Mörderische Gischt
Francke-Buch (Verlag)
978-3-96362-082-9 (ISBN)
Dani Pettrey ist für ihre spannenden Romane mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Im deutschsprachigen Raum ist bisher ihre sehr erfolgreiche Alaska-Serie rund um die fünf McKenna-Geschwister erschienen. Sie ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Maryland.
Kapitel 1 Er lauerte hinter der kalten, rostigen Boje und wartete auf sie. Rasch warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. Sie müsste jeden Moment auftauchen. Sein Atem ging flach, jede Faser seines Körpers war angespannt. Ihm blieben nur wenige Sekunden, ein kurzer Augenblick, um anzugreifen. Danach würde er unter der trüben Wasseroberfläche verschwinden. Der Sand und der Schlick, den der heranrollende Sturm aufwühlte, waren für seine Pläne perfekt. Besser hätte er es sich nicht wünschen können. Endlich lief alles so, wie es sollte! Mit einem weiteren kurzen Atemzug versuchte er, sein Herz dazu zu zwingen, kräftiger zu pumpen. Adrenalin jagte durch seine Blutbahnen. Diesen Moment hatte er in Gedanken immer wieder durchgespielt. Er war seinen Fluchtweg öfter abgeschwommen, als er an den Fingern seiner beiden Hände abzählen konnte. Jetzt hatte er es raus. Jetzt hatte er sie. Da! Eine Bewegung. Ihr Kopf drehte sich zur Seite und durchbrach für die Länge eines kurzen, kontrollierten Atemzugs nur knapp die Wasseroberfläche. Es sollte einer ihrer letzten sein. Die Strömung würde ihre Leiche zu den Sandbänken von Henry’s Point hinabtreiben und sein Verbrechen nach einem traurigen Unfall aussehen lassen. Aber die andere Schwimmerin würde bald folgen. In einigen Minuten würde auch sie um die Biegung kommen, die in die Bucht hineinführte. Diese Minuten waren das Zeitfenster, in dem er handeln musste. Sein perfektes Zeitfenster. Ihre Arme bewegten sich in einer geraden Linie geschmeidig auf die Boje zu. Ihre rechte Hand schob sich vor, um sich daran festzuhalten. Sie glaubte, die Boje wäre sicher, ein Ort, an dem sie sich ausruhen könnte. Wie sehr sie sich täuschte! Wieder tauchte ihr Kopf über dem Wasser auf. Und er schlug, ohne zu zögern, zu. Teni war heute nicht in Form. Wie sollte das nach dem, was gerade zwischen ihr und Alex passiert war, auch anders sein? Sie kämpfte gegen die vom Sturm aufgepeitschten Wellen an, um ihr Tempo zu erhöhen, obwohl sie Julia ohnehin nicht mehr einholen konnte. Aber im Moment war ihr das auch egal. Teni konnte nicht aufhören zu schluchzen, sie zitterte am ganzen Körper. Verzweifelt versuchte sie, ihre aufgewühlten Gefühle zu bezwingen und sich auf ihre Atmung zu konzentrieren. Doch in ihrem Kopf spielte sich die Szene wieder und wieder ab, ließ den Schmerz jedes Mal von Neuem in ihr aufwallen. Warum hatte er gewartet, bis sie an dem Ort eingetroffen waren, an dem die Hochzeit hätte stattfinden sollen? Warum hatte er ihr erst auf ihrer Heimatinsel gesagt, dass es zwischen ihnen aus war? Die Erinnerung hatte sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt: Wie Alex’ Blick auf seine Füße gerichtet gewesen war, bevor er den Kopf gehoben und sie wieder angeschaut hatte. »Ich denke, wir wissen beide, dass etwas nicht stimmt, spätestens seit der Verlobung.« »Alex? Wovon sprichst du?« Dabei hatte sie es genau gewusst. Schon lange hatte sich etwas falsch angefühlt, sie hatte nur nie mit Bestimmtheit sagen können, was es war. Fast abwehrend hatte er die Hand gehoben. »Du weißt, dass ich dich sehr schätze. Aber für eine Ehe reicht das nicht, Teni.« »Aber …«, hatte sie gestammelt. Warum jetzt, wo sie sich in wenigen Stunden mit dem Pfarrer treffen wollten, um den Ablauf der Trauung festzulegen? »Darf ich dich zum Abschied noch einmal umarmen?«, hatte Alex gefragt. »Ich lasse mich von Lenny nach Annapolis zurückbringen, bevor der Sturm die Insel erreicht.« Er hatte zum immer dunkler werdenden Himmel hinaufgeschaut. »Es sieht so aus, als würde der Sturm Talbot direkt treffen.« Ebenso wie ihr Herz direkt getroffen worden war. Aber wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie dieselben Bedenken gehabt hatte wie er. Sie hatte gewusst, dass sie nicht füreinander bestimmt waren, aber sie hatte nicht verstanden, warum. Vermutlich spielte das jetzt keine Rolle mehr. Egal, aus welchem Grund es nicht geklappt hatte – es war vorbei. Und das tat weh. Tapfer arbeitete sich Teni im Wasser weiter voran und schwamm mit der Strömung, während ihre Gedanken zu dem Moment zurückkehrten, in dem Alex unter den dunklen Wolken davongefahren war. Und mit ihm ihre Träume von einer Ehe. Um Teni von ihrem Schmerz abzulenken, hatte ihre Cousine Julia darauf bestanden, dass ihr traditionelles Wettschwimmen hinaus zur Barner-Boje wie geplant stattfinden sollte. Aber Teni war heute einfach nicht in der Verfassung, um mit ihr mithalten zu können. Ihr war nur noch danach, sich im Bett zusammenzurollen und ins Kissen zu schluchzen. Während sie weiterschwamm, wurde ihr langsam bewusst, dass sie einen Freund verloren hatte. Nur einen Freund, nicht mehr. Den Verlobten zu verlieren, müsste sich eigentlich ganz anders anfühlen. Was war nur mit ihr los? Warum hatte sie nie wieder so tiefe Gefühle für jemanden entwickeln können wie vor vielen Jahren für Callen Frost? Aber wollte sie das überhaupt? Diese Beziehung hatte äußerst schmerzhaft geendet. Als sie die Boje endlich erreichte, hob sie den Kopf aus dem Wasser und erwartete, eine triumphierende Julia anzutreffen. Seit Jahren schon schwammen sie auf dieser Strecke um die Wette. Heute hatte Julia sie endlich besiegt und war vor ihr am Ziel angekommen. Aber ihre Cousine war nirgends zu sehen. Seltsam. Teni warf einen Blick auf ihre Uhr. 22 Minuten. Grottenschlecht. Normalerweise legte sie die 1000 Meter zur Boje in rund 18 Minuten zurück. Julia brauchte normalerweise 20 Minuten. Teni müsste also eine oder zwei Minuten hinter ihr liegen. Julia war in der Bucht an ihr vorbeigezogen und sie hätte es doch bestimmt gemerkt, wenn sie ihre Cousine danach noch einmal überholt hätte. Teni hielt sich an der Boje fest und umrundete sie. »Julia?«, schrie sie, um die rauschenden Wellen zu übertönen. »Julia? Wo bist du?« Julia wäre auf keinen Fall umgekehrt und zurückgeschwommen, ohne auf Teni zu warten und eine kurze Pause einzulegen. So machten sie es schließlich immer. Tenis Blick fiel auf die früher einmal weiße Boje, die jetzt schmutzig grau war. Aber ihre Aufmerksamkeit galt gar nicht der Boje selbst, sondern vielmehr dem leuchtend roten Fleck auf dem rostigen Griff, an dem sie sich immer festhielten, wenn sie vor dem Rückweg verschnauften. Sie schluckte und Panik schoss durch ihre Adern. Aus der Ferne näherte sich ein Boot, aber sie beachtete es kaum, weil sie sich ganz auf die Suche nach ihrer Cousine konzentrierte. »Julia!« Sie tauchte unter, konnte aber nichts sehen. Nur die weiß schäumende Gischt, die das Wasser unter der Oberfläche trübte. Hektisch tauchte sie wieder auf und atmete tief ein. Die Panik, die plötzlich ihren ganzen Körper erfasste, ließ sich kaum zurückdrängen. Alles ist in Ordnung. Julia hatte wahrscheinlich nur beschlossen, diesmal auf das Ausruhen zu verzichten und lieber sofort den Rückweg zum Ufer anzutreten. Immerhin kam der Sturm immer näher. Und das, was da an der Boje wie Blut aussah … Teni warf wieder einen Blick auf das Rot, das jetzt von den Wellen weggespült wurde. Hatte Julia sich verletzt? »Julia?«, schrie sie wieder. Etwas drängte sie zu bleiben. Weiterzusuchen. »Teni?« Beim Klang dieser Stimme erstarrte sie. Es war das erste Mal seit über einem Jahr, dass sie sie hörte. Callen. Nicht ausgerechnet jetzt! Sie schluckte und drehte sich um. Sein Boot schaukelte nur wenige Meter hinter ihr auf dem Wasser. »Was machst du hier draußen?«, rief er. Der Regen setzte ein und der Wind trieb weiße Schaumkronen über ihr Kinn, während sie sich bemühte, ihren Kopf über Wasser zu halten. »Julia und ich …« »Euer Wettschwimmen?« Sie nickte. »Und was machst du hier draußen?« »Ich sammle meine Krebskörbe ein, bevor der Sturm richtig loslegt.« Callen deutete zu den Metallkörben, die die Krebse anlockten, sie aber nicht wieder hinausließen. Dann runzelte er die Stirn. Seine Augen und die dunklen Brauen hatten immer noch dieselbe Farbe wie der Nachthimmel über Talbot. »Stimmt etwas nicht?« »Ich kann Julia nicht finden und an der Boje war etwas, das sehr nach Blut ausgesehen hat.« »Glaubst du, sie hat sich in die Hand geschnitten? Ich habe euch schon immer gesagt, dass diese Boje eine Rostbeule ist.« Teni schüttelte den Kopf. »Das habe ich im ersten Moment auch gedacht. Aber dafür war es zu viel Blut und es sah auch nicht nach einem Handabdruck aus.« Callens Augen verengten sich zu Schlitzen. Diese Augen hatten sie früher immer fasziniert. »Was denkst du?« Sie schluckte. Was dachte sie? Sie dachte wie eine Polizistin – mit all ihrer Erfahrung bei der Umwelt- und Wasserschutzpolizei samt Spezialisierung auf Unterwasserermittlungen – aber gleichzeitig wie jemand, der einen Angehörigen vermisste. Berufsbedingtes Wissen gepaart mit persönlichen Gefühlen führte manchmal dazu, dass man überreagierte. »Vielleicht ist es völlig übertrieben, aber ich habe ein ungutes Gefühl. Ich glaube nicht, dass Julia zurückgeschwommen ist, ohne eine oder zwei Minuten auf mich zu warten. Und schon gar nicht, wenn sie verletzt sein sollte.« Callen beugte sich über den Bootsrand, legte die Hände unter ihre Arme und zog sie in sein Boot hinauf. Es war das erste Mal seit jenem verhängnisvollen Tag vor fast zehn Jahren am Strand, dass er sie in den Armen hielt. »Was soll das denn werden?«, fragte sie. »Ich helfe dir, Julia zu finden.« »Ich kann sie besser finden, wenn ich im Wasser bin.« Das Wasser war ihr Element und er war der Letzte, dessen Hilfe sie wollte. »Glaubst du wirklich, dass das angesichts des aufziehenden Sturms die beste Vorgehensweise ist?« Nein. Sie reagierte emotional. Sie musste sich beruhigen. Sich konzentrieren. Warum nur musste ausgerechnet Callen hier auftauchen?
Erscheinungsdatum | 29.08.2019 |
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Reihe/Serie | Kleine Auszeit Roman |
Übersetzer | Silvia Lutz |
Sprache | englisch |
Original-Titel | Deadly Isle |
Maße | 125 x 187 mm |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Detektivgeschichte • Krimi • Mord • Roman • Spannung • Verbrechen |
ISBN-10 | 3-96362-082-X / 396362082X |
ISBN-13 | 978-3-96362-082-9 / 9783963620829 |
Zustand | Neuware |
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