! Der Typ kommt einfach jeden Tag mit Drogen und Kabelbindern zur Schule!«
Diesmal lasse ich das Video einfach weiterlaufen. Aber gestern habe ich mir die Stelle zehn Minuten auf Repeat angesehen.
»Nächste Frage«, sagt Ben, als er sich beruhigt hat. »Von PrepLover666: Wie bereitest du dich darauf vor, dass du in der Apokalypse geliebte Menschen verlieren wirst, ohne dich verabschieden zu können?« Geliebte Menschen, wiederholt mein Gehirn mit Bens Stimme.
Kalle guckt an die Decke und schüttelt dann ganz langsam den Kopf. Er faltet die Hände und lehnt sich auf seinem Schreibtischstuhl vor. »Ich muss mich nicht verabschieden. Alle, die mir wichtig sind, nehme ich mit in den Bunker. Dann spielen wir zusammen Karten, während oben die Welt untergeht.«
Ben blickt skeptisch an der Kamera vorbei. So guckt er immer, wenn er nachdenkt. Letzte Woche habe ich mich in einer Freistunde vor seinem Klassenraum platziert und ihn durchs Fenster dabei beobachtet, wie er seine Deutschklausur geschrieben hat. Daher weiß ich das.
»Aber wie wahrscheinlich ist es, dass du gerade alle, die dir wichtig sind, in Bunkernähe um dich hast, wenn die Apokalypse kommt?«, fragt er. Auf seiner Stirn bildet sich eine Denkfalte.
»Es sind ja nicht viele.«
»Aber gibt es nicht trotzdem Leute, denen du noch was zu sagen hast, bevor alle sterben?«
Kalle schüttelt entschieden den Kopf. »Sorry Ben, aber das ist genau die melodramatische Kacke, die man abschalten muss, wenn man überleben will. Wenn eh alle sterben, ist es auch egal, ob man ihnen zehn Minuten vorher noch irgendwas gesagt hat. Die zehn Minuten machen dann auch keinen Unterschied mehr. Außer, du bist deshalb nicht im Bunker und stirbst.«
»Okay.« Ben zuckt die Achseln und sieht wieder in die Kamera. »Ich bin da anders. Wenn man nicht weiß, wann die Welt untergeht, sollte man einfach immer darauf gefasst sein, finde ich. Und das heißt auch: Wenn ich jemandem etwas zu sagen habe, dann mache ich das besser sofort. Wer weiß, ob sich später noch eine Gelegenheit bietet. Außerdem kann das alles verändern. Also, auch Schicksale und so.«
»Word«, sagt Kalle, aber er meint es ironisch.
Ich springe mit der Maus auf dem Timecode zurück und studiere jede Regung auf Bens schönen Zügen, als ich mir seine Rede nochmal anhöre.
Im Kopf
Was ist das für ein zynisches, ätzendes Leben?
Da steht man jeden Morgen vor sechs Uhr auf und schleppt sich in eine Anstalt, die einen nicht für Arbeit bezahlt, aber ständig ungefragt beurteilt. Man muss tatenlos dabei zusehen, wie der eigene Körper sich regelrecht grotesk verformt und Eiterkrater überall aus dem öligen Gesicht sprießen. Selbstbewusstsein und Lebenswille haben sich längst einen Strick geknüpft, der Abschiedsbrief lauert als Outline im Hinterkopf. Und in der Minute, in der man sich aufrafft, um vielleicht alles zu ändern und Ben einfach mal anzusprechen, reißt ihm irgendein Irrer die Kehle aus dem Hals.
Jetzt
Sie probieren was Neues aus, habe ich eben noch gedacht. Kalle, mit ruhiger Hand und unbewegter Miene, hat den Selfiestick gehalten und das Video gedreht. Ben, neben ihm, hat Tipps aufgezählt, die beim Überleben in der Wildnis helfen.
Wildnis. Klar, der lichte Wald auf dem Hügel rund ums Schulgelände bietet ein beeindruckendes Setting für den Wildnis-Vlog, habe ich gedacht und die Augen verdreht. Bestimmt Kalles Idee.
Ich habe die Schultern bewusst nach hinten gezogen und die Wirbelsäule aufgerichtet als hinge ich an einem unsichtbaren Faden. Meine Mutter nennt mich oft ein wandelndes Fragezeichen. Meine Klasse nennt mich einen Lurch.
Jetzt!, habe ich gedacht, Jetzt trete ich ganz locker hinter dem Baum hervor und lächele ihn an, als wäre ich gerade zufällig vorbeigekommen und einfach neugierig. Jetzt.
Ein anderer ist schneller gewesen.
Durch das Unterholz ist ein Jogger auf die beiden Jungen zugestrauchelt. Dass seine Knie aufgeschlagen waren, hat ihn gar nicht gestört. Auch nicht, dass er nur einen Schuh getragen hat. Er ist mit der Nase voran gelaufen, und ich habe eine Sekunde lang überlegt, ob mein Haltungsfehler auch mich wie eine hungrige Hyäne wirken lässt.
Der Jogger ist gegen Ben geprallt, hat ihn im Sturz unter sich begraben und ihm mit den Zähnen ein Stück Fleisch aus dem Hals gerissen.
Bens Schreie – der erste schrill, der zweite gurgelnd – fühlen sich an wie Nadelstiche in mein Gehirn. Einzelne Eindrücke blitzen durch meine Nerven: das Scharren von Bens Vans auf dem Waldboden. Blutrinnsale, die von Kinnen tropfen. Kalles heisere Rufe. Bens flatternde Augenlider.
Das Smartphone, noch in den Selfiestab geklemmt, filmt vom Boden aus weiter. Die ungewöhnliche Perspektive macht das Video noch bizarrer. Ich kann den Hinterkopf des Joggers und Bens Knie immer wieder ins Bild ragen sehen, als ich auf das Smartphone zugehe.
»Aufhören!« Kalles Brüllen bleibt folgenlos. Er hebt einen schweren Ast vom Boden und trifft den Angreifer hart in die Seite. Kalle holt aus und setzt einen zweiten Schlag, der den Mann grob von Bens Oberkörper stößt.
Der Jogger prallt mit dem Gesicht auf eine Wurzel im Boden, verdreht den Hals und blickt Kalle aus Augen an, in denen alle Adern geplatzt sind. Als er seine Lippe nach oben zieht wie ein Wolf seine Lefzen, fällt die Lücke im Gebiss auf, aus dem gerade ein Zahn gebrochen ist. Fünf Striemen ziehen sich parallel über seinen Oberschenkel, nur knapp unter dem Saum seiner Hose.
Ein tiefer, kehliger Laut vibriert in seinem Brustkorb, bevor er ungelenk wieder auf die Beine kommt. Wie ein betrunkenes Kleinkind, denke ich und traue mich nicht, zu Ben zu sehen. Ich höre ihn atmen. Rasselnd, aber stetig.
»Hauen Sie ab!« Den Ast vorgesteckt macht Kalle einen Schritt über Ben hinweg und stellt sich schützend vor ihn. Für einen Moment blicken Kalle und der Jogger sich nur an. Der eine voll Adrenalin, die Finger um die improvisierte Waffe geschraubt – der andere in einer Haltung, als hätte man ihm jede Sehne im Körper durchtrennt.
Da fixiert der Jogger Kalle aus seinen roten Augen, reckt das Kinn nach ihm und stößt vor. Noch im Sprung grapscht er gierig nach Kalles Gesicht.
Kalle stolpert rückwärts über Bens Hüfte, rudert haltsuchend in der leeren Luft über seinem Kopf und verfehlt den Angreifer mit dem Ast. Er landet hart auf dem Rücken und ich höre, wie der Aufprall die Luft aus seinen Lungen presst. Geistesgegenwärtig tritt er nach dem Angreifer, während ich Bens Smartphone unter meinen schweren Boots zersplittere.
Schmutzige Hände reißen an Kalles T-Shirt, Geifer besprüht den Stoff. Kalle setzt sich mit Fäusten und Ellenbogen zur Wehr, aber es ist eine Frage von Sekunden, wann das schnappende Gebiss sich...
Erscheint lt. Verlag | 17.3.2020 |
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Reihe/Serie | Zombie Zone Germany | Zombie Zone Germany |
Verlagsort | Traunstein |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Apokalypse • Corona • Covid • Epidemie • Kannibalismus • Pandemie • Quarantäne • Überleben • Virus • Weltuntergang • Zombie • Zombies • zombie zone germany • zzg |
ISBN-10 | 3-95869-137-4 / 3958691374 |
ISBN-13 | 978-3-95869-137-7 / 9783958691377 |
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