Letzte Spur Algarve (eBook)
320 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00278-4 (ISBN)
Carolina Conrad ist das Pseudonym der aus dem niedersächsischen Oldenburg stammenden Autorin Bettina Haskamp. Die gelernte Journalistin hat ihre Basis in Hamburg, lebt aber seit 2007 in Portugal. Anfangs auf einem selbstgebauten Segelboot, inzwischen in einem kleinen Holzhaus im Hinterland der Ostalgarve. In der zweiten Heimat entstanden Bestseller wie «Alles wegen Werner» und «Hart aber Hilde» und ihre beliebte Algarve-Krimireihe um die deutsch-portugiesische Journalistin Anabela Silva.
Carolina Conrad ist das Pseudonym der aus dem niedersächsischen Oldenburg stammenden Autorin Bettina Haskamp. Die gelernte Journalistin hat ihre Basis in Hamburg, lebt aber seit 2007 in Portugal. Anfangs auf einem selbstgebauten Segelboot, inzwischen in einem kleinen Holzhaus im Hinterland der Ostalgarve. In der zweiten Heimat entstanden Bestseller wie «Alles wegen Werner» und «Hart aber Hilde» und ihre beliebte Algarve-Krimireihe um die deutsch-portugiesische Journalistin Anabela Silva.
2
Entremeado. Durchwachsener Speck. Den ganzen Tag schon hing dieses Wort in meinem Kopf fest, in dem ganz andere Worte hätten kreisen sollen. Fortsetzungsfeststellungsverfahren zum Beispiel. Oder Zeugnisverweigerungsrecht. Begriffe, die sich beharrlich weigerten, Teil meines portugiesischen Sprachschatzes zu werden, wie es für meine Onlineausbildung zur Übersetzerin nötig gewesen wäre. Fachrichtung Jura. Stattdessen also: durchwachsener Speck. Die perfekte Beschreibung für meine Gefühlslage. Seit sechs Wochen war ich wieder in Portugal. Diesmal für immer. Oder zumindest für die nächsten Jahre. Ich schwankte zwischen einem fetten Glücksgefühl und einer mageren Schicht Angst. Obenauf eine Kruste aus Beklemmung, der ich besser nicht genauer nachfühlte.
Womöglich war mein Umzug aus Hannover ins Dorf meiner Eltern ein Fehler gewesen. Wie sollte ich je gut bezahlte Arbeit finden, wenn ich die Prüfung nicht schaffte? Wie sollte ich unabhängig von meinen Eltern werden, die schon die Renovierung des Hauses bezahlten? Das Haus, das meinen verstorbenen Großeltern gehört hatte. Eigentlich bin ich Journalistin, um genau zu sein Kolumnistin. Aber die Frauenzeitschriften, für die ich bisher geschrieben hatte, waren nicht an Kolumnen einer Autorin interessiert, die im Ausland lebte. In Portugal fehlten mir die Kontakte. Mit zweiundvierzig Jahren stand ich vor einem Neuanfang, der alles andere als leicht werden würde. Im Moment lebte ich von meinem Ersparten. Und das war nicht mehr viel. Trotz alledem saß ich morgens mit Jubel im Herzen auf meiner Terrasse und badete im wunderbaren Licht der Algarve.
«Filha, du bist ja immer noch nicht weiter mit den Kisten!»
Meine Mutter war durch die offene Tür in mein kleines Heim gekommen, in dessen breitem Flur sich ebenso wie im Schlafzimmer noch Kartons stapelten. Ich saß in dem Raum, den ich zu meinem Wohn- und Arbeitszimmer auserkoren hatte. Hier war es schon wohnlich. Meine Bücher standen alphabetisch geordnet in raumhohen Regalen, gegenüber vom nagelneuen Holzofen hatte ich ein rotes Ecksofa mit bunten Kissen platziert, und am Fenster zur Wiese stand der Schreibtisch, an dem ich zu lernen versuchte.
«Die Wäschetruhen und die Nachttische sind doch noch nicht fertig, Mãe!», rief ich in den Flur. Ein Teil der alten Möbel meiner Großeltern war für meinen Geschmack zu dunkel und wirkte zu schwer, deshalb ließ ich sie in verschiedenen Pastelltönen lackieren. Die Truhen waren nicht das einzig Unfertige im Haus. Es gab noch ein fensterloses Zimmer, das mein begehbarer Kleiderschrank werden sollte. Vorausgesetzt, ich kam je dazu, es auszuräumen. Noch immer lagerten darin andere Hinterlassenschaften meiner Großeltern, von denen ich bisher nur den kleinsten Teil gesichtet hatte. Nachdem erst meine Großmutter und dann mein Großvater gestorben waren, hatten meine Eltern das Haus unverändert gelassen. Bis ich vor sechs Monaten versprochen hatte, hier einzuziehen.
Jetzt war es an mir, die letzten ihrer Habseligkeiten zu sortieren. Vielleicht konnte ich ein paar der Sachen bei OLX verkaufen, dem portugiesischen eBay-Pendant. Das meiste würde wohl auf dem Müll landen. Eines Tages.
«Warum du die Möbel überhaupt streichen lässt, ist mir ein Rätsel. Eine Sünde ist das, wenn du mich fragst. Das schöne Holz. Und schade ums Geld. Aber du musst es ja wissen.»
«Genau.» Tal mãe, tal filha. Wie die Mutter, so die Tochter. Von wegen. Wer diesen Satz in die Welt gebracht hat, ist definitiv nicht in meiner Familie aufgewachsen. Meine Mutter und ich sind uns in etwa so ähnlich wie – ich sah aus dem Fenster auf eine Herde, die dort weidete, und dachte: wie Schaf und Ziege. Sie kam ins Zimmer. «Ich habe für dich …», setzte sie an. Was sie für mich hatte, sollte ich an diesem Tag jedoch nicht mehr erfahren. Mein Telefon klingelte. Ohne auch nur auf das Display zu sehen, nahm ich den Anruf an. Im Moment war mir alles lieber, als weitere Kritik oder Ratschläge von ihr zu hören – selbst der Telefonanbieter, der mir mindestens dreimal pro Woche einen neuen Vertrag andrehen wollte und dessen Anrufe ich inzwischen normalerweise ignorierte.
«Silva.»
«Boa tarde, Dona Anabela.»
Mit dem Telefon am Ohr starrte ich noch immer auf die Viecher vor dem Fenster und hing geistig bei der wichtigen Frage fest, ob Schafe und Ziegen überhaupt biologisch verwandt sind. Womit erklärt wäre, dass ich erst in dem Moment realisierte, wer der Anrufer war, als er seinen Namen nannte.
«Hier spricht João Almeida.»
Meine Mutter behauptete später, ich hätte plötzlich einen roten Kopf bekommen. Aber das halte ich für übertrieben. In den vergangenen Monaten hatte ich das ein oder andere Mal an den Mann von der Kripo gedacht, für den ich im Mai während einer Mordermittlung als Aushilfsdolmetscherin gearbeitet hatte. Dieser Job hatte mich überhaupt erst auf die Idee mit der Onlineausbildung gebracht. War ja klar, dass ich da gelegentlich an ihn dachte. Schließlich musste ich mich mit einem Vokabular befassen, das durchaus polizeiliche Belange berührte. Na gut, das war nur die halbe Wahrheit. Ich hatte mich gern an Almeidas kleines Lächeln erinnert. Und an die letzte Frage, die er mir mit warmer Stimme gestellt hatte, ehe ich nach Deutschland flog, um dort meine Wohnung aufzulösen und mich scheiden zu lassen. «Sie kommen doch wieder, Anabela Silva?»
Und jetzt rief er an. Die Frage des Tages hieß: Warum?
«Sie! Das nenne ich eine Überraschung.»
«Eine angenehme, hoffe ich.»
«Äh, natürlich. Wie geht es Ihnen?»
«Danke, gut. Und selbst? Ich war mir nicht sicher, ob Sie tatsächlich wieder in Portugal sind.»
Während wir uns durch das höfliche Vorgeplänkel arbeiteten, das in Portugal zum guten Ton gehört, stieg meine innere Spannung. Rief er mich an, mich, Anabela Silva, die Frau? Oder Anabela Silva, die Gelegenheitsdolmetscherin? Letzteres hätte mir lieber sein sollen, schon aus Gründen der Vernunft. Aber um meine Vernunft ist es grundsätzlich nicht allzu gut bestellt.
«Ich würde Sie gern treffen», sagte er schließlich. Aus seinem Ton war beim besten Willen nichts herauszuhören. Ich gab mir einen Ruck.
«Worum geht es denn?»
«Das möchte ich gern persönlich mit Ihnen besprechen. Vielleicht könnten Sie in den nächsten Tagen nach Castro Marim kommen?»
Nach Castro Marim? Der Dienstort des Chefinspektors ist normalerweise Faro. Aber unsere erste Zusammenarbeit hatte zu großen Teilen auf der Polizeiwache in Alcoutim stattgefunden, nicht weit von meinem Dorf entfernt, im Hinterland der Ostalgarve. Dort, wo seinerzeit das Mordopfer gefunden worden war. Wieso also Castro Marim? Den Ort mit seinen beeindruckenden alten Gemäuern kannte ich nur vom Vorbeifahren auf dem Weg zur Küste.
«Anabela? Sind Sie noch dran?»
«Ja. Ja, ich bin noch dran. Einen Augenblick bitte.»
Ich öffnete schnell den Kalender in meinem Laptop. Der nächste Tag war komplett verplant. Der darauffolgende nicht. Dennoch zögerte ich. Wollte ich wirklich wissen, was João Almeida mir zu sagen hatte? Ihn wiedersehen? Aber sicher.
«Wäre Freitag früh genug, also übermorgen?»
«Ja, kein Problem.»
«Soll ich zur Polizeistation kommen?» Ich nahm an, dass es in Castro Marim ebenfalls eine gab.
«Nein, wir treffen uns bei Corvo.»
«Beim Corvo?» Beim Raben?
«Entschuldigen Sie, ich habe einen Moment lang vergessen, dass Sie ja nicht von hier sind. Corvo ist ein Supermarkt. Am besten parken Sie auf dem großen Parkplatz gegenüber dem Fußballstadion. Sagen wir, um ein Uhr?»
«Ja, in Ordnung, ich werde da sein.»
Ein Treffen im Supermarkt. Sonderbar. Das passte weder zu Dienstlichem noch zu Zwischenmenschlichem, und ich konnte mir keinen Reim darauf machen.
«Wer war denn das, Filha?»
Ach Gott, meine Mutter war ja auch noch da. Filha ist übrigens nicht mein zweiter Vorname, sondern das portugiesische Wort für Tochter.
«Ein Bekannter.»
Ganz sicher würde ich ihr nicht auf die Nase binden, wer gerade angerufen hatte. Ich selbst bin ausgesprochen neugierig, was für mich als Journalistin sozusagen Berufsvoraussetzung ist. Meine Mutter aber schlägt mich in Sachen Neugier um Längen, und das ganz ohne Entschuldigung. Hätte ich ihr gesagt, dass Chefinspektor Almeida am Telefon gewesen war, ihre Fragerei hätte in den nächsten Tagen kein Ende genommen.
«Ein Bekannter? Was für ein Bekannter? Du bist ganz rot geworden. Was ist mit der Polizei?»
Jetzt half nur Ablenkung.
«Da hast du was falsch verstanden. Du wolltest mir eben erzählen, du hättest etwas für mich?»
«Ich?»
«Ja, das hast du gerade gesagt, als das Telefon geklingelt hat.»
«Weiß ich nicht mehr. Hoffentlich geht es bei mir jetzt nicht auch los.»
«Ach Mãe, ich vergesse auch schnell was, deshalb hast du nicht gleich Alzheimer. Komm, ich mach uns einen Kaffee.»
Bei meinem Vater war vor einigen Monaten Alzheimer im Anfangsstadium diagnostiziert worden. Vor allem deshalb hatte ich mich auf ein Leben in diesem abgelegenen portugiesischen Dorf eingelassen. Ich wollte für meine Eltern da sein. Meinem Vater ermöglichen, zu Hause zu leben, solange es eben möglich war. Der Gedanke, ihn in ein Heim zu geben, behagte mir nicht.
Der andere Grund hieß Justus und war mein Exmann, der mich gegen eine kirgisische Studentin im zarten Alter von einundzwanzig Jahren ausgetauscht und so mein Leben komplett auf den Kopf gestellt hatte. In Hannover, dort, wo ich geboren und aufgewachsen bin. Meine Eltern sind Ende der 60er Jahre nach Deutschland ausgewandert und kurz vor meinem Abitur nach...
Erscheint lt. Verlag | 16.4.2019 |
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Reihe/Serie | Ein Portugal-Krimi | Ein Portugal-Krimi |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Algarve • Algarve Roman • Diktatur • Dunkle Verbindungen • Geschichte • Gil Ribeiro • Journalistin • Kommissar • Krimi • Kriminalliteratur • Kriminalroman • Lost in Fuseta • Luis Sellano • Mord • Pferd • Portugal • Portugal Krimi • portugiesische literatur • Portugiesische Sünde • Salazar • Tierheim • Urlaubslektüre • Zwangsadoption |
ISBN-10 | 3-644-00278-9 / 3644002789 |
ISBN-13 | 978-3-644-00278-4 / 9783644002784 |
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