DUNKEL (eBook)

Spiegel-Bestseller
Thriller

*****

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
384 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-25173-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

DUNKEL -  Ragnar Jónasson
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Eine junge Frau suchte Sicherheit, doch was sie fand, war der Tod...
Hulda Hermannsdóttir, Kommissarin bei der Polizei Reykjavík, soll frühzeitig in Ruhestand gehen, um Platz für einen jüngeren Kollegen zu machen. Sie darf sich einen letzten Fall, einen cold case, aussuchen - und sie weiß sofort, für welchen sie sich entscheidet. Der Tod einer jungen Frau wirft während der Ermittlungen düstere Rätsel auf, und die Zeit, um endlich die Wahrheit ans Licht zu bringen, rennt. Eine Wahrheit, für die Hulda ihr eigenes Leben riskiert ...

Ragnar Jónasson, 1976 in Reykjavík geboren, ist Mitglied der britischen Crime Writers' Association und Mitbegründer des »Iceland Noir«, dem internationalen isländischen Krimifestival. Seine Bücher, darunter die preisgekrönte »Hulda-Serie« sowie die »Dark-Iceland-Serie« werden in 21 Sprachen in über 30 Ländern veröffentlicht und weltweit gefeiert. Er lebt und arbeitet als Schriftsteller und Investmentbanker in der isländischen Hauptstadt und unterrichtet an der Universität außerdem Rechtswissenschaften.

X


Bjarturs Enthüllung hatte Huldas Ermittlung – wenn man es denn so bezeichnen konnte – eine völlig neue Richtung gegeben. Die Information war reinstes Dynamit. Alexanders Untersuchung war nicht nur extrem oberflächlich gewesen, der Tod der jungen Russin erschien in ganz neuem Licht. Die Frage war nur, wann Hulda ihren Chef von dieser unerwarteten Wendung unterrichten sollte. Im Moment wusste Magnús nicht einmal, welchen alten Fall sie sich ausgesucht hatte. Er gratulierte sich garantiert dafür, sie so elegant hinauskomplimentiert zu haben, wenn er überhaupt einen Gedanken an sie verschwendete, und nahm wahrscheinlich an, dass sie an ihrem Schreibtisch saß und über alten Polizeiakten brütete, um sich die Zeit zu vertreiben, während die Uhr unerbittlich auf den Ruhestand zutickte.

Tatsächlich war sie seit der verhängnisvollen Besprechung am Morgen nicht mehr in der Nähe ihres Schreibtischs gewesen. Zu ihrer Überraschung war der Tag viel schneller vergangen als befürchtet: Bei all der Herumfahrerei hatte sie gar keine Zeit gehabt, sich in Selbstmitleid zu suhlen. Dafür blieb ihr jetzt noch der Rest des Tages. Aber nein, sie hatte vor, früh zu Bett zu gehen und lange zu schlafen, um den Kopf freizubekommen. Sämtliche Pläne für ihre nächsten Schritte würde sie auf den Morgen verschieben. Dann konnte sie entscheiden, ob sie die Kraft – und den Mut – hatte, sich ganz dem Fall der jungen Russin zu widmen, oder ob sie einfach das Handtuch werfen und sich an ihr neues Leben als Pensionärin gewöhnen sollte. Sich eingestehen, dass ihre Laufbahn bei der Polizei beendet war. Aufhören, sich gegen das Unvermeidliche zur Wehr zu setzen. Die Jagd nach Phantomen einstellen, die womöglich nie existiert hatten.

Doch wie immer sie sich letztendlich entscheiden würde, ein loses Ende wäre noch zu verknoten. Sie ließ sich im alten, bequemen Sessel ihrer Mutter nieder und griff zum Telefonhörer. Dann zögerte sie kurz, die Nummer der unglückseligen Krankenschwester zu wählen, die sie am Tag zuvor vernommen hatte. Die Frau hatte dieses miese Drecksschwein von einem Pädophilen eindeutig angefahren. Während der gesamten Befragung hatte sie gezittert wie Espenlaub. Unter Garantie machte sie gerade die Hölle durch und war krank vor Sorge, von ihrem Sohn getrennt zu werden und auf Jahre hinter Gittern zu landen. Sie hatte die Tat gestanden. Trotzdem hatte Hulda bis jetzt nicht nur ihren offiziellen Bericht aufgeschoben, sie hatte auch ihren Chef angelogen und ihm erklärt, dass der Fall wohl kaum zu lösen sei. Bevor sie die arme Frau anrief, musste Hulda erst mit ihrem Gewissen ausmachen, ob sie bei ihrer Lüge bleiben und alles in ihrer Macht Stehende tun sollte, um Mutter und Sohn weiteres Leid zu ersparen, oder ob sie in ihrem Bericht bei der Wahrheit bleiben sollte, wohl wissend, dass man die Frau für ihre Tat höchstwahrscheinlich ins Gefängnis stecken würde.

Ihre Entscheidung stand eigentlich nicht in Frage. Hulda blieb im Grunde nur eine Wahl.

Auf den Namen der Frau waren ein Handy sowie ein Festnetzanschluss angemeldet. Ans Handy ging sie nicht, und das Festnetztelefon klingelte endlos, bevor endlich jemand ranging.

»Hier ist Hulda Hermannsdóttir von der Kriminalpolizei. Wir haben gestern miteinander gesprochen.«

»Oh … ja … natürlich«, sagte die Frau mit erstickter Stimme und atmete zittrig ein.

»Ich habe die Umstände des Unfalls noch einmal ausgiebig geprüft«, flunkerte Hulda in absichtlich förmlicher Polizeidiktion, »und bin zu dem Schluss gekommen, dass die Beweise für eine Verurteilung nicht ausreichen.«

»Was … Was soll das heißen?«, stammelte die Frau. Sie klang, als würde sie weinen.

»Ich habe nicht vor, in der Sache weitere Schritte zu unternehmen, soweit es Sie betrifft.«

Am anderen Ende herrschte verblüfftes Schweigen. Dann krächzte die Frau: »Aber was ist mit … mit dem, was ich Ihnen erzählt habe?«

»Es wäre nicht zweckdienlich, das weiter zu verfolgen und Sie vor Gericht zu zerren.«

Wieder Schweigen am anderen Ende. Dann: »Sie … Sie meinen, Sie wollen mich nicht … verhaften? Ich … Ich habe fast ununterbrochen gezittert … seit unserem Gespräch gestern. Ich dachte, ich würde …«

»Ganz richtig, ich werde Sie nicht verhaften. Und da ich kurz vor der Pensionierung stehe, sollte das mit ein wenig Glück auch das Letzte sein, was Sie in der Sache hören.« Pensionierung. Zum ersten Mal hatte sie es laut ausgesprochen, und das Wort hallte seltsam in ihren Ohren nach. Wieder fiel ihr auf, wie lächerlich unvorbereitet sie für diesen Meilenstein war, so vorhersehbar er auch gewesen sein mochte.

»Was ist mit den anderen … Was ist mit Ihren Kollegen bei der Polizei?«

»Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde Ihr Geständnis in meinem Bericht nicht erwähnen. Ich kann natürlich nicht vorhersagen, wie mit dem Fall verfahren wird, sobald ich aufgehört habe, aber soweit es mich persönlich betrifft, haben Sie nichts Relevantes gesagt, als ich Sie befragt habe. Habe ich das richtig verstanden?«

»Was? Oh, ja, natürlich. Danke …«

Irgendetwas trieb Hulda dazu, hinzuzufügen: »Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Ich erteile Ihnen hiermit keine Absolution. Vielleicht kann ich verstehen, warum Sie getan haben, was Sie getan haben. Aber Sie müssen damit leben. Trotzdem würde es meiner Meinung nach alles noch schlimmer machen, wenn man Sie einsperren und Ihrem Sohn die Mutter entziehen würde.«

»Danke«, wiederholte die Frau aufgewühlt, und ihr Schluchzen war jetzt deutlich in der Leitung zu vernehmen. »Danke«, brachte sie noch einmal keuchend hervor, bevor Hulda auflegte.

Wenn sie viel zu tun hatte oder unter Druck stand, vergaß Hulda häufig zu essen, doch diesmal achtete sie darauf, etwas zu sich zu nehmen. Ihr Abendessen war das gleiche wie gestern: Toast mit Käse. Seit Jóns Tod hatte sie allmählich aufgehört zu kochen. Anfangs hatte sie sich noch bemüht, doch nachdem sie sich mit den Jahren daran gewöhnt hatte, alleine zu leben, begnügte sie sich mit einer warmen Mittagsmahlzeit in der Kantine und ernährte sich abends vor allem von Fast Food oder belegten Broten.

Einen solch schlichten Imbiss nahm sie gerade zu sich und hörte dabei die Nachrichten im Radio, als das Telefon klingelte. Als sie sah, wer der Anrufer war, wollte sie ihn zunächst ignorieren, nahm dann schließlich aus Gewohnheit und Pflichtgefühl doch ab. Ohne auch nur seinen Namen zu nennen, legte Alexander los – der Mann hatte noch nie Manieren gehabt.

»Was für ein Spielchen treiben Sie da, zum Teufel?«, polterte er. Sie sah ihn am anderen Ende der Leitung vor sich: wütend verzerrte Gesichtszüge, Doppelkinn, hängende Augenlider unter dichten Brauen.

Sie hatte nicht vor, sich von ihm einschüchtern zu lassen. »Wovon reden Sie?«, fragte sie so ungerührt wie möglich.

»Tun Sie nicht so, Hulda. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Die Russin, die sich ertränkt hat.«

»Können Sie sich nicht mal an ihren Namen erinnern?«

Die Frage erwischte ihn offenbar eiskalt. Einen Moment lang war er sprachlos, was ihm gar nicht ähnlich sah, doch er hatte sich schnell wieder gefangen. »Was tut das zur Sache? Was ich will, ist …«

»Sie hieß Elena«, fiel Hulda ihm ins Wort.

»Das ist mir scheißegal!« Er wurde lauter, sein Gesicht war garantiert dunkelrot angelaufen. »Warum stecken Sie Ihre Nase da rein, Hulda? Ich dachte, Sie wären schon längst weg.«

Die Nachricht hatte also die Runde gemacht.

»Da müssen Sie falsch informiert sein«, sagte sie ruhig.

»Ach ja? Ich habe gehört …« Er besann sich eines Besseren. »Wie dem auch sei. Warum schnüffeln Sie in meinem Fall herum?«

»Weil Magnús mich darum gebeten hat«, sagte Hulda. Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber sei’s drum.

»Sie versuchen, meine Position zu unterminieren, darum geht es. Ich habe mich bereits ausführlich mit dem Fall befasst.«

»Allerdings nicht auf eine Weise, die Ihnen zur Ehre gereichen würde«, erwiderte Hulda kühl.

»An der Sache war nichts verdächtig«, tobte Alexander. »Das arme Huhn sollte abgeschoben werden, deshalb hat sie sich ins Meer gestürzt! Ende der Geschichte!«

»Ganz im Gegenteil. Ihrem Asylantrag sollte stattgegeben werden, und das wusste sie.«

Am anderen Ende herrschte abrupt Stille. Dann stotterte Alexander: »Was? Wovon reden Sie?«

»Die Ermittlung ist keineswegs abgeschlossen, das ist alles. Außerdem stören Sie mich gerade beim Abendessen, also wenn sonst nichts ist …«

»Ich störe Sie beim Abendessen? Ja, klar – ein einsames Sandwich vor dem Fernseher«, sagte er gehässig, und mit dieser letzten spitzen Bemerkung legte er auf.

Das war unter die Gürtellinie gegangen. Hulda war tatsächlich immer allein, die einzige alleinstehende Frau inmitten einer Gruppe von Männern, von denen die meisten wenn nicht zum ersten, dann zum zweiten Mal verheiratet waren und Familien hatten. Sie war solche Bemerkungen gewohnt. Offenbar gehörte das dazu, genau wie geschmacklose Witze bis hin zu unverhohlenem Mobbing. Sie wusste, dass sie im Umgang mit Menschen ebenfalls kratzbürstig sein konnte, aber sie hatte sich ein dickes Fell zulegen müssen, um auf der Polizeistation zu überleben, was den Jungs im Gegenzug offenbar die Lizenz für Attacken gegen sie gab.

Natürlich hätte sie Alexanders gehässige Bemerkung einfach mit einem Schulterzucken abtun können. Doch...

Erscheint lt. Verlag 1.5.2020
Reihe/Serie Die HULDA-Reihe
Die HULDA Trilogie
Die HULDA Trilogie
Übersetzer Kristian Lutze
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel DIMMA
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Band 1 • Bestseller 2020 • Börjlind • Buch für den Urlaub • Charlotte Link • Cold Case • Die Brücke • eBooks • Hulda Hermannsdóttir • isländische Highlands • Island Noir • Knives Out • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Mordfall • Polizei Reykjavík • Spannung • Stieg Larsson • Thriller • Thriller Neuerscheinungen 2020 • Urlaubslektüre • Yrsa Sigurdardóttir
ISBN-10 3-641-25173-7 / 3641251737
ISBN-13 978-3-641-25173-4 / 9783641251734
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