Brennender Fels (eBook)
432 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45698-9 (ISBN)
N. K. Jemisin stammt aus Iowa City und studierte Psychologie an der Tulane-Universität in New Orleans. Sie lebt in New York City und arbeitet unter anderem für die New York Times. Ihre Bücher wurden für zahlreiche Preise nominiert. Für ihre Trilogie Die große Stille erhielt sie als erste Autorin überhaupt drei Mal in Folge den renommierten HUGO Award.
N. K. Jemisin stammt aus Iowa City und studierte Psychologie an der Tulane-Universität in New Orleans. Sie lebt in New York City und arbeitet unter anderem für die New York Times. Ihre Bücher wurden für zahlreiche Preise nominiert. Für ihre Trilogie Die große Stille erhielt sie als erste Autorin überhaupt drei Mal in Folge den renommierten HUGO Award.
1
Nassun, in Schwierigkeiten
Hmm. Nein. Ich erzähle das falsch.
Schließlich ist eine Person nicht nur sie selbst, sondern auch andere. Beziehungen prägen die endgültige Form des eigenen Seins. Ich bin ich, und ich bin du. Damaya war sie selbst und die Familie, die sie ausgestoßen hat, und die Leute beim Fulcrum, die sie geschliffen und poliert haben. Syenit war Alabaster und Innon und die Leute aus dem armen untergegangenen Allia und aus Meov. Jetzt bist du Tirimo und diejenigen, die auf der aschebestreuten Straße wandern und deine toten Kinder … und auch das lebende Kind, das noch übrig ist. Das du zurückbekommen wirst.
Damit verrate ich gar nichts. Du bist schließlich Essun. Du weißt das bereits. Oder nicht?
Dann also als Nächstes zu Nassun. Nassun, die gerade acht Jahre alt ist, als die Welt endet.
Es ist unmöglich zu wissen, was Klein Nassun durch den Kopf ging, als sie eines Nachmittags von der Lehrstelle nach Hause kam und ihren jüngeren Bruder tot auf dem Boden fand und ihren Vater über der Leiche. Wir können uns ausmalen, was sie gedacht und gefühlt und getan hat. Wir können spekulieren. Aber wir werden es nicht wissen. Und vielleicht ist das auch besser so.
Das hier weiß ich jedoch: Diese Lehrstelle, die ich erwähnt habe – Nassun wollte lernen, wie man eine Kundige wird.
Die Stille pflegt eine eigenartige Beziehung zu den selbsternannten Bewahrern der Steinweisheit. Es gibt Aufzeichnungen von Kundigen, die bis weit in die gerüchteumwobene Eierschalenzeit zurückreichen. In dieser Fünftzeit führte irgendeine gasförmige Emission dazu, dass einige Jahre lang sämtliche in den Arktischen geborenen Kinder schwache Knochen hatten, die bei jeder Berührung brachen und sich beim Wachstum verbogen – sofern diese Kinder überhaupt wuchsen. (Archäomesten aus Yumenes streiten sich seit Jahrhunderten darüber, ob Strontium oder Arsen dies verursacht haben könnte und ob die Eierschalenzeit überhaupt als Fünftzeit eingestuft werden sollte. Schließlich waren nur ein paar hunderttausend schwächliche, blasse kleine Unzivilisierte in der nördlichen Tundra betroffen. Aber seit genau dieser Zeit haben die Arktischen den Ruf, schwächlich zu sein.) Das ist den Kundigen zufolge etwa fünfundzwanzigtausend Jahre her, was viele für eine glatte Lüge halten. In Wahrheit haben die Kundigen schon viel länger Anteil am Leben in der Stille. Vor fünfundzwanzigtausend Jahren hat sich lediglich ihre Rolle geändert, weil sie nutzlos wurden.
Sie sind immer noch da, auch wenn sie vergessen haben, wie viel sie vergessen haben. Irgendwie hat ihr Orden – wenn man ihn denn als solchen bezeichnen kann – es geschafft zu überleben. Und das, obwohl alle, angefangen von der Ersten bis zur Siebten Universität, ihre Arbeit als zweifelhaft und allem Anschein nach fehlerhaft abgelehnt und die Regierungen aller Epochen das Wissen der Kundigen durch Meinungsmache untergraben haben. Und auch trotz der Fünftzeiten. Früher einmal waren alle Kundigen Mitglieder einer Rasse namens Regwo – Westküstenbewohner mit blass-rötlicher Haut und von Natur aus schwarzen Lippen –, die der Bewahrung der Geschichte huldigten, wie die Menschen in weniger schlimmen Zeiten den Göttern gehuldigt hatten. Sie pflegten die Steinweisheit in Bergflanken zu meißeln, in Tafeln, die bis in den Himmel reichten, damit alle über die zum Überleben nötige Weisheit Bescheid wussten. Aber ach: In der Stille reicht bereits der Wutanfall eines orogenen Kleinkindes, um Berge zu vernichten. Ein ganzes Volk zu vernichten erfordert kaum mehr Anstrengung.
Kundige sind also keine Regwo mehr, aber die meisten färben sich im Angedenken an sie die Lippen schwarz. Nicht dass sie noch wüssten, warum. Die schwarzen Lippen sind inzwischen nur noch eines der Zeichen, an denen man Kundige erkennt: daran und an den vielen Polymer-Tafeln, die sie mit sich herumschleppen, sowie den schäbigen Kleidern, die sie meistens tragen. Und auch daran, dass sie gewöhnlich keine richtigen Gem-Namen haben. Deshalb sind sie aber nicht gemlos, vergiss das nicht. Theoretisch könnten sie im Falle einer Fünftzeit in ihre Heimat-Gems zurückkehren, allerdings bringt ihr Beruf es mit sich, dass sie weit wandern, was eine Rückkehr ziemlich unmöglich macht. Praktisch sind viele Gems bereit, sie – sogar während einer Fünftzeit – aufzunehmen, denn selbst die stoischste Gemeinschaft möchte während der langen kalten Nächte unterhalten werden. Aus diesem Grund bilden sich die meisten Kundigen in den Künsten aus – Musik, Lustspiele und so weiter. Sie kümmern sich auch um die Jüngeren und unterrichten sie in Zeiten, in denen sonst niemand für solche Aufgaben entbehrlich ist. Vor allem aber dienen sie als lebende Erinnerung daran, dass andere im Laufe der Zeiten schon Schlimmeres überlebt haben. Jede Gem braucht so etwas.
Die Kundige, die nach Tirimo gekommen ist, heißt Renthree Kundige Stein. (Alle Kundigen tragen den Gem-Namen Stein und den Nutznamen Kundige; dies ist eine der selteneren Nutzkasten.) Renthree ist eher unwichtig, aber es gibt einen Grund, warum du über sie Bescheid wissen musst. Einst war sie Renthree Brüter Tenteek, aber das war, bevor sie sich in einen Kundigen verliebte, der Tenteek besucht und die damals junge Frau dazu verführt hatte, das langweilige Leben einer Glasschmiedin hinter sich zu lassen. Hätte es eine Fünftzeit gegeben, bevor sie wegging, wäre ihr Leben ein bisschen interessanter geworden, denn in solchen Zeiten ist die Pflicht einer Brüterin eindeutig – und möglicherweise hat auch genau das sie angespornt, wegzugehen. Vielleicht war es aber auch nur die übliche Verrücktheit junger Liebe? Schwer zu sagen. Renthrees Liebhaber verließ sie schließlich in den Außenbezirken der Äquatorialen-Stadt Penphen; sie blieb zurück mit einem gebrochenen Herzen, dem Kopf voller Steinweisheiten, einer Geldbörse voller Jadesplitter und Cabochons und mit einer von Schuhabdrücken gezeichneten Brosche aus Perlmutt. Renthree benutzte das Perlmutt, um bei einem Steinmetz ihren eigenen Satz Tafeln in Auftrag zu geben, kaufte sich mit den Jadesplittern Reisevorräte und bezahlte ihren Aufenthalt in einem Gasthaus, während der Steinmetz an ihren Tafeln arbeitete. Mit den Cabochons kaufte sie sich viele alkoholische Getränke in einer Schenke. Schließlich machte sie sich frisch ausgestattet und mit versorgten Wunden allein auf den Weg. Auf diese Weise existiert der Beruf immer weiter.
Als Nassun am Rasthaus auftaucht, in dem Renthree ihre Zelte aufgeschlagen hat, denkt diese möglicherweise an ihre eigene Ausbildung. (Nicht an den Teil mit der Verführung; Renthree mag offensichtlich ältere Frauen, mit der Betonung auf Frauen. Sondern an die Sache mit der närrischen Träumerin.) Einen Tag zuvor war Renthree durch Tirimo gekommen, hatte an den Marktbuden eingekauft und mit ihren schwarz beschmierten Lippen fröhlich gelächelt, um kundzutun, dass sie in der Gegend war. Sie hatte nicht gesehen, dass Nassun, unterwegs von der Krippe nach Hause, stehen geblieben war und sie ehrfurchtsvoll und voller plötzlicher, irrationaler Hoffnung angestarrt hatte.
An diesem Tag hat Nassun die Krippe geschwänzt, um Renthree aufzusuchen und ihr etwas zu geben. Es ist ein traditioneller Brauch – die Gabe natürlich, nicht dass die Töchter von Lehrerinnen die Krippe schwänzen. Zwei Erwachsene aus der Stadt sind bereits beim Rasthaus, sitzen auf einer Bank und lauschen, während Renthree erzählt. Renthrees Gabenbecher ist mit leuchtend bunten Scherben gefüllt, in die das Zeichen des Quartents eingeschliffen ist. Renthree blinzelt überrascht, als sie Nassun sieht: ein schlaksiges Mädchen, mehr Beine als Rumpf, mehr Augen als Gesicht, und ganz offensichtlich zu jung, um so früh mit der Krippe fertig zu sein, wenn keine Erntezeit ist.
Nassun bleibt auf der Schwelle des Rasthauses stehen und schnappt keuchend nach Luft, was ihr einen äußerst dramatischen Auftritt verschafft. Die anderen beiden Besucher drehen sich zu ihr um und starren Jijas sonst so stille Erstgeborene an, und nur ihre Anwesenheit hält Nassun davon ab, gleich jetzt mit dem herauszuplatzen, was sie will. Ihre Mutter hat ihr beigebracht, sehr vorsichtig zu sein. (Ihre Mutter wird erfahren, dass sie die Krippe geschwänzt hat. Nassun ist es egal.) Sie schluckt also und geht direkt zu Renthree und hält ihr etwas hin: einen dunklen Stein, in den ein kleiner, fast kubischer Diamant eingebettet ist.
Nassun hat kein Geld, abgesehen von ihrem Taschengeld, verstehst du, und als bekannt wurde, dass eine Kundige in der Stadt ist, hatte sie das bereits für Bücher und Süßigkeiten ausgegeben. Niemand in Tirimo weiß jedoch, dass es in dieser Gegend eine möglicherweise hervorragende Diamantmine gibt – also niemand außer den Orogenen. Und diese auch nur dann, wenn sie danach suchen. Nassun ist die Einzige in mehreren tausend Jahren, die sich die Mühe gemacht hat. Sie weiß, dass sie diesen Diamanten niemals hätte finden sollen. Ihre Mutter hat ihr beigebracht, dass sie ihre Orogenie nicht zur Schau stellt und nur in den verbotenen Übungssitzungen anwendet, die sie alle paar Wochen zusammen in einem nahe gelegenen Tal abhalten. Niemand trägt Diamanten als Währung mit sich herum, denn daraus lassen sich nicht so einfach Splitter für Wechselgeld machen, aber in der Industrie, im Bergbau und so weiter sind sie dennoch nützlich. Nassun weiß, dass der Diamant ziemlich wertvoll ist, aber sie hat keine Ahnung, dass der hübsche Stein, den sie Renthree gerade gegeben hat, ein oder zwei Häuser wert ist. Sie ist erst acht.
Und Nassun ist so...
Erscheint lt. Verlag | 29.1.2020 |
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Reihe/Serie | Die große Stille | Die große Stille |
Übersetzer | Susanne Gerold |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Alabaster Tenring • Andere Welten • apokalypse bücher • Bestseller-Autorin nk Jemisin • Bestseller New-York-Times# • Brennender Fels • broken earth trilogy • broken earth trilogy deutsch • climate fantasy • climate science fiction • climate scifi • Die große Stille • Die große Stille buch • Die Stille • dystopie Bücher • Endzeit • endzeit Bücher • Endzeitroman • Endzeit Romane • Erd-Magie • Essun • Fantasy Bestseller • Fantasy Bücher Erwachsene • Fantasybücher über Klima • Fantasy Reihe • fantasy romane für erwachsene • Fantasy Serien • Fantasy Trilogie • gute fantasy bücher • High Fantasy • High Fantasy Bücher • Hugo Award • jemisin die große stille • Klimawandel • Mutter sucht Tochter • New York Times Bestseller • N K Jemisin • N. K. Jemisin • NK Jemisin • Postapokalypse • Preisgekrönte Bücher • preisgekrönte serien • science fiction bücher • Science Fiction Bücher über Klima • Science Fiction Romane • science fiction serien • Starke Frauen • Steinerner Himmel • trilogie bücher • trilogie Die große Stille • Zerrissene Erde • zerrissene Familie • zerstörte Welt |
ISBN-10 | 3-426-45698-2 / 3426456982 |
ISBN-13 | 978-3-426-45698-9 / 9783426456989 |
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