John Sinclair 2135 (eBook)

Aus den Tiefen des Hades

(Autor)

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2019 | 1. Aufl. 2019
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-8174-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

John Sinclair 2135 - Rafael Marques
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Aus den Tiefen des Hades

Das schrille Klingeln riss Randall Pearce aus dem Schlaf.
Er fluchte. Mehr über sich selbst, weil er über seinem Schreibtisch eingeschlafen war. Er stöhnte und stemmte sich hoch.
Wieder klingelte es.
Erst langsam wurde ihm bewusst, dass jemand die Türglocke betätigt hatte. Sein Blick fiel auf die Armbanduhr, die neben dem Stapeln Papiere lag, den er bearbeitet hatte.
Es war bereits eine Minute vor Mitternacht ...

2. Teil eines Zweiteilers

Wer, zum Henker, klingelte um diese Uhrzeit an der Tür? Einer seiner Studenten, der sich einen Scherz erlaubte? Kandidaten wüsste er dafür genug, nur kannte so gut wie niemand seine Adresse. Randall lebte sehr zurückgezogen in seiner viktorianischen Villa am Stadtrand von London, die ihm so ein herrliches Rückzugsgebiet zu dem Trubel des University College bot.

Als es zum dritten Mal klingelte, fluchte er. »Ist ja gut, verdammt.«

Er war verschlafen, aber er war nicht dumm. Niemand, der bei normalem Verstand war, dachte daran, ihn um Mitternacht zu besuchen. Seine Gedanken blieben bei einem Einbrecher hängen. Er hatte schon von Fällen gehört, in denen besonders alte Menschen auf diese Weise aus dem Bett gelockt worden waren, um sie dann zu überfallen.

»Ich bin noch nicht alt, ihr Dreckskerle«, murmelte er und zog eine der Schreibtischschubladen auf.

Der silberne Colt hatte einmal seinem Großvater gehört, der von sich behauptete, den Wilden Westen noch erlebt zu haben. Randall musste bei dem Gedanken daran lächeln. Er griff nach der Waffe und stand auf.

Leicht schwankend verließ er sein Arbeitszimmer und schlich durch den Flur. Das Licht schaltete er absichtlich nicht an. Derjenige, der vor der Tür wartete, sollte keine Ahnung davon haben, dass er bereits in der Nähe war.

Draußen tobte ein Gewitter. Unaufhörlich prasselte der Regen gegen die Scheiben und ließ sie erzittern. Hin und wieder zuckte ein Blitz durch die düsteren Wolkenberge und riss die gewaltigen Gebilde aus der Finsternis, die sich am Himmel auftürmten.

Randall wandte sich von dem Fenster ab und näherte sich der Tür. Durch einen Spion war es ihm möglich, einen Blick auf die kleine Treppe zu werfen, die zu seiner Wohnungstür hinaufführte.

Augenblicklich zuckte er zurück. Etwa einen Meter von der Tür entfernt stand eine düstere Gestalt. Da sie eine Kapuze über ihren Kopf gezogen hatte, konnte er ihr Gesicht nicht erkennen. Mit beiden Händen hielt sie ein in Plastik eingepacktes Paket fest.

Randall Pearce schüttelte den Kopf und presste sich mit dem Rücken neben die Tür. Dabei entsicherte er den Colt. Wenn das ein Postbote war, war er ein Erstsemester. Um diese Zeit lieferte niemand ein Paket an. Also konnte es sich tatsächlich nur um eine Falle handeln.

Während es ein viertes Mal klingelte, ging Randall all seine Möglichkeiten durch. Er konnte einfach nichts tun, nur abwarten, die Polizei rufen oder die Sache selbst klären. Sein Atem ging schwer. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Er verfluchte sich selbst dafür, dass er in den letzten Jahren an Gewicht zugelegt hatte. Sein Herz hatte früher nicht so schnell und heftig geschlagen.

Trotz oder gerade wegen seiner Schwäche entschied er sich für die dritte Möglichkeit.

»Wer ist da?«, rief er dem unheimlichen Fremden zu. Er wusste, dass man ihn durch die Tür hindurch gut hören konnte.

»Ein Paket für Sie, Professor Doktor Pearce«, erklang die emotionslose Stimme des Fremden.

»Etwas spät für einen Paketdienst, oder?«

»Ich bin kein Paketdienstleister, sondern ein Privatmann. Jemand hat mich gebeten, Ihnen dieses Paket zu liefern.«

»Und wer?«

»Doktor Danielle Hawkins.«

Dr. Randall Pearce zuckte unwillkürlich zusammen. Mit der Nennung dieses Namens hatte der Fremde bei ihm einen Nerv getroffen. Danielle war für ihn wie eine Tochter. Zunächst war sie nur eine Studentin aus einfachem Hause gewesen. Nach einigen Wochen schon hatte er ihr Talent für die Archäologie und Philologie entdeckt und wo es nur ging gefördert. Schließlich hatte sie ihren Abschluss als Beste ihres Jahrgangs gemacht und später sogar eine perfekte Doktorarbeit abgeliefert.

Mehrere Jahre hatten sie eng zusammengearbeitet, bis Danielle eine Familie gegründet hatte und nach Glasgow gezogen war. Vor einem Jahr hatte er davon erfahren, dass ihre Tochter Cathlyn bei einem schrecklichen Autounfall ums Leben gekommen war. Daraufhin hatte sie sich vollkommen aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Ihr letztes Lebenszeichen, war tatsächlich ihre kurze Begegnung bei Cathlyns Beerdigung gewesen.

»Sie kennen Doktor Hawkins?«, fragte Randall nach langem Zögern.

»Wir sind Kollegen – und Freunde. Sie vertraut mir wie kaum einem anderen. Und sie hat mir auch gesagt, wie misstrauisch Sie Fremden gegenüber sind. Deshalb werde ich das Paket jetzt einfach vor Ihrer Tür ablegen und wieder gehen. Sie können selbst entscheiden, ob Sie es öffnen oder nicht. Sie sollten nur wissen, dass es für Doktor Hawkins sehr wichtig wäre, wenn Sie sich die Stücke einmal ansehen.«

Kurz nachdem die Worte des Fremden verklungen waren, hörte Randall, wie sich seine Schritte langsam entfernten. Als er erneut einen Blick durch den Türspion warf, war von ihm schon nichts mehr zu sehen.

Der Name seiner Ziehtochter beruhigte ihn zumindest einigermaßen. Er legte den Colt auf der kleinen Kommode neben der Tür ab und drehte den Knauf herum. Direkt vor der Tür lag tatsächlich das Paket. Durch den Plastiküberzug war es glücklicherweise vor dem Regen geschützt, der dank des Windes bis in sein Gesicht peitschte.

Er fluchte, zog das Paket zu sich herein und schlug die Tür hinter sich zu. Während er wieder zurück in sein Arbeitszimmer ging, das vor alten Schriftstücken und Steintafeln geradezu überquoll, zog er den Plastiküberzug ab. Einen Adressaufkleber fand er nicht, was die Aussage des Boten bestätigte.

Danielle lebte sehr zurückgezogen, so viel wusste er zumindest. Bei der Beerdigung hatte sie ihm gegenüber angedeutet, sich für eine Weile – vielleicht auch für immer – nach Griechenland zurückzuziehen. Seitdem herrschte zwischen ihnen Funkstille.

Randall nahm sich ein Teppichmesser und schnitt die Pappschachtel auseinander. Neben einem Briefkuvert enthielt das Paket einige zusammengefaltete Schriftstücke sowie zwei in Zeitungspapier eingewickelte Bruchstücke eines Spiegels. Schon auf den ersten Blick sah er, dass sich auf der glatten Oberfläche eine Art Schriftzug abzeichnete.

Zunächst einmal kümmerte er sich um den Brief. Er öffnete das Kuvert, faltete die handgeschriebene Botschaft auseinander, setzte seine Lesebrille auf und begann zu lesen:

Lieber Randall,

es ist lange her, seit wir uns das letzte Mal gesprochen haben, und es tut mir unendlich leid, dass ich den Kontakt zu dir abgebrochen habe. Ich weiß, wie viel ich dir bedeute, und du weißt, dass es noch immer auf Gegenseitigkeit beruht. Aber es ging nicht anders, ich musste Abstand gewinnen und Ruhe finden. Dank Joe bin ich inzwischen wieder in der Lage, meiner Berufung nachzugehen.

Wenn du diesen Brief liest, hat dir Nico das Paket übergeben. Die Münzen, die du auf den Abbildungen sehen wirst, habe ich ebenso wie die Spiegelscherben in einer Höhle auf einer unbewohnten Felseninsel der südlichen Kykladen entdeckt. Wenn du dich an meine einzige Schwäche erinnern solltest, wirst du auch wissen, welche Schriftsprache sich auf den Fundstücken abzeichnet. Ich habe zwar eine Übersetzung angefertigt, aber da ich weiß, dass du der weltgrößte Experte auf diesem Gebiet bist, bitte ich dich inständig, unabhängig von mir die Texte noch einmal zu übersetzen.

Versuche nicht, mit mir in Kontakt zu treten. Ich werde wieder auf dich zukommen.

Vielen Dank, mein Freund!

Danielle

Dr. Randall Pearce konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Weltgrößter Experte«, murmelte er. »Alte Schleimerin. Ich verspreche dir, ich werde mein Bestes geben …«

Eigentlich hatte er angekündigt, sich die nächsten Wochen ganz um die Korrektur der Prüfungen zu kümmern und deshalb dem University College fernzubleiben, doch aufgrund von Danielles Bitte zog er diese Aussage schnell wieder zurück. Den ganzen folgenden Tag über quartierte er sich in der philologischen Abteilung seines eigenen Instituts ein, um schnellstmöglich zu einem Ergebnis zu kommen.

Dass sich das Gewitter seitdem nicht zurückgezogen hatte, war ihm egal. Er beachtete kaum, dass die Dunkelheit bereits wieder ihre Schatten über den altehrwürdigen Ziegelsteinbau warf, die alten Ahornbäume sich im Wind bogen und kleine Hagelkörner gegen die Fenster schlugen.

Er hatte nur Augen für Danielles Funde. Mit jeder Stunde, in der er sich länger mit ihnen beschäftigte, begann er mehr zu ahnen, wie wertvoll diese Artefakte waren. Natürlich hatte er sich sofort an Danielles einzige Schwäche, wenn man diese denn als solche bezeichnen wollte, das Mykenische Griechisch erinnert.

Die älteste in Schriftstücken nachweisbare Sprache Griechenlands, die bereits vor knapp 3600 Jahren entstanden war, stellte für jeden Philologen einen Albtraum dar, da sie aufgrund von Ungenauigkeiten in der Klangfolge und der auf den ersten Blick wirr erscheinenden Orthografie häufig nur ungenau übersetzt werden konnte.

Dr. Randall Pearce gehörte wirklich zu den weltweit anerkannten Experten auf diesem Gebiet. Trotzdem stellte es immer wieder aufs Neue eine Herausforderung dar, die uralten Schriftsätze zu übersetzen. Er benötigte all seine Aufzeichnungen sowie Beispielübersetzungen der zahlreichen Tontafeln, die die letzten Zeugnisse dieser im allgemeinen Gebrauch längst verloren gegangenen Sprache darstellten.

Dass sein Hemd schweißgetränkt und sein Mund trocken wie selten waren, interessierte ihn nicht. Er war so vertieft in seine Arbeit, dass er alles um sich herum vergaß. In diesen Momenten fühlte er sich wieder wie der kleine Student, der...

Erscheint lt. Verlag 11.6.2019
Reihe/Serie John Sinclair
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2017 • 2018 • Abenteuer • Academy • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • e Book • eBook • E-Book • e books • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horrorthriller • Horror-Thriller • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony Ballard • Tony-Ballard • Top • Walking Dead
ISBN-10 3-7325-8174-8 / 3732581748
ISBN-13 978-3-7325-8174-0 / 9783732581740
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