Brennende Cevennen (eBook)

Ein Kriminalroman aus dem Süden Frankreichs

(Autor)

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2018 | 1. Auflage
304 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31662-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Brennende Cevennen -  Anne Chaplet
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Aufruhr in den Cevennen: Tori Godon ermittelt weiter. Der Himmel über dem kleinen Ort Belleville am Fuße der Cevennen leuchtet in schmutzigem Rot, als die ehemalige Anwältin Tori Godon mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen wird. Feuer - seit Jahrhunderten prägt es die wilde Landschaft und die Menschen des Vivarais. Dort, wo einst zur goldenen Zeit der Seidenraupenzucht unzählige Maulbeerbäume standen, jagt der Wind die Flammen über Berge und Ebenen. Neben den verkohlten Überresten eines Wohnwagens auf einer Hochebene findet Tori die Leiche eines Hundes. Sein Besitzer, der Schweizer Franco Jeger, ist spurlos verschwunden. Tori begibt sich auf die Suche. An ihrer Seite: der ehemalige Drogenfahnder Nico und ihr Hund July. Als sie einen anonymen Drohbrief erhält, auf sie geschossen wird und ein weiteres Feuer Todesopfer fordert, ahnt Tori: Das Paradies ist eingestürzt. Eine erschütternde Tragödie in einem geschichtsträchtigen Landstrich, atmosphärisch dicht und mitreißend erzählt - eine starke Fortsetzung der Reihe!

Anne Chaplet ist das Pseudonym von Cora Stephan, unter dem sie ihre mehrfach preisgekrönten Kriminalromane veröffentlicht hat. Cora Stephan ist Publizistin und Schriftstellerin, ihr Roman »Ab heute heiße ich Margo« erschien 2016 bei Kiepenheuer & Witsch.

Anne Chaplet ist das Pseudonym von Cora Stephan, unter dem sie ihre mehrfach preisgekrönten Kriminalromane veröffentlicht hat. Cora Stephan ist Publizistin und Schriftstellerin, ihr Roman »Ab heute heiße ich Margo« erschien 2016 bei Kiepenheuer & Witsch.

3


Belleville rühmte sich einer Grande Rue, obwohl es nur ein Dorf mit weniger als tausend Einwohnern war, mit verwinkelten Steinhäusern und krummen Gässchen. Auf dieser Hauptstraße gab es einen Bäcker, einen Metzger, eine Apotheke, das Maison de la Presse und das Café von Francine. Sie zerschnitt das Dorf in eine Hälfte oberhalb und eine Hälfte unterhalb der Kirche. Tori wohnte unterhalb, im »Externat«, mit Blick auf einen bewaldeten, zum Teil parkähnlichen Hang. Hinter ihrem Haus führte eine steile Treppe auf einen schmalen Gang, der vor dem Haus des Metzgers mündete. Dort und beim Bäcker gleich nebenan fand der Dorfklatsch statt, wenn es denn etwas zu beklatschen gab.

Tori hatte ihren Einkaufskorb vom Haken genommen und die protestierende July zu Hause gelassen, eigentlich wollte sie nur Brot kaufen und ein paar Fleischreste für den Hund. Doch vor Metzger und Bäcker hatten sich alle versammelt, die ein dringendes Bedürfnis verspürten, sich über vergangene und künftige Schrecken auszutauschen, heute ging es – worum sonst? – um das Feuer auf den Gras.

In der Schlange vor dem Metzger stand Karim, mit rollenden Augen und zerrauften dunklen Locken, ein bulliger Kerl, der dem mutmaßlichen Brandstifter Fürchterliches anzutun drohte, weshalb sie schnell weiterging zum Bäcker. Sie mochte Karim nicht sonderlich, und das hatte mehrere Gründe. Zum einen störte es sie, dass er auf der Straße unterhalb ihres Maison Sarrasine unter deftigen Flüchen an den maroden Autos seiner Kumpels herumschraubte und dabei seine Umgebung mit einer Art arabischem Hip-Hop zudröhnte. Vor allem aber verzieh sie ihm nicht, dass er July misshandelt hatte. Er hatte das Tier von einem verunglückten Kumpel übernommen und geglaubt, sich einen menschenbissigen Kampfhund ins Haus geholt zu haben. Doch July war alles andere als das, und dafür war sie bestraft worden. Tori hatte das halbverhungerte Tier gerettet, das ihr seither täglich seine Dankbarkeit bewies. Sicher, Karim hatte sich später für seine Brutalität entschuldigt. Dennoch.

Am Ende der Schlange vor dem Bäcker stand Hugo, Toris Nachbar, ein Rentner, der jeden Morgen um Punkt sieben Uhr das Brennholz für den Küchenherd seiner Frau hackte, bevor er mit seinem betagten Moped auf einen kleinen Schwarzen mit Schuss ins Café de la Beaume nach Rosières knatterte. »Das war kein Gewitter. Das war Brandstiftung«, sagte er zu jemandem vor ihm. »Irgendein wilder Camper hat sich ein Feuerchen gegönnt. Touristen eben. Landplage.«

Tori hörte dem Gemurmel um sie herum nur mit halbem Ohr zu, während sie sich langsam mit den anderen vorschob. Egal, ob es ein Gewitter gewesen war oder Zündelei: Feuer prägte die Landschaft des Vivarais.

»Die Cevennen müssen brennen.« Für einen Moment spürte sie einen eisig kalten Luftzug, der die morgendliche Hitze durchschnitt. Das war der Schlachtruf im königlichen Heer gewesen, das ausgezogen war, um die rebellischen Protestanten des Vivarais zur Raison zu bringen. Jahrelang hatten sich die Hugenotten gegen ihre Verfolgung zur Wehr gesetzt. Erst 1710 war der letzte Aufstand niedergeschlagen worden. Man fürchtete hier das Feuer nicht nur aus naheliegenden Gründen: Die Erinnerung an das Schicksal der Vorfahren saß den Menschen im Dorf in den Knochen und im Gemüt.

»Madame?« Melanie Crespin, die Bäckersfrau, deren schwarzgefärbtes Haar einen grauen Scheitel hatte, klang ungeduldig. Tori war entgangen, dass sie längst an der Spitze der Schlange angelangt war. Sie kaufte ein Baguette und ein Croissant, zahlte, grüßte nach rechts und nach links, während sie sich an den Wartenden vorbeiquetschte, und lief wieder hinunter ins Externat und zu July, die bereits ungeduldig auf sie wartete.

 

Es gab ein festes Frühstücksritual im Maison Sarrasine, das je nach Jahreszeit draußen oder drinnen stattfand. Bei vorsommerlichen Temperaturen saß man auf der großen Terrasse, über der die Sonne aufging, im Hochsommer auf der überdachten und schattigen Veranda vor dem Eingang, und im Winter stand man entweder in der kleinen Küche oder saß im großen Esszimmer. Über die Reihenfolge war nicht zu diskutieren. Erst bekam July ihre Mahlzeit, schon, damit das Tier Ruhe gab und nicht dauernd neben Tori stand, mit herzzerreißend bittendem Hundeblick. Dann erst kamen die Menschen.

Während July schmatzend über ihrem Napf hockte, ließ Tori Kaffee aus der Maschine erst in einen Becher für sich selbst und dann in einen zweiten laufen. Sie stellte Butter, Brot und Käse auf ein Tablett neben die zwei Becher und trug es auf die Veranda, wo es eine Bank, einen großen Tisch und ein paar Korbsessel gab. Hier saß sie besonders gern, man blickte auf die Dächer der Nachbarhäuser, auf die Treppe und das Eingangstor und auf die alte Kletterrose, die unten im Hof wuchs und deren Triebe sich die Treppe entlang bis hoch zur Veranda gerankt hatten. Die Rose blühte nur einmal, im Mai, mit gefüllten Blüten, porzellanrosa und duftend. Carl hatte sie geliebt.

Sie stellte den zweiten Becher Kaffee dorthin, wo früher Carl gesessen hatte. »Ich denke an dich«, sagte sie leise.

Sie vermisste ihn noch immer, obwohl der Schmerz langsam nachließ. Ihre Liebe hatte gerade einmal drei Jahre Zeit gehabt, bevor Carl in ihren Armen gestorben war. Oben, in einem der Schlafzimmer, das sie die Kapelle nannte, im ältesten Teil ihres Hauses, über dem der Cheminée Sarrasine stand, der Sarazenerschornstein, der dem Haus seinen Namen gab. Das Haus hatten sie und Carl noch gemeinsam gekauft. Erst seit Kurzem wusste sie, wie alt es wirklich war und welche Geheimnisse sich hinter seinen Mauern verbargen.

Natürlich war das albern, so ein Ritual, aber sie brauchte das. Manchmal stellte sie sogar noch einen dritten Becher auf den Tisch – für Jan. Jan Fessmann, der die Wandgemälde der Kirche von Belleville restaurierte, wenn er nicht, wie schon seit Wochen, in Spanien war, um irgendeinen anderen komplizierten Fall zu begutachten. Jan, der einzige Mann, der ihr seit Carl wenigstens ein bisschen nahegekommen war.

Sie trank erst ihren und dann Carls Becher aus, stand auf und nahm die Hundeleine vom Haken, was July in einen Kreisel der Begeisterung versetzte. Eigentlich brauchte die Hündin keine Leine, aber es war besser, sie dabeizuhaben, manche Leute hatten Angst vor Hunden.

Sie nahmen den Weg den Hang hinauf, an dem sich das Unterdorf von Belleville erstreckte. Hier wuchsen Grüneichen, Kastanien, Lorbeerbäume. Tori mochte sich nicht ausdenken, was geschehen würde, bräche hier ein Feuer aus. Aber Feuer brachen nicht einfach so aus. Die meisten, das wusste sie mittlerweile, wurden von Menschen verursacht – durch weggeworfene Zigarettenkippen, nachlässig gelöschte Campingfeuer, heißgelaufene Autos oder auch Brandstiftung. Man konnte im Grunde nur hoffen, dass es ein verirrter Blitz war, der gestern die Gras in Brand gesetzt hatte. Ein Feuerteufel, der im heißen Hochsommer durch die Kiefernwälder streifte, konnte unfassbares Unheil anrichten.

July tobte durch das trockene Gras, sprang auf halbverfallene Mauern, jagte einem Vogel hinterher und tat so, als ob sie ein verspieltes Hündchen wäre. Dabei war sie ein perfekt ausgebildeter Therapiehund und normalerweise sehr erwachsen.

Nach einer Runde über steile Pfade und überwucherte Feldwege rief Tori nach dem Hund, der folgsam angerast kam und sich an ihr Bein schmiegte. »Wir müssen zur Arbeit gehen, meine Kleine«, murmelte Tori. Als ob sie verstanden hätte, trottete July brav neben ihr her auf dem Weg zurück ins Dorf.

 

Es war angenehm kühl in der Bibliothek von Belleville, das war das Gute an alten Steinhäusern mit meterdicken Wänden. Doch so alt das riesige Haus auch war, so wenig sah man davon, wenn man hineingegangen war. Hinter der schweren Eichentür öffnete sich eine weitere Tür, aus Glas, die in einen unromantisch funktionellen Raum führte. Ein offener Kubus mit geraden weißen Wänden, der wie eine Puppe in der Puppe in seiner steinernen Hülle saß. An den Wänden standen Bücherregale, zwei Regale dienten als Raumteiler, um die Lesetische ein wenig vom Rest des Saals abzugrenzen.

An einem Tisch am Fenster saß Monique Bonnet, die Bibliotheksleiterin, kaum wahrzunehmen hinter ihrem Computerbildschirm. Sie war seit gestern damit beschäftigt, die neu angeschafften Bücher für den Katalog zu erfassen. Monique winkte ihr zu, als Tori durch den Saal nach hinten ging, an ihren Tisch, auf dem die drei Bände der »Geschichte der Kamisardenkriege« lagen, die sie mit ihrem noch immer schwächelnden Französisch zu lesen versuchte.

Monique war eine kleine, zarte Person mit jenem Stilgefühl, das man französischen Frauen ganz allgemein nachsagte, doch gemeint waren wahrscheinlich die Pariserinnen. In Belleville jedenfalls war Monique ein bunter Vogel, hier trugen die Frauen normalerweise Jeans und T-Shirts und weder Seidenstrümpfe noch Pumps oder Etuikleider wie das, was Monique heute trug: ein ärmelloses Kleid aus lichtblauem Stoff, das passte nur zu Frauen mit einer untadeligen Figur.

Während Tori seit dem Frühjahr ein paar Kilo zugenommen hatte, was sie beruhigte – sie fühlte sich bei ihrer Größe von eins einundachtzig sonst wie ein Kleiderständer –, hatte Monique abgenommen, unter ihrem schmalen Kleid zeichneten sich die Hüftknochen ab. Auch ihre Heiterkeit hatte sie seit dem Drama eingebüßt.

Natürlich waren alle erschüttert gewesen, als man im vergangenen Jahr Paulette Theissier in der...

Erscheint lt. Verlag 16.8.2018
Reihe/Serie Tori Godon ermittelt
Tori Godon ermittelt
Tori Godon ermittelt
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Brandstiftung • Cevennen-Krimi • Cora Stephan • Feuer • Frankreich • Hugenotten • Krimi-Neuerscheinungen • Mord • Seidenraupen • Südfrankreich-Krimi • Urlaubskrimi
ISBN-10 3-462-31662-1 / 3462316621
ISBN-13 978-3-462-31662-9 / 9783462316629
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