Sisis Weg (eBook)
352 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99198-8 (ISBN)
Martina Winkelhofer, Dr. phil. für Geschichte und Kunstgeschichte (Universität Wien), ist Expertin für die Geschichte der Habsburgermonarchie und die Familiengeschichte europäischer Herrscherhäuser. Sie hat Standardwerke zum franzisko-josephinischen Kaiserhof und zur Alltagsgeschichte des Adels verfasst. Für Österreichs auflagenstärkste Tageszeitung Kronen Zeitung verfasst sie seit 2012 wöchentlich eine zweiseitige Geschichtskolumne, seit 2015 konzipiert und gestaltet sie auch Spezialmagazine zu verschiedensten historischen Themen. 2021 erschien ihr Buch »Sisis Weg. Vom Mädchen zur Frau - Kaiserin Elisabeths erste Jahre am Wiener Hof«.
Martina Winkelhofer, Dr. phil. für Geschichte und Kunstgeschichte (Universität Wien), ist Expertin für die Geschichte der Habsburgermonarchie und die Familiengeschichte europäischer Herrscherhäuser. Sie hat Standardwerke zum franzisko-josephinischen Kaiserhof und zur Alltagsgeschichte des Adels verfasst. Für Österreichs auflagenstärkste Tageszeitung "Kronen Zeitung" verfasst sie seit 2012 wöchentlich eine zweiseitige Geschichtskolumne, seit 2015 konzipiert und gestaltet sie auch Spezialmagazine zu verschiedensten historischen Themen.
Das Elternhaus
»Sie werden lernen, einander zu lieben.«[1]
Die drei königlichen Würdenträger, die am Abend des 24. Dezember 1837 gegen 8 Uhr 30 den kostbar eingerichteten Salon in der Ludwigstraße Nummer 8[2] betraten, bereiteten sich darauf vor, die kommenden Stunden hier auszuharren.[3] Der Raum, in den sie ein livrierter Diener geführt hatte, hätte nicht prächtiger sein können. Er maß acht Meter in der Breite, dreizehn Meter in der Länge, war mit drei Fensterachsen ausgestattet und befand sich, wie es sich für den Empfangssalon des schönsten Privatpalais der bayerischen Hauptstadt gehörte, genau über einer dreitorigen Einfahrt. Die drei Beamten – Sebastian Freiherr von Schrenk, Staatsminister der Justiz; Ludwig Ritter von Wiesinger, Staatsminister des Inneren, sowie der Minister des königlichen Hauses, Friedrich Freiherr von Gise – waren in das Palais beordert worden, um die Geburt einer Wittelsbacher Prinzessin zu bezeugen. Bis es so weit wäre, blieb ihnen jedoch genug Zeit, um einen der berühmtesten Säle der Residenzstadt München ausführlich zu betrachten.
Unter einer mächtigen hölzernen Kassettendecke, und jeweils oben und unten von einem Fries eingerahmt, schmückten vier große Fresken des Münchner Historienmalers Robert von Langer die Wände des Salons und zeigten, in leuchtenden Farben und klassizistischem Stil, Motive aus der griechischen Mythologie. Überlebensgroß blickten die Götter des Olymps von den Seiten der langen Ostwand auf die königlichen Beamten herab. Und die drei honorigen Herren erkannten zwischen den thronenden Paaren – Zeus und Hera auf der rechten, Hades und Persephone auf der linken Seite – den trefflichen Herakles im Löwenfell, der die treue Alkestis, die anstelle ihres Gatten in den Tod gehen wollte, aus der Unterwelt befreit. An der Nordwand des Saales sahen sie, wie Theseus den stierköpfigen Minotaurus besiegt. Und die Südwand bot ihnen einen Künstler par excellence: Orpheus, den Dichter und Sänger, der die Macht der Worte und Klänge bewies, indem er mit Lyra-Spiel und Gesang sogar Felsen zum Weinen brachte.[4]
Erhaltene Fotografien belegen, dass die Stühle und Bänke des Empfangssalons unmittelbar unter den Fresken aufgestellt waren. Wo immer die drei Herren auf ihren grazilen Stühlchen auch saßen – sie mussten sich geradezu klein vorkommen angesichts der monumentalen Helden- und Götterfiguren über ihren Köpfen. Natürlich konnten die drei, während sie ohne jede Ablenkung im Empfangsraum ausharrten, noch nicht ahnen, dass die Prinzessin, deren Geburt nur einige Räume weiter im Gange war, sich später einmal für die geistige und mythologische Welt des antiken Griechenland, wie sie hier von den Wänden auf sie herabstrahlte, begeistern würde.
An diesem 24. Dezember freilich deutete noch nichts darauf hin, dass der kleine Mensch, der bald das Licht der Welt erblicken sollte, einen ungewöhnlichen Lebensweg vor sich hatte. Es war auch kein besonderer Dienst, den die drei Minister ausgerechnet am Heiligen Abend im Palais Herzog Maximilians in der Ludwigstraße zu leisten hatten. Es ging lediglich darum, die Geburt eines weiteren Mitglieds des Hauses Wittelsbach zu beglaubigen, derlei gehörte zu ihren amtlichen Aufgaben. Der neunundzwanzigjährige Hausherr, Herzog Maximilian Joseph in Bayern, wurde in diesen Stunden zum vierten Mal Vater. Zwei Söhne und eine Tochter waren ihm bereits geschenkt worden – wobei der zweite seiner Söhne noch im ersten Lebensjahr verstorben war. Nun lag seine Frau Ludovika erneut in den Wehen. Sie hatte an diesem Weihnachtsabend eigentlich die Stunden der Bescherung bei ihrer Mutter verbringen wollen, doch ihr Arzt hatte es verboten. Er vermutete, dass die Geburtswehen an genau diesem Abend einsetzen würden – und behielt damit recht.[5]
Die Minister warteten schon über eine Stunde, als Ludovika – oder Louise, wie die ebenfalls Neunundzwanzigjährige im Familienkreis genannt wurde – die finale Phase ihrer vierten Entbindung durchlebte. Die Geburt fand in Ludovikas »weißem Boudoir« statt. Zu ihrer emotionalen Unterstützung standen ihr vier Frauen bei, die auch ihre engsten Vertrauten waren: ihre Mutter, die verwitwete Königin Caroline von Bayern; ihre ehemalige Erzieherin, die nunmehrige Obersthofmeisterin Gräfin Auguste von Rottenhan; ihre um zwanzig Jahre ältere Halbschwester Herzogin Auguste von Leuchtenberg, die im nahe gelegenen Palais Leuchtenberg residierte, sowie deren Tochter Eugenie, Ehefrau des Erbprinzen von Hohenzollern-Hechingen. Ludovikas beide Hofdamen hielten sich in den Nebenzimmern bereit. Ihre Aufgabe war es, den hohen Verwandten ihrer Herrin, sobald diese das Boudoir der Gebärenden verließen, zu Diensten zu sein.
Ludovikas Appartement grenzte unmittelbar an die Festräume des herzoglichen Palais, zu denen auch der Empfangssalon mit seinen mythologischen Fresken zählte. Die hier wartenden Minister gingen davon aus, dass sich die Geburt nicht mehr lange hinzog; andernfalls hätte man sie – gerade am Heiligen Abend – noch nicht in das Palais geholt. In Fällen wie diesem wurden sie nie schon nach dem ersten Einsetzen der Wehen verständigt.
Exakt eine Stunde und dreizehn Minuten nach Eintreffen der Minister im Palais hatte ihr Warten ein Ende: Die zweite Tochter von Herzog Maximilian und Herzogin Ludovika erblickte das Licht der Welt. Nun wurden die Minister ins Boudoir der Herzogin gerufen, wo ihnen die Hebamme das Neugeborene präsentierte. Dass Herzogin Ludovika nach den Strapazen der Geburt in Nachtkleid und Morgenmantel auf der Chaiselongue ruhte und weder ihre Kleidung noch ihr Haar in einem Zustand waren, der erlaubte, fremde Besucher zu empfangen, ja dass ohnehin eine Frau von königlichem Geblüt niemals Herren in ihrem Boudoir empfing, zu empfangen hatte – über all das wurde hinweggesehen. Schließlich galt es, den Hofvorschriften Genüge zu tun. Und diese verlangten, dass ein Neugeborenes sofort nach der Geburt den zuständigen hohen Staatsbeamten zu präsentieren war. Damit sollte sichergestellt werden, dass ein Kind, das namentlich als legitimes Mitglied des Hauses Wittelsbach in die Geburtsurkunde eingetragen wurde, tatsächlich die Herrin des Hauses zur Mutter hatte. Aus diesem Grund hatte man übrigens auch die Minister in der Nähe der Gebärenden warten lassen. Die herzogliche Herkunft des Kindes und seine rechtmäßige Zugehörigkeit zur Dynastie der Wittelsbacher sollten zweifelsfrei garantiert sein. Immerhin blieb der Herzogin die Anwesenheit der offiziellen Zeugen noch während der Entbindung erspart. Anders als etwa am britischen Königshof üblich, hatte Ludovika den intimen Akt der Geburt nicht vor den Ministern durchleben müssen, allein geschützt von einer Art fahrbaren Leinwand, die die untere Körperhälfte der Gebärenden zwar verdeckte, ihren Oberkörper jedoch den Blicken von Familienfremden auslieferte.[6]
Der amtliche Akt der Bezeugung war schnell erledigt. Nachdem sie den Säugling gesehen und die obligaten Glückwünsche ausgesprochen hatten, verließen Sebastian Freiherr von Schrenk, Ludwig Ritter von Wiesinger und Freiherr von Gise das Boudoir. Dem Haus Wittelsbach, notierten sie im Geburtsprotokoll, war Punkt zehn Uhr und dreiundvierzig Minuten am Abend des 24. Dezember 1837 eine weitere Prinzessin geboren worden. Damit hatten sie ihre Pflicht erfüllt und konnten zu ihren Familien heimeilen.
Dem neugeborenen Mädchen wurde der Name Elisabeth Amalie Eugenie gegeben. Namenspatin war eine ältere Schwester Ludovikas – Elisabeth Ludovika von Preußen, die drei Jahre nach der Geburt ihres Patenkindes Königin von Preußen werden würde. Ihren zweiten Namen Amalie erhielt die kleine Prinzessin zu Ehren der Zwillingsschwester ihrer Patin, der späteren Königin von Sachsen. Der dritte Name Eugenie schließlich verwies auf jene Cousine, die Ludovika in ihren Wehen mit beigestanden hatte. Zwei Tage nach der Geburt taufte man Elisabeth in der Stiftskirche St. Kajetan, der »Theatinerkirche« genannten Hofkirche in München.
Es war damals erst wenige Jahrzehnte her, dass das Haus Wittelsbach, dem Elisabeth angehörte und das neben ihr so viele andere außergewöhnliche, bisweilen exzentrische Persönlichkeiten hervorbrachte, von Napoleon die Königswürde erhalten hatte. In den unruhigen Jahren nach 1804, als der korsische Feldherr sich zum Kaiser der Franzosen krönte, bis zu seinem Niedergang, der mit dem missglückten Russlandfeldzug 1812 einsetzte, wurden Europas Staaten und mit ihnen die althergebrachte politische Ordnung durcheinandergewirbelt. Die europäischen Herrscher, die sich auf Napoleons Seite schlugen, konnten nun ihr Territorium und ihren Einfluss gegenüber ihren Nachbarn vergrößern – ganz abgesehen davon, dass sie so dem klassischen Schicksal jener widerständigen Standeskollegen entkamen, die der Feldherr und Kaiser einfach von ihren Thronen fegte, um darauf die Angehörigen seiner Familie zu setzen. Elisabeths Großvater Maximilian IV., in jenen Jahren noch Kurfürst und Herzog, erkannte eine Chance für sein Haus und wurde der erste Bündnispartner Napoleons – der ihn im Gegenzug 1806 zum König des stark vergrößerten Bayern machte. Das Ende der Herrschaft Napoleons wenige Jahre später konnte dem jungen Königreich nichts anhaben. Anders als andere Herrscher, die ausschließlich aufgrund ihrer Bündnistreue gegenüber dem französischen Kaiser an die Macht gekommen waren und diese nun verloren, waren die Wittelsbacher zu etabliert, als dass sie ihre Regentschaft während der Restauration wieder hätten abgeben müssen. Davon abgesehen hatten sie noch im letzten Moment die Seiten gewechselt und entgingen deshalb einer Neuaufteilung ihres Herrschaftsgebietes.
Die Wittelsbacher gehörten zu den ältesten deutschen Adelsgeschlechtern und herrschten schon seit Jahrhunderten...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • Adel • Alltag • Alltagsgeschichte • Biografie • Buch • Bücher • Corsage Film • Europäischer Adel • Franz Joseph I • Geschenk für Frauen • Habsburger • Höfisches Leben • Hofleben • Kaiser • Kaiserin • Kaiserin Elisabeth • Kaiserin von Österreich-Ungarn • Kronprinz Rudolf • k.u.k Monarchie • Mayerling • Monarchie • Mythos • Sisi • Sisi Biografie • Sisis Welt • Sissi • Wiener Hof • Wittelsbacher |
ISBN-10 | 3-492-99198-X / 349299198X |
ISBN-13 | 978-3-492-99198-8 / 9783492991988 |
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