Gestrandet in der Realzeit (eBook)

Roman

(Autor)

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2018
Heyne Verlag
978-3-641-22897-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gestrandet in der Realzeit - Vernor Vinge
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Ein jahrtausendealter Mord
Fünfzig Millionen Jahre in der Zukunft: Die blasenartigen Sphären, in denen die Menschen seit dem 22. Jahrhundert alle 'unliebsamen Elemente' eingesperrt haben, platzen nach und nach und entlassen ihre Bewohner wieder in die Normalzeit. Doch das, was sie außerhalb der Sphären erwartet, ist ein herber Schock: die Menschen auf der Erde sind verschwunden! Waren es Aliens? Oder haben sie die Menschen in einem gewaltigen Krieg selbst vernichtet? Kam es zu einer Singularität, die irgendwie von den Blasen verursacht worden ist? Will Brierson war Polizist, der von einem Verbrecher in einer dieser Blasen eingesperrt wurde. Jetzt wird er von den letzten Menschen beauftragt, einen Jahrtausende alten Mordfall zu lösen: eine Frau namens Marta Korolev wurde getötet, etwa zu der Zeit, als die Menschen verschwunden sind. Ihr Tagebuch könnte nicht nur Aufschluss über ihren Mörder geben, sondern auch darüber, was mit der Erde passiert ist ...

Vernor Vinge, 1944 in Wisconsin geboren, ist einer der bedeutendsten Science-Fiction-Autoren der Gegenwart. Sein Roman »Ein Feuer auf der Tiefe«, für den er mit dem Hugo Award ausgezeichnet wurde, und die Fortsetzung »Eine Tiefe am Himmel« zählen zu den einflussreichsten Science-Fiction-Werken der letzten zwanzig Jahre. Vernor Vinge ist außerdem ein bekannter Mathematiker und Informatiker, der mit seinen Studien zur Künstlichen Intelligenz für großes Aufsehen gesorgt hat. Er lehrt an der San Diego State University in Kalifornien.

2


 

Jeder stimmte mit Marta darin überein, die Show sei eindrucksvoll gewesen. Vielen war jedoch nicht klar, dass die »Show« nicht mit dem einen nachmittäglichen Feuerwerk endete. Eine ganze Reihe von ›Zugaben‹ würde folgen, und sie würden eher scheußlich als eindrucksvoll sein.

Bei der Rettungsaktion war ungefähr hundertmal so viel Energie freigesetzt worden wie beim Ausbruch des Krakatau im 19. Jahrhundert. Milliarden Tonnen Asche und Gestein wurden an diesem Nachmittag in die Stratosphäre geschleudert. Die Sonne war in den folgenden Tagen ein seltener Anblick und schimmerte bestenfalls als trübe rötliche Scheibe durch die Dunkelheit. In Korolew war der Boden jeden Morgen von einer dicken Eisschicht bedeckt. Die Fast-Jakarandas welkten und starben. Ihre Spinnenfamilien waren entweder tot oder hatten sich in Höhlen verkrochen. Sogar in dem Dschungel entlang der Küste stieg die Temperatur jetzt kaum noch über vierzehn Grad.

Es regnete beinahe den ganzen Tag – aber kein Wasser: Der Staub setzte sich ab. Wenn er trocken herunterkam, war er wie graubrauner Schnee und sammelte sich zu obszönen Wehen auf Häusern und Bäumen und den Körpern kleiner Tiere. Die Neumexikaner lernten um den Preis des letzten ihrer Jetkopter, was Steinstaub Turbinen antun kann. Noch schlimmer war es, wenn der Staub nass herunterkam, eine schwarze Flüssigkeit, die die Wehen in Schlamm verwandelte. Es war ein geringer Trost, dass die Bomben sauber waren und der Staub ein »natürliches Produkt« darstellte.

Korolew-Roboter bauten schnell eine neue Einschienenbahn. Wil und die Dasgupta-Brüder machten einen Ausflug zum Meer hinunter.

Die Dünen waren verschwunden, von der Flutwelle des Rettungstages landeinwärts getrieben. Die Bäume südlich der Dünen lagen flach am Boden und zeigten sämtlich vom Meer weg. Nirgendwo war Grün zu sehen; alles war mit Asche bedeckt. Sogar auf dem Meer schwamm eine schaumige Schicht. Wie durch ein Wunder waren noch ein paar Fischeraffen am Leben. Wil sah kleine Gruppen am Strand, die sich gegenseitig die Asche aus dem Fell putzten. Sie verbrachten die meiste Zeit im Wasser, das immer noch warm war.

Die Rettung selbst war ein einwandfreier Erfolg. Die Blase der Friedensbeamten saß jetzt auf der Oberfläche. Am dritten Tag nach der Detonation besuchte ein Korolew-Flieger den Standort. Die Bilder, die er übertrug, waren überwältigend. Sturmwinde, immer noch mit Asche befrachtet, rasten über graues, verkrustetes Land. Durch ein Netzwerk von Ritzen in dem Schorf glühte es orangerot. Im Mittelpunkt dieses langsam gefrierenden Steinsees saß eine perfekte Sphäre, die Blase. Sie ragte zu zwei Dritteln aus dem Fels hervor. Natürlich entstellte kein Kratzer, keine Delle ihre Oberfläche. Keine Spur von Asche oder Stein war an ihr hängengeblieben. Sie war in der Tat beinahe unsichtbar. Ihre spiegelnde Oberfläche reflektierte die sie umgebende Landschaft und zeigte das Netz von glühenden Rissen, die in der Ferne im Nebel verschwanden.

Eine typische Blase an einem untypischen Ort.

»Es geht alles vorüber.« Das war eine beliebte Redensart von Rohan Dasguptas. In wenigen Monaten würde der geschmolzene See überfroren sein, und ein Mensch konnte ungeschützt bis zu der Blase hinübergehen. Etwa um die gleiche Zeit endeten dann die Verdunkelung und der Schlammregen. Für die nächsten paar Jahre waren prachtvolle Sonnenuntergänge und ungewöhnlich kühles Wetter zu erwarten. Verwundete Bäume erholten sich. Sämlinge ersetzten die, die gestorben waren. In einem Jahrhundert oder in zweien hatte die Natur diese Beleidigung vergessen, und die Beamtenblase spiegelte grünen Wald wider.

Aber es würde noch unbekannte Jahrtausende dauern, bis die Blase platzte und sich die Männer und Frauen darin der Kolonie anschließen konnten.

Wie üblich hatten die Korolews einen Plan. Wie üblich blieb den Low-Techs kaum eine andere Wahl, als dabei mitzumachen.

 

»He, wir geben heute Abend eine Party. Haben Sie Lust zu kommen?«

Wil und die anderen blickten von ihrer Schaufelarbeit auf. Nachdem sie drei Stunden lang in der Asche herumgewühlt hatten, sahen sie alle ziemlich gleich aus. Schwarze, Weiße, Chinesen, Aztlán – alle waren mit grauer Asche bedeckt.

Die vor ihnen erschienene Vision war in strahlendes Weiß gekleidet. Ihre fliegende Plattform schwebte direkt oberhalb des Aschehaufens, den die Low-Techs auf die Straße geschoben hatten. Es war eine der Robinson-Töchter. Tammy? Auf jeden Fall sah sie wie ein Model aus dem 20. Jahrhundert aus: blond, sonnengebräunt, siebzehn, freundlich.

Dilip Dasgupta grinste sie an. »Wir kämen bestimmt gern. Aber heute Abend? Wenn wir diese Asche nicht von den Häusern weggeschafft haben, bevor die Korolews uns verblasen, werden wir für immer in der Asche sitzen.« Wils Rücken und Arme waren ein einziger heftiger Schmerz, aber er musste Dilip zustimmen. Sie machten das seit zwei Tagen, seit die Korolews verkündet hatten, die Verblasung werde noch an diesem Abend stattfinden. Wenn sie das ganze graue Zeug von den Häusern entfernten, bevor sie verblast wurden, würde es, wenn sie zurückkehrten, von tausend Jahren Wetter weggespült worden sein. Jeder auf der Straße hatte mitgemacht, wenn auch unter vielem Murren, das sich hauptsächlich gegen die Korolews richtete. Die Neumexikaner hatten sogar ein paar zwangsverpflichtete Männer mit Schubkarren und Schaufeln geschickt. Wil wunderte sich darüber: Sollte der Geist der Kooperation tatsächlich einen Mann wie Fraley erfasst haben? Das war entweder ehrliche Hilfsbereitschaft seitens der niedrigeren Offiziere oder ein raffinierter Versuch, die anderen Low-Techs als zukünftige Verbündete gegen die Korolews und die Friedensbeamten auf die NM-Seite zu ziehen.

Das Robinson-Mädchen verlagerte sein Gewicht, und die Plattform trieb näher an Dasgupta heran. Sie blickte die Straße hinauf und hinunter, und dann erklärte sie in vertraulichem Tonfall: »Meine Verwandten mögen Yelén und Marta sehr – ehrlich. Aber Daddy findet, dass sie manchmal zu weit gehen. In ein paar Jahrzehnten werdet ihr frühen Vögel sowieso unser technisches Niveau erreicht haben. Warum sollt ihr wie Sklaven schuften müssen?«

Sie biss sich auf einen Fingernagel. »Ich wünschte wirklich, ihr könntet zu unserer Party kommen … He! Machen wir es doch so: Ihr arbeitet bis … sagen wir, bis ungefähr sechs weiter. Vielleicht habt ihr dann überhaupt schon alles sauber gemacht. Aber wenn nicht, können unsere Familienroboter dann den Rest besorgen, während ihr euch für die Party zurecht macht.« Sie lächelte und setzte beinahe schüchtern hinzu: »Meint ihr, das geht in Ordnung? Könntet ihr dann kommen?«

Dilip sah seinen Bruder Rohan an. Dann antwortete er trocken: »O doch. Ich denke, mit dieser Unterstützung wäre es zu schaffen.«

»Fein! Jetzt pass auf! Die Party findet in unserem Haus statt und beginnt um acht. Also arbeitet nicht länger als bis sechs Uhr, verstanden? Und haltet euch nicht mit Essen auf. Bei uns ist genug da. Wir feiern bis zur Geisterstunde. Das lässt euch eine Menge Zeit, nach Hause zu kommen, bevor die Korolews euch verblasen.«

Ihre Plattform schwebte zur Seite und stieg über die Bäume, die das Haus umgaben. »Bis dann!« Zwölf verschwitzte Schaufelschwinger sahen dem Abflug des Robinson-Mädchens in benommenem Schweigen zu.

Langsam verzog sich Dilips breites Gesicht zu einem Lächeln. Er betrachtete seine Schaufel, dann rollte er die Augen in Richtung der anderen. Schließlich brüllte er: »Zur Hölle damit!«, warf die Schaufel zu Boden und sprang darauf herum.

Das rief bei den anderen, die NM-Korporale eingeschlossen, ein aufrichtiges Jubelgeschrei hervor. Augenblicke später waren die von ihrem Job befreiten Arbeiter auf dem Heimweg.

Nur Brierson blieb auf der Straße, das Gesicht immer noch in die Richtung gewandt, die das Robinson-Mädchen eingeschlagen hatte. Er empfand ebenso viel Neugier wie Dankbarkeit. Wil hatte sich große Mühe gegeben, die High-Techs kennenzulernen: Trotz all ihrer Eigenheiten hatte er den Eindruck gehabt, sie stünden geschlossen hinter den Korolews. Aber ganz gleich, wie freundlich sie Gegensätzlichkeiten behandelten, er sah jetzt, dass es auch bei ihnen Fraktionen gab. Ich möchte doch wissen, was die Robinsons uns verkaufen wollen.

 

Der für die Öffentlichkeit zugängliche Teil des Robinson-Grundstücks war freundlicher als der des Korolew-Anwesens. Glühlampen hingen von Eichenästen. Die Teak-Tanzfläche öffnete sich zu einem Buffetraum, eine Terrasse und ein verdunkeltes Theater, wo, wie die Gastgeber versprachen, später ein paar außergewöhnliche, selbst aufgenommene Filme gezeigt werden sollten.

Immer noch trafen Gäste ein. Die jüngeren Robinson-Kinder rannten lärmend über die Tanzfläche und schlängelten sich in einem wilden Fangen-Spiel zwischen den Gästen hindurch. Sie durften es, sie durften mehr als das. Sie waren die einzigen Kinder auf der Welt.

In gewissem Sinn lebte jeder der Anwesenden im Exil. Einige waren entführt worden, einige waren gesprungen, um einer Strafe (teils verdient, teils nicht) zu entgehen, einige (wie die Dasguptas) hatten geglaubt, wenn sie ein paar Jahrhunderte übersprangen, während ihre Geldanlagen sich vervielfachten, würden sie reich werden. Im allgemeinen waren die ersten Sprünge kurz gewesen – in das 24., 25., 26. Jahrhundert.

Aber irgendwann im 23. Jahrhundert verschwand der Rest der Menschheit. Die Reisenden, die gleich nach dem Großen Sterben herauskamen, fanden Ruinen vor. Einige – die Leichtsinnigsten und diejenigen Kriminellen, die es am eiligsten gehabt hatten – hatten nichts mitgebracht. Sie verhungerten oder führten ein paar Jahre...

Erscheint lt. Verlag 10.12.2018
Übersetzer Rosemarie Hundertmarck
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Marooned in Realtime
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte diezukunft.de • eBooks • Ferne Zukunft • Nanotechnologie • Realzeit-Zyklus • Technologische Singularität • Zeitreise
ISBN-10 3-641-22897-2 / 3641228972
ISBN-13 978-3-641-22897-2 / 9783641228972
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