Die Tote im Wannsee (eBook)

Kriminalroman

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2018 | 1. Auflage
384 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1828-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Tote im Wannsee -  Lutz Wilhelm Kellerhoff
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1968 - Wolf Heller ermittelt in politisch aufgeheizter Zeit Rudi Dutschke, Uschi Obermaier, Willy Brandt, Axel Springer, Benno Ohnesorg - die Sechzigerjahre sind ihre Bühne, Berlin ist ihre Bühne. Es stand viel auf dem Spiel. Und Wolf Heller muss sich als junger Polizist in diesen Zeiten beweisen. Wolf Heller interessiert sich eigentlich nicht für Politik, doch plötzlich ist alles politisch. Ohne es zu wollen, gerät er zwischen die Fronten. Die Polizei ist ein reaktionärer Haufen, Studenten demonstrieren lautstark in den Straßen, und seine Freundin Luise zieht in eine Kommune. Da wird eine junge Frau tot am Ufer des Wannsees gefunden. Nur die roten Schlangenlederschuhe geben einen brauchbaren Hinweis auf ihre Identität. Als der Kommissar ein Bild der Schuhe in einer Berliner Zeitung veröffentlichen lässt, meldet sich eine Kollegin der Toten: Heidi Gent arbeitete in Horst Mahlers Anwaltsbüro. Heller soll den Fall schnell abschließen. Auf der Polizei liegt noch der Schatten der Ermordung von Benno Ohnesorg, der Druck aus dem Schöneberger Rathaus ist enorm. Doch als er zufällig mitbekommt, dass sein Chef lautstark mit einem Unbekannten über die Tote streitet, lässt er nicht mehr locker. 

Martin Lutz (1969) und Sven Felix Kellerhoff (1971) sind von Beruf Journalisten. Uwe Wilhelm (1957) ist Drehbuchautor und Schriftsteller. Kriminalität, Geschichte und Geschichten sind schon seit Jahren ihre Passion. Alle drei leben in Berlin.

Martin Lutz (1969) und Sven Felix Kellerhoff (1971) sind von Beruf Journalisten. Uwe Wilhelm (1957) ist Drehbuchautor und Schriftsteller. Kriminalität, Geschichte und Geschichten sind schon seit Jahren ihre Passion. Alle drei leben in Berlin.

Eins


Freitag, 25. Oktober

Das ist also der Augenblick, in dem ich sterben werde, denkt sie. Da ist das Messer bereits achtmal in ihren Körper eingedrungen und legt nun eine kleine Pause ein. Ihr Atem rasselt, die Bronchien sind verstopft. Das Herz pumpt hektisch Blut aus den offenen Wunden. So lange, bis es kein Blut mehr gibt, das gepumpt werden kann. Was habe ich getan, dass ich sterben muss?

Sie ist wie immer freitagmittags zu der kleinen Laube am Rande der Schrebergartensiedlung gefahren. Diesmal ist sie zu früh da gewesen. Sie wollte die Zeit nutzen, um zu überlegen, wie sie es erklären kann. Dass sie Schluss machen muss. Weil sie genug hat von der Angst, dem Misstrauen, der Heimlichtuerei. Von der Gefahr, entdeckt zu werden. Ich werde weggehen. Weg aus Berlin, diesem Hexenkessel. Nach Kalifornien. Mit den Kindern. Neu anfangen. In ein kleines Dorf mit Hühnern und einem Garten, in dem ich Gemüse anbaue. Und drum herum Kühe und Pferde. Ich hab ja genug Geld gespart.

Das alles hat sie schon vor Tagen angekündigt. Die richtigen Worte liegen immer noch bereit. Aber für Gründe und Argumente ist es jetzt zu spät. Jetzt, wo sie in der Laube den kalten Boden unter sich spürt, wo es um sie herum feucht ist von ihrem Blut. Das Kleid ist hochgerutscht, und die schöne Strickweste aus dem KaDeWe ist zerschnitten. Der rechte Schuh ist vom Fuß gerutscht. Wo ist er? Wo ist mein Schuh? Sonderangebot, dreißig Mark bei Leiser in der Tauentzienstraße. Schlangenlederimitat. Der letzte Schrei. Sie friert.

Im Tagesspiegel hat sie gelesen, dass man einen hell leuchtenden Tunnel betritt, wenn man stirbt. Ist das so? Bisher ist nichts von einem Tunnel und einem Licht zu sehen. Und das ist auch gut so. Sie darf nicht sterben. Nicht wegen ihrer selbst, sondern wegen der Kinder, die am Grab stehen und weinen werden. Was soll aus ihnen werden, wenn sie nicht mehr ist? Sollen sie etwa bei Klaus bleiben?

Gerade bei ihm. Er mit seinen ewigen Verdächtigungen, seiner Wut, den Schlägen. Dabei hatten alle sie gewarnt. Der ist ein jähzorniger Typ, hat ihre Mutter am Tag der Hochzeit gesagt, der hat sich nicht unter Kontrolle, wenn er getrunken hat. Aber sie hatte die Stimmen ignoriert. Immer und immer wieder. Weil sie verliebt gewesen war. Bis über beide Ohren. Er hatte so gut ausgesehen, als sie sich kennenlernten, mit seinen schwarzen Locken, den braunen Augen und seinem spöttischen Lächeln. Am 13. August 1961.Sie erinnert sich genau an das Datum, weil keine Frau solche Tage vergisst. Und weil an dem Tag die Sektorengrenze abgeriegelt wurde. Erst nach der Geburt von Ralf und dann von Betty hatte sie bemerkt, dass in seinem Lächeln kein Spott, sondern Verachtung liegt. Verachtung für alles und jeden. Also muss sie für die Kinder am Leben bleiben, muss sie sich mit aller Kraft wehren.

Jetzt, wenn das Messer erneut in sie hineinsticht. Die Haut durchdringt und mit einem hässlichen Kratzen an Knochen entlanggleitet. Sie schreit. Windet sich. Greift mit der rechten Hand nach der Messerhand, hält sie fest. Drückt dagegen, versucht, die Waffe zur Seite abzulenken. Bis der Stahl zuletzt zwischen den Rippen hindurch in das Herz eindringt und die unermüdliche Arbeit des Muskels beendet.

Von diesem Augenblick an gibt es keine Rettung mehr. Die Impulse, die ihr Gehirn an Muskeln und Sehnen sendet, werden schwächer und schwächer. Tragen sie fort. In den Tunnel hinein, in dem es hell ist. Sehr hell. Eine Kakofonie von Tönen und Stimmen. Erinnerungen. Bald ist Weihnachten, im Büro ist das Fenster noch offen, der Arzt hat gesagt, es ist ein Ekzem, Vater unser, der du bist im Himmel, ich muss Geschenke kaufen, der Hund bellt die ganze Nacht, lieber Gott, hilf mir, wenn wir auf den Funkturm gehen, trinken wir Weiße mit Waldmeister.

Und dann atmet sie ein letztes Mal aus. Es wird still. Eine tröstliche, heilsame Dunkelheit umfängt sie.

Fahr in die Laube. Das Problem ist gelöst. Es war ein kurzer Anruf. Harry wusste sofort, was gemeint war. Er nahm den Autoschlüssel, murmelte beim Verlassen des Büros etwas von einer Verabredung, die er vergessen habe. Sein weißer BMW stand direkt vor dem Eingang zum Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke. Er raste los. Eine halbe Stunde, wenn er über die Stadtautobahn, dann die Heerstraße und den Nennhauser Damm fuhr. Die letzten Meter bis zur Kolonie Gartenbauverein Staaken v. 1922 dann zu Fuß. Zweihundert Meter südlich des Bahnübergangs Staaken, wo Güterzüge aus Westdeutschland nach West-Berlin abgefertigt wurden.

Als er die Tür zur Laube aufstieß, sah er sie. Sie lag rücklings, die Arme ausgebreitet, mit den Füßen zum Bett hin. Der Kopf in einer Lache aus geronnenem Blut. Die Augen offen, der Blick zur Decke gerichtet. Ihre Brille lag neben ihr. War sie tot? Natürlich war sie tot.

Tat sie ihm leid? Er spürte den Anflug eines ungewohnten Gefühls. Ja, ein wenig schon, sie war jung, sie war hübsch. Aber vor allem war da Angst, dass ihn jemand beobachten könnte. Er sah auf die Uhr, halb vier. Bald würden die ersten Schrebergärtner eintrudeln, um noch ein paar Stunden lang die Himbeeren zu schneiden, die Beete umzugraben.

Die Leiche musste weg. Sofort. Er nahm das Wachstuch vom Tisch, legte es auf den Fußboden, zog die Tote darauf und schlug die Seiten über ihr zusammen. Nahm zwei Seile aus dem Schrank, band eines in Höhe der Brust und eines in Höhe der Knie um sie herum. Die blutige Tatwaffe, die neben der Toten lag, ein Messer mit Holzgriff, wickelte er in eine Zeitung ein. Er musste es zusammen mit der Leiche verschwinden lassen. Dann schaute er aus dem Fenster. Niemand zu sehen. Gut so. Wenn er sich beeilte, würde alles gut werden.

Harry schulterte die Tote. Schloss die Tür hinter sich ab und ging los. Von Weitem sah er einen Mann auf einer Zündapp, der recht schnell auf die Kolonie zufuhr. Beeil dich, dachte er. Auf dem Parkplatz angekommen legte er Leiche und Messer in den Kofferraum seines BMW. Dann stieg er ein und gab Gas. Drehte den Kopf weg, als er dem Mopedfahrer auf der Kreuzung Finkenkruger Weg begegnete. Dann nach links abbiegen. Und dann die große Frage, wohin mit ihr.

Harry ärgerte sich, weil er nicht schon auf der Fahrt zur Laube darüber nachgedacht hatte. Aber da war ihm alles Mögliche durch den Kopf gegangen, nur das nicht. Er könnte die Leiche im Wald vergraben. Aber die Gefahr war zu groß, dass Tiere sie ausbuddelten. Er könnte sie zersägen und an die Tiere verfüttern. Auch zu riskant. Wenn etwas von ihr übrig bliebe, würden Spaziergänger es finden.

Als er die Kreuzung zur Teltower Straße erreichte, wusste er, was zu tun war. Er würde die Leiche auf die Insel Schwanenwerder bringen, die im Wannsee nördlich vom Strandbad lag und über eine Brücke mit dem Ufer verbunden war. Um diese Jahreszeit standen dort die meisten Villen leer. Er würde seine Fracht vor dem Anwesen des Zeitungszaren Axel Springer ablegen. Direkt vor dem Tor.

In der gegenwärtigen Stimmungslage würde die Polizei den Mord unweigerlich mit den radikalen Studenten in Verbindung bringen. Als Racheakt für Rudi Dutschke. Oder noch besser, die Polizei würde davon ausgehen, dass es sich bei der Toten um eine von Springers Liebschaften handelte. Davon gab es angeblich etliche. Das würde sogar zu den anderen abgestochenen Frauen der letzten eineinhalb Jahre passen. Derselbe Mörder. Ein Perverser aus der besseren Gesellschaft. Sticht sie ab und legt sie aus Wut vor Springers Anwesen. Zugegeben, es war nicht die Idee des Jahrzehnts, aber doch besser als alle anderen.

Auf der Havelchaussee kam er gut voran. Bis plötzlich nahe dem Grunewaldturm die Straße abgesperrt war. Blaulicht überall. Was war hier los? Kontrollierten sie die Fahrzeuge? Drei Wagen vor ihm. Keiner hinter ihm. Er könnte noch umdrehen und die Avus nehmen. Aber kaum hatte er den Rückwärtsgang eingelegt, hielten vier Autos hinter ihm. Was jetzt? Aussteigen und wegrennen? Was für ein idiotischer Gedanke. Die würden ihn anhand seines BMW ausfindig machen.

Er spürte, wie sich Schweiß auf seiner Stirn bildete. Bleib ruhig, dachte er. Das ist bestimmt ein Unfall, deswegen steht ein Krankenwagen da. Dann ging es weiter. Er passierte den Rettungswagen. Ein Mann mit Motorradhaube wurde eingeladen. Das rechte Bein war seltsam verdreht. Die Maschine lag im Graben. Dann war er vorbei. Glück gehabt. Er fuhr weiter, aber langsamer. Auf keinen Fall einen Unfall riskieren.

Zehn Minuten später erreichte er den Kronprinzessinnenweg, bog rechts in den Wannseebadweg ein und fluchte, als er nur noch dreihundert Meter von der Brücke nach Schwanenwerder entfernt war. Wegen Bauarbeiten gesperrt. Zwei Männer machten sich an dem Geländer zu schaffen. Ein schwarzer Mercedes mit Behördenkennzeichen kam von der Inselseite her. Die Arbeiter zogen die Absperrung beiseite, ließen den Wagen passieren und schoben die Absperrung wieder in die ursprüngliche Position zurück. Das würden sie in seinem Fall bestimmt auch so machen. Aber dann hätten sie sein Auto gesehen und würden sich später vielleicht daran erinnern. Der BMW 2000 C war auffällig, davon gab es in Berlin nicht viele.

Er musste eine andere Möglichkeit finden. Und zwar schnell. War da nicht ein Schild gewesen, das den Weg zum Berliner Yacht-Club wies? Er...

Erscheint lt. Verlag 10.8.2018
Reihe/Serie Wolf Heller ermittelt
Wolf Heller ermittelt
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1968 • 1968er • 60er • 60er Jahre • 68-er • 68er • Altachtundsechziger • Babylon • Babylon Berlin • Benno Ohnesorg • Berlin • Berlin 1968 • Berliner • Berliner Ermittler • Berliner Polizei • Berliner Polizist • Berlinkrimi • Berlin Krimi • Bücher für die Coronavirus Zeit • Bücher für die Coronazeit • Bücher für die Covid19 Zeit • das Lesen geht weiter • Demonstrationen • deutsche Krimiautoren • Deutscher Krimi • Emanzipation • Ermittler • Feminismus • Friedrich Ani • für Social Distancing • gegen Langeweile • Gender • historisch • historischer Krimi • Historischer Krimi 1960er • historischer krimi berlin • Hồ Chí Minh • Horst Mahler • Jagger • Jahre • Krimi • Krimi 2018 • Kriminalbeamter • Kriminalroman • Kriminalroman Berlin • Kriminalromane Deutschland • krimi serie • Krimi-Serie • Lennon • Lesen in der Coronakrise • Lesen in der Covid19-Krise • Lesen in Karantäne • Lesen in Quarantäne • Lesen während Shutdown • lieber Buch als Coronavirus • Lieber Buch als Covid19 • lieber Bücher als Corona • Luftbrücke • Mauer • Mit Buch in Karantäne • mit Buch in Quarantäne • Neu 2018 • Neuerscheinungen 2018 • Oliver Bottini • Politik • politisch • Politischer Krimi • Polizei • Polizisten • Rainer Langhans • Rebellion • Revolte • Rudi Dutschke • Sechziger • Sechzigerjahre • Sechziger Jahre • Serie • Stasi • Studentenbewegung • Tegeler Weg • Tempelhof • Uschi Obermaier • Volker Kutscher • Wannsee • Westberlin • Willy Brandt • Wolf Heller • Woodstock
ISBN-10 3-8437-1828-8 / 3843718288
ISBN-13 978-3-8437-1828-8 / 9783843718288
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