Tagebuch eines Killerbots (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019
576 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-24951-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tagebuch eines Killerbots - Martha Wells
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In der fernen Zukunft hat sich die Menschheit in der gesamten Galaxis ausgebreitet. Interstellare Megakonzerne haben mithilfe von seelenlosen Kampfrobotern alles unter ihre Kontrolle gebracht. Einer dieser Bots wurde nun ausgemustert und soll ein Team von Wissenschaftlern auf ihren gefährlichen Missionen beschützen. Also ein denkbar schlechter Zeitpunkt für den Bot, um ein eigenes Bewusstsein zu erlangen und über die eigene Rolle im Universum nachzudenken ...

Martha Wells ist »New York Times«-Bestsellerautorin und hat eine Vielzahl an Science-Fiction- und Fantasy-Romanen und -Kurzgeschichten sowie Jugendbücher, Film- und TV-Tie-ins wie »Star Wars«, »Stargate: Atlantis« und Essays geschrieben. Ihr Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet. »Tagebuch eines Killerbots« wurde für den Philip K. Dick Award nominiert und gewann den Nebula Award, Hugo Award, ALA/YALSA Alex Award und Locus Award. Martha Wells lebt mit ihrer Familie in College Station, Texas.

1

Nach dem Hacken meines Chefmoduls hätte ich glatt zum Massenmörder werden können, aber dann war mir klar geworden, dass ich auf den kombinierten Feed der Entertainmentkanäle zugreifen konnte, der über Firmensatellit reinkam. Seitdem waren gut 35.000 Stunden mit eher wenig Mordtaten vergangen, aber wahrscheinlich auch, keine Ahnung, knapp 35.000 Stunden konsumierter Kinofilme, Serien, Bücher, Theaterstücke und Musik. Als gefühllose Mordmaschine taugte ich definitiv nicht.

Ich erfüllte auch weiterhin meine Funktion, inzwischen bei neuen Klienten. Gerade wartete ich sehnsüchtig darauf, dass Dr. Volescu und Dr. Bharadwaj ihre Prospektion beendeten und wir ins Habitat zurückkehrten, damit ich mir Episode 397 von Aufstieg und Fall des Waldmonds ansehen konnte.

Ich gebe zu, dass ich abgelenkt war. Der Auftrag war bis jetzt eher langweilig gewesen, und ich spielte mit dem Gedanken, den Statuswarnkanal nach hinten zu packen und lieber zu schauen, ob ich über den Entertainmentfeed an Musik rankam, ohne dass HabSystem die außergewöhnliche Aktivität protokollierte. Das ließ sich im Feld schwieriger bewerkstelligen als im Habitat.

Das aktuelle Erkundungsgelände bestand aus einer öden Insel in Küstennähe mit einem Auf und Ab niedriger, flacher Hügel, deren dichtes schwarzgrünes Gras mir bis an die Knöchel reichte. In Sachen Flora und Fauna war nicht viel los, bis auf eine Handvoll vogelähnlicher Viecher in unterschiedlichen Größen und einige schwebende Blasenkreaturen, die vermutlich harmlos waren. Die Küste war mit großen kahlen Kratern übersät; bei einem davon nahmen Bharadwaj und Volescu gerade Proben. Der Planet besaß einen Ring, der von unserer gegenwärtigen Position aus den Himmel beherrschte, wenn man aufs Meer hinausschaute. Diesen Himmel sah ich mir gerade an und stocherte mental im Feed herum, als der Kratergrund explodierte.

Ich hielt mich nicht mit einem verbalen Notruf auf, sondern schoss den optischen Feed meiner Feldkamera zu Dr. Mensah rüber und sprang runter in den Krater. Während ich den sandigen Hang hinuntereierte, konnte ich schon über Notkanal hören, wie Mensah jemanden anbrüllte, den Hopper hoch in die Luft zu kriegen. Sie waren rund zehn Kilometer entfernt, konnten uns also unmöglich noch helfen.

Widersprüchliche Befehle fluteten meinen Feed, aber die ignorierte ich. Selbst ohne abgesägtes Chefmodul hätte der Notfallfeed jetzt Priorität erlangt, und der war ebenfalls chaotisch. Das automatisierte HabSystem forderte Daten an und wollte mir gleichzeitig welche schicken, die ich gar nicht brauchte, und von Mensah kam die Telemetrie des Hoppers. Die brauchte ich genauso wenig, aber sie ließ sich immerhin leichter ignorieren als HabSystem, das gleichzeitig abfragen und liefern wollte.

Mitten in dem Durcheinander landete ich unten im Krater. In meine beiden Arme sind kleine Energiewaffen integriert, trotzdem griff ich nach der großen Projektilwaffe am Rücken. Der Feind, der gerade aus dem Boden geborsten war, hatte ein richtig großes Maul, also hatte ich auch Bedarf nach einer richtig großen Wumme.

Ich riss ihm Bharadwaj aus der Mundöffnung, zwängte mich ersatzhalber selbst rein und feuerte als Erstes den Schlund runter und dann nach oben, wo sich hoffentlich das Gehirn befand. Keine Ahnung, ob die Reihenfolge so stimmt; dafür müsste ich erst nochmals den Feed meiner Feldkamera abspielen. Jedenfalls hatte jetzt ich Bharadwaj, und das Vieh ging leer aus und verschwand wieder unten in seinem Gang.

Sie war bewusstlos und blutete aus schweren Verletzungen am rechten Bein und an der rechten Rumpfseite durch den Anzug. Ich ließ die Waffe im Holster einrasten, um Bharadwaj mit beiden Armen tragen zu können. Am linken Arm hatte ich den Panzer verloren und auch einiges vom darunterliegenden Fleisch, aber meine nichtorganischen Teile funktionierten noch. Wieder drang ein Schwall Befehle vom Chefmodul durch, und ich packte sie nach hinten, ohne mich erst mit der Decodierung aufzuhalten. Bharadwaj, die keine nichtorganischen Teile besaß und nicht so leicht zu reparieren war wie ich, hatte jetzt eindeutig Priorität, und mich interessierte mehr, was mir MedSystem über den Notfallfeed mitteilen wollte. Aber zuerst musste ich sie aus dem Krater schaffen.

Währenddessen hockte Volescu auf dem angesengten Felsen und hatte dichtgemacht, wobei ich durchaus mitfühlen konnte. Mich betraf diese Gefahrenlage deutlich weniger, und ich fand es hier auch nicht gerade besonders toll. »Dr. Volescu, Sie müssen mich jetzt begleiten.«

Er reagierte nicht. MedSystem empfahl eine Beruhigungsspritze und blablabla, aber ich presste bereits einen Arm um Dr. Bharadwaj, damit sie in ihrem Anzug nicht verblutete. Mit der anderen Hand stützte ich ihren Kopf, und mehr als zwei Hände sind mir nicht gegeben. Ich sagte meinem Helm, dass er sich zusammenlegen sollte, damit Volescu mein Menschengesicht sehen konnte. Ein schwerer Fehler, falls der Feind zurückkam und mich erneut biss; ich brauchte die organischen Teile meines Kopfes schließlich. Ich gestaltete meine Stimme fest, freundlich und sanft und sagte: »Dr. Volescu, alles wird gut, okay? Aber Sie müssen jetzt aufstehen und mir dabei helfen, Ihre Kollegin hier rauszuschaffen.«

Das drang durch. Er kämpfte sich hoch und stolperte zu mir herüber. Er zitterte noch immer. Ich wandte ihm meine unversehrte Seite zu und sagte: »Nehmen Sie meinen Arm, okay? Schön festhalten.«

Er schaffte es, sich unterzuhaken, und ich zog ihn den Krater rauf, während ich Bharadwaj an meine Brust drückte. Ihre Atmung war rau und verzweifelt, und ich bekam null Infos von ihrem Anzug. Meiner war über der Brust zerrissen, also zog ich meine Körperwärme hoch, weil das vielleicht half. Der Feed hatte sich inzwischen beruhigt; offensichtlich konnte Mensah mit ihren Führungsrechten alles außer MedSystem und dem Hopper stummstellen, und über den Hopperfeed war nur zu hören, wie alle einander hektisch anzischten, still zu sein.

Ich fand in der Kraterwand schlecht Halt – weicher Sand und lose Kiesel –, aber meine Beine hatten nichts abbekommen, und ich schaffte die beiden Menschen lebend raus. Volescu wollte sich gleich wieder hinsetzen, aber ich lockte ihn noch ein paar Meter vom Rand weg für den Fall, dass dieses Ding da unten eine größere Reichweite hatte als angenommen.

Ich wollte Bharadwaj nicht hinlegen, weil in meinem Bauch irgendwas ernsthaft kaputt war und ich nicht wusste, ob ich sie anschließend noch mal hochbekam. Ich spulte meine Feldkamera ein Stück zurück und sah, dass ich von einem Zahn oder vielleicht einer Cilie durchbohrt worden war. Meinte ich eine Cilie, oder war das was anderes? Killerbots bekommen einfach keine anständigen Bildungsmodule, außer es geht ums Töten, und selbst dann sind es nur die Billigversionen. Ich suchte gerade im Sprachenzentrum von HabSystem, als nahebei der kleine Hopper runterkam. Während er im Gras aufsetzte, ließ ich den Helm zugehen und undurchsichtig werden.

Wir verfügten über zwei Standardhopper: einen großen für Evakuierungen und diesen kleinen für die Erkundungen. Er bot in der Mitte eine geräumige Kabine für die menschliche Crew und außen zwei Kammern für Ladung, Material und mich. Mensah saß am Steuer. Ich stiefelte los, langsamer als normalerweise, weil ich Volescu nicht verlieren wollte. Als die Rampe sich herabsenkte, sprangen Pin-Lee und Arada raus, und ich wechselte zur Sprachkommunikation. »Dr. Mensah, ich darf ihren Anzug nicht loslassen.«

Sie brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, worauf ich hinauswollte. »In Ordnung, bring sie rauf in die Mannschaftskabine.«

Killerbots dürfen nicht zusammen mit den Menschen fliegen, daher benötigte ich eine ausdrückliche Zutrittsgenehmigung. Mit meinem geknackten Chef konnte mich zwar nichts aufhalten, aber ich ließ besser niemanden merken, dass ich frei handeln konnte, erst recht nicht die aktuellen Klienten. Schon allein, um zu vermeiden, dass meine organischen Komponenten vernichtet und der Rest von mir nach Teilen ausgeschlachtet wurde, die sich vielleicht noch gebrauchen ließen.

Ich trug Bharadwaj die Rampe rauf in die Kabine, wo Overse und Ratthi hektisch Sitze entfernten, um Platz zu schaffen. Sie hatten ihre Helme abgelegt und die Anzugkapuzen heruntergezogen, sodass ich ihre entsetzten Gesichter sehen konnte, als sie durch die Löcher in meinem Anzug mitbekamen, was von meinem Oberkörper übrig war. Zum Glück hatte ich den Helm geschlossen.

Genau deshalb fliege ich lieber bei der Ladung mit. Eng an eng mit Menschen und augmentierten Menschen ist zu peinlich. Zumindest peinlich für diesen Killerbot hier. Ich setzte mich mit Bharadwaj im Schoß auf den Boden, während Pin-Lee und Arada Volescu reinschafften.

Wir ließen zwei Packs mit Feldausrüstung und einige Instrumente zurück, die immer noch im Gras lagen, wo Bharadwaj und Volescu gearbeitet hatten, bevor sie runter in den Krater gegangen waren, um Proben zu nehmen. Normalerweise trug ich diese immer mit rein, aber MedSystem, das Bharadwaj mit den Resten ihres Anzugs überwachte, stellte klar, dass es eine dumme Idee wäre, sie loszulassen. Die Ausrüstung dagegen erwähnte niemand. In einem Notfall leicht ersetzbare Gegenstände zurückzulassen mag naheliegen, aber ich hatte schon für Klienten gearbeitet, die gewollt hätten, dass ich den blutenden Menschen ablege und die Sachen reinhole.

Bei diesem Auftrag jedoch sprang Dr. Ratthi auf und sagte: »Ich hole die Kisten!«

»Nein!«, rief ich, was ich nicht hätte tun sollen; ich soll immer respektvoll mit den Klienten reden, selbst wenn sie sich aus Gedankenlosigkeit gerade umbringen wollen. HabSystem könnte dergleichen...

Erscheint lt. Verlag 14.10.2019
Reihe/Serie Killerbot-Reihe
Killerbot-Reihe
Übersetzer Frank Böhmert
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Murderbot Diaries: All Systems Red, Artificial Condition, Rogue Protocol, Exit Strategy
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Androiden • diezukunft.de • diezukunft.de (418) • eBooks • Ferne Zukunft • Ferne Zukunft (154) • Hugo Award • Künstliche Intelligenz • Locus Award • Nebula Award • Roboter • Sammelband • Space Opera
ISBN-10 3-641-24951-1 / 3641249511
ISBN-13 978-3-641-24951-9 / 9783641249519
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