Anja Rützel über Take That (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
160 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31993-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Anja Rützel über Take That -  Anja Rützel
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Anja Rützel über Take That. 1996 musste Anja Rützel zwei Mal bitterlich weinen: um ihr eingestelltes Lieblingsmagazin Tempo - und um ihre aufgelöste Lieblingsband Take That. Aus ihren Liedern hatte sie alles gelernt, was man über das Suchen und Erfinden der Liebe wissen muss. Aus der Trennung und der glücklichen Wiedervereinigung lernte sie dann alles über Hass und Versöhnung. Und über würdevoll cooles Erwachsenwerden im Pop und anderswo.

Anja Rützel träumte von einem eigenen Hund, seit sie sechs Jahre alt war. Heute lebt sie mit ihrem Podenco-Mix Juri in Berlin und denkt immer häufiger darüber nach, endlich aufs Land zu ziehen, um sich dann dort mit einem ganzen Rudel aufgeklaubter Straßenhunde umgeben zu können. »Schlafende Hunde« ist ihr fünftes Buch.

Anja Rützel träumte von einem eigenen Hund, seit sie sechs Jahre alt war. Heute lebt sie mit ihrem Podenco-Mix Juri in Berlin und denkt immer häufiger darüber nach, endlich aufs Land zu ziehen, um sich dann dort mit einem ganzen Rudel aufgeklaubter Straßenhunde umgeben zu können. »Schlafende Hunde« ist ihr fünftes Buch.

Inhaltsverzeichnis

Mark Owen


Die schmutzige Spitzmaus

Möglichst unauffällig stülpte ich meine Unterlippe nach Art einer Muräne nach vorne und versuchte, mit jedem Einatmen so viel Luft wie möglich in meinen Mund zu schaufeln. Ich besichtigte gerade Cawdor Castle, ein kleines, schottisches Schloss ganz in der Nähe des Loch Ness, den ich in den vergangenen Tagen im Rahmen meiner konditionellen Möglichkeiten umwandert hatte. Auf dem Rückweg zum Flughafen war noch Zeit für eine kleine Schlossbesichtigung. Ich liebe Schlösser, einer meiner schönsten Urlaube war eine rentnermäßige Loire-Reise, bei der ich jeden Tag drei verschiedene Adelsresidenzen besichtigte, ein Traum. Cawdor Castle wollte ich gern besuchen, weil hier ein besonderes Gemälde von Sir Edwin Landseer hängt, eines Künstlers, der im 19. Jahrhundert vor allem schottische Landschaften und die Hunde reicher Engländer malte (er gab sogar dem schwarz-weiß-gefleckten Farbschlag des Neufundländers seinen Namen, weil er eines dieser herrlich plumpen Tiere in staunenswert erhabener Pose verewigt hatte). Als Queen Victoria einmal ein Weilchen auf Cawdor Castle zu Besuch war, ließ sie danach den geliebten Terrier der Schlossherrin kidnappen, damit Landseer ihn als Überraschung für sein Frauchen porträtieren konnte, was natürlich in gleichen Teilen absolut grausam und total nett ist.

Als ich schließlich vor besagtem Hundebild stand, war ich erst etwas grämlich, weil neben mir zwei klischeehaft fozziebärfarben fakegebräunte Engländerinnen so laut gackerten, dass mein Kunstgenuss erheblich gestört wurde. Dann bekam ich aber mit, dass sie sich darüber unterhielten, dass 2009 genau hier, auf Schloss Cawdor, Mark Owen geheiratet hätte. Ich googelte hektisch, es stimmte, und ich verwandelte mich in den bereits erwähnten Schnappfisch, um mir mit dieser Atemtechnik möglichst viele Markmoleküle einzuverleiben.

Ich habe irgendwann einmal gelesen, jeder Atemzug, den man so tut, könnte durchaus ein Molekül des letzten Ausatmers von Julius Cäsar enthalten, und seither bin ich besessen von der Idee des stofflichen Austauschs und der schnaufermäßigen Konsumierung von Prominenten, die aus verschiedenen Gründen körperlich gerade nicht präsent sind. Meistens schert es mich nicht weiter, wessen Atemabfall ich so wegnäsele, aber nun war ich ähnlich aufgeregt wie vielleicht zuletzt vor siebzehn Jahren bei einem Besuch von Thomas Bernhards Vierkanthof in Ohlsdorf, wo ich in einem unbeobachteten Moment rasch verbotenerweise in einen seiner noch herumliegenden Handschuhe schlüpfte, garantiert randvoll mit DNA-Resten. Ich zähle das als Quasi-Händedruck, und ich führe meinen Besuch auf Cawdor Castle in etwas großzügiger Auslegung als eine Art Fern-Mund-zu-Mund-Beatmung.

Ich liebe Mark, weil ich auch Eichhörnchen und Cockerspanielwelpen liebe. Ich bin auch nur ein Mensch und nicht immun gegen Niedlichkeitsattacken. In der Diversifizierungsstrategie der Band übernahm Mark die Rolle des putzigen kleinen Tierchens, er war die Spitzmaus, das Zuckerpüppchen, das Babe-Babe, der schmale, kleine, ewige boy. Das harmlos-hübsche Flauscherotikangebot für jene Mädchen und Jungs, denen der Howard’sche Bühnensex ein bisschen zu hardcore war, Vertreter einer nagermäßig-handzahmen, ungefährlichen Männlichkeit. Dass ausgerechnet Mark schließlich 2010 in einem unerwarteten Plottwist öffentlich gestand, er habe zu den goldenen Zeiten von Take That mindestens zehn außereheliche Affären gehabt und an Alkoholsucht gelitten, dass er inzwischen ein bisschen aussieht wie ein Konfirmand, der sich als abgewirtschaftete Halbweltfigur (mit Anklebe-Schnurres) verkleidet hat, hat meine Zuneigung wahrscheinlich noch größer gemacht: Weil das Owen’sche Gesamtwerk jetzt eine zwar leicht angeschrappte, aber immer noch hübsche Erinnerung daran ist, dass alle Menschen ihre Abgründe haben. Auch die niedlichen.

Anfang der Neunzigerjahre zog ich einmal zwei Ausgaben des offiziellen Take-That-Fanclub-Magazins aus dem Altpapiercontainer, ich hüte sie heute noch, obwohl sie inzwischen leicht angewest riechen. In einer Ausgabe gibt es ein langes Interview mit Mark, aus dem ich mir die entscheidende Information gemerkt habe, dass er sich in den Anfangstagen von Take That einen Golf kaufte, aber trotzdem seinen Ford Fiesta behielt, damit das alte, ausgemusterte Auto nicht gekränkt wäre, dass er jetzt aber darüber nachdenke, es seinem Nachbarn zu schenken, weil das Auto sich vielleicht nutzlos vorkomme, wenn es nur ungefahren vor seinem Haus stünde, es dann aber trotzdem in seiner Nähe sei und er ihm gelegentlich winken würde.

Es klingt kindisch, albern und oberflächlich, dass ich meine Sympathie und mein Fansein auf solchen plapperigen Schnurzigkeiten begründe, weil es natürlich wirklich kindisch, albern und oberflächlich ist. Genau das macht meine Liebe zu Take That, verglichen mit meinem restlichen Kunstverehrungssortiment, für mich anders und einzig. Andere Bands liebe ich wegen ihrer smarten Texte, ihres weltzerschmetternden Radaus, ihrer grabesschweren Harmonien oder aus anderen nachvollziehbaren, mit Erwachsenen-Argumenten erklärlichen Gründen, die ich jederzeit zu einem feuilletonistisch gedachten Textchen zusammenschreiben könnte, ohne mich komplett lächerlich zu machen. Meine Liebe zu Take That aber ist eine Teenieliebe, hysterisch irrational, die sich an Quatschdetails aufhängt, kritikrelevante Vergleichssysteme ausknipst und sich einfach mal glühwangig gehen lässt, ohne bang nachzudenken, wie sie das alles denn bitte schön Diedrich Diederichsen erklären soll. Und bei der die Musik manchmal vielleicht sogar fast nebensächlich wird, weil sie nicht nur die Lieder der Band liebt, sondern ihr ganzes System, ihre angetackerten Ideen und Chiffren. Neben meiner großen Liebe zu den Tieren ist meine Zuneigung zu Take That womöglich das letzte Restchen nicht laminierte Naivität, die in meinem verklärungsarmen, allzeit spöttelbereiten Leben noch Platz hat, das Fitzelchen ungehemmte Weltverkitschung, das mir im Erwachsenenleben nicht abhandengekommen ist, und ich passe gut auf, dass ihr nichts passiert, wie auf das letzte Stückchen Eierlikörkuchen in meinem Tiefkühler, das noch meine Lieblingstante Lisa gebacken hat, die jetzt nicht mehr lebt.

Mark, der professionelle Süßi, war jedenfalls immer schon der verlässlichste Lieferant für Schwärme-Rohmasse, so geschmacksvielfältig wie eine Packung Quality Street. Seine geraffte Lebensgeschichte ist eine Reihe von Putzigkeiten: Die erste Single, die er sich vom Taschengeld kaufte, war die Titelmelodie von E. T. Im Schultheaterstück spielte er Jesus. Als Teenager jobbte er als Teaboy in den Strawberry Studios in Stockport, und er MUSS dabei einfach eine klitzekleine, von Wes Anderson persönlich mit der Nagelschere zugeschnittene und handpaspelierte Pagenuniform getragen haben. In diesem Tonstudio traf er Ende der Achtzigerjahre dann Gary Barlow, der dort sein beim BBC-Weihnachtsgesangswettbewerb gewonnenes Preisgeld für Demoaufnahmen ausgab. Gemeinsam gründeten sie die Band The Cutest Rush, die aber nie öffentlich aufgetreten sein soll.

Damit kann ich mich absolut identifizieren, denn ich hatte selbst schon zwei Bands, die es niemals auf eine Bühne schafften: Die erste hieß Der kleine Pauli, und unser Paradestück war ein französisches Lied, dessen Refrain aus den Titeln der wichtigsten poststrukturalistischen Werke zusammengebaut war – très 1998, très Tübinger Studentenquark. Etwas später kam Myspace, wo man der Legende nach ganz leicht als Musiker entdeckt und sofort ein Star werden konnte, wie es den Arctic Monkeys passiert war. Ich operierte inzwischen solo und hatte mich auf dilettantischen Hörnchengesang verlegt. Mit kleinen Rumfummeleien im Musikprogramm Garage Band pitchte ich meine Stimme in solche Quietschehöhen, dass sie nach kleinen Backentierchen im Zuckerschock klang. Nicht mehr schief, sondern niedlich. Der Name meines Soloprojekts war Wir sind Hörnchen, denn mein bestes Lied war ein Nager-Cover von Wir sind Heldens Denkmal, das wirklich sehr viel besser klingt, wenn kleine Tierchen mehrstimmig Hol den Vorschlaghammer! quieken. Ansonsten produzierte ich vor allem rührende Meerschweinchenversionen von Conor-Oberst-Liedern. Auf Myspace bekam ich tatsächlich kleinen Zuspruch, es wurde sogar Radio Fritz auf mich aufmerksam und spielte das Hörnchen-Denkmal in einer Sendung. Ich sollte schließlich sogar bei einem lokalen Festival des Senders auftreten. Es scheiterte daran, dass ich kein Eichhörnchenkostüm in Erwachsenengröße auftreiben konnte.

Mark hingegen schaffte es, bei Take That zu landen. Er schickte mit seinem Lächeln Mädchen in die Ohnmacht und weckte andere mit einer Sprachnachricht aus dem Koma. Wenn er auf der Bühne ein bauchfreies Shirt trug, was öfter vorkam, konnte man gelegentlich ein Flossenstück von dem Delfin sehen, den er auf seine Leiste tätowiert hatte.

1993 schlug mit Babe die Stunde seines großen Soloauftritts. Viel Gesangsraum gab es für die anderen sonst nicht neben Gary, aber diese getragene Ballade über ein nicht ganz umstandsloses Wiedersehen mit der Geliebten nach einigen Jahren der Nicht-Kommunikation wäre mit dem klassischen Barlowschmelz wirklich rettungslos überschmalzt gewesen. Marks vergleichsweise dünnes, leicht windverwehtes Stimmchen passt besser zu der Erzählung des ungebeten aufkreuzenden Heimkehrers, der an der ehemaligen Adresse der Verflossenen überraschend einen alten...

Erscheint lt. Verlag 10.10.2019
Reihe/Serie KiWi Musikbibliothek
KiWi Musikbibliothek
KiWi Musikbibliothek
Zusatzinfo 2-farbig
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte 90er Jahre • Auflösung • Ausstieg Robbie Williams • Back for Good • Boygroup • Lieblingsband • Musik • Musikbibliothek • Musikreihe • Take That-Reunion
ISBN-10 3-462-31993-0 / 3462319930
ISBN-13 978-3-462-31993-4 / 9783462319934
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